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Siebentes Kapitel

Die Luftflottille – Die Amerikanerin – Die Welt aus der Vogelperspektive – Eine Trauung 2000 Meter über dem Mittelmeer – Herr Moritz Genendelsohn in Monte Carlo – Luftflotte

 

Eines Morgens reiste die ganze Gesellschaft ab. Auf dem Tempelhofer Feld war ein Luftfernbahnhof eingerichtet, und es wimmelte dort von allen möglichen Fahrzeugen, vom kleinsten Aeroplan bis zur mächtigen Zeppeline. Fritzens Privatflugmaschine war ein elegantes, nicht sehr großes Vehikel, mit einer luxuriös eingerichteten Gondel. Unser Held saß selber am Steuer und bediente den Motor. Eine gellende Sirene gab das Zeichen der Abfahrt, und bald waren die Reisenden den Augen der Zuschauer entflogen.

Nach einigen Stunden sagte plötzlich Söröny, der über die Brüstung mit einem Perspektiv herunterguckte:

»Sie, Krohn, da unten geht ihr alter Freund Genendelsohn.«

»Wo?«

»Da unten in Monte Carlo.«

»Dann ist es aber die höchste Zeit, daß wir stoppen.«

Fritz drosselte den Motor ab und ließ den Ballon langsam heruntergleiten. Als er etwas tiefer kam, fuhren ihm schon einige kleine Aeroplane entgegen, die an der Küste des Mittelmeeres den Luftsicherheitsdienst versahen. Ein Aerolotse stieg in Fritzens Gondel und führte sie in den Luftschiffhafen, der vor dem Kasino lag. Aber eine ungeschickte Handhabung des Mechanikers bewegte das Luftschiff ein wenig zu sehr nach Norden, und anstatt an der mächtigen Ballonhalle zu landen, fiel es gerade auf die Terrasse des Kasinos hernieder und verursachte eine Panik zwischen den dort lustwandelnden Spaziergängern.

Und einer wunderschönen eleganten Dame riß die aufstoßende Gondel ein mächtiges Loch in das seidene Kleid. Alles stürzte auf den Ballon, und man vermutete im ersten Augenblick, daß die schöne elegante Dame zu Brei zerquetscht wäre. Fritz hatte einen furchtbaren Schrecken bekommen und Söröny spuckte vor Erregung. Aber die elegante schöne junge Dame reichte ihre brillantengeschmückte Hand dem Ballonführer entgegen, blickte ihn tief mit ihren schwarzen Augen an und sagte: »Thank you Sir! Don't make any difference –. Ich mussen Sie heiraten.«

Eine halbe Stunde später verlobte sich Miß Edith Pikkleton from Chicago U. S. A. mit Herrn Generaldirektor Fritz Krohn, denn sie fand es geradezu wundervoll, daß ihr ein Mann aus der Luft angeflogen wäre. Eine solche Gelegenheit zu einer Sensationsehe würde ihr niemals wieder geboten, und die amerikanischen Zeitungen hätten für vierzehn Tage genug Stoff, um sich mit dieser eigenartigen Vermählung zu beschäftigen.

Wir können nun nicht umhin zu erwähnen, daß eine Heirat im Leben eines Menschen eine gewisse Unterbrechung der bis zu diesem Moment üblichen Funktionen des ganzen Organismus hervorbringt. wenigstens in den Zeiten vor der Erfindung des lenkbaren Luftballons bedeutete Heiraten eine vollständige Veränderung und eine Neugestaltung des betreffenden Individiums, das sich mit einem ihm angeblich sympathischen anderen Individuum für Lebenszeit verband. Auch die vielen Vorbereitungen und die langen Auseinandersetzungen vorher bedingten eine gründlichere Handhabung der Ehe. Die Erfindung des Luftschiffes hatte aber alle Begriffe auf den Kopf gestellt, und da die Menschen jetzt gewohnt waren, die Welt aus der Vogelperspektive zu betrachten, nahmen sie auch zu den Einrichtungen ihrer Väter einen anderen Standpunkt ein. Der Amerikanismus hatte die Welt erobert, und Leute, die aus irgend welchen Interessen, vielleicht aus Liebe, aus Sensation oder wegen sonstiger bedrängter Verhältnisse gezwungen waren, eine Ehe einzugehen, machten diese Geschichte schnell und schmerzlos ab und liquidierten ebenso schnell und schmerzlos das Gesellschaftsverhältnis, sobald einer von den Teilhabern merkte, daß das eingelegte Kapital oder auch die eingebrachte Liebe erschöpft war. Ein findiger Kopf hatte sogar schon ein großes Warenhaus errichtet, wo man Ehen auf Abzahlung eingehen konnte, und wo der betreffende Ehepart, sei es Mann oder Frau, wieder abgegeben wurde, wenn man die Teilzahlung nicht einhielt.

Wir haben diesen kleinen Abstecher in das Gebiet der sozialen Bewegung gemacht, um die paar Stunden auszufüllen, die dazu nötig waren, die Panne beim Landen des Ballons wieder herzustellen. Gegen sechs Uhr abends stieg Fritz mit seiner neuen Braut, Herrn Ferencz von Söröny und Mr. Pikkleton, dem Vater der Braut, sowie einem Monte Carloer Standesbeamten in die Gondel des Luftschiffes, während man über dem Mittelländischen Meer kreuzte, wurde die kleine Zeremonie der Trauung erledigt, Mr. Pikkleton gab Herrn Fritz Krohn, Generaldirektor, eine Anweisung auf fünfhundert Millionen Dollars und entschuldigte diese Akontozahlung auf die Mitgift seiner Tochter, aber er würde übermorgen auf einen Tag nach Chicago herüberfahren und ihm dann per Expreß-Aero den Rest von zwei Milliarden ausfolgen lassen.

Als sie jetzt wieder landeten, hoffte Söröny, daß auch er das Glück haben würde, einer Amerikanerin auf die Schleppe zu treten. Aber dieses Mal ging alles gut vonstatten, und er begnügte sich damit, nach dem opulenten Diner im Hotel de Paris seinen Freund um einige tausend Franks zu erleichtern, da er angeblich kein kleines Geld bei sich hätte.

Am selben Abend war ein großes Fest im Kasino. Mr. Pikkleton hatte zu Ehren der Hochzeit seiner Tochter alle Gäste des Kasinos auf seine Kosten eingeladen, und draußen auf der Terrasse wurde ein großes indisches Feuerwerk abgebrannt. Drinnen aber im Spielsaal entschuldigte sich die junge Frau, jetzige Frau Generaldirektor Krohn, bei ihrem Ehemann für eine Viertelstunde. Sie setzte sich an einen Spieltisch und operierte mit dem Maximum. Als Amerikanerin wollte sie den kleinen Verlust, den sie heute durch Eingehung einer Ehe und durch Abtretung einer angemessenen Mitgiftsentschädigung erlitten hatte, wieder durch ehrliche Arbeit einbringen. Nach einer Stunde hatte sie die Bank gesprengt und steckte beruhigt die Tausendfranksbilletts in ihre Goldtasche.

Fritz schwamm im Überfluß. Man konnte jetzt von ihm sagen, daß er von der Luft und der Liebe lebte, was auch wieder eine Errungenschaft der Neuzeit war, denn früher konnte man vielleicht wohl von der Liebe leben, aber keinesfalls von der Luft. Nachdem die geborene Pikkleton in allen Zeitungen der Welt ihren Triumph gelesen hatte, erklärte sie nach acht Tagen ihrem ehelich angetrauten Gemahl, daß sie die Geschäftsverbindung mit ihm wieder lösen müßte. Fritz Krohn, der noch von früher her ein paar Tropfen deutscher Sentimentalität mit sich herumtrug, hatte in seiner achttägigen Ehe vergeblich versucht, bei seiner Frau das hervorzurufen, was man im allgemeinen bei dem Zusammenleben von Mann und Frau erwartet, nämlich Liebe. Aber die geborene Pikkleton erklärte, daß Liebe im Ehekontrakt nicht vorgesehen wäre, und sie müßte sich an die Satzungen halten, die sie ja mit ihrer Mitgift bezahlt hätte. Dabei kalkulierte sie, daß sie bei der Sprengung der Bank noch zwei Millionen Überschuß gemacht habe.

Können wir es unserm Helden übel nehmen, wenn er dem Vorschlag seiner Frau Gemahlin, diese Ehegesellschaft m. b. H. (mit besonderen Hindernissen) zu lösen, freudigst nachkam?

Hatten wir nicht Herrn Ferencz von Söröny durch ein Perspektiv Herrn Moritz Genendelsohn auf der Erde entdecken sehen? Die Ehescheidung des Herrn Generaldirektors Fritz Krohn stand im Kausalnexus mit Herrn Moritz Genendelsohn. Dieser liebenswürdige österreichische Gentleman hatte nach vielen Fahrten durch alle Großstädte der Welt, in denen er ähnlich, wie in Berlin mit Fritz, sein Schäfchen ins Trockene brachte, es erreicht, als vornehmer und tadelloser Kavalier zu gelten, wenigstens äußerlich. Man wußte zwar nun nicht, ob die Reinheit seines Oberhemdes die Reinheit seines Gewissens deckte. Aber bei den meisten Kavalieren des Spielsaales kam es mehr auf eine reine Hemdenbrust an, als auf innere Vorzüge.

Wir hatten in einem der vorigen Kapitel gelesen, daß zuerst Fritz das Geld gehabt hatte und Herr Genendelsohn die Erfahrung, bis nach kurzer Zeit Fritz die Erfahrung hatte und Herr Genendelsohn das Geld. Nun ist es merkwürdig, daß es bei der Spielbank genau ebenso zugeht. Dieses Mal hatte nämlich Herr Genendelsohn zuerst das Geld und die Spielbank die Erfahrung. Und dann begab es sich, daß das Umgekehrte eintraf und Herr Genendelsohn mit bedeutenden Kenntnissen des Roulettes da saß, ohne sie mangels an barem Geld verwerten zu können. Denn das seine hatte die Spielbank. Seine österreichische Liebenswürdigkeit verstand es aber, auf Missis Krohn-Pikkleton einen bedeutenden Eindruck zu machen. Diese Dame hielt es zwar nicht für angebracht, ihrem Manne die nicht im Ehekontrakt vorgesehene Liebe zu gewähren, sie erachtete es aber für selbstverständlich, als verheiratete Frau einen Liebhaber zu haben und gestattete der österreichischen Liebenswürdigkeit des Herrn Genendelsohn das, was Herr Generaldirektor Fritz Krohn trotz seiner standesamtlichen Beglaubigung nicht erreichen konnte.

So müssen wir den Zusammenhang feststellen zwischen der geborenen Pikkleton, ihrem jungen Ehemann und Herrn Moritz Genendelsohn aus Wien. Söröny arrangierte die Affäre. Er ließ sich von Genendelsohn einen Provisionsschein geben und am nächsten Tage, morgens um zehn Uhr, wurde das Ehepaar Krohn-Pikkleton geschieden. Am selben Tage abends um sieben Uhr fand die Trauung von Mister Genendelsohn und Missis Krohn-Pikkleton statt, und zwar der Abwechselung halber nicht in einem Luftschiff, sondern in einem ganz neu konstruierten Unterseeboot, dreihundert Meter unter Wasser.

Als gewissenhafte Berichterstatter wollen wir noch hinzufügen, daß Herr Genendelsohn bei diesem bedeutenden Akte seekrank wurde und deshalb beinahe die Partie zurückgegangen wäre. Lerner wollen wir berichten, daß die junge Missis Genendelsohn-Krohn-Pikkleton am anderen Mittag Alaska Chares an der New-Yorker Börse fixte, wodurch sie die an Herrn Genendelsohn gezahlte Mitgift wieder ihrem Besitztum hinzufügte. Wir wollen ferner berichten, daß es nach mehrfachem Mahnen Herrn von Söröny gelungen ist, die Provision von Herrn Genendelsohn einzukassieren, nachdem er ihm allerdings fünfundzwanzig Prozent abgelassen hatte.

Als Fritz allein auf einer Bank in dem wundervollen Palmenhain saß, der sich um das Casino dehnt, und als er träumerisch hinausblickte auf das azurfarbene Meer, hätte er beinahe ein Gedicht gemacht. Ihm war immer noch etwas von dem alten genialen Schwärmer übrig geblieben, und seine Seele tanzte manchmal so auf den Wolken, wie es sein Körper im Luftschiff in Wirklichkeit tat. Er hätte also beinahe ein Gedicht gemacht, und der erste Vers bildete sich schon in seinem Gehirn, da stand Lotte vor ihm, stemmte die Hände auf die Hüften und lachte ihm aus ihren Schelmenaugen entgegen. Dann schlang sie ihre Arme um ihn und küßte ihn ordentlich ab.

Am anderen Morgen ließ Fritz sein Luftschiff ankurbeln und flog mit Lotte hinüber nach Afrika, und nun lebte er wirklich von der Luft und der Liebe und von der Pikkletonschen Mitgift.

Dies Kapitel ist zwar kürzer als die anderen, aber es sind darin Dinge von überraschender Unmöglichkeit passiert. Schließlich heiratet ein Mitteleuropäer nicht jeden Tag eine amerikanische Multimillionärin, um sich acht Tage später wieder scheiden zu lassen. Übrigens möchten wir noch die verehrte Leserschaft über die zwei Milliarden Restmitgift beruhigen. Diese zwei Milliarden hatte der Vater, Mr. Pikkleton, vergessen zu zahlen, und auch Herr Genendelsohn, der Nachfolger von Fritz, der es verstand, mit der Amerikanerin eine Woche länger verheiratet zu sein, wartete sehnsüchtig auf die ihm angekündigte Restzahlung. Die beiden Schwiegersöhne mußten sich mit dem à conto begnügen.

Wir überlassen die Familie Pikkleton, Herrn Genendelsohn und Herrn von Söröny ihrem Schicksal und wollen uns um unseren Helden bekümmern, der meuchlings nach Afrika geflogen ist. Es ist traurig, daß wir den lieben, guten Söröny vorläufig nicht mehr mit uns haben, da ihn Fritz auf Lottes Veranlassung im Stich gelassen hat. Aber der edle Ungar hatte genügend Barmittel zur Verfügung, und der Reiz der Spielbank war so groß, daß er alles andere darüber vergaß, und daß er nicht einmal erstaunt war, als eine Dame, die hinter ihm stand, ihn in deutscher Sprache um zwanzig Franks anpumpte. Eine Minute später mußte er aber doch erstaunen, denn es war ihm in seinem Leben noch nicht passiert, daß ihn jemand anzupumpen wagte, und außerdem erkannte er in der Dame die Diseuse Mia Pippa, die letzte Freundin des reichen Grafen. Seitdem sie sich nicht mehr mit der Kunst abgab, waren ihre Formen voller geworden und ihre Schultern nicht mehr so poetisch mager.

So lassen wir ruhig Herrn Söröny an der Spielbank, der, im Grunde seines Herzens geschmeichelt, chevaleresk der alten Bekannten aus Berlin ein Zwanzigfranksstück dedizierte, vielleicht werden wir in dem nächsten Kapitel diese beiden wieder antreffen, aber wir wollen vorläufig von ihnen Abschied nehmen und wollen schleunigst nachsehen, was Fritz und Lotte in Marokko machen, wo sie eine Stunde nach ihrem Flug aus Monte Carlo mitten unter die erregten Araber herniedergestiegen waren.

In Marokko hatte man nämlich immer noch eine riesenhafte Antipathie gegen alles was von Europa kam. Und das erste, was die Marokkaner jetzt mit den beiden Aeronauten machten, war Lottens Abführung in den Harem des Sultans.

Fritzens merkwürdiges Schicksal wird man im nächsten Kapitel erfahren, während Lotte leider für einige Zeit verschwunden bleibt.


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