Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Erzählungen und andere Werke
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

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Bettelbriefe

Schreibzimmer Gräfin Beates, einfach und altmodisch eingerichtet. Ein Fenster, eine Tür, an den Wänden Bücherschränke, über denselben Familienporträts. In der Nähe des Fensters, schräg gegen dasselbe gestellt, ein Schreibtisch; diesem gegenüber an der Längswand ein kleines Kanapee, vor dem ein Tisch steht. Es ist sieben Uhr abends; das Zimmer wird durch einen dreiarmigen Gaslüster hell erleuchtet. Gräfin Beate, zweiunddreißig Jahre alt, noch schön, mittelgroß, dunkelblond, schlank, in schwarzer englischer Toilette, sitzt am Schreibtisch, Briefe lesend. Es wird an die Tür geklopft, Baron Max tritt ein. Er ist sechsundvierzig Jahre alt, sehr groß, breitschultrig, hat feine, edle Züge, eine bereits ansehnliche Glatze, dunkelgraue Haare. Die Wangen und das Kinn sind rasiert, die Enden des Schnurrbarts in die Höhe gebürstet. Seine Kleidung ist elegant und anspruchslos. Er grüßt stumm, stellt seinen Hut auf einen Sessel, zieht ein Paket mit Schriften aus seiner Tasche und breitet sie auf dem Schreibtisch aus.

Baron: Sieben Empfangsscheine über ebenso viele Antworten auf Bettelbriefe. Eine Quittung über fünfundzwanzig Gulden, ausgestellt von Rosalie Wimmer, eine über siebzehn Gulden, unterfertigt von den Eheleuten Kaniz. Hier die saldierte Rechnung für eine Singersche Familien-Nähmaschine. Sie wurde ausgefolgt und mit Jubel aufgenommen. Lob und Preis ohne Ende habe ich zu bestellen. Sie sind selbstverständlich ein Engel, und ich wünsche Ihnen einen guten Abend.

Gräfin: Den ich dankend erwidere. Was Ihnen allein gebührt, behalten Sie für sich: den Engel.

Baron setzt sich, einem Winke, den sie ihm gibt, gehorchend, auf das Kanapee ihr gegenüber: Darf ich fragen, ob Sie vielleicht aufgelegt sind, ein Geständnis anzuhören?

Gräfin stutzt: Das hängt vom Geständnis ab.

Baron: Frau Gräfin –

Gräfin: So feierlich?

Baron: Gräfin, ich habe mich im Laufe des heutigen Tages mehrmals auf demselben Gedanken ertappt.

Gräfin etwas ängstlich: Und der war?

Baron: Ob ein Kommissionär Ihre Gänge nicht ebensogut besorgen könnte. Ich bin nicht mehr jung.

Gräfin: Haha!

Baron: Das Treppensteigen ermüdet mich . . .

Gräfin: Hoho!

Baron in bittendem Tone: Sagen Sie nicht immer haha und hoho! Mit Nachdruck: . . . ermüdet mich. Ihre Armen haben die Manie, im vierten und im fünften Stock zu wohnen.

Gräfin: Es gibt keinen fünften Stock.

Baron: Aber so manchen vierten mit Mezzanin und Entresol.

Gräfin: Übrigens stecken auch einige in Kellerwohnungen.

Baron: Leider Gottes, die armen Teufel!

Gräfin: Jetzt sind Sie gerührt, sehen Sie. Ich weiß ja, Sie brauchen meine Armen, sonst wäre Ihr Leben leer.

Baron nagt am Schnurrbart: Ich werde heiraten.

Gräfin: Ich werde mich vergiften, könnten Sie nicht in einem anderen Tone sagen.

Baron: Papperlapapp –

Gräfin bittend: Sagen Sie doch nicht immer Papperlapapp. Läutet; Diener kommt. Den Tee. Diener ab. Wenn Sie mir glauben, geben Sie Ihre Heiratsgedanken auf –

Baron: Und werden Armenvater oder Bettelmönch.

Gräfin: Das erste wäre kein Hindernis; zum zweiten fehlt Ihnen das Talent. Seitdem ich den Vorzug habe, Sie zu kennen, das heißt, seit drei Jahren –

Baron: Nicht ganz. Diener bringt das Teezeug auf einem Servierbrette, stellt es auf den Tisch, rückt einen Sessel für die Gräfin an denselben und geht ab. Zwei Jahre und dreihundertdreiundsechzig Tage. Es war am zweiundzwanzigsten Januar um zehn Uhr abends im Salon des deutschen Botschafters.

Gräfin hat sich an den Tisch gesetzt und bereitet den Tee: So genau wissen Sie das? Nun, lieber Freund, da Sie mir von der ersten Stunde an Ihr ganzes Vertrauen schenkten, weiß ich, daß Sie seit jenem 22. Januar fünfundeinhalbmal verliebt gewesen sind.

Baron: Papper . . . Gräfin sieht ihn an; er räuspert sich. Nun denn – fünfundeinhalbmal, so? . . . Ich bewundere Ihr gutes Gedächtnis.

Gräfin legt ihm kalten Aufschnitt vor: Ja, ja, mein Gedächtnis ist noch intakt. Sie waren verliebt: zweimal in verratete Frauen, zweimal in junge Mädchen, ein halbes Mal in eine Hofdame. Und immer hieß es: »Wenn Sie – nämlich ich – sie doch kennenlernten, Sie wären entzückt, das ist eine schwärmerisch: charmante Person! . . .«

Baron, der mit großem Appetit gegessen, hebt den Kopf: Lachen Sie den armen Nebenmenschen nicht aus. Ich sollte gefeit sein gegen Ihren Spott – ich habe mich Ihnen, wie Sie selbst zugeben, völlig ausgeliefert, ich sage Ihnen alles, ich liege vor Ihnen – entfaltet seine Serviette auf dem Tische und glättet sie mit den Händen: sehen Sie: so! Ausgebügelt; kein Fältchen in meiner Seele, dem Sie nicht auf den Grund schauen könnten.

Gräfin: Das ist wahr. Im Anfang befremdete mich Ihre Vertrauensseligkeit einigermaßen.

Baron rasch: Glauben Sie nur nicht, daß mir je einem anderen Menschen gegenüber beim ersten Begegnen das Herz so aufgegangen ist wie damals –

Gräfin fällt ihm ins Wort: Nehmen Sie etwas Hasenpastete. Sie sind hungrig, armer Freund.

Baron: Ich habe nicht zu Mittag gegessen. Die Wirtshauskost wird mir täglich widerwärtiger. Aber was ich Ihnen sagen wollte: mein Vertrauen blieb und bleibt unerwidert. Sie sind verschlossen wie . . . Sinnt nach. Ich suche umsonst, ich finde keinen Vergleich, der auch nur halbwegs –

Gräfin: Strengen Sie sich nicht an. Ich werde Red und Antwort stehen. Was wollen Sie wissen? Worüber soll ich Auskunft geben? Sie sehen mich bereit dazu, ich habe – unnennbares Glück! – keine Geheimnisse.

Baron: Dann gestehen Sie mir . . . Sieht sie voll Innigkeit an, verwirrt sich und schweigt; sie hat ihm eine Tasse Tee hingestellt, er nimmt einen Schluck. Wo kaufen Sie Ihren Tee? Er ist vorzüglich; ich kann keinen anderen mehr trinken. So gestatten Sie sich doch einen Luxus . . . Das ist Tee zu –

Gräfin: Es ist Ljansin; das russische Pfund zu vier Gulden.

Baron: Unbegreiflich! Ich zahle zwölf, und mein Diener setzt mir eine Flüssigkeit vor . . . nicht einmal mein Hund mag sie ohne Obers sauf . . . Hält inne unter dem strafenden Blick der Gräfin: sau . . . f . . . rasch: zu sich nehmen. Aber Sie antworten mir um keinen Preis, Sie weichen aus –

Gräfin: Verzeihen Sie! Ich fragte: Was wünschen Sie von mir zu wissen? und Sie überraschten mich mit der Gegenfrage: Wo kaufen Sie Ihren Tee?

Baron: Es beliebt Ihnen, mich auszulachen; ich bitte Sie, sich ja nicht zu genieren. Ehre genug für einen unbedeutenden Menschen wie ich, wenn er Ihnen einen Augenblick Spaß machen darf.

Gräfin: Haha!

Baron: Wie eben jetzt.

Gräfin: Sie tyrannisieren mich mit Ihren Märtyrermienen. Noch einmal denn: was wollen Sie von mir wissen?

Baron: Wie sind Sie dazu gekommen, die Wohltätigkeit in so großartigem Maße auszuüben, daß Sie – ich bin davon überzeugt – trotz Ihres Reichtums oft darben?

Gräfin: Ich? O lieber Freund! . . . daß ich mir hier und da etwas Überflüssiges versage, darin besteht mein Darben.

Baron: Papperl . . . Hält inne, in verändertem Tone: Ich wette, Sie machen sich einen Vorwurf daraus, daß Sie sich satt essen – mit steigender, aber unterdrückter Heftigkeit: im Falle es geschieht, woran ich fast zweifle. Nur so fort, ruinieren Sie Ihre Gesundheit, sterben Sie, welch eine Wohltat für die Armen! Wenn Sie ihnen auch Ihr ganzes Vermögen hinterlassen, eine solche Verweserin dieses Reichtums findet sich nicht mehr, die Armen werden immer betrogen sein!

Gräfin: Es müßte nur jemand mein Erbe antreten, der die Sache zum mindesten ebensogut versteht.

Baron: Rechnen Sie nicht auf mich! Ich bin um vierzehn Jahre älter, und es fällt mir nicht –

Gräfin: Ohne Sorge! Ich habe Sie im Leben genug gequält. Nach meinem Tode sollen Sie unbehelligt bleiben.

Baron: Nach Ihrem Tode, wenn ich das Unglück haben sollte, Sie zu überleben, würde mich nichts mehr behelligen. Mir wäre alles gleichgültig.

Gräfin: Auch Wohl und Wehe des Nächsten?

Baron barsch: Auch. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Mehr verlangt nicht einmal das Evangelium. Nun, was gibt mir ein gewisses Interesse an mir? Das Bewußtsein, vielleicht die Einbildung, daß ich mich Ihnen ein wenig nützlich erweisen kann. Nehmen Sie mir das weg, und ich bin mir gleichgültig, und die anderen dürfen es mir auch sein.

Gräfin: Es wird nicht so weit kommen.

Baron: Das hängt von Ihnen ab. Versprechen Sie mir, an sich zu denken, sich nicht mutwillig zugrunde zu richten.

Gräfin: Welche Übertreibungen! . . . Sprechen wir von etwas anderem. Ich bin Ihnen die Geschichte meiner Berufswahl schuldig – sie hat nämlich eine Geschichte. Sie versinkt in Gedanken. Ich verjage gewöhnlich die Erinnerung daran, weil sie mir peinlich ist.

Baron: Dann schweigen Sie, beschwören Sie diese Erinnerung nicht herauf . . . ich will nichts hören . . . Ich mache mir Vorwürfe –

Gräfin: Nein, nein! Sie fordern ein Zeichen meines Vertrauens, und Sie dürfen es fordern; Sie haben ein Recht darauf.

Baron: Wie käme ich zu einem Rechte? Was Sie mir gewähren, ist Gunst und Gnade. Bin ich zu kühn, wenn ich diese Gunst, diese Gnade als Zeichen anzusehen wage . . . vielleicht als Vorboten . . . Bemerkt, daß sie nicht zugehört hat, und stockt plötzlich.

Gräfin auffahrend aus ihrem Nachsinnen, nach kurzer Pause: Sie wissen, daß ich, früh verwaist, im Kloster erzogen wurde. Zehn Jahre habe ich darin verlebt, ununterbrochen. Die anderen gingen auf Ferien, ich nie. Wer hätte mich herausgenommen? Meinem Onkel und Vormund, dem einzigen Verwandten, den ich hatte, fiel das nicht ein.

Baron: Traurig!

Gräfin: Durchaus nicht; es ging mir gut. Ich war im Kloster bei jung und alt eine beliebte Persönlichkeit; ich habe eine glückliche Jugend und nie einen anderen Wunsch gehabt, als weiterzuleben, wie ich lebte, und, einmal erwachsen, Klosterfrau zu werden.

Baron: Das hätte noch gefehlt!

Gräfin: An meinem achtzehnten Geburtstag schrieb ich meinem Onkel und schüttete mein ganzes volles Herz vor ihm aus bis auf den letzten Tropfen. Tags darauf war er da, zornschnaubend: Wo ist meine Nichte? Her mit ihr! Machen Sie mir keine Schwierigkeiten! Ich überwinde alle, ich telegraphiere an den Papst!

Baron: Ganz recht; ich hätte auch telegraphiert.

Gräfin: Am selben Abend mußte ich mit vom Weinen geschwollenen Augen die Honneurs beim Tee meines Onkels machen, in einer Versammlung von ältlichen Herren. Derjenige, dem die übrigen den meisten Respekt bezeigten, war der für mich Erwählte und ich kurze Zeit darauf aus einem unbedeutenden Klosterzögling in Ihre Exzellenz Frau Gräfin Hochfeldt, Ministersgattin, verwandelt.

Baron: Wie kann man sich so ohne weiteres verheiraten lassen! Haben Sie denn gar keinen Willen gehabt?

Gräfin: Ich habe nicht einmal gewußt, daß eine Frau einen Willen haben darf. Gehorsam wurde im Kloster gelehrt, Gehorsam forderte mein Onkel als mein vom Gesetz bestellter Gebieter. Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden, sagte mein angebeteter Schiller.

Baron verdrießlich: Freilich – die Religion, das Corpus juris, die Ästhetik forderten Sie zum Gehorsam auf; Sie mußten ihn leisten.

Gräfin: Ich hatte es im Grunde nicht zu bereuen, Hochfeldt war –

Baron fällt ihr ins Wort: Ich weiß schon: wie alle verstorbenen Ehemänner ein Muster seiner Gattung.

Gräfin: Lieber Baron, dieser Scherz kommt zu oft in antiquierten Lustspielen vor! Man sollte ihn ein paar Menschenalter hindurch in kühle Vergessenheit geraten lassen; vielleicht wird er wieder frisch.

Baron beschämt: Entschuldigen Sie . . . ich bin literarisch unzurechnungsfähig.

Gräfin: Ich hatte meine Heirat nicht zu bereuen, sagte ich . . .

Baron: Im Grunde nicht zu bereuen, sagten Sie.

Gräfin:. . . mein sehr imposanter Mann fand alles recht, was ich tat, ließ mir volle Freiheit, bekümmerte sich sogar etwas zu wenig um mich. Ich aber schwelgte im Hochgefühle meiner Unabhängigkeit. Was für neue Freuden brachte sie. Unter anderen eine, die ich beinahe am höchsten schätzte. Lachen Sie mich nicht aus –

Baron: Ich – Sie? Verkehrte Welt!

Gräfin: Die Freude, die Briefe, die ich erhielt, selbst eröffnen zu dürfen. Im Kloster waren sie mir erst nach strenger Durchsicht ausgeliefert worden. Und nun! – Wenn ich am Morgen in das freundliche Speisezimmer trat, die Tür des in ein Gärtchen verwandelten Balkons offenstand – wir hatten im Herbst geheiratet, und jetzt war's Frühling – und auf dem schön gedeckten Tische einige noch von niemandem gelesene Briefe meiner einstigen, auch flügge gewordenen Schulkameraden lagen, da hätte nur einer kommen und sagen sollen: Es gibt ein Glück, von dem du nichts weißt.

Baron seufzt tief auf, leise: Und von welchem du später nichts wirst wissen wollen.

Gräfin überhörend: Ich frühstückte immer allein, konnte dann meine Korrespondenz in größter Ruhe und Muße genießen. Stellen Sie sich vor – einmal, was finde ich neben meiner Tasse zwischen anderen Briefen? . . . ein großes Schreiben von unbekannter Hand. Ich erbrach es zagend und las; sein Inhalt ergriff mich in allen Seelentiefen – es war ein Bettelbrief, der erste, den ich erhielt.

Baron: O folgenschweres Ereignis! Eine so zahlreiche Nachkommenschaft, wie dieser Brief sie hatte, wurde nicht einmal dem Abraham versprochen.

Gräfin: Klara Glasperle, eine Waise und Witwe –

Baron: Mit sieben Kindern.

Gräfin: Von denen drei tot, und mit einem gelähmten Bruder . . .

Baron: Eine Variante, der Bruder.

Gräfin ohne sich unterbrechen zu lassen: . . . beschwor mich kniefällig, meine wohlbekannte Großmut auch an ihr zu üben. Sie wußte von mir mehr als ich selbst: Ich war eine Mutter der Armen, die Verlassenen, die Verzweifelnden riefen mich an in ihrer höchsten Not und taten es nie umsonst – und so weiter! . . . Ich fühlte mich gerührt, geschmeichelt, beschämt. Guter Gott, wie kam ich zu einem solchen Lobe, ich lustiges Ding, das nur an seine Unterhaltungen dachte und schon deshalb nicht viel verschenken konnte, weil es sich in beständiger Geldverlegenheit befand.

Baron: Wieso?

Gräfin: Mein Mann setzte die Verwaltung meines Vermögens in der gewissenhaften Weise meines Vormundes fort und gab mir ein reichliches Nadelgeld, mit dem ich hätte auskommen können und sollen, aber nie auskam. Ich steckte in Schulden bei Schneidern, Modisten, Photographen und so weiter. Als Frau Glasperle ihren Hilfeschrei ertönen ließ, machten – ich weiß es wie heute – sechs Gulden den Inhalt meiner Kasse aus. Und wievielmal sechs Gulden hätten dazukommen müssen, bevor ich hätte sagen dürfen: Ich habe nichts.

Baron mitleidsvoll: Sie Arme . . .

Gräfin: Zerschmelzen Sie nicht. Nur kein übel angebrachtes Erbarmen. Sie berauben sich und haben, wenn's gilt, nichts mehr übrig.

Baron: Papperlapapp!

Gräfin: Lieber Baron – sagen Sie, haben Sie manchmal Ahnungen?

Baron: Wohl, wohl, ich kann mich aber nicht auf sie verlassen.

Gräfin: Deshalb wird sich Ihnen kaum je enthüllen, wie geschmacklos es ist, Ihr ewiges Papperlapapp.

Baron verlegen: Doch – ich beginne zu ahnen – ich werde mich bessern.

Gräfin: Ich schickte also meine sechs Gulden mit den dringendsten Entschuldigungen, daß meine Darbringung so gering war, an die angegebene Adresse, die des Bruders.

Baron: Des gelähmten.

Gräfin: Ja. Er natürlich war immer zu Hause, während die Glasperlen sich beständig auf den Straßen zerstreuten –

Baron: Hm, hm – Arbeit suchend.

Gräfin hat seine Tasse ausgespült, wieder gefüllt und stellt sie vor ihn hin: Noch eine Tasse Tee?

Baron: Die dritte. Es sei. Schlafen kann ich doch nicht.

Gräfin: Das wäre schlimm.

Baron: Es ist schlimm.

Gräfin: Haha –

Baron sieht sie vorwurfsvoll an: Schon wieder – wenn Sie wüßten . . . Aber ich bitte, fahren Sie fort.

Gräfin: Obwohl Sie mich fortwährend unterbrechen?

Baron: Papper . . . erschrickt: pap . . . Entzückt, in der Meinung sich herauszuhelfen: Pah! pah!

Gräfin: Sehr schön. Jetzt kommen lauter verkümmerte Papperlapapps zustande; und ich wette, Sie wissen nicht, wo wir geblieben sind.

Baron: Sie haben verloren. Bei dem gelähmten Bruder, an den Sie sechs Gulden schickten.

Gräfin: Seine Adresse lautete: Herrn Hugo Muckenberger, Mediziner, Margareten, Berggasse Nummer siebenundvierzig, vierter Stock, Tür Nummer zwölf. Postwendend kam ein in den gesteigertsten Ausdrücken gehaltenes Dankschreiben, für welches wieder ich wärmstens dankte. Es entspann sich eine lebhafte Korrespondenz; wahre Liebesbriefe wanderten hin und her. Meine Teilnahme wurde fortwährend rege erhalten. Das Unglück, das die Glasperlen verfolgte, grenzte ans Märchenhafte; die Kinder fielen von einer Krankheit in die andere, hungerten, froren –

Baron: Im Sommer?

Gräfin: Sie hatten kaltes Fieber . . .

Baron: Papper . . . o pardon! – Ich glaube vielmehr, daß Ihre Witwe Bettelbriefe hatte für jede Saison und sich einmal vergriff.

Gräfin: Mein ganzes Geld spazierte nach der Berggasse, und meine Rechnungen blieben unbezahlt; und unsere Abreise auf das Land stand bevor. Ich wurde gemahnt, wußte nicht, was beginnen, und suchte endlich Rat bei meinem »natürlichen Beschützer«. Aufrichtig mit der Sprache herauszurücken, wagte ich nicht, machte zarte Andeutungen und bildete mir ein, bei einem Manne wie der meine braucht man nur antippen, und ein Quell der Weisheit springt, und meinen Schützlingen und mir ist geholfen. Aber es kam anders. Hochfeldt hörte mir geduldig zu und sagte dann: »Wenn ich dich recht verstehe, bekommst du Bettelbriefe. Das ist ganz natürlich. Alle Personen, die sich in bevorzugter Lebensstellung befinden, erhalten solche Zuschriften. Es gibt Leute, die aus dem Verfassen derselben ein Gewerbe machen, das in der Ausbeutung der Leichtgläubigkeit und der Frivolität besteht.« Er setzte mir auseinander, um wieviel mehr wert der ist, der jeden Bettelbrief unbeantwortet in den Papierkorb wirft, als derjenige, der Geld, also Macht, dem Müßiggang, also dem Laster, ausliefert.

Baron vor sich hin: Ich höre ihn sprechen.

Gräfin: Es gäbe allerdings noch einen anderen Standpunkt, zu dem ich mich aber kaum werde emporschwingen wollen, setzte er hinzu und sah mich etwas spöttisch an –

Baron: Mit seinen kalten grauen Augen.

Gräfin: Warum glauben Sie, daß er kalte graue Augen hatte?

Baron: Da hängt ja doch sein Bild, und Sie sagen, daß es ähnlich war.

Gräfin: Es sei denn, ich wäre gesonnen, mein Leben in den Dienst der Armen zu stellen, sie aufzusuchen, mich vertraut zu machen mit ihren Verhältnissen, die Kranken zu pflegen, die Kinder . . .

Baron fällt ihr ins Wort: Kurz, alles das zu tun, was Sie tun.

Gräfin: Schlecht und recht. Damals tat ich aber nichts davon; in jener Stunde erst, aus reinem Widerspruchsgeist, erwachte in mir der Wunsch, den »Standpunkt« zu erreichen, den mein Mann für mich unerreichbar hielt. Als er mich verlassen hatte, machte ich eine höchst einfache Toilette, nahm einen Mietwagen und fuhr nach Margareten in die Berggasse. An der Ecke stieg ich aus, hieß den Fiaker warten und befand mich in einer fremden Welt. Häßliche Häuser, ärmlich gekleidete, finster dreinschauende Menschen, verwahrloste Kinder. Nummer siebenundvierzig, seiner Umgebung würdig, hatte kleine Fenster, einen schmutzigen Hof, eine schmale finstere Treppe, die ich emporstieg . . .

Baron: Wie? was? nur so – ohne vorher zu fragen . . .

Gräfin: Nur so; getragen wie von Flügeln von dem wonnigen Bewußtsein meiner edlen Tat.

Baron unruhig: Jetzt ahne ich, und zwar etwas Unangenehmes.

Gräfin: Je höher ich gelangte, desto heller wurde es. Auf dem Flur des vierten Stockes konnte ich die Nummern der Türen, die auf denselben mündeten, deutlich lesen, hatte zwölf bald gefunden und klopfte an mit triumphierendem Finger. Keine Antwort; aber mir ist, als hörte ich schnarchen. Ich klopfe stärker, eine Tür gegenüber öffnet sich, ein altes, zahnloses Weib guckt hervor, droht mir mit der Faust und schimpft: Das ist ein Gerenn! ein Gerenn, seitdem der Lump Geld hat.

Baron: Verdammte Hexe!

Gräfin: Mir wird angst und bang – ich trommle mit dem Knopfe meines Sonnenschirmes an die Tür und rufe: »Frau Glasperle, Frau Glasperle, sind Sie da? . . .« Endlich regt sich's drinnen, eine Baßstimme – die des gelähmten Bruders, denke ich – brüllt: »Herrrein! 's ist ja offen.« Und richtig, die Klinke gibt meinem Drucke nach, ich stürze mehr, als ich trete, in ein niederes, mit dickem Tabaksqualm gefülltes Zimmer. – »Bist du's, Katherl? klopfst an, was heißt das?« spricht wieder die Baßstimme, und vor mir steht und streckt die Hand aus und faßt mich am Kinn . . .

Baron: Frechheit . . .

Gräfin:. . . ein riesiger, bärtiger, offenbar angetrunkener Gesell, in Hemdärmeln, mit offener Weste . . .

Baron: Unverschämter . . .

Gräfin: Er beugt sich, ein branntweinduftender Atem weht mich an – ich weiche zurück, stammle: »Wo ist Frau Glasperle? . . .« Er wankt mir nach, er wiehert: »Das bin ich selbst, habe die Ehre, mich vorzustellen, Witwe Glasperle, sieben Kinder . . . Und Sie, mein Schätzchen – Sie sind meine Wohltäterin – meine schöne, gütige Wohltäterin . . . Erraten? nicht wahr? . . . Werden mein Geheimnis bewahren . . . werden mir zum Pfand dafür ein Küßchen geben . . .«

Baron springt auf: Kanaille! Ich zertrümmere ihn! . . . wo wohnt er?

Gräfin: Heute kann ich Ihnen seine Adresse nicht mehr angeben. – Ich war vor ihm in die Tiefe des Zimmers geflohen, er wackelte herum zwischen mir und der Tür . . . Da ergriff mich der Mut der Verzweiflung. Ich legte mein Parasol ein wie eine Lanze und rannte an ihn an, und – denken Sie nur – er gab Raum, er glitt aus, ich glaube sogar, er fiel hin – ich aber erreichte die Tür im Nu, hatte noch die Geistesgegenwart, den Schlüssel, der außen steckte, umzudrehen, und rannte die Treppe hinab wie gejagt . . . Im ersten Stock wäre ich beinahe der die Stiege waschenden Hausmeisterin auf den Kopf gesprungen. Sie goß vor Schrecken ihren Wasserkübel um und sagte mir Dinge –

Baron senkt die Augen: Peinlich, sehr peinlich!

Gräfin: Heute noch erröte ich, wenn ich daran denke. In meiner Verwirrung, in meinem Bestreben, mich zu rechtfertigen, erzählte ich ihr alles, die ganze Geschichte meiner verunglückten Pilgerfahrt, nannte mich . . . sie blieb mißtrauisch . . .

Baron: Gemeine Krea . . . Gräfin sieht ihn strafend an, er hält inne, fährt dann los: Nein, es muß heraus: gemeine Kreatur!

Gräfin: Erst als ich ihr alles Geld gegeben, das ich bei mir hatte . . .

Baron sehr teilnehmend: Es wird gottlob nicht viel gewesen sein.

Gräfin:. . . schenkte sie mir Glauben, bat um Verzeihung, empfahl mir, in Zukunft vorsichtiger zu sein, und begleitete mich zu meinem Wagen. Dann ging sie, Herrn Muckenberger aus der Gefangenschaft zu befreien und ihm, wie sie versicherte, die Hölle heißzumachen . . . Und ich fuhr heim – in einer Betroffenheit, einer Beschämung . . . Haha!

Baron: Sie haben jetzt gut lachen – damals mag die gemachte Erfahrung Ihnen recht herb erschienen sein. Was ich übrigens nicht verstehe, das ist die Lehre, welche Sie aus ihr schöpfen. Sie hätte andere Folgen haben müssen, meine ich.

Gräfin erregt: Und hat sie gehabt – Folgen, die ich nie verwinden werde.

Baron: Liebe Freundin . . .

Gräfin: Acht Tage später erhielt ich einen zweiten Bettelbrief. Sein Anblick schon beengte mir den Atem. Er war in der Berggasse Nummer neunundvierzig aufgegeben, kam aus der nächsten Nähe des Schauplatzes meines albernen Abenteuers. Die Hausmeisterin hatte geschwatzt, ich war die Fabel der Berggasse, ein Nichtsnutz nach dem anderen wird jetzt kommen und meine »Leichtgläubigkeit«, meine »Frivolität« auszubeuten suchen . . . Wie recht hatte mein Mann behalten, welch ein gesegneter Aufenthalt wäre der Papierkorb für die Episteln des verlotterten Mediziners gewesen! – Das Schicksal, das dem ersten Bettelbrief erspart blieb, wurde dem zweiten zuteil. Nach einigen Tagen indessen, beim Suchen irgendeines in Verlust geratenen Schriftstücks, kam der Brief mir wieder in die Hände, und nun las ich ihn und fand ihn befremdlich trocken. – Die Bittstellerin hatte gehört, daß ich mich der Armen annähme, und den Rat erhalten, mein Mitleid anzuflehen. – »Ich war immer eine fleißige Arbeiterin«, schrieb sie, »jetzt bin ich krank, kann mich und mein Kind nicht erhalten. Lassen Sie sich nach der Anna Bauer erkundigen . . .« Ihre Stimme versagt.

Baron: Nicht weiter! . . . Es greift Sie an.

Gräfin fährt abgebrochen und hastig fort: Mich erkundigen lassen – durch wen? Meine Leute, ich bemerkte es bei jeder Gelegenheit, waren geschworene Feinde der Armen.

Baron: Sie hielten die Ausbeutung der Gebieterin für ihr Privilegium.

Gräfin immer erregter: Meinem Manne wagte ich nicht ein zweitesmal mit derselben Frage zu kommen, er imponierte mir zu sehr . . . Oh, wenn die Männer wüßten, welches Unglück es für ihre Frauen und auch für sie selbst ist, dieses Imponieren . . .

Baron übereilt: Ich würde Ihnen nicht imponieren.

Gräfin: Erkundigen Sie sich, hatte Frau Glasperle nie geschrieben – diese Worte fielen mir immer wieder ein, und endlich fuhr ich zum zweitenmal in die Berggasse. Nicht mehr mit Hochgefühlen, sondern mit der Empfindung einer lieblos erfüllten Pflicht. Vor Nummer neunundvierzig ließ ich halten und ersuchte den Kutscher, jemanden herbeizuholen, der mir Auskunft geben könne über Anna Bauer. Kaum hatte ich den Namen ausgesprochen, als eine Frau, die vor dem Hause stand, laut aufschrie: »Du, Augustin! du, Mann, komm, komm! Da ist jetzt die Herrschaft, die sich nach der Anna erkundigen tut.« Der Angerufene trat aus dem Tore, behäbig, redselig, und präsentierte sich als Hausbesorger. Ja, die Anna Bauer hatte hier gewohnt, bei der Kirchendienerin im dritten Stock war sie »zu Bett« gewesen. Eine brave Person und arbeitsam und fleißig, ja. Alle Monat ihren »Fünfer« nach Hause geschickt, den Eltern. Nachher, als sie den Fehltritt begangen – ihr Brotgeber, der schlechte Kerl, der schon so manche andere auf dem Gewissen hat – und sie so elend und krank geworden ist, da war's aus mit dem Geldschicken und ist auch gleich per Post der Fluch der Eltern gekommen. Hat sich erfüllt, so ungerecht er traf. Aus dem Spital wurde sie entlassen, ihr Leiden war nicht akut. Verdienen konnte sie nichts, aufs Betteln verstand sie sich schlecht, ließ es auch gleich sein, sobald sie einige Kreuzer beisammenhatte, Milch davon zu kaufen für das Kind. Jammervoll ist es ihr gegangen; da auf einmal scheint sie neu aufzuleben. Die Hausmeisterin von nebenan hat mit ihr gesprochen, ihr geraten, sich an eine »gute Herrschaft« zu wenden. Sie hat es getan, hat geschrieben und ist plötzlich voll Zuversicht: Ihr wird geholfen. Das Letzte verpfändet, auf die Straße gesetzt, erschöpft und hungernd, aber – gehofft, gehofft und gewartet. Am Tor angelehnt hat sie gestanden von früh bis abends, Tag um Tag, und jeden Briefträger gefragt: »Haben S' was für mich?« In jeden Wagen hineingeschaut mit aufleuchtenden Augen, im festen Glauben, er bringt die Retterin . . .

Baron: Mein Gott. –

Gräfin erzwungen ruhig; starrt vor sich hin: Die blieb zu lang aus . . . Das arme Weib verlor den Mut; sie suchte die sicherste Zuflucht, ging in die Donau mit ihrem Kinde . . . Wie verloren: Einen Brief von ihren Eltern – im Kuvert, wissen Sie – trug sie bei sich, und so konnten die Leichen vom Hausbesorger agnosziert werden – am selben Morgen war es geschehen.

Baron: Gräfin, Beate, Freundin – verzeihen Sie mir!

Gräfin: Ihnen – was denn Ihnen?

Baron: Meine grenzenlose Plumpheit von vorhin. Verfügen Sie über mich, schicken Sie mich, wohin Sie wollen, auf Türme, auf Dächer! – Verzeihen Sie mir jedes Wort des Tadels Ihrer Mildtätigkeit, Ihrer Großmut! Ich sehe es ein, Sie können nicht anders, Sie müssen – es gibt für Sie keinen andern Trost.

Gräfin reicht ihm beide Hände, die er küßt und einen Augenblick in den seinen festhält.

Baron: Verehrte Freundin! – Und dann?

Gräfin: Dann kam eine schwere Zeit. Der Schatten der armen Frau, die vergeblich ihre Hoffnung auf mich gesetzt, hat meine Jugendjahre verdüstert. Ich sah sie immer vor mir, müd und krank am Tore lehnen und – warten. Ich versenkte mich in den Anblick des schmerzlichen Bildes und horchte den Lehren, die es predigte, und suchte an anderen Unglücklichen gutzumachen, was ich an der einen verschuldet.

Baron: Oh – wie lange sind Sie schon eine Wohltäterin!

Gräfin unwillkürlich lächelnd: Sehr lange.

Baron bestürzt: So war's nicht gemeint. Ich sagte, das heißt, ich wollte sagen: eine Wohltäterin ganz im stillen – schweigend –

Gräfin nickt: Ich wühlte meine Gedanken über das folgenschwerste Ereignis meines Lebens in mich hinein. Viel später erst, ich weiß nicht mehr bei welcher Veranlassung, sprach ich einmal meinem Manne davon. Ich tat's mit bebender Seele und – weckte sein Befremden. Ist es möglich, so kindisch zu sein? Sich Vorwürfe machen – worüber denn? was ging die Sache mich an? Eine arme Närrin hatte auf meine Hilfe gerechnet? Sie hätte ebensogut auf die Hilfe einer anderen ihr unbekannten Person rechnen können. Er riet mir dringend, meine Phantasie nicht maßlos spielen zu lassen und mich freizuhalten von Gefühlssubtilitäten . . .

Baron: Hm – so? – nun vielleicht – und Sie?

Gräfin: Ich? – Bis dahin war Hochfeldt mir vorgekommen wie ein großer, hoher Mensch, dem ich zwar angehörte, den ich aber noch kennenzulernen hatte. Eine Brücke von meinem Verständnis zu dem seinen müsse es geben, meinte ich und suchte sie. – In jener Stunde überkam mich's plötzlich . . . daß ich sie nie finden würde.

Baron kann eine gewisse gutmütige Schadenfreude nicht verbergen: Und mit der verlorenen Brücke haben Sie weiterexistiert. Und so war die Ehe beschaffen, von der Sie sagen –

Gräfin fällt ihm ins Wort: Daß sie alles in allem genommen . . . Es gibt viele weniger gute Ehen.

Baron: Aber auch bessere und sogar vortreffliche. Sich vergessend: Eine solche zum Beispiel, wie die unsere sein könnte. Erschrocken: O Pardon!

Gräfin unruhig verlegen: Haha –

Baron: Nein, nein! nicht haha. Überlegen Sie. – Ein Verständnis zwischen uns, ein grenzenloses . . . von einer Brücke keine Rede: festes Land . . . Die Armenpflege mein eigentlicher, mir von der Natur angewiesener Wirkungskreis . . . Bettelbriefe meine Lieblingslektüre . . . ich komme immer mehr auf den Geschmack.

Gräfin: Hoho!

Baron in steigender Ekstase: Nein, nein, nein! Nicht hoho. Wenn es möglich wäre – wenn ich dableiben dürfte, nicht hingehen brauchte, um mich – der Himmel weiß mit welcher Mühe – zum sechsten Male zu verlieben; wenn ich ein Recht hätte auf diesen Tee, diese Pastete, dieses Zimmer, dieses Gespräch, diesen kleinen Zank mit Ihnen, dem nie eine Versöhnung folgt, weil wir das nicht nötig haben, weil wir auch während des heftigsten Zankes innerlich einig sind – wenn Sie mich nehmen wollten . . . Hat den Tisch zur Seite gerückt; erhebt die gerungenen Hände. Stürmisch: Nehmen Sie mich! . . . Wenn Sie mich nicht nehmen, verschenke ich alles, was ich habe, werde ein Bettler, schreibe Ihnen täglich zehnmal zehn Briefe, falle Ihnen ganz zur Last.

Gräfin: Lieber Baron, wie alt sind Sie?

Baron hat sich immer tiefer vom Kanapee herabgleiten lassen, halb kniend: Zwanzig Jahre.

Gräfin schüttelt den Kopf: Zu jung für mich.

Baron: Es vergeht. Fährt mit der Hand über seinen Scheitel, seufzt tief auf. Es ist schon vergangen. Anwandlungen, tollkühne Träume. Ich weiß ja. Sie sind mir überlegen an Rang, Bildung, Geist –

Gräfin: Papperlapapp.

Baron überrascht, jubelnd: Hoho! Gleich darauf wieder mutlos, in ganz verändertem Tone: Ach nein! Erhebt sich, deutet auf die Briefe, die auf dem Schreibtisch liegen: Ich sehe da ein paar Bittschriften. Tut rasche Hilfe not? Befehlen Sie über mich.

Gräfin: Das Wetter ist schlecht.

Baron: Was liegt daran?

Gräfin: Neun Uhr. Hören Sie? Es schlägt schon neun Uhr.

Baron: Ich fürchte mich nicht im Finstern. – Schicken Sie mich fort. Sie finden ja keine Ruhe, solange Ihnen irgendein Obdachloser vorschwebt . . . Deutet auf die Briefe, die auf dem Schreibtisch liegen: Darf ich lesen?

Gräfin: Nein, es ist verboten.

Baron: Aus welchem Grunde?

Gräfin: Raten Sie.

Baron bärbeißig: Es sündigt wieder jemand auf Ihre Güte.

Gräfin ist aufgestanden: Nein – aus Bescheidenheit, 's ist lauter Dank.

Baron: Nicht eine Bitte darunter? Nun, gestehen Sie, das konnte ich nicht erraten . . . Er will noch etwas hinzusetzen, seine Augen begegnen ihrem freundlich auf ihn gerichteten Blick. Plötzlich ergreift er ihre Hand und zieht sie an seine Lippen.

Gräfin sich zu ihm neigend: Sie sind überhaupt im Erraten nicht stark, sonst wüßten Sie längst – daß ich Sie herzlich liebe.

 


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