Georg Ebers
Die Gred
Georg Ebers

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Unser Großohm und Vormund, der alte Ritter Im Hoff, hatte, so lang ich denken konnte, sich als Büßer geführet, in einem Sarge die schlummerarmen Nächte verbracht und den Löwenpart seiner großen Einkünfte an fromme Werke gewandt, um sich das Himmelsthor offen zu halten; und welche Wandlung vollzog sich an ihm durch des Kaisers Nähe!

Der aufrechte, steifnackige Herr, der sich nur in der Kirche und vor heiligen Gnadenbildern geneigt hatte, wie geschmeidig wußte er jetzt den Rücken zu krümmen! Sein blutlos Antlitz, auf dem das Lachen erstorben gewesen, schien nun eine Herberge des Lächelns geworden. Der Herzog Ernst von Oesterreich, der ungarische Graf von Gara, durch sein hohes Gemahl ein naher Blutsfreund des Kaisers, sowie desselbigen vertrauter Sekretarius Kaspar Slick, füllten nunmehr samt ihrem großen Gefolge sein weites Haus. Sobald sie ihm nahten, leuchtete es ihm wie Sternenlicht von den alten Zügen, und hatte ihm gar der Kaiser gestattet, ihm aufzuwarten, war es eitel Sonnenglanz, der sie verklärte.

Wie so aufrecht und sich wohl bewußt der eigenen Würde begegneten die anderen Herren vom Rat und aus den Geschlechtern, die sich sonst nicht scheuten, auch mit dem gemeinen Mann einen Händedruck zu tauschen, dem Königspaar, den Herzogen und anderen Großen; der Vormund aber entkleidete sich mit dem Ernst auch der Würde, und es war uns gar wohl bewußt, wonach er trachtete. Er, den eines Freiherrn Tochter um des Lebens Glück betrogen, wollte den König bestimmen, ihn an seiner Lebensbahn Ende in den Freiherrnstand zu erheben. Den Sekretarius Slick überhäufte er mit Gunst und Gaben, und da er die Huld der Majestäten mir, seinem Mündel, lächeln sah, ließ er sich jetzund herbei, mit mir zu kosen, mich sein Goldhaar und Blauaug' zu nennen und mir auf die Seele zu binden, bei dem König seines allergetreuesten und zu jedwedem Opfer bereiten Knechtes zu gedenken. Dabei fragte er schmunzelnd, wie mir der Titel und Name eines Freiherrn von Schopper-Im Hoff für den Herdegen zusagen werde?

Mich dünkte unser alter ehrlicher und edeler Name gut genug für uns drei, doch um des Bruders und der Ann willen verschwieg ich solches und nahm die Gunst des Augenblickes wahr, ihn zu bestimmen, den Herdegen frei zu geben und ihn statt der Ursula eine andere wählen zu lassen. Aber wie fuhr er da auf, wie wußte er alsbald die frostige, unnahbare Hoffart von früher wiederzufinden, mich eine fürwitzige Närrin und des eigenen Bruders Widersacherin zu schelten!

Der Sankt Susannentag war gekommen. Wir wurden zum Turniere geladen. Herzog Ernst von Oesterreich hatte den Herzog Kanthner von Oels in Schlesien in die Schranken gefordert, und außer dem Ruhme ging es um vierundsechzig Goldguldein.

Auch andere sollten stechen.

Der Königin Barbara Huld hatte mich zu ihren Frauen befohlen. Drunten traf ich mit der Ann zusammen. Ihre Mutter war daheim geblieben, weil die alte Pernhartin unpaß. Der treue Ohm Kristan Pfinzing, der auf der Burg der Bewirtung des Kaiserpaares im Namen des Rates fürstund, gab seinem »lieben Türmerlein« das Geleit und stellte es unter den Schutz etlicher Hausfrauen und Mütter. Indem die Ann eines günstigen Augenblickes wahrnahm, raunte sie mir zu: »Ich mache dem Spiel ein Ende, Gred, ich trag' es nicht länger! Allem, allem hat er zu entsagen geschworen, was mich von ihm fern hält.«

Hier wurden wir unterbrochen, und jedes suchte seinen Sitz. Noch waren die Majestäten nicht erschienen, und es gab Zeit genug, Umschau zu halten.

Die Schranken stunden mitten auf dem Markte. Die bunt behängten Gerüste, die Herren und Damen, so sie füllten, das Federnwehen, das Gefunkel des Edelgesteines, das Gleißen des Goldes und Silbers, des Sammets und der Seide Schimmern, das Kopf an Kopf der geringeren Leute auf den oberen Plätzen, die Musika und der Lärm, ja der Pferdegeruch des Turnieres treten mir wieder deutlich in das Gedächtnis; doch es sei fern von mir, des näheren zu schildern, womit männiglich vertraut ist.

Da zeigt sich der Großohm. Arm in Arm mit der Ursula schreitet er durch die Schrankenthür über den Sand, um seinen Platz auf der anderen Seite des Gerüstes zu suchen. Solches war untersaget, doch der trutzige Greis nahm sich's heraus. Der Ursula war es eben recht, gesehen zu werden. Wie der alte Herr lächelte, wie fürnehm er daherging und wie gut ihm der silberne Panzer mit dem güldenen springenden Im Hoff-Löwen ließ. Helm und Panzer waren für seinen besonderen Bedarf aus feinstem Silber- und Goldblech geschmiedet, und geschickter, meinem Trennmesserlein zu widerstehen, denn dem Schwert und der Lanze. Dannocht freute sich männiglich des leichten Ganges eines so voll gerüsteten Greises. Auch der Tetzel schaute weniger nichtssagend drein denn gewöhnlich, und der Ursula Augen leuchteten, als habe ihr Ritter den Preis errungen.

Jetzt nahm der Großohm mich wahr, jetzt nickte und winkte er mir zu, als habe er mir eine frohe Botschaft zu künden. Der Tetzel that es ihm nach und war dabei dem blassen und müden Schatten des Alten vergleichbar. Der Ursula triumphirender Blick rief mir zu, daß sie das Ziel nun erreichet. Einem Blöden konnte nicht entgehen, was sie meinten. Der Herdegen hatte trotz der Ann in den Verspruch mit der Ursula gewilligt.

Bahn und Gerüst drehten sich vor mir im Kreise, und kaum hatten sie sich zum Stillstand bequemet, so ließ sich Base Metz schwer auf ihren Platz nieder, und auch ihr Antlitz kündete, daß ihr etwas Bedeutsames begegnet; denn bisweilen zog sie die Wangen zusammen und spitzte den Mund, als schicke sie sich an, ein Licht auszublasen. Wenn mein Blick dem ihren begegnete, brauchte sie den Fächer, um verstohlen auf den Herdegen und die Ursula zu weisen, und dabei zog sie die Achseln so hoch, daß ihr schwer und eckig Haupt mit dem großen Federaufsatz in den Schultern verschwand. Wenn es in ihrer Brust siedete und schäumte, ging es in der meinen nicht minder stürmisch her, und dannocht mußt' ich ein zufrieden, ja fröhlich Ansehen bewahren; denn das Königspaar hatte mich an seine Seite berufen, und ich mußte ihm erläutern, was es zu wissen begehrte.

Ueber den Turnierplatz breitete sich sonnig ein blauer Himmel, doch von Westen her zog es dunkel heran, und es wollte mir nur mühsam glücken, schickliche Antwort auf der Majestäten Fragen zu finden.

Während die Rosse stampften und wieherten, und die Lanzen an Schild und Harnisch prallten, ja während der österreichische und schlesische Herzog aufeinander lossprengten, und der erstere den letzteren warf, blickte ich nur selten auf die Bahn, die doch aller anderen Blicke fesselte wie mit Ketten und Banden. Die meinen waren an die Plätze gebannt, auf denen die Ursula und die Ann, der märkische Ritter Apitz von Rochow sowie der Herdegen saßen. Junker Henning von Beust hatte drunten beim Lanzenstechen Dienste zu leisten. Dem Rochow ging das Turnier über alles, doch mein Bruder sah nur die Ann. Sie wich ihm zwar aus, er aber ließ nicht von ihr mit Blicken und Reden. Die Ursula war bleicher geworden und schien nur für ihn und sein Treiben Augen zu haben. Was sich in den Pausen vollzog, war mir nicht wahrzunehmen gestattet, sintemal Aug' und Ohr sodann den Majestäten gehörten.

Jetzt sprengten wiederum zwei Ritter in die Schranken. Was kümmert' es mich, welchem Land sie entstammten, welche Wappen sie führten und was sie und ihre Rosse vermochten; mir lag anderes im Sinne!

Die Ursula und ich hatten lange in Fehde gelegen. doch heute war Barmherzigkeit alles, was ich für sie empfand, und selbige war an diesem Tage, der sie zum Siege geführet zu haben schien, noch besser am Platze, als da sie um des Herdegen Minne so brünstiglich gebetet; denn selbiger flüsterte mit der Hand auf dem Herzen der Ann vielerlei zu; sie aber hatte nun wirklich mit dem falschen Spiele gebrochen, und wie sie jetzt dem Herzliebsten mit heißer Zärtlichkeit ins Auge schaute, bog die Ursula den Fächer, als wünsche sie ihn zu zerbrechen.

Die Tetzelin als Herrin im Schopperhofe gebieten und die Ann in schwerem Herzeleid hinwelken zu sehen, das waren zwei grausam schmerzliche Denkbilder, und doch wollten sie mir fast erträglicher erscheinen denn meines herrlichen Bruders, meiner Seele Stolz, sündliche Flatterhaftigkeit und sein unbegreiflich Treiben.

Der Rat hatte dem König Sigismund achthundert Guldein, der Königin deren vierhundert, dem Schalksnarren Porro zweiunddreißig und mehreren Großen und Herren ansehnliche Geschenke als Liebung der Stadt darbieten lassen, und nachdem nun Seine Majestät in einer Pause große Freude über die getreue, offene und volle Hand seines lieben Nürnberg, dem schon sein Vater, Kaiser Carolus selig, gar hold gewesen, zu erkennen gegeben, wies er auf die Herren vom Rat, die in dem lang wallenden Haar und Bartschmuck, den dunkelen Sammetüberwürfen, so mit seinem Rauchwerk verbrämet, und den güldenen Ketten einen gar ansehnlichen und Ehrfurcht gebietenden Anblick boten, und pries ihr mannhaft und aufrecht Wesen. Einem jeden, hört' ich ihn sagen, schaue man an, daß er über Eigenes, ja in größerem Kreise als Mitregent gebiete. Jeder sei ihm ebenbürtig an Mannheit und alle beisammen ihm, dem Herrscher, ein werter Genoß.

Hienach wies er der Königin der einzelnen wohlgebildete Häupter, und ich mußte vermelden, was mir von ihrem Besitz und den Wegen ihres Handels bewußt. Mit den Hallers, so fürnehmlich mit seinem ungarischen Erblande Geschäfte trieben, war er nicht nur durch meinen Herzliebsten vertraut; selbigen allbereit neben seinem Vater im Rate zu sehen, bereitete ihm Genügen.

Seine hohe Gemahlin verglich die treffliche Ordnung, die Sauberkeit und den Wohlstand Nürnbergs mit dem kläglichen Ansehen der Städte in ihrer ungarischen Heimat. Weil sie allbereit in etliche Geschlechterhäuser und auch in das unsere einen Blick geworfen, pries sie Nürnberger Handwerk, Kunst und Reichtum, die ihresgleichen nicht hätten in der Welt, so weit sie sie kenne. Dann freute sie sich wiederum des aufrechten Ansehens der Ehrbaren vom Rate und fragte mich endlich unter etlichen anderen auch nach dem Meister Ulman Pernhart.

An diesem fiel dem fürstlichen Paare die hohe Stirn, an jenem das lange Lockenhaar, an einem dritten das helle und kluge Augenpaar sonderlich auf, bis König Sigismund dem Narren Porro die Frage stellte, welches Haupt auf den Bänken ihm gegenüber er für das weiseste und gewichtigste halte. Alsbald ließ der Schalk die blitzenden Aeuglein über die Zuschauerreihen gleiten, und wie sie von ungefähr der Honig-Henneleinlein begegneten, die auch jetzund den großen Kopf mit den Händen stützte, nahm er die Frage des Gebieters wörtlich und versetzte mit drolligem Ernst: »So mich nicht alles täuschet, ist es die Königin der Butterblumen da drüben, Herr Vetter, sintemal sie sich eines so gewichtigen Hauptes erfreut, daß sie es für und für mit den Händen stützet.«

Dabei wies er mit der Pritsche auf die Alte, die sich als Zeidlermeisterswitib kecklich auf der vordersten Reihe des Richterstandes ihr Plätzlein erbeutet, von dem aus sie in dem buttergelb leuchtenden Brokatgewand, so Base Metz ihr weiland verehret, das in den Händen ruhende Haupt weit herfürstreckte.

Das hohe Paar, das der Pritsche des Porro mit den Augen gefolget, brach nun, sobald es statt eines würdigen Ratsherrn des krummen Weibleins gewahr geworden, in ein fröhlich Lachen aus; der Schalksnarr aber neigte sich mit ehrerbietigen Bücklingen vor der Alten, und da jene die Augen des Königes und seines hohen Gemahles auf sich gerichtet und beide mit ihrer geringen Person beschäftigt sah, wähnte sie, ich habe sie etwa als Base der Ann oder als Witib ihres Gatten selig bezeichnet, der Kaiser Carolus dem Vierten vor langer Zeit die Nürnberger Bienengärten gewiesen, und ließ nun nicht ab, zu knixen und wieder zu knixen, und weil sie dabei den Kopf immer schiefer neigte und immer fester in die Hand drückte, wuchs des Königspaares Lachlust, bis viele wahrnahmen, was da vorging, Truchseß und Kämmerer das Antlitz lang zogen und der Porro endlich dem Spiele ein Ziel setzte, indem er die Alte mit etlichen Geberden begrüßte, so niemand zur Ehre gereichen.

Da mußte das verschmitzte Weiblein wohl merken, daß man Spott mit ihm treibe, und weil nicht nur die Majestäten, sondern auch die Höflinge rings um sie her sich die Seiten hielten und sie mich unter selbigen wahrnahm, hielt sie mich für die Urheberin dieses Schimpfes und warf mir so bitterböse Blicke zu, daß mir allbereit dazumal Uebeles schwante.

Nach dem Turnier sollte es großen Tanz im Fechthause geben, zu dem die kaiserlichen Majestäten, Fürsten, Ritter und Herren vom Reichstag nebst den Geschlechtern der Stadt geladen. Am nächsten Tage, dem Sanctae Clarae, wollte man bei den Tetzels den Namenstag der Frau Clar, die der Ursula Großmutter und die Aelteste der Sippe, mit einem Mittagsschmause feiern. An selbigem werde, solches flüsterte mir der Großohm zu, den der König beim Ausgang des Turniers zu sich beschieden, die Verlobung des Herdegen mit der Ursula der Freundschaft kundgethan werden. Der Alte hatte von des Herdegen Treiben mit der Ann nichts wahrgenommen, sintemal er und der alte Tetzel auf der nämlichen Seite des Gerüstes gesessen, und die hohen Federbüsche und Helme dem Blicke gewehret, ihn zu erreichen. So strahlten denn Zuversicht und Genügen ihm noch jetzt aus den Augen.

Das Turnier hatte lange gewähret, – es blieb mir kaum die nötige Zeit, mich für den Tanz neu zu kleiden. Bisher war ich in diesem Strom von Saus und Braus frisch wie ein Fisch fürbaz geschwommen; heute aber fühlt' ich mich müde. Was die Seele betroffen, der Leib empfand es mit, und am liebsten wär' ich daheim verblieben; doch nun kam mir die Frau Königin in den Sinn, die um so vieles älter, auf die männiglich schaute, von der jedermann etwas Holdes erwartete, und die in dem lastenden Ornat dannocht allem vorstund, was mich ermüdet.

Jetzt war auch ein Gewitter mit aller Macht niedergegangen, und mit der ganzen erfrischten Kreatur richtete auch ich mich auf und atmete freier.

Der Fechtsaal, der große viereckige Raum von heute, den allbereit damals Zellen für die Zuschauer von allen Seiten umgaben, war tageshell erleuchtet. Mit meinem Verlobten schritt ich, nun wieder ganz froh, im polnischen Tanze dahin, den das Kaiserpaar führte. Die Mutter der Ann hatte auch jetzt um der alten Meisterin willen daheim bleiben müssen, und meine Freundin stund unter dem Schutze der Base. Sie wurde von dem Junker Henning geleitet, sein Landsmann, der Ritter Apitz von Rochow, führte die Ursula und umwarb sie wiederum mit feurigem Eifer. Der Böhme Franz von Welemisl, der doch sonst wie ihr Schatten und abermals bei den Tetzels Herberge genommen, hatte, vom Husten geplagt, das Haus hüten müssen. Auch meinen Bruder sucht' ich vergebens.

Jetzt war der erste Tanz zu Ende, und der Herdegen betrat mit dem Großohm den Festsaal, aber der alte Herr schaute weniger zuversichtlich drein denn am Morgen.

Die Ann war bleich, doch in dem weiß und granatroten Seidengewande, das ihr Stiefohm, der Herr Bischof, ihr durch den Kardinal Branda aus Welschland gesandt, schöner denn je. Wie ich eben ernstlich mit ihr zu reden begann, ward sie mir von dem Junker Henning entführet, und im gleichen Augenblick trat der Großohm heran, um mich zu fragen, wer das holdselige Bild adeliger Frauenschöne sei, mit dem ich eben geredet. Er hatte die Ann zum erstenmale aus der Nähe gesehen, und mit welchem Genügen kündete ich ihm nun, daß sie des Ratsherrn Pernhart Tochter und dieselbige sei, mit der mein Bruder versprochen.

Da fuhr der Alte ingrimmig auf, doch wegen all des fürnehmen Volkes, so uns umdrängte, mußte er sich Zwang anthun, und bald war er wieder verschwunden.

Das Fest ging seinen Gang, und ich sah den Bruder erst mit der Ursula tanzen, dann mit der Ann.

Jetzt stunden sie bei den Blumen, so des Saales Hintergrund umgaben, und man hätte wähnen mögen, sie seien in Zwist geraten und stritten eifrig. Es zog mich zu ihnen hin, doch die Frau Königin hatte mich in ihre Nähe befohlen und ließ nicht ab, mich nach hundert Namen und Dingen zu fragen.

Endlich, noch vor Mitternacht, verließen die Majestäten das Fest. Ich atmete auf, hing mich an den Arm meines Hans und gedachte, mich zu dem Herdegen führen und mir endlich reinen Wein schenken zu lassen; doch er kam mir zuvor, und wie schaute er drein! Die Augen blitzten, die Wangen glühten ihm heiß, den Mund hatte er fest zusammengebissen.

Eilfertig winkte er mir und dem Hans, ihm zu folgen, und bat uns stürmisch, mit ihm und seiner einzigen Herzliebsten, denn das sei die Ann, den Tanz nur auf kurze Zeit zu verlassen.

Solche Forderung weckte unser gerechtes Erstaunen, doch da wir erfuhren, daß sie in keinem Falle ihm zu folgen gedenke, es sei denn unter unserem Schutz, und daß alles für ihn daran hänge, heute noch zu wissen, wie er mit ihr stehe, thaten wir ihm den Willen.

Nun erfuhren wir auch, daß er heut in der Frühe dem Großohm und dem Jost Tetzel mit nichten sein Wort verpfändet, sondern ihnen nur verheißen, sich bis zum morgenden Tag zu entscheiden.

Bald schritt ich mit dem Hans hinter dem neu vereinten Paare her auf der Gasse fürbaz. Es war mir dabei wohlig und dankbar zu Sinne, und wenn wir die beiden einander gar trutziglich befehden sahen, machte es uns lachen, und wir kamen überein, daß der klugen Waldmuhme Rat doch zum Besten geleitet. Auch kündete ich dem Hans, ich gedenke aus alledem eine Lehre zu ziehen und mir von schmucken Junkern und Rittern weidlich hofiren zu lassen, sollt' es mich einmal etwas recht Thörichtes bei ihm durchzusetzen gelüsten.

Endlich wollte die Ann, nachdem wir den Weg zu ihres Vaters Hause etlichemal zurückgelegt, den Klopfer schwingen, doch sie ward dieser Mühe enthoben; denn eben trat die Henneleinlein heraus, die der Frau Giovanna bei der Pflege der alten Meisterin Gesellschaft geleistet. Die Laterne, die der Eppelein uns vorantrug, war keine Sonne, und dannocht zeigte sie mir deutlich genug der Alten giftigen Blick; – und ein wie grimmer Hohn klang aus ihrer Rede! Jeglicher empfing sein voll gemessen Teil, auch mein Hans, dem sie zurief: »Haltet das Bräutlein von dem Porro fern, mein Herr Haller; denn es schicket sich übel für eines Ratsherren künftige Hausfrau, mit den Narren gemeine Sache zu machen! Immerhin ist Lachen besser denn Weinen, und wohl dem, der zuletzt lacht!«

Damit kicherte sie auf, nickte der Ann höhnisch zu und wandte uns den Rücken.

Im Hause des Meisters war alles still, er selbst wohl zur Ruhe gegangen. Dannocht traten wir aus des Herdegen Wink ihm nach auf den Soler, und dort zog er die Ann ans Herz und meldete uns, er sei wiederum ganz und für alle Ewigkeit mit ihr einig.

Hienach folgte eine Umarmung der anderen, doch am längsten ruhte die Freundin an meiner Brust und flüsterte mir dabei zu, daß sie so glückselig sei, wie sie es nimmer verdienet.

Der Herdegen frug mich, ob er es nun recht gemacht, und ob ich mich ihm jetzt wieder als die alte Gred zu erweisen gedenke? Da bot ich ihm denn recht inniglich die Lippen zum Kusse, und wie vom Weine berauschet war der Verirrte, der sich selbst und sein Bestes wiedergefunden. Er wußte seiner Herzenswonne so gar keinen Rat, daß er bald mich, bald den Hans an sich zog, seinem Eppelein, der uns mit der Laterne die Lachen wies, so der Gewitterregen verursacht, vielemal auf die Schulter schlug und ihm einen vollen Beutel in die freie Linke schob, obzwar es ja von nun an mit des Großohms güldenem Segen vorbei war. Um keinen Preis wollt' er zum Tanze, zu der Ursula und den Ihren zurück, und da er uns endlich verließ, hörten wir ihn auf der Gasse, in die er abgeschwenkt, hell wie die Lerche, die sich in wenigen Stunden aufschwingen sollte, das Lied von der Minne singen, die nie in falsche Herzen kommet.

Jetzt waren wir am Ziel. Der Tanz wogte, die Musika tönte, unser Verschwinden, meinten wir, sei kaum wahrgenommen worden; doch gleich beim Eintritt fragte der Großohm mit umwölkter Stirn, wo der Herdegen verblieben, und da ich hienach von ungefähr aufwärts schaute, gewahrte ich – nein, ich täuschte mich nicht – gewahrt' ich die Henneleinlein in einer der Zuschauerzellen. Niemand sagt' es mir, und dannocht wußte ich sicher und ganz gewiß, daß mich betreffe, was sie redeten, und nun erkannte ich im dunklen Hintergrunde der Zelle den Federstutz, den die Ursula während des Tanzes getragen.

Das Herz begann mir wiederum banger zu schlagen; denn jedes Wort der Alten war sicherlich bestimmt, uns zu schaden.

Der Hans belächelte mein Bangen und der Mägede eitelen Brauch, allerhand auf sich zu münzen, was andere betreffe.

Nun zeigte die Ursula sich wiederum im Saale, und wie rauschte sie an des Junkers Henning Arm an uns vorüber!

Ein pfälzischer Ritter führte mich zum Kehraus auf, dem ich ihm allbereit früher bewilligt.

Atemlos hielten wir inne.

Das Fest war zu Ende; doch die Ursula und der Junker ließen noch nicht von einander. Gespannten Ohres lauschte er ihrer Rede, und plötzlich schlug er in ihre dargebotene Rechte, und die Augen, die er vorher grollend zu Boden gerichtet, blitzten ihm dabei hell auf. Hienach schritt er Arm in Arm mit dem Ritter von Rochow durch das Gedränge, und beide lachten und zogen sich die roten Schnurrbärte länger.

Ich hing wieder meinem Trauten am Arm und bat ihn, mich zu den märkischen Herren zu geleiten, weil es mich drängte, sie zu befragen; doch der Junker Henning schien uns geflissentlich zu meiden. Dannocht glückt' es uns endlich, ihn festzuhalten, und nachdem ich mich scherzend erkundigt, ob er die Fehde mit der Tetzelin beigelegt und Waffenstillstand oder gar guten Frieden mit ihr geschlossen, erwiderte er in einem Tone, der seiner franken und frohen Art völlig zuwider, solches liege einstweilen noch im geheimen, und wir seien schwerlich die ersten, denen er es zu vertrauen gedenke. Hienach bot er uns mit einem höfischen Gruß das Valet, doch mein Verlobter hielt ihn zurück und ersuchte ihn gelassen, ihm solcher Rede Meinung zu deuten; doch der Rochow nahm für den jüngeren Landsmann das Wort und frug in der hochfahrenden und aufbegehrenden Weise, die ihm an Geberde und Stimme eigen, ob man hier in der Heimat des Nürnberger Tandes auch Minne und Treue zu selbigem zähle.

Da unterbrach ihn der Junker Henning, und indes er einen mahnenden Blick auf mich warf, sagte er, es sei fern von ihm, einem ehrenfesten Gesellen wie meinem Hans die Freundschaft zu kündigen, bevor er ihn vernommen. – Damit reichte er meinem Bräutigam um etliches vertrauter denn vorher die Hand, verneigte sich minniglich vor mir und zog den Vetter mit sich von dannen.

Endlich stunden wir mit den Haller-Eltern und der Base im Freien. Die Alten stiegen in die Sänften, und schon leuchteten mir unsere Knechte mit Fackeln voran zu der meinen, wie meines Trauten Arm mich zurückhielt, und er mir zurief: »Da graut es im Osten! So früh waren wir nimmer beisammen, Gred, und die guten Stunden sind kostbar. Bist Du nicht zu müde, so wandern wir selbander durch den frischen Morgen bis an Dein Haus.«

Des war ich mehr denn zufrieden, und dicht an ihn geschmieget ging es nun fürbaz. Er fühlte, wie das Herz mir pochte, und da er frug, ob es die Minne sei, die es so stark bewege, bekannt' ich frei, die Brandenburger überböten alle Ritter im Reich an Trutz und Rauflust, und darum fürchte ich, es werde Händel geben zwischen dem Junker Henning und meinem Herdegen-Bruder. Doch der Hans erwiderte, wenn die Märker sich an selbigem zu reiben gedächten, könne er ihnen solches nicht wehren, nur meine er, daß es zu ihrem Schaden ausschlagen werde; denn der Herdegen habe selbst im Fechthause zu Paris kaum seinesgleichen gefunden; in jedem Falle wollten wir uns nicht die wonnige Morgenwanderung mit dergleichen verderben.

Damit zog er mich näher an sich, und indes wir langsam fürbaz schritten, schloß er mir das ganze Herz auf und bekannte, daß ihm bei seinem einsamen Leben in der Fremde immer etwas Großes gemangelt, also daß er auch unter den frohsten und liebsten Genossen und wo die schönsten Erfolge seinen Fleiß und sein Mühen gekrönet, nicht dahin gelangt sei, sich des Lebens aus vollem Herzen zu freuen. Erst durch mich und meine Minne sei er ein ganzer, voller, frohgemuter Mann geworden, auch fühle er sich erst recht gesund, seitdem mein Besitz die unnennbare Sehnsucht gestillet, an der seine Seele vormals gekranket.

Da konnt' ich ihm denn freudigen Herzens bekennen, daß es mir ähnlich ergangen, und was wir weiter geredet, das sollte wohl auch als Sang zu Laute und Mandoline gar hold und hochgemut klingen. Zwei gleich gestimmte Seelen gaben sich damals einander ganz zu erkennen und schauten in unserer Stadt engen Gassen das weite Himmelreich offen.

Auf des Schopperhauses Schwelle fanden sich auch unsere Lippen, und wie es endlich zum Abschied kam, schloß er mich noch einmal ans Herz, hielt mich so lang an der Brust wie nimmer vorher, riß sich dann los und rief mir zu, indem er mir beide Hände auf die Schultern legte und mir beim Lichte des jungen Morgens treu in die Augen schaute: »Was nun auch kommen mag, Gred, wir lieben einander und sind eins durch das andere der wahren Glückseligkeit kundig geworden, und dannocht leben wir noch in der Minne Märzenzeit, und die Maientage, an denen es am schönsten, die sollen erst kommen; doch auch unser Märzenglück, ich laß es gelten!«


 << zurück weiter >>