Georg Ebers
Die Gred
Georg Ebers

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Auf dem Lager kehrte, bevor ich einschlief, alles, was das Schönste in meinem vergangenen Dasein gewesen, als sei es wieder lebendig geworden, zu mir zurück, und zu allererst sah ich mich als Rotkäpplein unter den Bäumen des Forstes mit dem Götz, wie er mir dort tausend Dienste leistete und mich allen anderen vorzog, bis er um des Trudlein willen in die Ferne ging und mir das kindische Herz in Aufruhr versetzte.

Dann kam die Lust und der Schmerz, den mir des Herdegen und der Ann Minne bereitet, und nun trat der Hans in meines Lebens Bahn, und wie gern dacht' ich sein und der Glückseligkeit, die ich ihm dankte. Doch bevor ich noch zu meines jungen Lebens schwerster Stunde gelangt war, übermannte mich der Schlaf, und im Traum trat nur des Götz in Gefahr und Todesnot gestählte Mannesgestalt vor die Seele, und er reichte mir nicht, wie es der Hans wohl gethan hätte, den Arm, nein, er schwang mich hoch auf und schritt mit mir, wie der Christophorus mit dem Kinde, sicheren Ganges auf ebenem Wege und über Abgründe fort, wohin er begehrte; ich aber ließ ihn widerstandslos und mit leisem Schauern gewähren, obzwar es mir war, als schmerze mich der Druck seiner stählernen Arme. Und weiter und weiter ging's durch den ältesten Hochwald. Dabei streiften mir die Wipfel der Bäume das Antlitz, und ich vermochte in die Nester der Adler und Wildtauben, der Elstern und Eichkätzlein zu blicken. Es war ein wundersam Wandern, obzwar mir der Odem bisweilen versagte, und so ging es fürbaz, bis ich auf einer Eiche höchstem Ast den Lorenz Abenberger gewahrte, und ich von den bösen Worten erwachte, so er mir zurief.

Hienach mied mich der Schlaf, und in Gedanken folgte ich dem Götz durch den Schneesturm. Dann sah ich im Geiste, wie in des Erbförsters Hause des Grubners Tochter, die hübsche Waldtrud, ihm das Willkommen und nach dem kalten Ritt warmen Würzwein bot, den sie ihm mit den roten Lippen kredenzte. Dabei stach es mir weh durch das Herz, und es kam mir in den Sinn, eine wie saubere Maged des Erbförsters Tochter, die nur um ein Jahr älter denn ich und nicht mit Unrecht für die schmuckste galt im ganzen Forste. Und der böse Geist der Eifersucht, der bis dahin so wenig Macht über mich besessen, daß ich gelassen zuzuschauen vermocht, wenn der Hans mit einer der Schönsten höfisch und zutraulich gekoset, raunte mir den wüsten Argwohn ins Ohr, der Götz könne in seiner kecken Kriegerart leicht um flüchtigen Minnesold bei dem hübschen und munteren Wallilein werben.

Aber bald gab mir die Erinnerung an den redlichen Blick des Herzliebsten die Ruhe zurück, und jetzt durchzuckte es mich wie ein Schreck, daß ich nun auch den Biß der Schlange verspüret, den sie Eifersucht nennen. Sollte sich selbige dannocht überall einschleichen, wo echte Minne ein Nest baut? Und stund es also, dann – und dabei überlief es mich heiß – dann wäre die Minne, die mich mit dem Hans Haller verbunden, von geringerer Art und kaum die echte gewesen!

Aber nein! Hatte sie auch ein anderes Ansehen besessen denn die neue, heißere, die ich jetzund aus früh entzündetem, lange gedämpftem Feuer in mir lodern und glühen fühlte, war sie dannocht von bester Art, treulich und fest gewesen! Wenn mich als des Hans Haller Verlobte die Eifersucht verschonet, so dankte ich solches nur dem großen und felsenfesten Zutrauen, das ich ihm billig gespendet. Und der Götz, der, um einer anderen Treue zu halten, so viel Leid und Mühsal auf sich genommen, war dessen nicht minder wert, und an mir mußte es sein, gegen den bösen Geist anzukämpfen mit aller Kraft, die mir eigen.

Noch einmal übermannte mich der Schlaf, und wie es in der Dämmerstunde mir nun wieder in den Sinn kam, was der gestrige Abend gebracht, da mußt' ich mir an die Schultern und Schläfen greifen, um mich zu vergewissern, daß ich wachen Auges einem neuen Tage entgegenschaue. Und welchem Tage! Das Herz floß mir über, da ich, wohin ich auch schaute, keine Fährnis mehr wahrnahm und nichts und gar nichts, als was wohlgeordnet und zum Austrag gekommen, als was sicher, o, so wonnesam sicher!

Dankbar und frisch wie die Lerche hob ich mich vom Lager. Da stund die Base noch ungekleidet und mit den Papierwickeln im Haar vor dem Bildnisse der Eltern, leuchtete ihnen mit dem Lämplein ins Antlitz und vertraute ihnen dabei sicherlich in aller Stille, daß ihres Lebens Arbeit und Sorge wiederum zu einem glücklichen Ausgang gediehen, und unaufhaltsam trieb es mich an ihr vielgetreu, wacker Herz, und ob, indes wir einander in den Armen hielten, auch keines ein Wort fand, war uns doch beiden bewußt, wie wir's meinten.

Da wir hienach schnell genug zum Aufbruche fertig, stieß im Soler der Magister zu uns, der auf der Base Ruf hinunter gekommen. Im buntgeblümten Morgengewande, so ihm ein gar sonderbar Ansehen verlieh, trat er vor uns, und allbereit nach meinem ersten »Grüß Gott!« rief er munter, es dünke ihn vergebene Mühe, nach dem Befinden zu fragen.

Wie er sodann alles vernommen, wußte er sich zuerst nicht zu lassen, und seine Glückwünsche flossen ihm wie eitel Honigseim von den Lippen; auch bot es ein gar ergötzlich Bild, wie er in seines Herzens Genügen von Zeit zu Zeit die Arme über der Brust zusammenschlug wie ein Holzhauer, wenn er im Winter die Hände wärmet. Urplötzlich aber gewann er ein nachdenklich Ansehen, und da die Base, indem sie der Ann gedachte, ihm gut zusprach und sagte, es sei nun einmal in der Welt so bestellet, daß wer in der Sonne stehe, seines Leibes Schatten leicht auf den anderen werfe, nickte der Magister wehmütiglich mit dem Haupte und rief: »Ein weises Wort, würdige Frau Metz! Und wer dergleichen Schatten wirft, der vollbringt es gemeinhin wider den eigenen Willen, sine ira et studio. Und aus dem Gesagten ergibt sich – gestattet den Syllogismus – daß, weil doch alles, was dem einen weh thut, dem andern zur Lust gedeihet und umgekehrt, es auch trübe Gesichter geben muß, so lang' es an fröhlichen nicht mangelt. Was mein geringes Antlitz nun angehet, sollt' ich es wohl zu den beschatteten zählen – und dannocht . . .« Hier stockte ihm plötzlich der Rede Strom; doch bevor wir uns des versahen, floß es ihm laut und baz aufbegehrend von den Lippen: »Und dannocht bin ich mit nichten bekümmert, nein, nicht im mindesten bin ich's; denn ich hab' es gefunden und wem mag es entgehen: Ihr Schatten kann nur so voll und schwarz auf mich fallen, weil sie selbst im lichtesten Sonnenglanz weilet! Und mir, mir ist es ein Leichtes, des Dunkels die Fülle zu tragen, und Ihr, Jungfrau Gred, und sie, o bleibet, bleibet stehen in der allerstrahlendsten Helle immerfort bis ans Ende!«

Dabei richtete er Blick und Hände wie aufgebaut himmelwärts, und ohne uns nur sein alt salbungsvoll »Vale« oder »Valete« zu bieten, nahm er das bunte Nachtgewand zusammen und stürmte die Treppe hinan.

Das Wetter hatte sich so übel erhalten, wie es gestern gewesen, doch ob mein Bayard auch bisweilen so tief in den Schnee trat, daß meines Gewandes Saum ihn fegte, verging mir der Ritt auf die Forstmeisterei dannocht schnell wie im Fluge.

Die Base benützte den Schlitten und kam langsam fürbaz. Da ließ ich sie denn ihres Weges schleichen und hatte sie bald überholet.

Mit dem Götz war ich gestern übereingekommen, erst mit der Mutter zu reden und ihm dann aus der Erbförsterei zu berichten, wie sie gesonnen.

Die Ann hatte daheim bleiben müssen, maßen sie bei des Herrn Kardinals Ankunft zugegen sein mußte.

In dem alten, lieben Waldhause war außer dem Thorwart niemand meines Kommens gewahr geworden.

Der Ohm hatte in aller Frühe das Roß bestiegen und war noch nicht wiedergekehret, die Muhme aber fand ich allbereit sonderbarer- und ungewohnterweise drunten voll gekleidet im Gespräch mit dem Kaplane. Vielleicht hatte ihr Hausherr ihr schon vermeldet, was ihn zu dem Erbförster getrieben, und damit hätte er mich einer schweren Pflicht entlastet; denn zog es mich auch mit aller Kraft an das Herz der teueren Frau, so dünkte es mich doch kein Leichtes, sie, die so hinfällig und von so jäher Gemütsart, auf die Glückseligkeit und den schweren Seelenkampf vorzubereiten, die ihrer harrten. Die Tafel stund zwar für sie gedecket; doch hatte sie und der Götz sich durch die schlimmen Gelübde den Zugang zu Schüssel und Becher verschlossen.

So überschritt ich denn zagend die Schwelle, und sobald sie meiner ansichtig geworden, rief sie mit heißen Wangen, so nicht nur vom Widerschein des Kaminfeuers glühten: »Die Gred, die Gred! Und wie frohgemut sie dreinschaut! Du hast den Ohm gesehen, Kind, und erkundet, was ihn hinaustrieb!«

Da versicherte ich sie denn des Gegenteiles und rief sie auf, sich mit mir zu freuen; denn das Lösegeld für den Herdegen sei völlig beisammen und – das Beste zuletzt – wir hätten günstige Botschaft über die Brüder empfangen.

Nun verlangte sie zu wissen, wann und durch wen, und solches in einer Art, als trage sie sich mit einer bestimmten Vermutung; ich aber entgegnete so gelassen wie ich vermochte, ein Pilgrim aus dem Morgenlande sei gestern gekommen, ein gar lieber und wackerer Herr, den ich auch ihr vorzuführen gedenke.

Doch weiter gelangte ich nicht; denn ihre Augen blitzten plötzlich hell auf, und ungestüm fiel sie mir in die Rede: »Kaplan, Kaplan! Was saget Ihr nun? Wie der Alte heut in der Frühe fortritt und mir in so sonderbarer Weise das Lebewohl bot, da – höre, Gred – da hat er mir gleichfalls von einem Boten aus dem Morgenlande geredet, der gestern in die Stadt eingeritten, just wie der Deine. Doch nicht über den Herdegen, sondern über ihn, ihn – über den Götz sollt' er sichere Kunde besitzen. Und wenn der Alte mir so viel vertraut, so steckt etwas Gewisses dahinter. – Nun aber, Gred, nun ich Dich sehe, – wenn ich erwäge . . .«

Hier kreischte sie plötzlich so schrill auf, daß es mir, die ich eben dem Kaplan einen bedeutsamen Blick zugeworfen, durch Mark und Bein fuhr; und bevor ich mich des versah, klammerte sich ihre schwache, hagere Hand mir um den Knöchel, und mit heiserer Stimme rief sie: »Also doch, also dannocht hältst Du etwas verborgen! Den Blick, womit Du des Kaplanes Beistand geheischet, o, ich hab' ihn gesehen! . . . Dein Zaudern . . . Und wie Du . . . Gred . . . Gred! . . . Bei Christi Wunden frag' ich Dich, Gred: Was geht da vor? Was ist's mit dem Götz? Hat er . . . Herfür, heraus mit der Wahrheit! Hat er geschrieben? – Nein? – Du schüttelst das Haupt? . . . Gnadenreiche Jungfrau! Er, er, der Götz ist auf dem Heimweg!«

Damit schlug sie die Hände vor das Antlitz; ich aber warf mich vor ihr nieder, zog ihr erst die Rechte, dann die Linke von den Augen, bedeckte beide mit Küssen und raunte ihr zu: »Ja, ja, Muhme, Mutter, süß, traut Mütterlein! Warte nur – Du sollst alles erfahren. Unser Götz ist müde des landfremden Wanderns, er hat Vater und Mutter und auch mich, sein Rotkäpplein, mit nichten vergessen . . . Ich weiß es, weiß es genau. Geduld! Nur noch ein wenig Geduld, und er wird wieder hier sein – in Deutschland, in Franken, in Nürnberg, auf der Forstmeisterei, hier, hier, wo ich kniee, zu Deinen Füßen, in Deinen Armen!«

Da fuhr die tiefergriffene Frau, die mir atemlos gelauschet, mit den Händen in die Luft, als ob sie etwas suche, und es war, als kehrten sich ihre Augensterne nach innen; mich aber erfaßte ein jäher Schreck, maßen ich wähnte, sie habe den Tod aus dem übervollen Freudenbecher getrunken, den mein Mund ihr kredenzet. Es war aber nur eine kurze Unmacht, die sie befallen, und sobald sie wiederum zu sich selbst gekommen, und ich ihr nach und nach und mit aller Fürsicht die volle Wahrheit gekündet, auch daß der Götz und ich einander gefunden und daß uns beide heiß und inniglich nach ihrem mütterlichen Segen verlange, da ward mir selbiger in reicher Fülle zu teil.

Doch nun lag es mir ob, ihr zu künden, daß der Heimgekehrte auf seinem Eidschwur bestehe, und schon hatt' ich damit begonnen, als sie die Hände schwenkte und mir eifrig ins Wort fiel: »Denkst Du, ich hätte von ihm, der ein Waldstromer und Behaim zugleich ist, eines Gelübdes Bruch jemals erwartet? Und Zeit genug zu überlegen hat er mir wahrlich gelassen! – Doch erst heute, heut in der Frühe hab' ich den rechten Ausweg gefunden, wenn er auch übeler Weiberlist gleichsieht wie ein Ei dem anderen. – Ihr kennt den aberwitzigen Schwur. Er gebeut mir, den Götz nie und nimmer heimzurufen; doch« – und nun begannen ihr die Augen gar hell und frohgemut zu blitzen – »was der Eid mir mit nichten verwehret, das ist, dem Götz entgegenzuziehen, ihn aufzusuchen, wo er auch weile.«

Da schlug der Herr Kaplan in die Hände und rief: »So hat denn wieder einmal des Weiberherzens Minne der List des Satanas eine Grube gegraben!«

Ich aber eilte hinaus, um den Schlitten rüsten zu lassen; denn mir war wohl bewußt, daß hier jede Mahnung vergebens.

Wenn sie nun, wie sie weiland der Ann zu liebe in die Stadt gefahren, in einem Hügel von warmen Hüllen verwahret worden, so vermummten wir sie heut mit einem Berg solcher Dinge, und Jung-Kubbeling ließ es sich nicht nehmen, die Rosse zu lenken.

So ging es denn fürsichtiglich auf die Erbförsterei zu, und auf dem ganzen Wege begegnete uns kein Mensch außer der Base Metz, die nur mir allein winkte, maßen sie nicht erkannte, daß unter den Pelzen und Tüchern zu meiner Seite ein lebend Menschenkind atme.

Jung-Kubbeling auf der Pritsche und die Raben, Meisen und Rotkehlchen im Walde bekamen nicht viel von uns zu vernehmen; denn während ich in banger Erwartung dem Ausgang der Begegnung zwischen Mutter und Sohn entgegenharrte, richtete ich nur von Zeit zu Zeit ein hold und ermutigend Wort an die Muhme, in das Jung-Kubbeling jedesmal mit einem überlauten: »So wird es recht sein!«, oder »Gott gesegne's Euch, vielgestrenge Frau!« einfiel. Sobald wir aber dergleichen von uns gegeben, verspürte ich jedesmal am Knie eine leise Berührung, und hienach drückte ich die Lippen auf das oberste Tuch des teueren Bündeleins an meiner Seite.

Etwa hundert Schritte vor des Erbförsters Hause schwenkt der Weg von der Straße ab und läßt sich aus den Fenstern desselben wohl überblicken, und kaum war der Schlitten in selbigen Waldpfad eingebogen, als des Grubners Thür sich öffnete, und der Waldohm mit dem Götz ins Freie trat.

Der Sohn hatte dem Vater den Arm auf die Schulter gelegt, und so schauten sie uns entgegen. Und es bot einen gar stattlichen und herzerfreuenden Anblick, wie sie dastunden, der Alte und Junge, beide von kräftigem, kernigem Schlag, beide in Wind und Wetter gestählte, wackere, treufeste Männer. Wohl war die schlanke Edeltanne über die knorrige Eiche um ein gut Stück hinausgewachsen; dafür aber hatte sich die Krone des alten Baumes in die Breite begeben. Wie des Jungen Ansehen jetzund, so war des Alten weiland gewesen, und was aus dem Sohne werden sollte, das ließ – und ich freute mich dessen – das ließ des Vaters Gestalt wohl erkennen. Nur als Eheherr versprach der Götz mit nichten in des Alten Fußtapfen zu treten, und wie ich des gedachte und der Abweisung, die ich gestern abend erfahren, färbten sich mir die Wangen noch röter denn sie ohnehin draußen in der Dezemberkälte und jetzund bei des Herzliebsten Anblick geworden.

Doch es blieb mir damals keine Zeit zu langem Erwägen; denn da hielt allbereit der Schlitten, und bevor ich mich dessen versah, hatte der Alte mich umschlungen, mir Stirn und Lippen geküsset und mich sein lieb und allertrautestes Töchterlein geheißen.

Dann aber drängte der Junge sich heran, um sich seines Rechtes teilhaftig zu machen, und wie er sich zu mir niederneigte, schlang ich ihm die Arme um den Hals; er aber hob mich, obgleich ich in Pelz und Wintergewändern eben nicht die Leichteste, wie ein Kind aus dem Schlitten, und da fanden seine Lippen wiederum die meinen. – Doch für diesmal sollte ihnen nur ein kurz und fast flüchtig Begegnen vergönnt sein; denn der Ohm hatte der Hausfrau Antlitz aus dem Päcklein auftauchen sehen und gab nun sein wohlbegründet Entsetzen laut genug kund, während die Muhme mit aller Zärtlichkeit des sehnsüchtigen, lang beraubten Mutterherzens dem wiedergefundenen Sohne seinen Namen wieder und wieder entgegenrief.

Da gab ich den Liebsten willig frei, und im nächsten Augenblick lag er im Schnee auf den Knieen, und seine zitternden Hände lösten Hülle auf Hülle von dem geliebten Haupte, wobei Jung-Kubbeling ihm von der Pritsche her mit den großen, vom Frost blauroten Händen Zofendienst leistete.

Und wieder nach wenigen Augenblicken bedeckte die Mutter des einzigen Sohnes Haupt so stürmisch und lang mit zärtlichen Küssen, bis die Kraft ihr versagte und sie erschöpft in die Kissen zurücksank.

Da bog der Götz sich zu ihr nieder, und wie er vorher die Liebste aus dem Schlitten gehoben, so that er es jetzt mit der Mutter, und indes er sie so in den Armen hielt und mit ihr dem Hause zuschritt, ohne der Hüllen zu achten, so von ihr fielen und nach und nach in langer Reihe den Boden hinter ihr bedeckten, wie Kohlen, so einem geborstenen Scheffel entquollen, rief sie mit bebender Stimme: »O Du böser, einziger Bub, Du mein Liebling und Herzensbrecher, Du wackerer, schlimmer, trauter, arger Gesell! Götz, mein Sohn, mein ein und mein alles!«

Und wie sie sodann in dem warmen Zimmer auf der alten Frau Erbförsterin Sorgenstuhl am Kamin Platz gefunden, ich sie der unnötigen Stücke entkleidet, und der Götz sich niedergelassen zu ihren Füßen, nahm sie sein Haupt in die Hände und rief: »Ich habe Dich nicht erst lange erwartet, sondern bin flugs zu Dir gekommen, mein Bub, weil ich, Du weißt ja – weil ich mich sündlich verschworen, Dich nicht heimzuberufen. Doch Gelübde und Eid hin und her! Null und nichtig sind sie! In des Herzens Tiefe hab' ich's nunmehr erfahren! Der Himmel weiß nichts von alledem, und es ist eitel Narrheit und Hoffart gewesen, und ich rufe Dich zurück, aus vollem Halse und Herzen thu' ich's und bitte Dich um Vergebung für all den Kummer, den wir einander bereitet; denn wieder haben und behalten will ich Dich und nichts weiter hienieden! Ach, und das Trudlein, die arme Maged! Inniglich, wahrhaftig willkommen wär' sie mir heute, wenn sich da nicht eine andere gefunden, die meinem Herzen von dem gesamten Weibervolk auf Gottes weiter Welt die allergenehmste!«

Da gab es denn ein gar beweglich Umhalsen und Herzen zwischen den beiden, und wie ich ihre Thränen rinnen sah, gelobte ich mir im stillen, daß, wenn sich die Augen dieser Mutter und dieses Sohnes wiederum mit Zähren füllen würden, ich die letzte sein sollte, die sie gewecket, und daß ich mich allzeit bereit halten wolle, sie dankbar und sorgsam zu trocknen.

Daß ich damals auch die schmucke Waldtrud, des Erbförsters Töchterlein, gewahret, hab' ich im Gedächtnis behalten, maßen sie mir ihren Glückwunsch recht inniglich bot; doch ist mir noch besser bewußt, daß ich nichts von Eifersucht verspürte und kaum nach ihr schaute, maßen sich da noch manche fanden, deren Anblick mir weit besseres Genügen darbot.

Es war eine köstliche, nie zu vergessende, doch nur gar kurze Stunde; denn auf des Ohms Drängen rüsteten wir uns bald zur Heimkehr. Wie nun der Götz sein Mütterlein aus des Erbförsters heißem Wohngemach in den Schlitten getragen, war ich allein zurückgeblieben, um noch etliche Tücher der Muhme zu sammeln, und bei der Umschau gewahrte ich hinter dem gewaltigen grünen Kachelofen Jung-Kubbeling, der ganz in sich versunken und mit dem Antlitz in den Händen dasaß. Auch rührte er sich nicht, bis ich ihn anrief; dann aber trocknete er mit der Pelzkappe die nassen Augen, und wie ich ihm die Hand auf die Schulter legte, schöpfte er tief Odem und sagte: »Das war ein rührsamer Morgen, Jungfer Gred; aber so wird es recht sein! Scharf angefaßt hat es mich freilich, und meines Bleibens ist nicht länger hier im Forste; sintemal es daheim auch für mich Kinder und Eniklein gibt, die des Alten überlang harren. Morgen in der Frühe brech' ich auf; denn daß ich's Euch nur vertraue: Es duldet mich nicht mehr länger fern von daheim, als eine Fahrt von Braunschweig gen Alexandrien hin und her dauert. Für eine Trennung von zweier Fahrten Länge ist das alte Herz zu weich und sehnsüchtig geworden. Doch nun noch etwas für Euch allein: Ihr werdet eines ehrenfesten Herrn Hausfrau; er aber hat des Fahrers Lust lange gekostet. Sehet Euch vor, daß Ihr ihm den eigenen Herd baz lieb und wert macht, sonst ergehet es Euch wie meiner Alten, die solches mit nichten verstanden und darum mehr allein bleibt denn es uns beiden am Morgen nach der Hochzeit geschwanet.«

Damit trat er mit mir ins Freie, und ich ließ mir seine Lehre gesagt sein, und der Götz hat mich auch nimmer auf längere Zeit verlassen, wenn es nicht notthat.

Was Jung-Kubbeling angeht, so hielt er Wort und verließ uns am folgenden Morgen; doch haben wir ihn noch manch liebes Mal wiedergesehen, und der edelste Falke in unserem Zwinger ist derjenige, welchen er uns als Hochzeitsgabe sandte; die Ann aber erhielt nach der Trauung einen schön gefärbten Pagelun als des Uhlwurmes Liebung, und der Alte hatte ihn eigens für sie unterwiesen, also daß er deutlich zu rufen verstund: »Der Uhlwurm der Ann allzeit gewärtig.«

Zwei Tage verliefen uns nun auf der Forstmeisterei, als sei das Paradies auf die Erde gekommen, und wenn es Gefahr bringt, sich eines Mannes Minne zu freuen, der viel in der Fremde geweilet, so hat es doch auch sein Gutes; denn was anderen fern und unerreichbar, das dünket ihn nahe, und die halbe Welt ist gleichsam sein eigen. Und wie verstund es der Götz, auch mich seines Besitzes teilhaftig zu machen!

Am Morgen des dritten Tages nach seiner Ankunft ritt der Herr Kardinal mit der Ann in die Forstmeisterei ein, und weil ihn des Amtes Pflichten auch noch gen Würzburg und Bamberg riefen, konnte er uns verheißen, vor dem Aufbruch nach Welschland unseren Bund mit dem priesterlichen Segen zu weihen; denn wenn es mich auch lieblich dünkte, mit dem Herdegen und der Ann gemeinsam vor den Altar zu treten, sträubte sich doch des Götz Ungeduld, die sich in der Fremde nicht eben verringert, auf meines Aeltesten Heimkehr zu warten; auch wünschte er, wir möchten eine Weile als Mann und Weib zusammengelebt haben, bevor er gen Venedig ziehe, um sich dort von dem Dienst der Republik zu befreien. Es schien ihm damals nicht rätlich, mich auf selbiger Fahrt mit sich zu nehmen; doch wie es nach der Hochzeit zum Aufbruch kam, wagte ich es getrost mit der Bitte, und daß ich ihn durch selbige mit nichten bekümmert oder erzürnet, bewies er mir deutlich, indem er sie sonder Widerrede und fröhlichen Herzens gewährte. So bin ich denn mit ihm in die große und mächtige Marcusstadt gefahren, die mit eigenen Augen zu schauen mich stets gelüstet, und wenn ich auch nimmer über das Meer kam, bin ich doch bis gen Rom gelanget und habe dort unter des Herrn Kardinals Schutz und Führung an meines Götz Seite unvergeßliche Tage genossen.

Doch alles zu seiner Zeit, und wenn es mir meine hohen Jahre gestatten, will ich auch davon ein Mehreres berichten. – Wie gut die Muhme und der Kardinal einander verstunden, läßt sich schwer beschreiben, obzwar es bisweilen auch zu minniglichen Fehden kam zwischen den beiden; auch trennte sich der ehrwürdige Herr fast schwer von der Forstmeisterei und der seltenen Frau, deren hellen und regen Geist im siechen Leibe er auch noch später zu den fürnehmsten Wundern seiner Vaterstadt zählte; doch lag es ihm ob, den Christabend bei seinem alten Mütterlein zu feiern; mich aber und den Götz hat er seinem Versprechen gemäß zusammengegeben, und er ist mir und unseren Kindern bis an das späte Ende ein günstiger und hochgeehrter Freund und Gönner gewesen.

Die Ann blieb immerdar sein Liebling, und bevor er Nürnberg verließ, setzte er ihr ein Heiratsgut aus, wie nur wenige aus den Geschlechtern ihren Töchtern zu spenden vermögen.

Der Weihnachtsabend, den wir auf der Forstmeisterei mit den Eltern, dem Herrn Kaplan und meinem lieben Pathen, dem Ohm Kristan Pfinzing, verlebten, gestaltete sich zu einem gar herrlichen und herzerquickenden Feste; doch es sollte mit der ersten Fährnis enden, so unserem jungen Minneglück in den Weg trat. Denn nachdem die anderen sich zur Ruhe begeben, und der Götz mir schon den letzten Abschiedskuß geboten, hielt er mich zurück und ersuchte mich, morgen in aller Frühe mich gerüstet zu halten, um mit ihm zu dem Zeidler Martein zu fahren, dessen alte Hausfrau seine Amme gewesen. In früheren Zeiten hatt' er selbige an jedem Weihnachtsmorgen mit kleinen Angebinden begrüßet und bis dahin noch kein Stündlein für sie gefunden. Nun würde ich seinem billigen Verlangen fast gern zugestimmt haben, wenn ich nicht unter des Herrn Kaplanes Beistand den Schulkindern heimlich ein Weihnachtslied eingelernet, um die Eltern und den Götz damit aus dem Schlafe zu wecken.

Wie er nun von mir geheischet, mich zeitig zur Fahrt bereit zu halten, bat ich ihn, sie hinauszuschieben. Solches aber war ihm mit nichten genehm, und er versetzte, das alte, wackere Weibsbild sei gewohnt, ihn in des Weihnachtsmorgens Frühe kommen zu sehen, und er habe den Besuch ohnehin zu lange verzögert.

Doch unsere Ueberraschung lag mir im Sinne, und so bat ich ihn denn freundlich, mir dannocht den Willen zu thun.

Jetzt aber zogen sich ihm die über der Nase zusammengewachsenen Brauen dräuend zusammen, und kurz und beinah' barsch gab er mir zu wissen, es werde bei seiner Bestimmung verbleiben.

Da schoß auch mir das Blut zu Häupten, und allbereit lag mir ein unwirsch Wort auf der Zunge, als ich der Abendstunde nach unserem Wiedersehen gedachte, und nun fragte ich ihn gelassen, ob er mich für unverständig oder ungut genug halte, ihn an einem frommen und gütigen Vorhaben zu hindern, wenn mich nicht ein triftiger Grund dazu zwinge. Und ich hatte die rechte Weise getroffen; denn er stutzte alsbald, das Antlitz glättete sich ihm wieder, und mit dem Rufe: »Die Weiber, die Weiber!« schüttelte er das Haupt, zog mich fest an sich, und da ich seinen Kuß inniglich erwiderte und die Kammerthür aufthat, rief er mir nach: »Wir werden morgen ja sehen; doch in jedem Fall, so früh es nur angeht!«

Wie ich hienach zur Ruhe gegangen, mußt' ich des Gesanges, den die Kinder morgen anstimmen sollten, gedenken, und dabei kam mir die eigene Schulzeit in den Sinn, und wie die Karthäuserin uns die Worte der Geschrift: »Und da die Zeit sich erfüllet,« gar trefflich gedeutet. Wohl richteten sich selbige auf etwas Besonderes, auf unseres Heilandes und Erlösers Geburt; ich aber bezog sie auf mich und den Götz und fragte mich, ob wohl etwas von allem, was mich auf dem Wege bis hieher erfreut und bekümmert, vergebens gewesen, und wie es wohl jetzt um mich stünde, wenn ich allbereit als jung und unbändig Ding, und bevor ich durch des Leidens Schule gegangen, dem Mann zu eigen geworden, den der Höchste von früh an für mich erlesen. Ja, wäre das jähe Schopperblut von damals ungezähmet mit dem stählernen Willen des Götz zusammengeraten, es hätte zwischen uns des Dreinschlagens und Funkenstiebens in Ueberfluß gegeben, und wie leicht wären Glück und Frieden dabei in Stücke gebrochen!

Mitternacht war vorbei, da ich einschlief; und in der Dämmerstunde des folgenden Morgens durchtönte die Forstmeisterei der Christnachtschorus, den die Hirten von Engelsstimmen vernommen: »Preis sei Gott in der Höh', und auf Erden Friede.«

Er erweckte auch den Götz, und wie wir hienach in den Schlitten stiegen, raunte er mir zu: »Wie ist Euer Gesang doch so auferbauend gewesen, Herzliebste! Und Du hattest recht gestern abend, und Friede soll sein auf Erden, und zu allererst zwischen mir und Dir, überall und immerdar bis ans Ende.«


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