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Der Musentempel – Der reiche Graf und die Frau mit der Seele – Das Wunderbare – Der Albdruck und der eingeschriebene Brief – Die Visitenkarte des Glücks – Der Viererzug – Sportsman – »Sport in Kraft und Saft« – Der Herr »Generaldirektor« – »Sport in Luft und Duft«
Mia Pippa sang die Lieder des reichen Grafen. Fritz Krohn leitete den Musentempel und deklamierte eigene Gedichte. Außerdem ergötzte der Maler Neudorf das Publikum durch komische Niggersongs, die er zu einer Guitarre begleitete. Das Personal der Truppe bestand noch aus einer jungen Dame, die wegen Überproduktion an schauspielerischem Talent seit langem ohne Engagement war, und aus Herrn Maximilian Blödinsky, Mitglied eines der hervorragendsten Kunstinstitute der Reichshauptstadt, der abends nach elf Uhr sich dazu herabließ, dem Publikum ein paar Couplets zu versetzen. Er erholte sich sozusagen in Fritzens Musentempel von den schwierigen Pflichten, die ihm seine Dienerrollen am Theater auferlegten.
Zur Zeit als Mia Pippa die Komposition des reichen Grafen in dem eigens dazu gemieteten Musentempel sang, existierten in Berlin 97 oder auch 113 Kabaretts und Überbrettl. Es war also nicht wunderbar, wenn trotz der herrlichen Plakate, die Neudorf gezeichnet hatte, der Besuch von Fritzens Musentempel dürftig und schwach ausfiel. Der reiche Graf und Lotte kamen jeden Abend. Auch Lewinsohn, Müller und Meyerstein begeisterten sich nächtlicherweise. Und Meyer jun., der Sohn von Fritzens früherem Chef, trank sogar echten französischen Sekt und machte der jungen Dame, die so lange wegen Überproduktion an schauspielerischem Talent ohne Engagement war, mit großem Eifer den Hof. Es muß nun gesagt werden, daß alle diese obengenannten Gäste wegen ihrer sehr nahen Beziehungen zum Direktor des Musentempels es für selbstverständlich hielten, von der Zahlung des Entrees abzusehen. Auch hatten sie im geheimen jeder ein kleines Privatkonto mit Fritz zu erledigen, Meyer jun. die Portokasse, der reiche Graf sein Mäcenatentum, Lewinsohn, Müller und Meyerstein das Abonnement für den »Krebs«. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir berichten, daß an manchen Abenden auch noch anderes Publikum zugegen war. Es ereignete sich sogar, daß Leute in Fritzens Musentempel kamen, nachdem sie am selben Abend bereits in vierzehn anderen Kabaretts gewesen waren. Und man hörte von diesen Besuchern, daß dieses Institut mindestens so gut wäre wie die anderen, wobei wir ausdrücklich bemerken wollen, daß die Leute nicht sagten, es wäre ebenso schlecht wie die anderen.
Nach Verlauf von vierzehn Tagen konnte Lotte alle Lieder, alle Gedichte, alle Witze auswendig. Der reiche Graf entdeckte, daß ein Künstler von seiner Tiefe nur durch eine Frau mit Seele gefesselt werden könnte. Maximilian Blödinsky verfolgte das entgegengesetzte Prinzip und fühlte sich von Lottes körperlicher Weiblichkeit angezogen. Inzwischen erschien wieder Herr Ferencz von Söröny auf der Bildfläche, tat, als wenn nichts vorgefallen wäre, drückte jedem der alten Bekannten mit einem kurzen »Servus« die Hand und spuckte seinem gräflichen Standesgenossen beim Sprechen genau so ins Gesicht, wie den anderen Mindergeborenen.
Der Musentempel bestand jetzt drei Wochen. Im Laufe der vierten Woche mußte sich das Institut auflösen, weil der Wirt inzwischen den Saal an ein paar Hochzeitsgesellschaften und Vereine verpachtet hatte, die zwar der Kunst weniger, aber ihm mehr einbrachten. wie niedrig das künstlerische Niveau dieses Garkoches war, konnte man daraus ersehen, daß er am letzten Abend des Musentempels nicht einmal das ganze elektrische Licht brennen ließ. Der Saal war nur halb beleuchtet, was aber den Herrn und die Dame, die an diesem denkwürdigen Abend die einzigen zahlenden Besucher waren, nicht weiter in ihrer Andacht störte. Aber dieser Abend war nicht nur bedeutsam wegen der mangelnden Beleuchtung, auch nicht deshalb, weil die Kunst nun wiederum eine Stätte verlieren sollte, an der ihr ein Altar errichtet war. Dieser Abend war vor allem deshalb bedeutsam, weil die Seele Mia Pippas in den Besitz des reichen Grafen überging, wofür sich Lotte eine anständige Abfindungssumme zahlen ließ.
Wir sehen, daß diese Musentempelepisode ausging wie ein richtiger Roman: Sie »kriegten« sich alle. Der reiche Graf kriegte Mia Pippa, Lotte kriegte eine Abfindungssumme und den berühmten Maximilian Blödinsky als Gratiszugabe, Meyer jun. kriegte die Dame ohne Engagement. Lewinsohn, Müller und Meyerstein bildeten wieder den kritischen Chor, der sich zurückzieht, wenn für ihn nichts mehr zu tun war. Es blieben also nur noch Fritz Krohn und Ferencz von Söröny übrig, die sich auch wieder gekriegt hatten. Allerdings blieben diesen beiden nichts weiter als ihre eigenen Persönlichkeiten, Fritz jedoch hatte den Vorzug vor Söröny, noch über eine Mark und dreißig Pfennige zu verfügen, mit denen er in derselben Nacht bei grauendem Morgen seine und Sörönys Zeche im Kaffeehaus bezahlte.
Der Musentempel gehörte jetzt der Geschichte an, Fritz aber hatte die stille Überzeugung, seinem Institut noch einmal später in einer Abhandlung über Berlins Kunst zu begegnen.
* * *
Und nun kommt das Wunderbare. Es ist, als ob die dicke, handfeste Wirklichkeit in Fritzens Leben zerschmolz. Ein dünner Gazemantel der Phantasie umhüllt ihn, und man glaubt, daß er in ein Märchenland geschleppt wird. – – –
Wissen wir nicht, daß es Zustände gibt, in denen wir im Bett wie angeschmiedet liegen und nicht imstande sind, ein Glied zu rühren? Wissen wir nicht, daß wir in diesem Augenblick glauben, alles um uns herum im Zimmer zu sehen, ohne die Augen öffnen zu können? Am anderen Morgen nämlich erblickte Fritz seine dicke Wirtin und den Briefträger vor seinem Bett, wie sie einen eingeschriebenen Brief in den Händen schwangen, aber es war ihm nicht möglich, sich mit diesen beiden in irgendeinen geistigen Kontakt zu bringen. Endlich stellte die dicke Wirtin diesen geistigen Kontakt durch einen kräftigen Rippenstoß her. War es die plötzliche Berührung der zarten Frauenhand, oder war es der unangenehme Eindruck, den jedes Posterzeugnis und nun gar ein eingeschriebenes Posterzeugnis auf einen nichts Böses ahnenden Menschen macht, daß Fritz vor Schrecken zitterte. Man kann nie wissen, welche Perspektiven ein eingeschriebener Brief eröffnet, und man soll seinem Schöpfer danken, wenn man davon so wenig wie möglich bekommt.
Was hat nun dieser Brief mit Fritzens märchenhafter Zukunft zu tun? Herr Ferencz von Söröny schlief nämlich in dieser Nacht in Fritzens Zimmer auf dem Sofa und hatte diesem postalischen Ereignis unter einem alten Überzieher, der seine müden Glieder deckte, beigewohnt. Man weiß aus Erfahrung, daß unsere Mitmenschen sich für die Sachen, die sie nichts angehen, viel mehr interessieren, wie die, die es angeht. Und die Neugierde des Nachbarn ist sprichwörtlich. Also wich die Müdigkeit der Neugierde und Herr Ferencz von Söröny stand plötzlich in Unterhosen vor Fritzens Bett und folgte gespannt der Lektüre des Briefes.
Ein Lotterielos ist die Visitenkarte des Glücks. Das Glück benutzt die Lotterielose wie die Menschen die Visitenkarten, und es gibt sie beim Besuche vorn im Korridor ab, wenn es die Herrschaften nicht zu Hause antrifft. Die meisten Herrschaften sind nämlich nie zu Hause, wenn das Glück ihnen einen Besuch abstatten will. Aber wenn einer wirklich mal zu Hause ist, dann führt sich das Glück durch ein Lotterielos ein.
Wir müssen nun Fritzens günstige Konstellation in Augenschein nehmen. Es muß uns aufgefallen sein, daß unser Held trotz der doppelten Beziehungen, die er zu Lotte und zu Mia Pippa hatte, bei dem Zusammenbruch seines Musentempels einsam und verlassen dastand. Dieses Mal schlug die Regel, daß Undankbarkeit der Welt Lohn ist, für Fritzen zum Guten aus. Hätten nämlich nicht Maximilian Blödinsky und Lottens Körper, der reiche Graf und Mia Pippas Seele wechselseitige Beziehungen zueinander erhalten, so wäre vielleicht der Fall eingetreten, daß das Glück, als es seine Visitenkarte bei Fritz Krohn abgeben wollte, ihn nicht des Morgens in seinem eigenen Zimmer angetroffen hätte.
Merken Sie nun, verehrte Leserschaft, was in dem eingeschriebenen Brief stand, und was Söröny mit sprachlosem Erstaunen in Unterhosen las? Fritz Krohn hatte den Hauptgewinn bei einer Pferdelotterie gezogen und war glücklicher Besitzer eines Viererzugs geworden. So rächte das Schicksal bei ihm den Ausfall an Liebe durch Glück im Spiel.
Zwei glückliche Tage! Fritz fuhr viermal die Straße Unter den Linden entlang und ebenso oft den Kurfürstendamm. Dann hatte er genug von dem Viererzug, der heutzutage immerhin unmodern geworden ist, und sein Freund Söröny besorgte ihm ein Automobil dafür und verdiente die Provision. Das Automobil hatte mehr Pferdekräfte, als die vier eingetauschten Halbblüter. Fritz wurde nun Sportsman. Er besaß zwar ein Automobil, war auch sofort in drei verschiedene Klubs eingetreten, verfügte aber außer über ein Automobil nur über den Kredit einer etwas wackelnden Benzinfirma. Aber das Glück hatte nicht umsonst seine Visitenkarte bei ihm abgegeben, denn bei der ersten Panne in der Nähe von Treuenbrietzen lernte er einen Leidensgenossen kennen, der ebenfalls mit verstopftem Vergaser am Chausseegraben stand. Geteiltes Leid und geplatzte Reifen bringen die Menschen zusammen. Und alle glücklichen und unglücklichen Automobilbesitzer der Welt stehen in einem mystischen Zusammenhang miteinander und reichen sich gegenseitig die hilfreiche Hand. Nach kurzer Zeit war Hans Bumke, der neue Sportgenosse, für Fritzens Ideen begeistert, und Ferencz von Söröny trat nunmehr glänzend in die Erscheinung. Jetzt zeigte es sich, daß sein Spucken ein Kunstspucken war, denn er hatte es wieder fertig gebracht, einen Drucker, einen Papierlieferanten und einen Klischeeätzer zu veranlassen, sich mit Fritz und Bumke und ihm selber zu einer großen Sportszeitung zu vereinen.
Wir bemerken ausdrücklich, daß es nicht derselbe Drucker, derselbe Papierlieferant und der gleiche Klischeeätzer war, die ihre Erfahrungen bei dem »Krebs« gemacht hatten, Söröny bemühte sich, auch anderen seine Wohltaten zukommen zu lassen. Herr Hans Bumke war sehr reich; zwar nicht so reich wie der reiche Graf, dessen Mäcenatentum sich aber leider nur auf eigene Liederkompositionen beschränkte. Hans Bumke war positiver und beteiligte sich mit barem Gelde an der Wochenschrift »Sport in Kraft und Saft«.
Es tut uns leid, wenn wir jetzt für einige Jahre von unserem Helden Abschied nehmen müssen. Aber das Glück hatte seine Visitenkarte bei ihm abgegeben und ihn, wie wir wissen, zu Hause angetroffen. Wir wollen deshalb nur in kurzen Strichen von dieser Periode berichten. Die Zeitschrift blühte. Fritz wurde sehr beliebt in Sportkreisen und gründete alle halbe Jahre einen neuen Klub. Er bildete sich zum vorzüglichen Festredner aus und fehlte auf keinem sportlichen Ereignis. Er wechselte die Automobile beinahe wie das Oberhemd und gewann einen Rennpreis nach dem anderen. Sein Schatten Söröny leitete das Unternehmen nach außen hin, indem er auf jede mögliche Weise Provision schindete und Inserate von den Lieferanten erpreßte. Es war die Zeit des größten Aufschwungs, und Fritz konnte bereits nach zwei Jahren von dem inzwischen zu einer Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmen Einkünfte beziehen, deren sich ein Bankdirektor nicht zu schämen brauchte. Auch hatte er sich selber den Titel »Generaldirektor« verliehen und ernannte Herrn von Söröny zum einfachen Direktor. Herrn Hans Bumke war eine persönliche geschäftliche Betätigung unsympathisch, und er beschränkte seinen Verkehr, abgesehen von den persönlichen Zusammenkünften an den Klubabenden, auf das Telephon.
Nun wäre wirklich alles sehr schön und gut gewesen, und Fritz hätte in Ehren grau werden können und reich dabei, und er hätte Lotte, die nach den bösen Erfahrungen, die sie mit dem genialen Maximilian Blödinsky gemacht, und die sich dem forschen Generaldirektor wieder zu nähern versuchte, mit den Mitteln versehen können, die dazu nötig sind, um das Leben einer »anständigen Frau« zu führen. Lotte sehnte sich nämlich wirklich danach, wieder so »anständig« zu sein, wie sie es zu den Zeiten des reichen Grafen war. Aber Fritz hatte es sich zum Prinzip gemacht, keine vorjährigen Modelle zu erwerben, wie es in der Automobilbranche heißt. Vorjährige Modelle, oder Maschinen, die nicht mit allen Neuheiten montiert waren, galten nicht im Kurs. Dazu kam auch noch, daß der Sport alle Kräfte in Anspruch nahm und überflüssige Gefühle, wie Liebe und Sentimentalität, ausschaltete. Fritz legte sich dafür lieber einen schönen Weinkeller an und wurde bald eine Autorität in den verschiedensten Sektmarken französischer Herkunft.
Es wäre nun alles wirklich recht schön und gut gewesen, wenn nicht plötzlich Leute auf die Idee gekommen wären, das lenkbare Luftschiff zu erfinden, und wenn diese Erfindung nicht so glänzend ausgefallen wäre, daß sie innerhalb ganz kurzer Zeit alle anderen Vehikel von der Erde verdrängte. Was nützte es nun Fritz, daß er ein hundertunddreißigpferdiges Automobil besaß, wenn ihn sein Konkurrent, der die neue Zeitung »Sport in Luft und Duft« herausgab, mit einem Luxus-Luftschiff überholte. –1 Aber Söröny kam eines Tages mit einem dunklen Herrrn in das fürstlich eingerichtete Arbeitszimmer des Herrn Generaldirektors, und es entspann sich folgende Unterhaltung zwischen den drei Gentlemen, unterbrochen durch das sprudelnde Spucken des kleinen Ungarn.
»Herr Generaldirektor Krohn – Herr Miffzed Eli Pascha, Bevollmächtigter S. M. des Sultans. (Gegenseitige Verbeugung.) Der Herr ist im Auftrage seiner Regierung nach Berlin gekommen, um einige Luftschiffe zu kaufen, aber sie sollen bereits fertig sein, damit er sie gleich mitnehmen kann.«
Miffzed Eli Pascha nickt mit dem Kopf, da er der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Der Herr Generaldirektor nickt ebenfalls mit dem Kopf, bietet dem dunklen Herrn eine Zigarette an und sagt »Machen wir.«
Söröny rechnet im stillen bereits seine Provision aus und fragt: »Wann können wir liefern?«
Der Schluß dieser Unterredung bestand in einem Scheck auf zwanzig Millionen Mark auf die Bank von England, und es stellte sich heraus, daß das Konto des Sultans wirklich nicht überzogen war.
An diesem Riesenauftrag verdienten sie ein lenkbares Luftschiff. Die Fabrik, die den Auftrag ausführte, mußte ihnen als Provision ein Luftschiff gratis liefern, und ihnen außerdem noch einen Auftrag von zwei Seiten Inserate für fünf Jahre geben.
Da Fritz es für seine Pflicht hielt, die Luftschiffe bei dem afrikanischen Sultan persönlich abzuliefern, so beschloß er, an der Spitze der Luftflottille im nächsten Monat über Monte Carlo nach Afrika zu gondeln.
Wir werden nun weiter sehen, wenn wir im nächsten Kapitel die wunderbaren Begebenheiten und märchenhaften Zufälle lesen, die unserm modernen Hans im Glück zustoßen, daß auch unsere Zeit, die als so realistisch verschrien ist, und in der man keine Märchen mehr glaubt, Unmögliches möglich machen kann.
Herr Generaldirektor Fritz Krohn machte inzwischen Probefahrten über Berlin, und Söröny, der mit ihm in der Gondel saß, spuckte vergnügt auf die Reichshauptstadt herunter; er konnte nichts dafür, denn er hatte ja einen angeborenen Sprachfehler.