Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
Erzählungen und andere Werke
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ohne Liebe

Dialogisierte Novelle

Ein Salon im Palais der Gräfin Laßwitz in Wien. Die Einrichtung ist im Zopfstil gehalten, die Wände sind mit blauem Brokat überzogen. Eine hohe Mitteltür führt in ein Eingangszimmer, eine Tür links in die Wohnzimmer der Gräfin, eine Tür rechts in die ihrer Enkelin Gräfin Emma Laßwitz. Im Vordergrund rechts steht ein kleines Kanapee, davor ein Arbeitstisch und ein Sessel. Gegen den Hintergrund links an der Wand ein großes Etablissement. Auf dem Kanapee, den Fauteuils, den Sesseln ist eine reiche Bescherung an Toilettegegenständen, Kleidern, Hüten und so weiter ausgelegt. Gräfin Laßwitz beschäftigt sich mit dem Ordnen der Blumenspenden, Schmucksachen, Albums und Bücher, welche den Tisch bedecken. Emma, in einfachem dunklem Morgenanzug, tritt ein. Sie ist schön und anmutig, sehr ruhig in ihren Bewegungen und in ihrer Sprechweise. Seelenfrieden, innere Klarheit drücken sich in ihrem Wesen aus.

Gräfin: Dein Geburtstag, liebes Kind, wir gratulieren.

Emma küßt ihr beide Hände: Dank und aber Dank! Die Geschenke betrachtend: Alles wunderbar. Ja, das bist du; eine solche Wahl triffst nur du . . . Wie dir das alles ähnlich sieht. Meiner Treu! . . . wenn ich diesen Reithut auf dem Kopfe der Kaiserin von China sähe, rief ich aus: Den hat Ihnen, Majestät, meine Großmutter geschenkt! Umarmt die Gräfin.

Gräfin: Ach – geh!

Emma: Und von wem die Blumen?

Gräfin: Diese von Berg.

Emma: Der gute Alte!

Gräfin: Die von Tal.

Emma: Freuen mich nicht.

Gräfin: Die von Hügel.

Emma: Da hätten wir ja die Landschaft beisammen. Kein Achenbach, leider. Sie nimmt ein Schmuckkästchen vom Tisch. Diamanten . . . leichtsinnige Großmutter, nun gar Diamanten . . . die darf ich ja nicht tragen, ich alte Jungfer.

Gräfin: So warten wir, bis aus der alten Jungfer eine junge Frau wird.

Emma: Pst! Heute spricht man nicht von unangenehmen Dingen – nur von dir, von deiner Großmut. Sie mustert die Geschenke von neuem. – Es ist wirklich und wahrhaftig zuviel.

Gräfin: Ich habe für drei zu geben, vergiß das nicht.

Emma: Wie sollt ich? Du hast mir nie etwas Gutes getan, ohne zu sagen: Im Namen deiner armen verstorbenen Eltern. Sie führt die Gräfin zu dem Kanapee im Vordergrund, nimmt auf dem Sessel Platz, ergreift beide Hände der Gräfin. Verzogen aber hast du mich in deinem eigenen Namen.

Gräfin: Verzogen?

Emma: Du hast mir das Leben zu angenehm gemacht, zu schön, zu leicht . . . Großmutter, sag einmal: Wie alt war ich, als mir mein Vater starb und bald darauf meine Mutter? Drei Jahre – nicht?

Gräfin: Ungefähr.

Emma: So bin ich nun seit einundzwanzig Jahren bei dir. Sie sind mir vergangen wie ein Tag, aber was nützt das? Auch wenn man unvermerkt alt geworden, alt ist man doch.

Gräfin: Mit vierundzwanzig?

Emma: Als ich sechzehn war und Damen in meinen jetzigen Jahren auf den Bällen herumhüpfen sah, dachte ich: Was wollen denn diese alten Schachteln, wollen sie sich vielleicht einen Mann ertanzen? . . .

Gräfin: Das hast du nicht notwendig. Die Bewerber kommen uns ins Haus.

Emma: Gott weiß es. Was für Menschen!

Gräfin: Nun, nun, Rüdiger befindet sich unter ihnen, und der liebt dich, nicht dein Geld.

Emma: Möglich, weil er selbst genug hat. Aber, Großmutter, er ist ein Familiengötze.

Gräfin ungeduldig: Das sagst du immer; was meinst du eigentlich damit?

Emma: Was soll ich anderes meinen als einen Menschen, mit dem seine Verwandten Abgötterei treiben?

Gräfin wie oben: Sie tun es, weil er es verdient.

Emma: Niemand verdient Abgötterei, am wenigsten derjenige, der sie duldet.

Gräfin: Woher hast du diese Phrase?

Emma drückt den Zeigefinger an die Stirn: Ich hab's daher, und deshalb ist es keine Phrase. Denk einmal darüber nach – wodurch hat sich Rüdiger die Anbetung seiner Familie zugezogen? Durch eitel negative Tugenden. Er hat nie Schulden, nie einen Rausch, nie ein Duell gehabt. Er bringt seine Tage im Büro und zwei Abende in der Woche bei seiner Mutter zu, umgeben von Tanten und Schwestern und Basen, und die Damen alle schwingen Weihrauchfässer. Ach, der einzige Sohn, Neffe, Bruder, Vetter! Ach, der einzige überhaupt! Wo gibt es noch seinesgleichen? Ach, und wo weilt sie, die Glückliche, die er erwählen und einführen wird in den Kreis seiner Priesterinnen, damit auch sie das Weihrauchfaß ergreife und . . .

Gräfin: Schweige! – einen vortrefflichen Menschen verspotten hören ist mir überhaupt unangenehm; von dir aber tut es mir weh. Er liebt dich mit beispielloser Treue, obwohl, faßt sie scharf ins Auge: wenigstens scheinbar, unerwidert.

Emma nach einer Pause, sehr ernst: Auch ich habe jahrelang so geliebt und bin mit dieser Liebe fertiggeworden. Er soll mir's nachmachen!

Gräfin: Kind, überlege, bevor du diesen Mann abweisest. Überlege, was das ist, unter dem Schutz und Schirm eines solchen Mannes zu stehen.

Emma: Gute Großmutter, ein Götze ist niemandem ein Schirm, der braucht selbst Schirme . . . Gräfin will sprechen, sie kommt ihr zuvor: Laß mich eine alte Jungfer bleiben; wie soll ich heiraten? – Ich kann ja nicht mehr lieben. Marko war für mich der Inbegriff aller männlichen Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, er hatte alle Vorzüge, die ich bewundere, alle Fehler, die mir verzeihlich scheinen. Wir sind als Nachbarskinder aufgewachsen, und schon meine Wärterin hatte mir gesagt: »Der Graf Marko ist Ihr zukünftiger Bräutigam.« Dergleichen merkt man sich, und so liebte ich ihn denn wie einen Bräutigam. Er hingegen liebte mich, wie man eine Schwester liebt, und heiratete meine Freundin.

Gräfin: Die er recht unglücklich gemacht hat.

Emma: Oder sie ihn – wer weiß es? Nach einer langen Pause: Nun ist er Witwer seit drei Jahren.

Gräfin: Jawohl, und vergräbt sich in Kroatien auf dem Gute seiner Verstorbenen und überläßt die Verwaltung seines schönen Waldsee den Beamten, die dort wirtschaften, daß es ein Graus und schlechtes Beispiel ist für die ganze Nachbarschaft. Ich halte es, weiß Gott, für Unrecht zu verpachten: Hast du den Genuß, habe die Plage. – Aber die Waldseer Anarchie an der Grenze könnte sogar mich verleiten, ein Unrecht zu tun. Das hätte dann dieser Herr Marko auf dem Gewissen.

Emma: Wie bös du ihm bist! beinahe noch so böse wie in jener Zeit, da ich ihn liebte und, lachend: unendlich unglücklich war.

Gräfin: Du hast jetzt gut lachen; in deinen Backfischjahren hast du mich oft genug nervös gemacht mit deinem Hirngespinst von einer Liebe, die von ihrem Gegenstand nicht einmal zur Kenntnis genommen wurde. Viel Torheit habe ich kennengelernt, eine so große wie diese Liebe nicht. Gott sei Dank starb die unirdische endlich doch eines irdischen Todes – sie verhungerte. Ohne jede Nahrung kann sogar die geistigste Liebe nicht leben. Aber, mein Kind, ganz geheilt von der einzigen Krankheit, welche dich jemals heimgesucht, wirst du dann erst sein, wenn du den Entschluß fassest . . .

Emma legt beide Hände um den Hals der Gräfin, sieht ihr in die Augen: . . . die Frau Rüdigers zu werden. Er ist einmal dein Liebling, dieser Verführer aller Großmütter.

Gräfin sucht sich vergeblich von ihr loszumachen: Laß doch.

Emma: Nein, du mußt die Wahrheit hören. Ihr seid im Irrtum, wenn ihr meint eure Schwachheit verbergen zu können. Man sieht eure Augen leuchten, sooft der Name Rüdiger ausgesprochen wird.

Gräfin wie oben: Närrin! Närrin!

Emma umarmt sie und läßt sie los: Verzeih! Auch ich werde einmal sechzig, und dann wird es mir ergehen wie euch. Wenn ich das bedenke, bin ich imstande und nehme ihn; man muß für seine alten Tage sorgen.

Diener meldend: Graf Rüdiger.

Gräfin: Da siehst du nun. Rückt die Haube zurecht. Zum Diener: Sehr angenehm. Diener ab.

Emma seufzt: Ach Gott! Steht auf, geht zum Tische und macht sich mit den Geschenken zu tun.

Gräfin: Emma, wenn er sich heute erklärte?

Emma: Geschähe es zum drittenmal. Wir werden doch unsere Fassung bewahren bei einem nicht mehr ungewöhnlichen Ereignis.

Hermann Rüdiger, ein Bukett in der Hand, tritt ein. Er ist fünfunddreißig Jahre alt, mittelgroß, blond, fett, sorgfältig gekleidet, hat ein hübsches Gesicht, trägt einen Vollbart, wiegt sich beim Gehen ein wenig in den Hüften. Sein Wesen drückt Selbstvertrauen aus, ist aber nicht frei von einiger Befangenheit; es verdirbt ihm die Laune, sobald ihm diese zum Bewußtsein kommt. Er verneigt sich vor beiden Damen und ist im Begriff, auf Emma zuzugehen. Sie bleibt regungslos und lächelnd am Tische stehen. Er, allmählich die Haltung verlierend, hemmt den Schritt.

Gräfin: Grüß Gott, mein lieber Rüdiger.

Rüdiger: Frau Gräfin. Nach kurzer Überlegung wendet er sich, geht auf sie zu und überreicht ihr den Blumenstrauß. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Glückwunsch zum Geburtstage Ihrer Enkelin darzubringen.

Gräfin: Mir? Oh, ich bin sehr überrascht und nehme ihn freudig an.

Emma: Bravo, Graf Rüdiger, das haben Sie gut gemacht. Geht auf ihn zu und bietet ihm die Hand. Er, nach einigem Zögern, reicht ihr zwei Finger, die er schnell zurückzieht. Ich freue mich jetzt schon auf den Geburtstag meiner Großmutter, da bekomme ich ein Bukett. Gräfin ist aufgestanden, stellt die Blumen in eine Vase und bleibt während der nächstfolgenden Reden im Hintergrund.

Rüdiger verstimmt: Sie loben mich – ein Glück, das mir selten widerfährt.

Emma: Wie Sie das sagen, wie vorwurfsvoll! als hätte ich eine heilige Pflicht versäumt.

Rüdiger: Von Pflicht ist nicht die Rede, ich glaube nur auf mehr Rücksicht Anspruch machen zu sollen, als ich von Ihnen erfahre. Ein andrer Mann . . .

Emma: Lieber Graf, ich bin heute ausnehmend friedlich gestimmt und bereit, jedes begangene Unrecht einzusehen, noch mehr: es zu bekennen. Treuherzig: Mein Undank gegen Sie ist groß.

Rüdiger: Jawohl.

Gräfin auf ihrem früheren Platz, hat eine Arbeit zur Hand genommen: Jawohl.

Emma sieht sie mißbilligend an: Nicht Partei nehmen! Zu Rüdiger ernsthaft: Ich mache mir Ihretwegen manchmal Vorwürfe.

Rüdiger ebenso: Nur manchmal?

Emma: Das ist Ihnen zu wenig? Nun, sehen Sie, nicht herauskommen aus der Hölle der Gewissensqualen, das wäre wieder mir zuviel. Sie lacht.

Rüdiger: Ich würde gern mit Ihnen lachen, ich lache gern über gute Scherze, aber die Ihren . . . Er zuckt die Achseln.

Emma: Sind nicht gut. Verstehe ich mich aufs Gedankenerraten, was?

Rüdiger sieht sie vorwurfsvoll an. Nach einer Pause: Nein, so kann es nicht länger fortgehen. Wir müssen ein Ende machen, wir müssen uns endlich einmal aussprechen.

Emma: Endlich einmal? Wir tun seit drei Jahren nichts anderes.

Rüdiger: Und wo bleibt das Resultat? Wir wollen heute zu einem Resultat kommen.

Emma: Wie wär's, wenn wir uns setzten?

Gräfin zu Rüdiger: Hierher, mein lieber Freund. Weist ihm einen Platz an ihrer Seite an.

Gräfin rechts, Rüdiger links auf dem Kanapee, Emma ihnen gegenüber. Sie hat sich schräg auf den Sessel gesetzt und kreuzt die Arme über dessen Lehne.

Emma: Da seid ihr schon wieder zwei gegen mich. Ist das schön von Ihnen, Graf Rüdiger, sich einer Claque zu versichern, bevor Sie Ihre Philippika gegen ein armes schwaches Weib eröffnen?

Gräfin: Hör endlich auf mit deinen unzeitigen Spaßen.

Emma: Gern, sie kommen mir ohnehin nicht vom Herzen.

Rüdiger: Dann begreife ich nicht . . . Gräfin, ich würde einem Manne, wie ich bin, anders begegnen . . . Einem Manne, der mit solcher Treue, solcher Beständigkeit . . . Die Stimme versagt ihm.

Gräfin legt die Hand auf seine Schulter: Lieber Rüdiger . . .

Emma zugleich: Lieber Graf, wenn Sie glauben, daß ich Sie nicht zu schätzen weiß, dann irren Sie.

Rüdiger, der sich wieder gesammelt hat: Nun, Gräfin, wenn ich jemanden zu schätzen wüßte, würde ich ihn nicht unglücklich machen, ich würde mich bemühen, seine Gefühle zu erwidern.

Emma: Wer sagt Ihnen, daß ich nicht versucht habe, mich zu bemühen?

Rüdiger: Oh, dann fahren Sie fort – etwas guten Willen, und es wird gehen. Meine Mutter, meine Tanten, meine Schwestern wären glücklich . . .

Gräfin: Auch ich wäre es.

Rüdiger: Auch Ihre Großmutter, auch sie – ach, wie glücklich wäre ich selbst, wenn ich meine Großmutter glücklich machen könnte.

Emma lacht.

Gräfin: Emma! Emma!

Rüdiger zugleich:Jetzt lacht sie wieder.

Emma: Aber nein. Mit Entschluß: Sie sind ein gutmütiger Mensch, Graf Rüdiger, Sie sind auch treu, sind vernünftig, ich glaube, daß es sich mit Ihnen leben ließe . . .

Rüdiger will aufspringen: Gräfin Emma!

Gräfin zugleich: O mein Kind!

Emma: Bleiben Sie sitzen; ich bin noch nicht fertig: leben ließe – vorausgesetzt, daß Sie sich einer Zumutung fügen würden . . .

Rüdiger stutzt: Zumutung?

Emma: Ja. – In der Bibel steht, der Mann soll Mutter, Tanten, Basen und Schwestern verlassen und dem Weibe nachfolgen.

Rüdiger: Ich habe die Stelle anders zitieren gehört.

Emma: Sie wird eben meistens falsch zitiert.

Rüdiger nach langer Überlegung ängstlich: Sie fordern es, ich weiß nicht, was ich . . . das heißt, ich würde so etwas nicht von mir verlangen, wenn aber Sie das Herz dazu haben – soll es geschehen.

Gräfin in hellem Entzücken: Rüdiger, Sie sind ein edler Mensch!

Rüdiger einigermaßen betroffen: Wir werden uns jedenfalls noch darüber aussprechen.

Emma: O weh!

Gräfin streng: Was sagst du?

Emma: Ich frage Sie, Graf Rüdiger, wenn Sie sich entschlössen, mir zu Ehren auf den größten Reichtum an Liebe, den Sie besitzen, zu verzichten, was dann?

Rüdiger: Dann würde ich auf Ersatz hoffen.

Gräfin: Sie würden ihn fordern dürfen.

Emma: Ganz richtig. Es könnte aber sein, daß ich nicht imstande wäre, dieser Anforderung zu genügen.

Rüdiger außer sich: Und Sie werden es nicht imstande sein. Welch ein Narr bin ich – ein anderer hätte längst – aber auch ich sehe es endlich ein: Sie sind unfähig zu lieben, sind eiskalt, und im Grunde muß man Sie bedauern.

Gräfin: Jawohl, bedauern.

Emma: Weil ich unfähig bin zu lieben? Das ist nicht der Fall. Unter allen Umständen müßte ich Ihnen ja das Geständnis machen – ich habe eine große Liebe in meinem Leben gehabt.

Gräfin räuspert sich.

Rüdiger zu ihr, betroffen, tonlos: Jetzt hat sie auch eine große Liebe gehabt!

Gräfin zu Emma: Du bist lächerlich.

Rüdiger: Ich bitte – ich muß um nähere Erklärung bitten.

Emma herzlich: Ich werde Ihnen jetzt weh tun, Graf Rüdiger, verzeihen Sie mir im voraus. Sie reicht ihm über den Tisch die Hand, er verweigert ihr die seine. Soweit ich mich zurückerinnere, erinnere ich mich geliebt zu haben, innig, vertrauensselig, der Gegenliebe überzeugt. Diese meine Großmutter sagte oft zu mir: Welche Torheit, mein Kind, du setzest dir jemanden in den Kopf, der nicht an dich denkt. Trotz dieser Warnung . . .

Rüdiger fällt ihr ins Wort: . . . fuhren Sie fort, ins Blaue hinein zu schwärmen – für Marko! . . . Inkommodieren Sie sich nicht weiter. Von dieser Kinderei wußte ich und habe nur deshalb nie mit Ihnen darüber gesprochen, weil sie mir denn doch als ein schon gar zu lange überwundener Standpunkt erschien.

Emma: So?

Rüdiger: Ja, so! Und wenn das nicht der Fall wäre, mit Marko würde ich's aufnehmen – dem guten Marko!

Gräfin zuversichtlich: Tun Sie's nur. Daß die Wahl zwischen ihm und Ihnen meiner Emma heut noch schwer würde, glaube ich nicht.

Emma sieht ihr in die Augen: Auch ich nicht.

Rüdiger sie mißverstehend: Jedenfalls haben Sie Gelegenheit, Vergleiche anzustellen; Marko ist hier.

Emma mit Selbstbeherrschung: Seit wann?

Rüdiger: Seit gestern. Immer derselbe, immer noch im Prozeß mit seinem Onkel und ehemaligen Vormund. Sieht übrigens recht übel aus.

Gräfin: Die Trauer um seine Frau.

Rüdiger: Oder die Vorwürfe, die ihm sein Gewissen ihretwegen macht, wenn ich annehmen will, daß er eins hat.

Diener meldet: Graf Laßwitz.

Gräfin: Da haben wir's.

Marko tritt ein. Er ist groß und schlank, etwas nachlässig in seinem Benehmen und in seiner Kleidung. Die Züge des gebräunten Gesichts sind unregelmäßig, die strengen blauen Augen von kräftigen Brauen überschattet. Schnurr- und Backenbart sind kurz gehalten, das dichte, leicht ergraute Haar, das inmitten der Stirn eine Spitze bildet, ist kurz geschoren. Er geht auf die Gräfin zu, küßt ihr die Hand: Grüß Gott, Tante. Wie geht's?

Gräfin kühl: Ich danke dir, gut.

Marko: Sie sehen auch gut aus, was mich freut. Wendet sich zu Emma: Und wie steht's mit dir, Kusine?

Emma ruhig und freundlich: Gleichfalls gut – was dich gleichfalls freut.

Marko: Vom Herzen. Zu Rüdiger: Guten Tag, Hermann.

Rüdiger gespreizt: Habe die Ehre.

Emma wie oben: Höre, Marko, das Vergnügen, zu erfahren, daß wir uns wohlbefinden, hättest du dir früher verschaffen können. Nimm Platz. Sie nähert sich dem Sessel, den sie früher eingenommen hat. Rüdiger will denselben für sie zurechtrücken, sie kommt ihm zuvor, ohne seine Absicht bemerkt zu haben. Tief verletzt kehrt er zum Kanapee zurück und setzt sich wieder neben die Gräfin.

Marko vergebens nach einem unbesetzten Sessel suchend: Alles vergriffen. Was bedeutet diese Ausstellung? Ist denn heute? . . . Schlägt sich vor die Stirn. Zwölfter Mai. Dein Geburtstag, Emma. Verzeih, ich hätte mich dessen erinnern sollen.

Gräfin: Warum denn auf einmal – da es in Jahren nicht geschah?

Marko: In Jahren – ganz richtig. Aber wenn ich auch nicht schrieb, ich erinnerte mich an jedem zwölften Mai, daß dieser Tag durch unsere ganze Jugendzeit der schönste im Jahre gewesen. Er befreit einen Fauteuil von den daraufliegenden Gegenständen und läßt sich neben dem großen Tisch nieder, auf den er den Ellbogen stützt.

Emma wendet den Kopf nach ihm: Weißt du noch? Das waren Feste! Weißt du noch den Ball der Dorfkinder im Garten, bei dem ich immer sitzenblieb, weil meine Tänzer vom Büfett nicht wegzubringen waren?

Marko: Ja, ja, und damals, wo ich an der Spitze eines Bauern-Banderiums in den Schloßhof geritten kam und mein Pferd vor den Fahnen auf dem Balkon scheute und mich abwarf angesichts der bestürzten Gäste und des lachenden Volkes.

Emma: Und du auf einen Jagdhund fielst, der mit verzweiflungsvollem Geheul entfloh.

Marko: Ich hegte Selbstmordgedanken nach dem Sturze – das Feuerwerk zerstreute sie.

Emma: Mir machte das Feuerwerk immer das geringste Vergnügen, denn sobald es abgebrannt war, hieß es: Das Fest ist aus, geh schlafen! . . . Aber vom Morgen des dreizehnten an begann ich mich auf den nächsten zwölften Mai zu freuen.

Marko zur Gräfin: Es ist merkwürdig, Tante; da sind wir so lange Zeit außer allem Verkehr gestanden – nun bin ich wieder bei Ihnen, und mir ist, als hätte ich Sie gestern verlassen.

Rüdiger: Merkwürdig.

Gräfin: In der Tat. Ich empfinde dir gegenüber anders. Lieber Marko, jemand, der seine ganze Kinder- und Jugendzeit hindurch in dem Hause einer entfernten Verwandten aufgenommen war wie ein Sohn . . .

Marko durchdrungen: Ja, ja, das war ich.

Gräfin ohne sich unterbrechen zu lassen: . . . aus Teilnahme mit seinen unglücklichen Verhältnissen, denn seine Mutter war tot und sein Stiefvater und zugleich Vormund ein harter, ein – unredlicher Mann. Die Verwandte nahm das Herz des Jünglings in ihre Obhut, sie wollte nicht, daß es verbittere.

Marko: In der Gefahr befand ich mich nie, weil nur die Schwachen verbittern.

Rüdiger empfindlich: Wenn das eine Anzüglichkeit sein soll . . . wenn vielleicht ich gemeint bin . . .

Emma lacht auf.

Marko mit ehrlicher Verwunderung: Du, Hochgelobter? Stolz und Glück der Deinen, wirst dich doch nicht getroffen fühlen, wenn man von verbitterten Menschen spricht? Er steht auf und wendet sich an die Gräfin: Fahre fort, Tante, in deiner Anklage, die ja berechtigt ist und lautet: Ich, deine entfernte Verwandte, war zugleich die einzige, welche dir Wohlwollen zeigte; die einzige, welche dein Vertrauen besaß. Warum entzogst du es mir in dem Augenblick, in welchem du dein eigenes Haus gegründet hast? Warum hörte ich seitdem nicht mehr von dir als jeder Fremde, dem du schicklichkeitshalber die Geburt einer Tochter und ein paar Jahre darauf den Tod deiner Frau anzeigtest? Nachdenklich: Ja, warum? . . .

Gräfin: Warum? – Sprich! Nun?

Marko zögert.

Emma: Lassen wir's bis später, bis . . .

Rüdiger: Bis wir en famille sind, wollen Sie sagen. Sagen Sie es doch! oder auch nicht – es wäre überflüssig – ich verstehe erhebt sich und empfehle mich.

Gräfin seine Hand ergreifend: Lieber Rüdiger, was fällt Ihnen ein? En famille heißt: in Ihrer Gegenwart.

Marko unangenehm überrascht: In seiner Gegenwart? . . . Sieht erst Emma, die seinen Blick ruhig aushält, dann Rüdiger an. Nach einer Pause zu diesem: Dir ist sehr zu gratulieren.

Emma: Darüber weiß man wirklich noch nichts Bestimmtes.

Rüdiger beißt sich auf die Lippen: Nein, denn die Gräfin ist nicht – wie soll ich sagen? . . . und ich bin nicht zudringlich.

Gräfin ablenkend zu Marko: Du gehst also nach Waldsee? – Endlich!

Marko: Was sollt ich dort, solange sich mein Vormund . . .

Rüdiger fällt ihm ins Wort: Ich würde sagen: mein Vater.

Marko: Mein Stiefvater, lieber Freund; solange sich also der, mit einem Schein von Recht, die Mitregentschaft anmaßen durfte. Dieser Schein ist zerstört . . .

Rüdiger wie oben: Auf Kosten des Letzten Willens deiner Mutter. Man sagt, du habest ihr Testament angegriffen.

Marko gelassen: Es war nicht das ihre, war ihr nur zur Unterschrift vorgelegt worden, als sie schon halb bewußtlos . . . Aber lassen wir diese peinlichen Dinge. Meine Freunde werden keine Rechtfertigung in Ehrensachen von mir verlangen . . .

Emma unwillkürlich: Nein.

Marko: Ich erwarte vielmehr, daß sie für mich einstehen, wenn es etwa nötig wäre.

Rüdiger: Da kann ich dir nur wünschen, daß du in dieser Erwartung nicht getäuscht werdest. Ich an deiner Stelle, ich würde . . .

Marko tritt an ihn heran. Mit unterdrücktem Zorn: Was?

Rüdiger: Ich würde mich gefaßt machen . . .

Marko: Worauf?

Rüdiger: Nicht überall dem Wohlwollen zu begegnen, das dir soeben er deutet auf Emma entgegenkam. Will aufstehen.

Gräfin zieht ihn am Arme auf seinen Platz zurück: Ganz Ihrer Meinung, lieber Graf, aber setzen Sie sich. – Und jetzt bitte ich um eine andere Konversation. Zu Marko: Du hast ja eine Tochter, drei Jahre alt, wenn ich nicht irre.

Marko: Jawohl, erst drei Jahre.

Gräfin: Und wo ist die Kleine?

Marko: Wo sollte sie anders sein als bei mir?

Gräfin lebhaft: Bei dir, und du hast sie nicht mitgebracht? Das ist – verzeih! – wieder eine deiner Rücksichtslosigkeiten.

Marko gutmütig: Rücksichtslosigkeit nennst du das?

Gräfin: Wo seid ihr abgestiegen?

Marko: Im Hotel dir gegenüber.

Gräfin immer lebhafter: Im ersten Stock?

Marko: Jawohl.

Gräfin: Und die Kleine bewohnt das Erkerzimmer links?

Marko: Jawohl.

Emma: Sie ist es!

Gräfin: Ich kenne sie! Ich habe sie gestern am Fenster gesehen und eine Stunde lang mit ihr kokettiert. Ein Engel – aber zart –, und diesen zarten Engel legt man in ein Wirtshausbett, füttert man mit Wirtshaussuppe, während seine Großtante ihm gegenüber wohnt. Unverzeihlich! Sie hat sich erhoben, geht auf Marko zu und bleibt vor ihm stehen. Deine einzige Entschuldigung ist: du weißt nicht, was du tust.

Emma lächelnd zu Marko: Nimm das nicht übel. Meine Großmutter hat ein dreijähriges Kind am Fenster gesehen, meine Großmutter ist verliebt.

Gräfin: Unsinn! . . . Ich will die Kleine hier haben, Marko, ich werde sie gesundpflegen.

Marko: Aber, Tante, es fehlt ihr nichts.

Gräfin: Nichts? Welche Blindheit, Gott im Himmel! Sie hat ihre Mutter verloren und – es fehlt ihr nichts. Schellt erst ein-, dann zweimal. Hole sie, in einer Viertelstunde ist alles zu ihrem Empfang bereit. Zwei Zimmer neben meinem Schlafzimmer stehen zur Verfügung.

Der Diener und eine Kammerjungfer sind durch die Mitteltür eingetreten. Gräfin erteilt hastig und leise ihre Befehle und entläßt die Leute.

Emma indessen zu Marko: Was zögerst du? Deine Kleine muß zu uns kommen.

Marko: Sie muß? Etwas verlegen: Ja, das ist so eine Sache . . . Ich weiß nicht, ob sie will.

Emma: Die Dreijährige hat schon einen Willen?

Gräfin kommt in den Vordergrund zurück: Nun geh, Marko. Sie drängt ihm seinen Hut auf und geleitet ihn zur Tür.

Marko: Ich geniere mich, Tante – meine Kleine – sie ist ein wenig schlimm.

Gräfin: Mag sie sein, wie sie will, ich gewähre ihr Gastfreundschaft.

Rüdiger mitten im Zimmer, knöpft seinen Rock zu: Das täte ich wieder nicht.

Der Salon ist leer. Aus dem Vorzimmer dringt lautes Kindergeschrei. Der Diener öffnet beide Flügel der Mitteltür. Zuerst stürzt die Kammerjungfer herein, läuft durch den Salon in das Zimmer links. Marko folgt. Er trägt Dorchen auf dem Arme, die sich an seinen Hals anklammert, den Kopf an seine Schulter preßt und aus allen Kräften schreit. Die Bonne eilt ihm, die Gräfin der Bonne nach.

Marko: Wo? – wohin? Wendet sich links von der Eingangstür.

Diener vortretend, nach rechts weisend: Hierher, Herr Graf.

Marko schwenkt rasch nach rechts.

Gräfin zu der Kleinen: Nicht weinen, mein Schatz, mein Herz, nicht weinen, mein Engel!

Bonne ebenso: Pas avoir peur, ma chérie, Elise est là, Elise est là.

Diener: Aber Komtesserl, Komtesserl!

Alle links ab. Die Beschwichtigungsversuche der Gräfin und der Bonne und das Geschrei des Kindes dauern fort.

Emma aus ihrem Zimmer: Was gibt es? – Ach! der Einzug unseres Gastes. Sie blickt ins Nebenzimmer durch die offengebliebene Tür und lacht. Ein charmantes Kind, meiner Treu!

Marko kommt halb verdrießlich, halb verlegen: Ich habe es ja gesagt, daß man sie in Ruhe lassen soll. Man muß Kinder immer in Ruhe lassen. Die arme Kleine war ganz zufrieden mit ihrer Wirtshaussuppe.

Emma die ihn kopfschüttelnd angehört hat: Sie wird auch bei uns zufrieden werden. Sie geht in das Zimmer links. Einen Augenblick wird das Geschrei des Kindes lauter, dann hört es allmählich auf.

Marko hat sich gesetzt, stützt die Ellbogen auf die Knie, das Gesicht in die Hände. Als das Geschrei aufhört, hebt er den Kopf und beobachtet die Vorgänge im Nebenzimmer: Sie beruhigt sich. Sieh da, sieh da, wie ernsthaft die Kusine mit ihr spricht. Den Ton ist sie freilich nicht gewöhnt . . . Verzieht auch schon den Mund – es wird gleich wieder angehen, das Geschrei . . . O Wunder! – sie gibt ihr die Hand, sie hört ihr zu und lacht . . . Die arme Kleine, jetzt lacht sie gar. Das wird noch eine dicke Freundschaft werden zwischen den beiden.

Emma tritt langsam ein und bleibt mit gekreuzten Händen vor Marko stehen: Du hast ein schlimmes Kind, mein lieber Marko. Verstehst dich nicht auf Erziehung, scheint mir.

Marko aufstehend: Nein! – ich weiß nichts anzufangen mit gebrechlichen Wesen, ihre Schwäche imponiert mir, ich zittere vor ihrer Angst, ich halte es nicht aus vor Mitleid mit ihrem geringsten Schmerz . . . und so erfülle ich dem Kind jeden Wunsch, ihre Launen regieren mich, zornig: und die Bonne sucht mich noch zu übertreffen, und die Dienerschaft folgt unserem Beispiel, alles kriecht vor der kleinen Tyrannin, ausbrechend: und wir bilden das Kind allmählich aus zu einem würdigen Mitglied der Gesellschaft der heiligen Affen von Benares.

Emma: Ein höchst erfreuliches Erziehungsresultat.

Marko: Aber so weit soll es nicht kommen. Mein Entschluß ist gefaßt, ich gebe das Kind demnächst ins Sacré-coeur.

Emma: Wo Fremde gutmachen sollen, was der Vater an ihm gesündigt hat. Ich weiß besseren Rat: laß die Kleine bei uns.

Marko: Was dir einfällt!

Emma: Etwas sehr Praktisches. Ich verstehe mit Kindern umzugehen, ich habe das gut gelernt in unserem Kindergarten auf dem Lande.

Marko: Kindergarten? so? Etwas spöttisch: Du beschäftigst dich mit Volksbildung?

Emma: In ihren bescheidensten Anfängen.

Marko: Nun, ich werde in Waldsee eurem Beispiel folgen mit einer leichten Verbeugung: unter deiner Anleitung.

Emma: Ich bitte dich, bleiben wir bei der Stange. Gibst du uns die Kleine?

Marko: Ich denke nicht daran. Die Tante würde das bißchen Gute, das an dem Kind noch ist, bald ausgerottet haben.

Emma: Ich bin da, um dem Unfug zu steuern.

Marko: Wie lange noch? Rüdiger wird schwerlich warten, bis Dorchens Erziehung beendet ist.

Emma: Rüdiger wird vielleicht noch länger warten müssen, wenn er es überhaupt tun will.

Marko: Das heißt? . . . Was heißt das?

Emma: Daß ich ihm schon mehrmals gesagt habe: Warten Sie lieber nicht, es ist am Ende doch umsonst.

Marko: Und er setzt trotzdem seine Bewerbung fort?

Emma: Trotzdem.

Marko: Nun, der hat eine gute Portion Geduld.

Emma: Und eine gute Portion Eigensinn. Und er hat noch etwas: eine mächtige Fürsprecherin, meine Großmutter, die ihn bewundert und das unbedingteste Vertrauen in die Bravheit seines Charakters hat.

Marko: Es ist auch nicht das geringste gegen ihn einzuwenden.

Emma: Doch! seine böse Laune, seine Übelnehmerei.

Marko: Die hat allerdings zugenommen mit den Jahren. Er wird eben verwöhnt.

Emma: Dafür dank ich, das kann ich nicht brauchen – verwöhnt bin ich selbst.

Marko: Dann werdet ihr euch um so besser verstehen.

Emma: Oder um so schlechter. Übrigens sind das nebensächliche Bedenken, wenn man von einem Menschen weiß, er ist ehrenhaft und treu – und hauptsächlich, wenn man ihn liebt. Ich aber liebe ihn nicht.

Marko: Das ist kein Ehehindernis.

Emma sieht ihn aufmerksam und ernsthaft an: Seltsam, was du da behauptest. – Seltsam, meiner Treu!

Marko lacht: Du sagst noch immer: meiner Treu?

Emma: Noch immer. Ich werde meine alten Gewohnheiten nicht los.

Gräfin kommt triumphierend: Jetzt hat sie die Biskote doch gegessen, denk dir, Marko! und sie ist überhaupt der herzigste Schatz, der mir je vorgekommen ist. Sie hat »Ghoßtante« zu mir gesagt, und Elise mußte Purzelbäume machen.

Marko entrüstet zu Emma: Purzelbäume!

Gräfin: Warum nicht? sie macht das sehr anständig. Zu Emma: Und nach dir hat sie dreimal gefragt.

Emma freudig: Wirklich? hat sie wirklich nach mir gefragt? Zu Marko: Siehst du, ich war streng, ich habe sie gezankt, das war ihr etwas Neues, und das Neue verfehlt bei Kindern seine Wirkung nie. Ab nach links.

Gräfin: Ach, Marko! Ich hätte eine so große Bitte: vertraue mir Dorchen an, für ein Jahr oder zwei. In kurzer Zeit reisen wir auf das Land, dann lebt sie in deiner Nachbarschaft, du kannst sie täglich besuchen . . . Erfülle mir die Bitte, Marko, eine liebreiche Umgebung tut dem Kinde not; ihr seid so hart, ihr Männer, ihr habt keinen Begriff von der Geduld, der Zärtlichkeit, die ein Kind braucht . . . Dorchen ist unvertraut, eingeschüchtert, ärgerlich, weil er lacht: verprügelt mit einem Wort.

Marko: Verprügelt, die?

Diener kommt mit einem Briefe, den er der Gräfin überreicht: Von Herrn Grafen Rüdiger. Ab.

Gräfin: Er schreibt mir? – Liest. Sieh nur – er ist gekränkt – hat auch alle Ursache, Emma und du, ihr wart unfreundlich gegen ihn. Liest. Er will nicht mehr kommen . . . Oh! . . . Er fürchtet zu genieren, oh! oh! – Emmas Wort en famille hat ihm zu weh getan.

Marko: Sie hat es nicht ausgesprochen, er legte es ihr in den Mund.

Gräfin: Gleichviel, wir werden trachten, ihn wieder gut zu machen. Aber jetzt lebe wohl. Das Essen der Kleinen wird wohl schon serviert sein. Will gehen.

Marko: Ist das eine schwere Aufgabe, Rüdiger wieder gut zu machen?

Gräfin: Eine ungemein leichte, weil ja Güte der Grundzug seines Charakters ist.

Marko: Schade, daß seine Laune und der Grundzug seines Charakters so wenig übereinstimmen.

Gräfin: Seine Laune? es ist die eines Verliebten, der sich einbildet, nicht völlige Erwiderung zu finden. Zerstreut: Das alles vergeht, das alles gibt sich in der Ehe. Für sich: Sie ist gewiß schon bei der Suppe.

Marko: Ja, ja, ich weiß, was sich in der Ehe gibt.

Diener meldend: Der Graf Rüdiger.

Gräfin, die schon die Klinke der Tür links in der Hand hält, wendet sich: Wer?

Diener: Graf Rüdiger.

Marko: Er wollte ja nicht mehr kommen.

Gräfin, eine kleine Regung der Ungeduld niederkämpfend: Schön, sehr schön. Zum Diener: Lassen Sie ihn eintreten.

Diener: Der Herr Graf wünschen Frau Gräfin allein zu sprechen.

Gräfin: Ach was, allein! Zu Marko: Nach der Suppe kommt ein Hühnerfilet mit grünen Erbsen. Ich hätte mich so gern überzeugt, daß es ihr schmeckt.

Diener: Der Herr Graf warten.

Gräfin: Führen Sie ihn ins Kinderzimmer.

Marko: Aber, Tante, ich bitte dich nimmt seinen Hut – ich gehe.

Gräfin: Du bleibst, du rührst dich nicht von der Stelle. Wenn die Kleine nach dir riefe – was dann? Zum Diener: Führen Sie den Grafen in den gelben Salon. Diener ab.

Gräfin: Es ist ein Mißgeschick, daß der gute Rüdiger just in diesem Augenblick kommen muß. Bei Tische und vor dem Einschlafen sind Kinder am herzigsten. Ab durch die Mitte.

Marko allein.

Marko: Die Tante! sie übertrifft mich noch. Nein, kleines Dorchen, hier ist unseres Bleibens nicht. Wir reisen. – Wenn auch im Irrtum befangen, ich seh ihn ein, und das ist der erste, der wichtigste Schritt zur Befreiung.

Emma kommt von links, sie führt Dorchen an der Hand. Elise folgt mit unzufriedener Miene.

Emma: Dorchen kommt, um um Verzeihung zu bitten, daß sie so schlimm gewesen ist. Nun, du Kleine?

Dorchen: Pardon, Papa.

Marko: Pardon, das Kind sagt pardon? Das ist ja etwas Außerordentliches. Streichelt ihre Haare. Wir wollen aber auch andere Saiten aufziehen, von nun an. Mein Dorchen hat mir heute Schande gemacht.

Elise pikiert: Andere Saiten? Chande gemackt? qu'est-ce que cela veut dire?

Marko zu Elise: Ich bitte Sie, das Kind zu Bett zu bringen. Es schläft ja schon.

Elise: Viens ma chérie, viens mon petit ange.

Dorchen hält Emmas Hand fest: Avec toi, avec toi!

Emma: Brav sein, Dorchen. Nimmt sie auf den Arm und trägt sie bis zur Türe, wo Elise sie übernimmt und mit ihr abgeht.

Marko: Ich glaube wirklich, du würdest mit ihr fertigwerden.

Emma: Es wäre keine große Kunst.

Marko: Mir ist es nicht gelungen.

Emma: Ich seh's mit Staunen. Du, der schon als Jüngling die Seelenstärke eines Mannes hatte, du, der kühne Bekämpfer des Unrechts, Ritter der Vernunft – wie du dich nanntest –, du stehst unter einem sie mißt an ihrer Hand so langen Pantoffel; du hast dringend nötig, nach Hilfe zu rufen, wenn dir deine Tochter in die Nähe kommt.

Marko erhebt den Kopf, sieht sie freundlich an: Eine deiner wohlbekannten Übertreibungen. Wahrhaftig, du hast dich nicht verändert.

Emma: Semper idem. An mir erleben meine Freunde auch nach langer Trennung keine Überraschungen.

Marko: Um so besser, wenn du immer bist, wie du immer warst.

Emma: Weißt du was? – Sei nicht galant, es steht dir schlecht. Nach einer Pause: Marko – ich kann es nicht glauben, daß du wenig Rücksicht für deine arme kleine zarte Frau gehabt, daß du sie unglücklich gemacht hast.

Marko sieht finster zu Boden: Das letztere ist wahr.

Emma: Ein schlechter Dank für ihre große Liebe.

Marko springt auf: – Liebe! Liebe! . . . Wenn ich nur dieses Wort nicht mehr hören müßte!

Elise erscheint an der Tür: Monsieur, la petite dort, le moindre bruit l'éveille.

Marko leise: Elle dort? C'est bien, c'est très bien! Elise zieht sich zurück.

Marko wie oben, sieht auf die Uhr: Das ist ihr Nachmittagsschläfchen. Es dauert meistens eine Stunde. Nur still, nur still! Will mit äußerster Vorsicht den Sessel in Emmas Nähe rücken, erschrickt und horcht. Beruhigt sich. Nein, es ist nichts.

Emma mit unterdrückter Stimme: Was sagtest du vorhin? Welches Wort soll man vor dir nicht aussprechen?

Marko: Eines, das ich gar zu oft nennen hörte als Entschuldigung, als Rechtfertigung von vielem, vielem mir zugefügten Unrecht, mir auferlegter Pein. Meine arme kleine, durch ihre Schwäche gefeite Frau hat mir nicht nur das Wort, sondern auch die Empfindung, welche man damit zu bezeichnen pflegt, auf ewig verleidet . . . »Ja, mein Leben, meine Seele, ja Marko, ich quäle dich, aber – aus Liebe. Ja, ich möchte nicht eine Minute ohne dich sein, ich bin anspruchsvoll, aber – aus Liebe!«

Emma: Pst! du weckst das Kind.

Marko dämpft die Stimme: Und aus Liebe war sie eifersüchtig auf Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit, besonders auf die Vergangenheit. Es war ein Verbrechen, daß ich nicht unerfahren wie ein Mondkalb in die Ehe getreten. Ein Mann, der das Leben kennt, der Abenteuer gehabt hat, wie leicht ist es dem, eine ahnungslose Frau zu betrügen. Und er denkt und sinnt nichts anderes als Betrug. Laut und lauter: Meine Feinde wissen, daß ich ein ehrlicher Mensch bin; diejenige, deren Abgott: ich war, wußte es nicht.

Emma: Pst, pst!

Marko: Wenn ich das Haus auf ein paar Tage verließ, fühlte ich mich als eine Art Henker; ich wußte ja, meine Frau verzehrt sich daheim in Angst und Sehnsucht.

Emma: Das war krankhaft.

Marko: Krankhaft? Ja, die Liebe ist eine Krankheit.

Emma: Keine unheilbare wenigstens.

Marko: Bei meiner Frau hat sie sich als solche erwiesen.

Emma erschrocken: Marko, unheilbar – tödlich?

Marko: Nein, Gott sei Dank! so arg war es doch nicht . . . Sie starb an einem anderen Übel, sanft und ruhig, ihre Hand in der meinen.

Emma: Arme Frau!

Marko: Das habe ich immer gedacht, wenn Ungeduld mich übermannen wollte, und so lebte ich sechs Jahre hin, kämpfend zwischen Empörung und Mitleid. Und da nimmt die Tante es mir noch übel, daß ich nicht geschrieben habe. Was hätte ich schreiben sollen? Die Wahrheit – Verrat an meiner Frau. Die Unwahrheit – Verrat an euch.

Emma: Aber später, als du Witwer geworden.

Marko: Da war meine Seele betrübt. Man macht ein Wesen, von dem man geliebt wird, nicht ungestraft unglücklich. Es rächt sich, wirft einen Schatten auf das ganze Leben.

Emma: Du hast dir ja keinen Vorwurf zu machen.

Marko: Sei es, wie es sei, die Erinnerung bleibt. Steht auf. Eines, weißt du, eines wird mir immer unbegreiflich bleiben: so viele unglücklich Liebende sind durch die Kunst und die Poesie verewigt worden, laut: warum niemals die viel Bedauernswerteren – die unglücklich Geliebten?

Emma: Es ist merkwürdig; du brauchst aber deshalb nicht zu schreien.

Marko nach einer Pause, wieder leise: Daß ich niemals an euch schrieb, war kein Zeichen des Vergessens. Im Gegenteil, in meinen schlimmen Stunden gedachte ich deiner.

Emma lacht: Sehr schmeichelhaft.

Marko: In dem Sinn, in dem ich's meine, ohne Zweifel. Ich überlegte, ich sagte mir: Allein bleiben kann ich nicht. Mein Haus braucht eine Herrin, mein Kind braucht eine Mutter, mein Herz braucht einen guten Kameraden. So kam ich denn her, um dich zu fragen – ich gesteh dir's aufrichtig –, ob du die drei Ämter übernehmen willst.

Emma ruhig: Du schenkst mir viel Vertrauen.

Marko: Schenken? Du hast es von je und immer. Was meinst du, Emma, wenn ich mich vor sechs Jahren um dich beworben hätte, würdest du mich genommen haben?

Emma wie oben: Ganz gewiß.

Marko: Sehr schade, sehr schade! Wir hätten in guter Freundschaft eine friedliche Ehe geführt. Aber nein, die Freundschaft genügte mir nicht, es mußte Liebe sein. Ich mußte eine Leidenschaft fassen und einflößen. Preßt beide Hände auf die Schläfen. Vorbei! nicht mehr gutzumachen. Ich bin wieder frei, noch nicht alt, reich – ich mochte mich hinwenden, wohin ich wollte, ich fand keine, die mich nicht liebte. In Kroatien auf dem Gute ließ jedes heiratslustige Fräulein in der Nachbarschaft mich merken: Ich trage dich im Herzen. Auf der Reise hierher, welche Entdeckung – Elise liebt mich.

Emma: Du bist ein moderner Orpheus.

Marko: Ohne Leier. Unterwegs erzählte sie mir in einem fort Geschichten von Grafen, die aus unwiderstehlicher Leidenschaft Bonnen geheiratet haben. Wehmütig: Bin ich nicht ein Pechvogel? – Als ich mich entschließe, bei der einzigen, von der ich sicher weiß, die liebt mich nicht, anzufragen: Willst du den Jugendfreund zum Manne nehmen? finde ich sie halb und halb verlobt.

Emma: Dieses Hindernis wird bald behoben sein.

Marko: Was sagst du?

Emma: Aber es ist ein anderes vorhanden, das nicht wegzuräumen ist.

Marko rasch: Welches?

Gräfin und Rüdiger kommen durch die Mitte. Sie befinden sich in lebhaftem Wortwechsel.

Gräfin: Ganz und gar nicht Ihrer Meinung, mein lieber Graf. Halblaut zu Emma: Was macht sie?

Emma ebenso: Sie schläft.

Rüdiger: Ich muß dennoch dabei bleiben.

Emma: Eine Meinungsverschiedenheit zwischen euch beiden? Die Welt steht nicht mehr lang.

Gräfin zu Emma: Er findet es unverträglich mit seiner Mannesehre, seine Bewerbung um dich fortzusetzen, er findet . . .

Emma fällt ihr ins Wort. Zu Rüdiger: Sie geben mir einen Korb, Graf Rüdiger?

Rüdiger: Den ich an Ihrer Stelle nicht annehmen würde.

Emma: Ich tu's trotzdem. Seien Sie mir nicht böse. Reicht ihm die Hand, herzlich: Sie geben mir einen Korb, ich bitte um Ihre Freundschaft.

Rüdiger: Die ich Ihnen nicht gewähren kann. Verlangen Sie Freundschaft von Ihrer Großmutter, von Ihrem Vetter. Was mich betrifft – ich empfehle mich.

Emma wie früher: Leben Sie wohl, Graf Rüdiger.

Rüdiger: Das wünsche ich Ihnen. Es tut mir leid, daß ich zur Erfüllung dieses Wunsches nichts beitragen kann. Mein Wille war der beste, meine Absicht ganz uneigennützig.

Gräfin zerstreut nach der Tür links blickend: Sie sind so edel, lieber Rüdiger, immer so edel . . .

Rüdiger: Ohne mir zu schmeicheln . . . in dieser Sache . . . Zu Emma: Ihr Glück lag mir am Herzen, nicht das meine. Ich an Ihrer Stelle hätte einen Mann, der einzig und allein mein Glück im Auge hat, besser zu schätzen gewußt.

Gräfin wie oben: Lieber, lieber Graf! Zu Emma: Mir ist, als hörte ich Stimmen, sie ist vielleicht schon wach.

Rüdiger: So bleibt mir denn nichts übrig, als . . .

Gräfin wendet sich nach links: Adieu, adieu, lieber Rüdiger. Für sich: Ich werde ihn schon wieder gut machen.

Rüdiger: . . . als Sie um eine letzte Unterredung zu bitten, Frau Gräfin.

Gräfin mit Selbstüberwindung: O natürlich – mit Vergnügen.

Rüdiger verbeugt sich gespreizt vor Emma und geht mit der Gräfin durch die Mitteltür ab.

Emma: War der Mann nicht eigentlich etwas grob gegen mich?

Marko: Warum sollte er nicht grob gewesen sein, er liebt dich ja. Emma nimmt Platz auf dem kleinen Kanapee rechts, Marko auf dem Sessel links neben ihr.

Marko drückt das Gesicht in die Hände: Recht schade, recht schade!

Emma: Was meinst du?

Marko nach der Tür deutend, durch welche Rüdiger abgegangen ist: Daß nur ein Nebenhindernis weggeräumt wurde.

Emma: Ich kann's nicht ändern; das Haupthindernis bleibt.

Marko: Worin besteht es? sprich doch. Die Ungewißheit ist etwas sehr Unangenehmes.

Emma: Du bist im Irrtum über mich, Marko. Ich muß dir ein Geständnis tun: ich habe dich geliebt.

Marko rückt von ihr weg: Schrecklich! Steht auf und geht sehr bekümmert mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Sooft er an Emma vorüberkommt, richtet er abgebrochene Reden an sie: Aber nein. Lauter nachträgliche Einbildungen.

Emma immer ganz ruhig: Die reine Wahrheit, ich will dich nicht betrügen.

Marko: Wenn es gewesen wäre . . . ich hätte auch etwas davon gemerkt.

Emma: Dazu gehören zwei. Einer, der es merkt, eine, die es merken läßt.

Marko bleibt stehen: Lieben und es nicht merken lassen? Schüttelt den Kopf. Kommt nicht vor.

Emma: Im allgemeinen nicht – aber bei mir. – Ich habe eine ganz gewaltige Liebe für dich gehabt.

Marko: Habe gehabt! – Vergangene Zeit.

Emma: Wenn es aber wiederkäme?

Marko: Fürchte nur das nicht. In den ersten besten verliebst du dich eher als in einen, in den du bereits verliebt mit Nachdruck: gewesen bist.

Emma: Und das Sprichwort: »Alte Liebe rostet nicht?«

Marko: Alte Liebe ist Freundschaft. Wischt sich die Stirn. Das war auch nötig, mich so zu erschrecken. Er holt einen Sessel von dem großen Etablissement und setzt sich links, mit dem Rücken gegen die Wand. Emma – Kusine – wollen wir aufrichtig miteinander reden?

Emma: Wie denn anders?

Marko: Nun, meine Freundin – die Hindernisse wären weggeräumt. – Kennenlernen brauchen wir zwei uns nicht mehr. Ich möchte nur eins wissen: Was empfindest du jetzt für mich?

Emma: Ich empfinde für dich eine herzliche Sympathie und ein herzliches Bedauern.

Marko: Warum das?

Emma: Weil deine schönsten Jahre dir vergällt worden sind.

Marko: Emma – und – die deinen?

Emma: Still! Es schickt sich nicht, eine Dame an schöne Jahre, die vergangen sind, zu erinnern. Also das Bedauern ist gegenseitig.

Marko: Die Sympathie gleichfalls.

Emma erhebt sich ein wenig und neigt den Kopf.

Marko: Überdies hab ich vor dir eine aufrichtige Hochachtung.

Emma wie früher: Ganz mein Fall dir gegenüber.

Marko erhebt und verneigt sich: Von einem Vertrauen ohne Grenzen sprach ich dir schon – auch von meiner Sehnsucht nach einem guten Kameraden. Er hat sich wieder gesetzt, legt die gekreuzten Hände auf seine Knie und sieht Emma mit einem langen, innigen Blick an: Willst du mein guter Kamerad werden?

Emma stützt den Arm auf den Tisch und die Wange auf die Hand: Unter Bedingungen.

Marko Nenne sie.

Emma Ich trenne mich nicht von meiner Großmutter.

Marko Selbstverständlich, sie bleibt bei uns. Ferner?

Emma Ich will deine gleichgestellte Lebensgefährtin und in allen Dingen, die meinen Horizont nicht übersteigen, deine erste Instanz sein.

Marko nickt zustimmend: Das sollst du sein.

Emma Ich habe zur Demut ebensowenig Talent wie zur Lüge, ich bin nicht hilflos – lächelnd: besitze demnach kein Mittel, dir zu imponieren.

Marko Du brauchst auch keines. Mein unbedingter Glauben an dich sichert dir deine unbedingte Selbstherrlichkeit.

Emma Da wir ohne Liebe heiraten, wissen wir nichts von ihren Schmeicheleien.

Marko Ich weiß leider genug von ihnen, um sie zu verabscheuen – aber, Verehrte! ich habe so oft ja gesagt, sage auch du einmal ja. Nimmst du mich?

Emma Ja.

Marko freudig, aber ohne seinen Platz zu verlassen: Das ist der segenbringendste Augenblick meines Lebens! Unser Bund ist geschlossen.

Emma: Eine Frau – ein Wort.

Gräfin kommt durch die Mitte. Emma und Marko erheben sich.

Gräfin: Der arme Rüdiger, jetzt ist er weggegangen. Er sagt eigentlich immer dasselbe, der arme Gute!

Marko: Er tut auch immer dasselbe, deshalb zweifle ich nicht, daß er wiederkommen wird.

Gräfin: Dann will ich suchen, ihn zu versöhnen.

Emma: Zu spät, Großmutter.

Elise: auf der Schwelle: Monsieur, la petite vient de s'éveiller. Ab.

Gräfin: De s'éveiller! Will ihr nach.

Marko stellt sich vor die Tür: Verzeih! – Ich muß dir etwas sagen – Tante, mit bebender Stimme: beste Tante, ich habe die Ehre, dich um die Hand Emmas zu bitten.

Gräfin: Du? Fassungslos zu Emma: Und du?

Emma: Ich bin einverstanden.

Gräfin: wie oben: Liebst du ihn denn noch?

Marko: rasch: Wir heiraten nicht aus Liebe.

Gräfin: Sondern?

Marko: Aus Hochachtung.

Gräfin: zu Emma: Und dein Grund?

Emma: Unüberwindliche Sympathie.

Elise: kommt mit der Kleinen, die sich von ihr losreißt und auf Emma zueilt.

Dorchen: Ma cousine, ma cousine!

Emma: nimmt sie auf den Arm.

Marko zur Gräfin in bittendem Tone: Deine Zustimmung, Tante.

Gräfin zuckt die Achseln: Emma hat viel um dich gelitten, du hast gutzumachen.

Marko: Unbewußte Schuld.

Gräfin: Übrigens bin ich eine gehorsame Großmutter.

Marko stürzt auf sie zu und küßt stürmisch ihre Hand: Tante!

Emma küßt die Kleine: Dorchen!

Elise die mit wachsender Entrüstung zugesehen hat, wendet sich nach links: Et moi, je fais mes paquets! Ab.

Gräfin: blickt abwechselnd Emma und Marko an: Ihr seid mir unheimlich, ihr zwei. Hochachtung? Und er steht links, und sie steht rechts. Gebt einander zu meiner Beruhigung doch wenigstens die Hände.

Marko: Dagegen erhebt sich kein Hindernis. Ergreift Emmas Hand. Sie wird ja nicht nur mein guter Kamerad, sondern auch meine gute Frau. Er nimmt ihr das Kind vom Arm und stellt es auf den Boden. Vertraute! Freundin! Getreue! – Gib mir den Verlobungskuß.

Emma halb lachend, halb gerührt: Ist denn das notwendig ohne Liebe?

Marko: Das ist unter allen Umständen notwendig. Sie umarmen einander herzlich.

Marko hält ihre beiden Hände fest in den seinen: Die schönen Jahre sind vorbei, jetzt werden die guten kommen.

 


 << zurück weiter >>