Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Erzählungen und andere Werke
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Komtesse Muschi

1

Schloß Sebenberg,
3. November 1882

Die Treibjagden sind vorbei, alle Gäste abgereist. Wir langweilen uns wie die Möpse, und ich habe Zeit, Dir zu schreiben, liebe Nesti.

Der arme Fred ist auch fort.

Er war wieder furchtbar herzig und amüsant, obwohl er ganz unglücklich ist.

Mir ist leid um ihn, aber ich kann ihm nicht helfen. Sein Rahn im Gebirge trägt gar nichts, und man lebt nicht von der Luft, die freilich dort sehr gut sein soll.

Aber ich habe Dir etwas viel Interessanteres zu erzählen und will Dich gleich in milias res versetzen. Lateinisch, meine Liebe! kommt von milieu. Wo ich das aufgeschnappt habe? – Gott weiß es. Ich bin halt schrecklich bildungsfähig, wie meine Gouvernante, die arme Nagel, die ich erzogen habe, heute noch behauptet.

Also: spitz die Ohren!

Wie ich gestern die Briefmarken einsammle (für eine Million bekommt man wirklich ein chinesisches Kind, es ist kein Aufsitzer, Du kannst Dich drauf verlassen und mir ein paar tausend schicken, wenn Du sie beisammen hast), seh ich darunter eine württembergische.

»Wer schreibt uns denn aus Württemberg, Mama?« – »Das ist ein Geheimnis«, sagt die Mama, und ich sehe ihr an, daß sie drauf brennt, es auszuschwatzen. Paar Minuten später weiß ich alles.

In seiner Jugend hat Papa in einem Regiment mit dem Grafen Aich-Kronburg gedient. Beide haben sich um dieselbe reiche Erbin beworben, und der Schwabe hat sie erobert, und Papa war der erste, der ihm dazu gratuliert hat. So sind sie Freunde geblieben. Und jetzt schickt der Dynast aus Schwabenland seinen Erbgrafen auf Reisen, und der soll sich in Sebenberg aufhalten und sich bemühen, dem Papa und der Mama zu gefallen und am allermeisten . . . Wem? hat sie mich erraten lassen und hat mich umarmt, wie die Mütter uns umarmen, wenn sie hoffen, uns bald loszuwerden.

Einen Schwaben also, denk Dir! – Wenn ich nur wüßte, wie er ausschaut, ob er nicht gar zu große Füße hat, auf denen er am Nachmittag »zum Bier« geht mit seinen Beamten.

Nach dem Souper aber, mein Kind, da war es bei uns so, daß ich mir gedacht habe: Und wenn er Elefantenfüße hat, ich nehm ihn doch!

Ein Abend ohne Gäste, wie er jetzt manchmal vorkommt in Sebenberg, ist rein zum Auswachsen!

Papa redet sich ein, daß er die Sportzeitung liest, schläft aber. Mama strickt ein weißes Umhängetuch mit Dessins, gebildet durch die herabfallende Asche der Esceptionales, die sie immer im Munde führt. Der Onkel spielt Festung mit der Singlehrerin, und die Tante löst Silbenrätsel auf mit Fräulein Nagel. – »Das siebenundfünfzigste Wort, Fräulein?« – »Ein Dorf in Serbien.« – »Mein Gott, in Serbien!« – »Es fängt mit einem K an und endet mit einem E.« – »Bitte um den Meyer.« – »Ich habe schon nachgesehen, da steht es nicht.« – »Ich bitte also um den Ritter.« – Und jetzt fallen sie über den Ritter her.

Das ist Tisch Nummer eins.

Am Tisch Nummer zwei, am andern Ende des Saales, spielen »die Kleinen« mit dem Erziehungsdepartement Pocherl, und ich sitz auf dem Puff allein, zwischen dem Alter und der Kindheit wie Dido auf Naxos. Da war ich wieder gelehrt, Du mußt verzeihn – die Langweile macht einen dumm.

Meine Dogge streckt sich und gähnt mich an: – Venez! sag ich ihr, gehn wir auf den Balkon, wir zwei. Vielleicht fliegt zu unserer Unterhaltung eine Fledermaus vorüber. Kaum lehn ich am Geländer, wer kommt nachgestiefelt? – Papa. Er lehnt sich auch ans Geländer und sagt erst gar nichts. Auf einmal fängt er an: »Du, Katz!« – »Was, Papa?« – »Was machst denn?« – »Ich verhöre Fledermäuse, Papa.« – Er lacht. »Ich sag dir was, aber plausch nicht, hörst?« – »Nein, Papa.« – »Wirst nicht plauschen?« – »Nein, Papa.« – Er droht mir mit den Augen: »Auch nicht mit der Mama, verstehst? . . .« Daraufhin erzählt er mir die Geschichte vom Erbgrafen.

Ich habe mich nur erkundigt, ob die Kronburgs Rennpferde halten. Papa weiß es nicht, glaubt aber eher nein als ja. O weh!

Deine              
Muschi

2

Schloß Sebenberg,
10. November 1882

Liebe Nesti!

Sei nicht so ungeduldig; ich kann nicht den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen und Dir »berichten«, was bei uns vorgeht. Wir sind nicht so weit, wie Du glaubst, von Gratulationen annehmen keine Rede, ich verbitte mir überhaupt alle Sentimentalitäten. Der »Bräutigam« – Du bist lächerlich, meine Liebe! – heißt Karl wie unser Kammerdiener, der seit seiner Anwesenheit immer beim Familiennamen gerufen wird. Er ist nicht so groß wie Papa, aber doch eher groß als klein, und hätte ganz hübsche Füße, wenn er nur besser chaussiert wäre. Aber er trägt Stiefel, an der Spitze so breit wie über den Ballen.

Angekommen ist er in so einer Art Waffenrock aus Tuch, den er sich vermutlich eigens zur Reise hat machen lassen, der Arme! Bei welchem Schneider, muß ich erfahren, um alle meine Bekannten vor ihm zu warnen. Ein Unglück ist, daß er Handschuhe trägt wie ein Weinreisender oder wie die Elegants in deutschen Romanen . . .

Du begreifst, liebes Kind, daß ich noch total unentschlossen bin.

Was köstlich ist, das ist die Liebenswürdigkeit Papas und Mamas. Die machen Geschichten mit ihm – ich sag Dir, zum Platzen. Papa war sogar am Abend ganz aufgekratzt, und er, den sonst an den Leuten nichts interessiert als ihre Pferde und Hunde, hat eine große Fragerei angefangen und sich nach der Forstwirtschaft erkundigt, und ob sie in Schwaben verpachten und ob sie viel am Lande leben, und wie es mit der Jagd ist, et. z. r. a. Das heißt: und so weiter. Aufrichtig gestanden, habe ich mir nie merken können, wie man's schreibt.

Der Graf hat recht nett geantwortet, nur geniert er sich noch und glaubt, daß er immer im Imparfait sprechen muß, was highly affektiert herauskommt. Gegen neun Uhr hat es angefangen, recht fad zu werden, da ist aber zu meiner allerangenehmsten Überraschung Fred gekommen, mit seinem Bruder und mit die zwei Hochhaus. Sie waren auf dem Wege nach Raigern zum Offiziersrennen und haben um ein Nachtquartier gebeten. Ich habe gleich eine Zirkusproduktion arrangiert, mir eine Viererpeitschen kommen lassen und zuerst den Fred vorgeführt als den in Freiheit dressierten Vollbluthengst Arabi. Es war zum Totlachen, wie er über die Sesseln gesprungen ist und traversiert und gewechselt und zuletzt mein Sacktuch mit den Zähnen vom Boden aufgehoben hat. Dann hat die Nagel ans Klavier gemußt, und die vier Herren haben die Heroldsquadrille zum besten gegeben. Köstlich waren sie! So liebe Buben! Der kleinere Hochhaus, der herzige Kerl, hat wirklich ein Gesicht wie ein Pferd. Zuletzt ist Fred seinem Bruder auf den Buckel gesprungen und hat sich präsentiert als Mlle. Pimpernelle auf dem großartigen Schulpferd Rob-Roy. Ach, wenn Du das gesehen hättest! . . . Die koketten Augen, die er gemacht hat, und le petit air pincé und das ruckweise Grüßen mit dem schiefen Kopferl – man kann sich nichts Spaßigeres denken. Wir haben uns königlich unterhalten, auch Papa und Mama. Nur der Graf ist so bocksteif gewesen, daß ich mir gedacht habe: Du kannst mir gestohlen werden, ich laß Dich nicht austrommeln.

Das Schönste an unserer Renzproduktion war, wie der Pips auf einmal genug bekommen hat von der Reitgerte der Pimpernelle und zu Fleiß gestolpert und hingeschlagen ist mitsamt seiner Reiterin, daß alles gescheppert hat.

Wir waren ganz echauffiert vor lauter Lachen, und ich habe zur Abkühlung ein jeu d'esprit von meiner Erfindung proponiert. Die ganze Gesellschaft hat sich um den Tisch setzen müssen, es ist eine Schale voll gestoßenen Zucker gebracht worden, und einer nach dem andern hat seine Nase hineingesteckt. Wie das fertig war, hab ich kommandiert: Eins, zwei, drei! und jetzt hat jeder sich eine Riesenmühe gegeben, den Zucker mit der Zunge von seinem Nasenspitzl abzulecken . . . Wer's zuerst getroffen hat, der hat gewonnen . . . Nein, mein Kind, was für Grimassen wir da geschnitten haben und wie die gute Nagel indigniert war und doch hat mitlecken müssen – das kann sich niemand vorstellen, der nicht dabeigewesen ist.

Im Anfang war der Papa Sieger, dann Kuni Hochhaus, dann ich – und nur Fred ist bis zuletzt durchgefallen mit seinem hübschen aufgestülpten Naserl. Er war schon ganz fuchtig, der Arme! Er ist so ein guter kleiner Kerl!

Deine              
Muschi

3

Schloß Sebenberg,
19. November 1882

Sauf votre respect, meine Beste, Du bist pedantisch wie ein alter Blaustrumpf. Mach nur so fort, und Du wirst total schofel und fangst noch an, Romane zu komponieren in die Zeitungen.

Ich habe Dir keine Personsbeschreibung von ihm gegeben? Na wart, ich will ihn um seinen Paß bitten. Da wirst Du lesen: Blaue Augen, blonde Haare, rötlichen Schnurrbart, Wangen und Kinn rasiert, Mund, Stirn, Nase regelmäßig. Weißt Du jetzt was? Du weißt geradesoviel wie früher. Plump? – Nein, plump ist er nicht. Seine größte Schönheit sind seine Ohren, die sind klein, fein eingesäumt, dicht angewachsen. Und die Gemütsart? Über die soll ich auch etwas sagen? Je nun, eine gute Gemütsart, ein bisserl still, mit einem Stich ins Altväterische. Aber ich will ihn schon modernisieren, den Armen. Ich hab ihm neulich gesagt, daß sich die Herren bei uns alle Jahr wenigstens ein paar Anzüge aus England kommen lassen und auch ihre seidenen Strümpfe und daß ein schlecht angezogener Mann in der Welt unmöglich ist. »Wieso?« hat er gefragt, »erklären Sie mir das.« Diese Naivetät hat mich geärgert, und ich habe geantwortet: »Das braucht man nicht zu erklären, es versteht sich schon von selbst.« – »Himmel«, ruft er, »wenn es Kleider sind, die uns in der Welt möglich machen, wie hoch müssen wir den halten, der sie verfertigt! Man sollte eigentlich nie anders erscheinen als Arm in Arm mit einem berühmten Schneider.« –

Hast Du schon einmal etwas so Dummes gehört? Sag's aufrichtig.

Gestern haben wir Hasen gehetzt. Ich auf meinem Harras war weit voraus, hab mich übrigens um die ganze Jagd nicht geschoren, bin nur so weitergaloppiert, dem Sturm gerad entgegen, was ich so gern tu, da kommt ein kleiner Graben, und mein Esel von einem Pferde, hang it! macht einen Satz, als ob's über eine Hürde ging, und ich – ich, Nesti – ich – flieg herunter.

Da lieg ich, und der Harras steht und schnauft mich bös und wildfremd an. Er kennt mich nicht, er glaubt nicht, daß ich's bin, er will schon ausreißen, und ich kann nach Haus zotteln zu Fuß . . . Nesti, mir hat das Herz geklopft . . . Langsam bin ich aufgestanden, daß er nicht erschreckt, und habe immer mit ihm gesprochen: Harrasserl, bleib da, es war ja nur ein Spaß, Harrasserl, und wie er mich wieder anschnauft, erwisch ich glücklich den Zügel und schau mich um und seh keinen Menschen. Gott sei Dank! denk ich mir, führe den Harras in den Graben und will schon aufsitzen – da bricht er aus und ist nicht zum Stehen zu bringen, denn warum? Er hört den Galopp von einem Pferd, und richtig, muß der Kuckuck den Grafen daherschmettern. – »Was ist geschehen, Gräfin?« fragt er. – »Nichts«, antworte ich und wende mich ab, damit er nicht sieht, wie ich rot werd. – »Ich habe mir nur etwas am Sattel gerichtet.« – »All right?« – »All right.« Er springt vom Pferd, und ohne ein Wort zu sagen, streckt er die Hand aus, und ich stelle den Fuß hinein und lasse mich in den Sattel heben, lasse mir auch die Falten vom Reitkleid richten und habe immer noch keine Idee, ob er weiß, was mir passiert ist. Endlich zieht er sein Sacktuch aus der Tasche und fangt an mich abzustauben, und jetzt erst bemerke ich, daß ich voll Erde bin, von der Schulter bis zum Rocksaum.

Du kannst Dir denken, wie mir war.

Gut also! – Der Graf steckt sein Sacktuch wieder ein und sitzt auf, und ich geb dem Harras eins hinauf und spring ihn fünfmal nacheinander hin und her über den Graben. Aber nicht da, wo er schmal und trocken ist, sondern weiter, wo er breit ist und mit Wasser gefüllt.

Dann reiten wir zusammen ganz ruhig dem Papa entgegen. Lange hat's gebraucht, bis ich mich habe entschließen können zu reden; doch hat's ja sein müssen, sonst wäre ich den ganzen Tag nicht aus der Unruhe herausgekommen. So habe ich denn gesagt: »Ich bitte Sie, sagen Sie niemandem, daß ich vom Pferd gefallen bin.«

Er hat geschmunzelt: »Mein Wort darauf, ich verrate Sie nicht.«

Da waren wir einen Moment ganz gute Freunde, und ich habe mir wirklich schon überlegt – ob ich ihn nicht vielleicht doch nehmen soll. Es hat aber nicht lang gedauert, und jetzt ist mir der ganze Mensch zuwider . . . Liebes Kind, er ist ein alter pedantischer deutscher Schulmeister . . . Höre nur zu . . .

Wir kommen zur Remise, da raschelt's drin, knistert, und unten durch die Sträucher seh ich ein paar kleine bloße Füße. Ein Holzdieb! . . . Hei! das ist etwas für mich – den erwisch ich! . . . Ich gebe dem Grafen einen Wink stehenzubleiben und spreng hinüber zu dem Durchschlupf, den das Gesindel sich im Holz gemacht hat . . . Dort paß ich auf . . . Richtig – nicht lang, und mein lieber Spitzbub kriecht heraus und zieht einen ganzen Pack Reisig hinter sich her . . . Er guckt, sieht mich, schreit wie ein Has und rennt, was er kann, dem Dorf zu. – Ich ihm nach, hab ihn natürlich gleich, bück mich, reiß ihm sein Mützel herunter und sag ihm, er soll ins Schloß kommen, sich's holen. Jetzt hat er die Geschichten gemacht, die man kennt, geflennt, gebettelt, sich niedergekniet, bis mich's gelangweilt hat und ich ihm endlich sein Mützel ins Gesicht geworfen hab . . . Und was hat er dann getan? Eine lange Nase hat er mir gemacht, war auch noch so frech, sein Bündel aufzuheben und damit Reißaus zu nehmen. Ich hab ihm wirklich nachsetzen und ihn durchwichsen wollen, aber da ist der Graf dahergeritten mit einem ellenlangen Gesicht und hat die Impertinenz gehabt, mir zu sagen: »Sie sind ja ein vortrefflicher Waldhüter.« – »Wird bei Ihnen der Wald vielleicht nicht vor Diebstahl behütet?« habe ich ihn gefragt. – »O ja«, hat er geantwortet, »nur überlassen wir diese doch eigentlich untergeordnete Beschäftigung unseren Hegern.«

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, finde ich die Antwort nicht einmal gar so grob, aber wie er mich dabei angeschaut hat, und daß ich mir so dumm vorgekommen bin – – –

Deine              
Muschi

4

Schloß Sebenberg,
28. November 1882

Wir sind wieder gut zusammen. Wir sind gut worden durch meine jungen Rattler und durch das chinesische Kind. Du mußt wissen, meine Liebe, daß Papa seit der Ankunft des Grafen ganz kurios ist. Er, der mir schon, wie ich sechs Jahr alt war, ein Pony geschenkt und mir erlaubt hat, Hunde zu haben, so viele ich will, rumpelt mich jetzt alle Augenblicke an: »Weißt denn von nix zu reden als von die Pferd? . . . Wenn ich nur wüßt – wo die die Passion für die Hund her hat? . . .« Und die Mama sagt: »Die Muschi muß halt alles übertreiben«, und steckt sich eine Zigarre ins Gesicht, die neunte seit dem Frühstück. Ich zähl sie manchmal per Spaß. Das End vom Lied war, daß Papa, wie meine Pinkerl jetzt ins Wochenbett gekommen ist, gedroht hat, er wirft die Jungen beim Fenster hinaus, wenn er sie im Schloß sieht. Da ist mir also nichts übriggeblieben, als die ganze Wirtschaft in der Bibliothek zu etablieren. Dorthin kommt nie eine Seele, und die Hunderln bleiben doch in meiner Nähe.

Sie sind zum Fressen herzig und wohnen exzellent in ihrem Korb unter dem Tisch, der vor dem Kamin steht und über den der Teppich bis auf den Boden herunterhängt. Dreimal im Tage besuche ich die Alte und bring ihr eine Milch.

Heute früh große Freude. Zwei Hunderln machen schon die Augen auf. Ich gratuliere ihrer Mama und sage: Ist's nicht gefällig, Bewegung zu machen, Sie Faulpelz, Sie! Auf, auf! – Aber die Pinkerl reckt steife Haxeln und fangt an zu bellen . . . Und ich, in Todesangst, pack ihre Schnauze und halte sie ihr fest zu und drohe ihr: Sei still, sonst sind deine Jungen hin!

Im selben Moment lacht jemand und wünscht mir einen guten Morgen . . . Du weißt den Fauteuil im Fenster, der seine große Lehne dem Kamin zukehrt. Auf dem kniet der Graf, stützt die Arme auf die Lehne und schaut heraus wie aus einer Loge.

Hol dich dieser und jener, du Polizeispitzl! habe ich mir gedacht, und die folgende Konversation hat sich entsponnen:

Ich: »Wie sind denn Sie hereingekommen?«

Er: »Oh, ich war lange vor Ihnen da.«

Ich: »So? und was haben Sie da gemacht?«

Er: »Ich habe gelesen.«

Ich: »– Gelesen? . . . Wenn Sie glauben, daß ich mir solche Bären aufbinden lasse, irren Sie sich.«

Er: »Mich wundert Ihr Zweifel. Warum sollte ich nicht gelesen haben?«

Ich: »An so einem Tag? Wenn man auf die Jagd reiten könnt? – da müßt man doch Tinte gesoffen haben.«

Er (springt vom Fauteuil herab und kommt auf mich zu mit einem zuwidern Gesicht): »Ihre Meinung von dem Vergnügen, das man aus Büchern schöpft, scheint sehr gering zu sein.«

Ich: »Darauf können Sie Gift nehmen.«

Er (sein Gesicht wird immer zuwiderer): »Um keinen Preis! Dazu ist mir mein Leben viel zu lieb.«

Ich: »Mein Ehrenwort – Sie riskieren nichts.«

Er (wie ein alter Professor, der examiniert): »Sie befassen sich wohl nur wenig mit Lesen?«

Ich: »Just soviel als nötig zur Abbüßung meiner Sünden und zur Übung im Englischen.«

Er (mit einer Art väterlicher Fürsorge, die mir lächerlich vorkommt, und mit einer Strenge, die mich ärgert): »Und im Französischen üben Sie sich doch auch?«

Ich: »Auch.«

Liebes Kind, ich bin rot geworden, weil mir das gewisse Buch eingefallen ist, das mir Fred im vorigen Winter verschafft hat und aus dem ich nicht einmal Dir hab erzählen wollen, so schön Du auch gebeten hast.

Er: »Sie kennen die neuen Pariser Sittenschilderungen?«

Ich (schon recht ungeduldig): »Ich könnt sagen nein, und Sie würden mir glauben, aber mich langweilt's zu lügen, und ich sage ja, weil ich ein ehrlicher Kerl bin.«

Er (schaut mich an, eine ganze Weile; gar nicht mehr bös, aber ordentlich traurig, und brummt): »Schade! . . . Ehrlicher Kerl ist übrigens prächtig . . . Sagen Sie mir, lieber Freund . . . verzeihen Sie! ich wollte sagen: verehrte Gräfin, lesen Sie nie ein deutsches Buch? Es gibt deren wunderschöne.«

Ich: »Von Goethe und Schiller – oh, ich weiß . . .«

Nesti, eine ungeheure Langweile hat mich angegähnt – ich hab uns schon sitzen gesehn wie das junge Ehepaar auf den Vignetten der illustrierten Zeitungen. Er – vorlesend, natürlich aus dem Schiller, ich, »sinnig lauschend«, schmiege mich an seine Schulter, und das Bébé auf dem Arm eines »Mädchen für alles«, das blättert schon in einem Family-Goethe . . .

Wenn er sich unsere Häuslichkeit vielleicht so vorstellt, habe ich mir gedacht, das will ich ihm gleich austreiben, und wie er sehr empressiert fragt: »Sie kennen Goethe und Schiller?« antworte ich resolut: »Peuh! mit dem Klassischen lassen Sie mich aus, ich habe immer gehört, daß der Goethe unmoralisch ist, und der Schiller, der ist mir doch gar zu geschwollen.«

Enfoncé! ein für allemal! Wir haben dann von anderen Sachen gesprochen, hauptsächlich von den Rattlern, die er »reizend« findet und geschworen hat nicht zu verraten. Auch war er recht nett, wie ich ihn gebeten habe, Briefmarken für mich zu sammeln. Es hat freilich eine Weile gedauert, bis er begriffen hat, was ich damit will, und daß man sie nach China schickt, wenn man eine Million beisammen hat, und dafür ein Kind kaufen kann. »Und was wollen Sie mit dem Kinde anfangen?« hat er gefragt. Ich habe ihm erzählt, daß ich es taufen lassen werde und erziehen zu einem kleinen Bedienten, der bei Tisch hinter meinem Sessel steht, in einem gelben Kleid und mit einem langen Zopf, und mir die Teller wechselt.

Der Graf hat sehr gelacht (man muß ihn gern haben, wenn er lacht) und mir die Hand tüchtig geschüttelt und gesagt: »Gut denn! dabei will ich mithelfen, das ist wenigstens eine ideale Bestrebung.« Addio.

Deine              
Muschi

5

Schloß Sebenberg,
6. Dezember 1882

Du kannst mir's hoch anrechnen, daß ich Dir heute noch schreibe, es ist zwei Uhr, und ich bin hundsmüd. Ach, meine Liebe, was gibt's bei uns für eine Hetz! Der Fred und die andern Herren sind von Raigern zurückgekommen und haben einige Offiziere mitgebracht. Die alte Aarheim mit ihren vier Töchtern ist auch da, und der Teich ist dick gefroren, und der Schnee liegt klafterhoch.

In der Früh sind wir im Stall und auf der Reitschul, nach dem luncheon kutschieren wir im Schlitten herum und laufen auf dem Eis, am Abend spielen wir kleine Spiele oder tanzen oder ruhen uns auch nur aus. Coclo kokettiert, was Zeugs hält, mit dem Grafen (ich lache mir im stillen den Buckel voll). Mitzi hat noch immer ihre unglückliche Liebe für Fred, und die Kitzi und der Pips, die setzen's durch, die kriegen sich. Was sollen die Eltern anfangen, wenn die Kinder nicht nachgeben? Ein Unsinn freilich, so eine Rittmeistersmenage. Mein Gusto wäre das nicht, aber die zwei Narren antworten auf jede vernünftige Vorstellung, daß sie sich lieben. Als ob es einen dümmeren Grund geben könnte, einander unglücklich zu machen.

Der Graf sticht von den anderen Herren kaum mehr ab. Er macht alles mit, seine Faxen und tiefen Komplimente hat er aufgegeben, er wird noch ganz tschink werden – und Du mußt wissen, meine Liebe, ich habe mich entschlossen – ich nehm ihn.

Fred, der natürlich gleich weggehabt hat, was der Besuch des Grafen heißen soll, benimmt sich so gescheit, daß man ihn gar nicht genug loben kann. Er ist halt ein braver Mensch. Du erinnerst Dich, wie er im vorigen Fasching für mich montiert war, und doch – damals kein Wort, das mir hätte das Herz schwer machen können, und jetzt auch nicht.

Heute früh longiere ich ein Fohlen, Fred führt die Peitsche und sagt: – »Wie gefällt Ihnen der Graf? mir gefällt er. Er hat eine Million Mark alle Jahre.« – »Und nicht einmal einen Rennstall«, sag ich. Drauf hat er mich angeblinzelt mit seinen pfiffigsten Augen und geantwortet: »Das wird bald anders werden. Wenn Sie dann einen Master first rate brauchen, denken Sie an Ihren Freund in Rahn im Gebirge . . .«

Ich glaub's, daß ich an ihn denken werde! Er soll der erste sein, den ich nach Schwaben einlade, daß er mir die Leut dort tüchtig aufmischt.

Good night, Nesterl, ich schlaf schon . . . den Moment war ich noch munter, aber jetzt hab ich an die vortreffliche Clara Aarheim gedacht, und der Gähnkrampf ist da . . . »Meine unelegante Tochter«, wie die Alte sie nennt, weil sie sich nicht mehr geniert und schon die Hoffnung aufgegeben hat, sie anzubringen, »meine unelegante Tochter« ist fader denn je. Die könnt einen Major heiraten, meinetwegen einen von der Infanterie, die lebt von der Gage! . . . Sie will heuer nicht mehr in die Welt gehen, sie findet dort kein Vergnügen. Das wird wohl heißen – keine Tänzer. Sie ennuyiert ja alle Leute mit ihrer Maulsperre und ihrem ewigen Rotwerden.

Sie ennuyiert auch den Grafen, der mit ihr gar nicht so lustig ist wie mit uns . . . Übrigens behauptet er, daß sie schön ist. Ja, ein Bild ohne Gnaden; ich mag diesen Genre nicht, er erinnert an die Statuen, bei denen wir mit niedergeschlagenem Blick vorbeizugehen haben in Gegenwart der Mamas . . . die armen Mamas! wenn die wüßten, was wir wissen! . . . Stell Dir vor, daß der Graf auch boshaft sein kann, er hat die Clara steigen lassen vor uns allen und sie unbändig gelobt über ihre Reiterei. Wir haben uns gewunden vor Lachen, und sie hat sich geschämt, ach geschämt! . . . Und ich bin aufgesprungen, hab ein Buch in die Hand genommen und ernsthaft gesagt: »Ich werde die Ehre haben, vorzutragen ein Couplet«, und habe gesungen: »Nur langsam voran, nur hübsch langsam voran, daß sie uns nur ja nicht herabplumpsen kann . . .«

Gute Nacht, ich fall um, mein Abendgebet werd ich erst morgen früh machen . . . Und, denk Dir, der Graf hat gesagt: »Sie haben eine charmante Stimme, wie schade, daß Sie nicht singen lernten . . .«

Über dem »lernten« bin ich gestern eingeschlafen, die Feder ist mir aufs Papier gefallen, und Du bekommst einen Brief mit Schweinderln garniert.

Ich hab Dir noch etwas Köstliches zu erzählen von der edlen Clara. Sie schwärmt für den Grafen und hat mir gestern eine Predigt gemacht. – »Mit diesem« – ach, ein Schwung war in dem »diesem«, und ihre Augen sind in bengalischem Feuer gestanden –, »mit diesem Mann solltest Du doch anders umgehen, liebstes Herz! Du solltest doch mit ihm nicht dieselben Gespräche führen wie mit Deinen Snobs. Du gefällst ihm, das sieht man, und wie sollte es auch anders sein? Aber man sieht doch auch wieder, daß er manchmal förmlich erschrickt über Deine Reden und Manieren . . .«

Und jetzt ist sie losgegangen gegen die Stallpassion, die Jockei-Ausdrücke und gegen die Frivolität und die Lesescheu und die Denkscheu, und was weiß ich! . . . Ich bin, by Jove! keine Stubenmädelnatur, alles, was der Übelnehmerei gleichsieht, ist mir ekelhaft. Wie sie mir aber die Sachen so heruntergeputzt hat, die mir lieb und teuer sind, da ist meine Geduld – sie war von jeher fadenscheinig – wurzab gerissen. Ich hab ihr zuerst eine Grobheit gesagt und dann, sie soll sich heimgeigen lassen. Da hat sie genug gehabt und ist abgezogen wie ein begossener Pudel. – Und ich habe mich gleich in der ersten Furie hingesetzt und habe sie gezeichnet, wie sie thront in ihrer Näh- und Strickschule, die sie sich zu Haus eingerichtet hat. Unter jedem Arm hat sie ein Buch und in einer Hand eine Rute und in der andern einen Strumpf – ohne Zwickel. Und auf der Nase, die aussieht wie ein Trampolin, tanzt ihr ein kleinwinziges Schulkind herum. Im Salon habe ich die Karikatur kursieren lassen, und jeder hat, verstohlen natürlich, gekichert, und die Nagel hat das neue Malheur deploriert, wär aber bei einem Haar herausgeplatzt. Der Clara selbst, der hat das Bild den größten Spaß gemacht, was gar nicht meine Absicht war, und der Graf war ganz erstaunt über mein Talent und hat mich versichert, daß es sehr zu beklagen ist, daß ich nicht zeichnen gelernt habe. Den Rest des Abends hat er sich der Clara gewidmet – und mit ihr gesprochen – vermutlich über ihre Nähschule, der Arme!

Deine              
Muschi

Ich mache meinen Brief wieder auf, um Dir anzukündigen, daß mich der Graf um eine »Unterredung« gebeten hat. Jetzt wird's ernst. Die Eltern sind selig. Ich telegraphiere Dir, wann die Verlobung deklariert werden darf.

6

Schloß Sebenberg,
28. Dezember 1882

Ja, meine Beste, wir kommen bald nach Wien, und ich freue mich damisch, Dich wiederzusehen. Ich freue mich auch auf den Fasching – schad, daß er heuer so kurz ist, man wird sich nicht einmal austanzen können, und ich habe rechte Lust, mich wahnsinnig zu unterhalten. Leider wird Fred nicht dasein; er bringt den Winter in Old-England zu, hat dem Papa neulich von dort geschrieben und sich entschuldigt, daß er keinen Abschiedsbesuch gemacht hat. Papa ist bös, weil ihn Fred beim letzten Pferdshandel übers Ohr gebaut hat – als ob das . . .

Gerade kommt Dein Brief, der dritte, in dem Du mich mit Fragen bombardierst. Begreif doch endlich, daß ich Dich hab anlaufen lassen! Wie kannst Du nur denken, daß ich mich nach Schwaben setzen werde, wo die Herren Hausväter sind aus Beruf und die Frauen Socken flicken aus Überzeugung . . . Eine Unterredung haben wir freilich gehabt, der Graf Karl und ich, aber ganz anders war sie, als Du Dir einbildest.

Er hat damit angefangen, daß ihm der Aufenthalt bei uns unvergeßlich sein wird, daß er ganz neue Eindrücke empfangen, eine ganz neue Welt kennengelernt hat.

»Dafür, daß sie Ihnen ganz neu war, haben Sie sich recht prompt hineingeschickt«, habe ich ihm geantwortet.

»Kein Wunder, wenn man einen solchen Führer hat wie Sie, ein solches Vorbild in allen ritterlichen Künsten und Übungen.«

»Soll das vielleicht ein Witz sein?«

»Durchaus nicht, ich kehre reicher, als ich kam, zu meinen Penaten zurück.«

»Wohin?«

»Zu meinen Hausgöttern.«

»Aha!«

Darauf ist die »Unterredung« in eine Stockung geraten, ich habe sie aber wieder in Gang gebracht mit der Frage, worin der Gewinn besteht, den er bei uns gemacht hat.

»– In einem Freunde!« hat er ausgerufen, »einem jungen, lieben, verläßlichen Freunde, der sich Gräfin Muschi nennt.«

»Pardi!« sage ich, und er, nicht faul, ergreift meine Hand, wird feuerrot, und seine Stimme wackelt.

»Einen Freund, auf dessen Hilfe und Unterstützung ich zähle in der wichtigsten Stunde meines Lebens.«

»Was ist das für eine Stunde?«

»Diejenige, die über das Wohl oder Weh aller, die für mich noch kommen sollen, entscheidet . . . diejenige, in der Sie die Gnade haben wollten, anzufragen bei –« und jetzt ist ihm die wackelige Stimme ganz umgekippt.

»Bei wem soll ich anfragen? Bei mir selbst vielleicht?« rutscht es mir heraus – aber zum größten Glück hat er in seiner Agitation von dieser bévue nichts gemerkt, sondern geantwortet: »Bei Gräfin Clara Aarheim.«

Da muß ich riesig verdutzt dreingeschaut haben, weil er gerufen hat: »Sie sind nicht einverstanden? – Es ist zu spät? Gräfin Clara ist nicht mehr frei?«

Nesti, jetzt ist mir ein Seifensieder aufgegangen, und ich habe gesagt: »What a sell!« worüber der arme Graf Karl in neue Bestürzung geraten ist und mich beschworen hat, aufrichtig zu sein und ihm nur zu gestehen, daß er sich die Sache aus dem Kopf schlagen muß – Es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn ein Kleinod, wie die Clara, nicht schon längst einen Bewerber gefunden hätte, und daß er ein Tor gewesen ist, auf ein solches Wunder zu hoffen.

Chineser! denk ich und sage: »Gar kein Tor! Ich kenn die Clara auswendig. Der hat noch nie jemand die Cour gemacht.«

»Ist's wahr? Ist's wahr? –« Er küßt mir stürmisch die Hand. »Und sie? Interessiert sie sich nicht etwa für jemand –«

»Keine Spur! So unpraktisch wird man doch nicht sein, sich für Leute zu interessieren, die sich nicht um einen kümmern. Das gibt's nicht.«

Er hat tiefmächtig aufgeseufzt: »Sie ahnen nicht, wessen ein Mädchen fähig ist, das, zu Ihren Kreisen gehörend, den Mut hat, unelegant zu sein.«

»Mit dem Mut lassen Sie mich aus, er sieht dem wirklichen so ähnlich wie der Galgenhumor der guten ehrlichen Lustigkeit.«

– »Ich weiß doch nicht, es kann ja einen höheren Standpunkt geben als den Ihrer Welt.«

»Das ist der Trost für alle, die aus ihr ausgeschlossen sind.«

»Gönnen Sie ihn den Armen, die müßten sonst verzweifeln«, sagt er, lacht mich gutmütig an, und auf einmal ist er wieder dasig worden und hat mir nicht genug rekommandieren können, unvermerkt aus der Clara herauszuquetschen, ob er ihr nicht unsympathisch ist.

Ich habe ihm geantwortet, daß ich mir die Müh ersparen kann und daß keine Rede ist von unsympathisch sein.

»Und Sie glauben, ich dürfte hoffen, mit der Zeit . . .«

»Mit der Zeit? Heute, wenn Sie heute anfragen.«

»Gräfin!«

»Was wundert Sie denn so? Es wird der Clara nicht einfallen, Ihnen einen Korb zu geben. Wann hätte die sich's träumen lassen, daß sie eine Partie machen wird, wie Sie eine sind?«

»Ach – Partie?« wiederholt er ganz breitgeschlagen – »wenn nur darum – Tiefer konnten Sie mich nicht entmutigen, als Sie es mit dem einen Worte taten.«

Aus lauter Entmutigung hat er dann eine Masse geredet von Liebe, Verständnis, Übereinstimmung der Charaktere, und daß in der Ehe gar nichts so wichtig ist wie diese Sachen. – Ein armer Teufel, der nichts Gutes kennt und der vom Wert des Geldes keine Idee hat, hätte nicht anders sprechen können.

Schrecklich sonderbar! Es ist mir nicht wie ein Unsinn vorgekommen, wenigstens nicht die ganze Zeit; es waren Momente, in denen ich gedacht habe, vielleicht hat er wirklich nicht so unrecht, vielleicht kommt es wirklich mehr darauf an, daß die Menschen, als daß die Verhältnisse zueinander passen. (Freilich färben halt die Verhältnisse gar so ab auf die Menschen, die in ihnen stecken!) Und weiter habe ich mir gedacht: Du bist gut und gescheit, und ich bin nicht bös und nicht dumm, warum sollten wir zwei nicht zueinander passen? . . . Wer weiß, ob ich recht habe, dir da den Freiwerber bei der Clara zu machen. Aber diese Anwandlung ist gleich vergangen – ich habe mir die Glückseligkeit der Clara vorgestellt, und was für ein Jux es sein wird, sie zu fragen, ob sie den Grafen will. Habe mich auch an alle die Streiche erinnert, die ich ihr schon gespielt habe, und an ihre schlecht belohnte Freundschaft für mich, und habe meine biedere Rechte ausgestreckt und gesagt: »Topp! Schlagen Sie ein. Ich hol Ihnen die Erlaubnis, sich das Jawort zu holen. Alles in allem genommen, die Clara paßt zu Ihnen, sie hat immer gesagt, daß man beim Heiraten mehr auf den Bräutigam schauen soll als auf den unnumerierten Fiaker.«

Meine roten Sportshände sind schon oft geküßt worden, aber so brennheiß wie damals vom Grafen doch noch nie.

Genug, Nesti: alles war köstlich. Die Perplexität der Clara ungeheuer, und wie sie zuerst nein gesagt hat aus Demut und Diskretion; und wie der Graf dann erst recht ins Zeug gegangen ist und geschworen hat, man könne überhaupt nur eine heiraten, die einen nicht nimmt. Die Wonne der Casa Aarheim mal Du Dir nur selber aus. Weniger heiter waren meine Alten. Die Mama hat an dem Tag ihrer neunzehn gedampft. Und der Papa hat mich angeschnauzt: »Du, Katz!«

»Was, Papa?«

»Du bist eine Gans.«

»Familiengeheimnis, Papa! Wenn du's verratest – dein eigener Schaden.«

Vor drei Tagen ist der Graf nach Hause gereist, um alles zum Empfang der jungen Frau herrichten zu lassen, die er sich im Fasching abholen kommt. Bald nach ihm sind die Aarheims abgefahren . . .

Beim Abschied des Brautpaares war, Gott sei Dank, keine Flennerei. Sie sind lang gestanden, Hand in Hand, und er hat sie angeschaut, als ob er sagen möcht: Verlaß dich nur auf mich, und sie hat in demselben Dialekt geantwortet: Unbedingt.

Es war ein hübscher, comme-il-faut-er Abschied, und ich habe mir gedacht . . . aber wozu soll ich Dir alles auf die Nase binden, was ich denke. Lebe wohl, mein liebes Wesen, und merke Dir: es ist nicht immer so angenehm, als man glaubt, eine Sportskomteß zu sein.

Deine              
Muschi

 


 << zurück weiter >>