Georg Ebers
Die Gred
Georg Ebers

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Dreizehntes Kapitel.

Der Lenz war vergangen und der Sommer führte mich und die Ann wiederum in den grünen Forst.

Der Muhme Gebresten war nicht besser geworden, und dazu nagte an ihrem Mutterherzen des einzigen, so schön erwachsenen Sohnes Verstoßung; doch je bedürftiger sie der Pflege und Ermunterung geworden, desto mehr konnte die Ann ihr sein, desto fester schloß die sieche Frau sie ins Herz.

Der Kunz war nunmehr in Venedig. Von dem Herdegen trafen anfänglich gar zärtliche Briefe aus Padua ein, doch leider wurden sie immer seltener, und der letzte, den die Ann mir zeigte, war ein Machwerk, so mir übel behagte, maßen er zwar voll von hochklingenden Worten, dafür aber um so leerer von jeglicher Kunde über sein Leben und seines Herzens Verlangen.

Was solches bedeute, verspürte der Ann feiner Sinn und echte Minne sicherlich aufs beste; doch trotzdem ließ sie nicht ab, auf des Liebsten Treue zu bauen, oder that sie es dannocht, so wußte sie solches vor aller Welt, ja selbst vor mir, wohl zu verbergen.

Früher als sonst, am Sankt Mauritiustage, mußten wir diesmal den Wald verlassen, sintemal die Ann daheim nicht länger entbehrt werden konnte und ich sie gerade jetzt nicht allein lassen mochte.

Der Ohm Kristan gab uns das Geleit, und war er auch schon vordem der Ann hold gewesen, so hatte er in dieser langen Zeit des engen Beisammenseins sie noch weit fester ins Herz geschlossen; auch nannte er sie, seitdem er sie angestellet, ihn beim Weine vor dem »Zuviel« zu warnen, gern sein »Türmerlein«, da es ja der Türmer ist, der des Feindes Anrücken meldet.

Aber so viel Liebes der Ann im Forste widerfahren, so wenig freundlich war ihr Einzug in dem kleinen Haus an der Pegnitz; denn des entschlafenen Trudlein Vater, der Rotschmiedmeister Ulman Pernhart hatte nunmehr allen Ernstes um ihre Mutter geworben und war in der ältesten Tochter Abwesenheit so weit gediehen, daß er das Jawort erhalten.

Wohl wagte die Ann noch einmal, Frau Giovanna mit bescheidentlichen Vorstellungen anzugehen, von diesem Entschluß zu lassen, doch fiel ihr selbige um den Hals und beschwor sie, als sei die Ann die Mutter und sie das Kind, unter heißen Thränen, ihr den Willen zu lassen. Die Ann werde gewißlich nicht mehr lange im Hause verbleiben und die Kleinen hüten, wie vordem, und es liege nun einmal nicht in ihrem schwachen Vermögen, solche im Sinn und nach Wunsch des Vaters selig zu leiten. Aber gerade dazu sei der Ulman Pernhart der rechte Mann. Der Verstorbene, der ihres Freiers und seines hochwürdigen Bruders, des Herrn Bischofs, bester Schulfreund gewesen, habe große Stücke auf den Meister gehalten, und solches stärke ihr den Mut, dem Drang ihres Herzens zu folgen.

Also suchte die Mutter, bald verschämt und kosend, bald auch mit nassen Augen, das eigene Kind zu bestimmen, ihr die Sehnsucht des heißen welschen Herzens zu gute zu halten, und obzwar die Witib über die Mitte der Dreißiger hinaus und ihr Freier den Fünfzig nahe, hätte doch niemand, der dies Paar bei einander gesehen, ihrer späten Minne gespottet; denn dem venedigschen Weiblein war des Angesichtes und der Gestalt jugendliche Anmut mit schier wundersamer Treue eigen geblieben, und was den Pernhart anging, so übersah ihn sicherlich keiner, auch nicht unter vielen.

Wie er dazumal war, mocht' er wohl jedem als Musterbild eines kernfesten, aufrechten deutschen Meisters erscheinen; ja selbst eines Ritters Rüstung hätt' ihm nicht übel gelassen. Längst bevor er um Frau Giovanna geworben, hatt' ich den Herrn Plebanus von Hellfeld die Pernharts einen guten Schlag nennen hören, auf den die Stadt stolz sein dürfe, und darnach war er auf den Bruder des Meisters gekommen, der in den Dienst der heiligen Kirche getreten und früh zu bischöflichen Würden berufen worden war.

Nachdem das arge Schisma ein Ende gefunden und statt dreier Häupter nur noch eines die christliche Kirche regierte, hatte ihn Papst Martin V. zu seinem Rate erhoben und hielt ihn zu Rom zurück, allwo er zu den Gewaltigsten in der Kurie gehörte.

Obzwar nun sein guter deutscher Name Pernhart zu »Bernhardt« verwelscht worden, hatt' er doch nimmer aufgehört, an der Heimat und den Seinen zu hängen und den stattlichen Wohlstand der alten Mutter und des einzigen Bruders daheim so reichlich zu mehren, daß der Rotschmied sich ein Haus zu erbauen vermocht, so hinter denen der Geschlechter nur wenig zurückstund. In der letzten Zeit war es ihm indes zu einsam darin geworden; doch hätt' es solchen Grundes nicht bedurft, um das Aug' auf die aller Anmut reiche Witib des besten Freundes seines hochwürdigen Herrn Bruders zu richten.

Schon während die Ann noch im Forst gewesen, hatte Frau Giovanna dem Pernhart verraten, wie es mit ihrer Tochter und dem Herdegen bestellt sei, und sobald selbige wieder daheim, war der Meister darauf zu sprechen gekommen und hatte die Ann kurz und doch herzlich versichert, sie solle ihm willkommen sein in seinem Hause und dort den Platz einnehmen, der durch den Tod seines Trudlein ledig geworden; wenn sie aber einem redlichen Manne folge, werde es an ihm sein, ihr den Zuschatz zu rüsten.

Solches und anderes mehr nahm mich rechtschaffen für ihn ein, so sehr ich auch um des Herdegen willen seinem Bund mit der Witib entgegen, und wie ich ihm zum erstenmal als Verlobtem der Frau Giovanna begegnete und mir der stattliche Mann die Hand treuherzig schüttelte, und mir sodann warm und doch aufrecht für alles dankte, was ich für diejenige gethan, die seiner künftigen Hälfte liebster und köstlichster Schatz, erwiderte ich mit aufrichtiger Wärme den Druck seiner Rechten, und es kam mir mitten aus dem Herzen, wie ich ihm frei bekannte, daß ich, was mich betreffe, gern einen neuen Freund in ihm begrüße, doch leider von meinem Bruder mit nichten das Gleiche erwarte.

Solches vernahm er mit einem sonderbaren, halb bedauerlichen, halb überlegenen Lächeln, wies mir die harte, ausgearbeitete Rechte und sagte, es gäbe freilich einen ungleichen Druck, wenn sich eine Hand wie die seine mit einer so wohlgepflegten und weißen vermähle, wie sie doch wohl aus dem Sammetärmel eines Schoppers schaue; doch wie er, um zu der lieben Frau zu gelangen, der er nun einmal hold, ihr Häuflein Kinder mit in den Kauf nehme und sich ihrer endlich sogar zu freuen und ihnen ein rechter Vater zu werden gedenke, so müsse sich mein Herr Bruder, wenn seine Minne nur echt, in den Schwiegervater schicken, der nur ein geringer Mann, dessen Ehre indessen zu Gott keiner anderen nachstehe an Reinheit.

Wie nun die Rede hin und wider ging, fand ich in seinem Herzen und Kopfe weit mehr und Höheres, denn ich je von einem Handwerksmanne erwartet.

Bei häufigerem Begegnen wurden wir vertrauter mit einander, und einmal stellt' ich ihm von ungefähr die Frage, ob er dem Junker von Herzen vergeben, durch dessen Schuld er um sein Liebstes gekommen.

Da verwies er mir eifrig, den einer Schuld zu zeihen, dessen er gern und dankbaren Herzens als eines wackern und vielgetreuen Mannes gedenke; denn nicht der Vetter, sondern er selbst habe dem Liebeshandel mit dem Trudlein ein Ende bereitet.

Nachdem es nämlich zwischen dem Götz und seinen Eltern zum Bruche gekommen, sei dem Werben des treuen Freiers und seines einzigen Kindes Bitten schwer zu widerstehen gewesen. Aber bei alledem habe er dannocht der Lehre gedacht, so ihm sein Vater selig mit auf den Weg gegeben, dem Nächsten das zu ersparen, was uns Herzeleid brächte, wenn es uns widerführe. Und so habe er sich gefragt, was er dem wohl vergönnte, der sein Kind gegen seinen Willen mit einem ihm ungenehmen Freier zusammenbrächte, und weil ihm außerdem die eigene Manneswürde und der Tochter Wohl verboten, sie einem Gemahl zu vertrauen, dessen Leute ihr, statt Liebe und Nachsicht, Zurückweisung und Mißachtung zollten, sei es ihm endlich geglückt, das Herz zu verhärten und den jungen Waldstromer, der ihm lieb gewesen wie ein leiblicher Sohn, zu nötigen, von der Herzliebsten zu lassen.

Da erhob sich in mir ein sonderbarer Groll gegen den Vetter, weil er nicht alles eingesetzet, ein so holdselig Lieb zu erringen; ja, ich vermaß mich, zu bekennen, daß ich an des Trudleins Stelle auch gegen seinen Willen dem Herzliebsten gefolgt sein würde, wohin er begehret.

Nun flog das überlegene Lächeln abermals um des Ulman Pernhart bärtige Lippen, und das Auge blitzte ihm hell auf, wie er anhub: »Mein Leben bewegt sich in einem engen Kreise, doch was selbiger umschließet, das beugt mein Wille wie der Hammer das Kupfer. Seid Ihr aber der Meinung, der Junker Götz habe sich widerstandslos ergeben, dann irret Ihr weidlich; denn nachdem ich ihm das Haus gewiesen, hat er die Trud nur abwendig gemacht und war bereit, sie zu entführen, ja – möget Ihr's glauben? – meine leibliche Mutter hatte sich auf der Liebesleute Seite geschlagen! Der Priester stund auch schon bereit, sie heimlich zusammenzugeben, und ihr Wille hätte obgesiegt über den meinen; doch der Eifersucht Augen, das sind die hellsten, und mein Obergesell, der in die Maged vernarrt war, trug mir zu, was im Spiele, und da, Jungfer Gred, hat es denn Dinge gegeben, Dinge, deren ich besser geschweige; – lüstet es Euch aber, sie kennen zu lernen, so wendet Euch an meine Frau Mutter. Ihr werdet ihr begegnen, wenn Ihr es später nicht verschmäht, mein Haus zu betreten, und gewinnet Ihr ihr Zutrauen, woran ich nicht zweifle, obzwar es nicht jedem gelingt, so wird es ihr gar Genügen bereiten, mich, den leiblichen Sohn, an dem sie sonst des Guten überviel rühmet, wegen dieses traurigen Handels auch bei Euch zu verklagen.«

Selbige Rede gab dem Vetter Götz das alte Ansehen bei mir zurück, und ich wußte nun, daß der redliche Blick seiner treuen blauen Augen, der gewiß auch der schönen Trud Herz gewonnen, sich bewähret hatte und echt war.

Des Meisters Ulman Pernhart Hochzeit mit der schönen Frau Giovanna wurde in aller Stille gefeiert, und ich weiß noch, daß ich sie in der Lorenzerkirche einsegnen sah und daß man mich etliche Monde vorher zum erstenmale zum Tanz auf das Rathaus geführet. Dort tummelte ich mich gar fröhlich, nachdem das erste Bangen bald überwunden, zum Klang der rauschenden Musika, und der Tanz bereitete mir großes Genügen. Aber obzwar es mir nicht an Gespielinnen und weniger noch an Herren mangelte, so meiner begehrten, verließ mich dannocht nur selten das Gefühl, als sei ein Stück meiner selbst daheim verblieben, ja als sei ich nicht voll im Recht, solcher Lust zu genießen; denn die Brüder waren in der Fremde, und die Ann durfte meine Freude nicht teilen, und während ich mich erlustigte, that ihr das Herz weh.

Dann kam ein zweiter Tanz, ein dritter und vierter, und daheim erschien nacheinander eine ganze Reihe von jungen Herren im besten Festschmucke bei der Base Metz, und jeder ersuchte sie in seiner Weise, um mich werben zu dürfen; doch obschon sie alle von ansehnlichem Hause, und ich etlichen auch keineswegs abhold, fühlte ich doch nichts, so der Minne vergleichbar, wie ich sie mir dachte, und so gab ich allen den Laufpaß. Solches aber brachte ich fast leicht übers Herz, und die Base hat mich deswegen oft und mit gutem Rechte gescholten.

Doch ich war dazumal, und besonders in der letzten Zeit, meiner selbst kaum mächtig; denn anderer Schicksal galt mir das meiste, und ich schätzte den eigenen Wert so gering, daß es mir war, als könne mein Besitz niemand sonderlich beglücken.

Was das Leben außerdem brachte, ging wie ein Schattenspiel an mir vorüber; dann aber kam eine Zeit, in der mir das Scherzen völlig verging, und die Freier mich auf dem Tanzsaal vergeblich suchten; denn ein großes und schweres Leid war über mich gekommen.

Mit der Ann und dem Herdegen – es fällt mir heute noch sauer, solches niederzuschreiben – war alles aus und vorbei, ganz ohne ihre, ganz, ganz allein durch seine schwere, nie zu sühnende Schuld.

Doch ich will der Reihe nach berichten, wie solches gekommen:

Allbereit um Martini hörte ich durch die Base Metz, die es von dem Großohm erfahren, der Herdegen habe Padua verlassen und gedenke sich zu Paris, wohin des hochberühmten Gerson großer Geist wißbegierige Jünglinge aus allen Landen lockte, den Doktorhut zu erwerben, maßen ihm der welsche Boden eines blutigen Handels wegen zu heiß geworden unter den Füßen.

Solche Rede ließ mich allbereit Uebeles schwanen, zumal weder wir noch die Ann durch ein Wörtlein von des Herdegen eigener Hand erfahren, daß er Land und Schule gewechselt. Da trieb es mich denn in meines Herzens Angst zu dem Großohm, doch wies er mich wie die Base bald zurück, bald speiste er uns mit nichtssagenden oder auch ungeduldigen Antworten ab.

So schwebten wir denn in Bangen und Sorgen, bis endlich, wenige Tage vor der Hochzeit des Pernhart, ein Brief des Eppelein für mich eintraf, und da liegt er noch vor mir unter anderen vergilbenden Schriften.

»Allertugendsamste eueres gehorsamen Knechtes Eppelein Gockel wohlgewogene Jungfrau Gred Schopperin,« lautete die Aufschrift. Dann folgte die Erklärung, daß er des Schreibens nicht kundig und sich der Feder des Instruktors des jungen Grafen von Solms bediene.

»Und da ich einmal,« ging es wörtlich weiter, »der holdseligen und vielgestrengen Jungfer Gred in schwesterlicher Besorgnis mein Manneswort verpfändet, ihr zu schreiben, sobald wir ihres günstigen Rates und Beistandes bedürftig, hätt' ich mich allbereit früher des Herrn Instruktors Feder bedienet, wenn anders sich uns nicht die gnadenreiche Jungfrau zu rechter Zeit hilfreich erwiesen.

»Jedannocht treibt mich das Herz an, euch, wohlgewogene und hochansehnliche Jungfrau Gred, zu schreiben, sintemal ich euch in Sehnsucht und Sorge um meinen gnädigen Herren vermute; denn fast lang ist s her, seit ich desselbigen letzten Brief für den Schopperhof dem deutschen Boten vertraut, und so will es mich dünken, als habe mein gnädiger Herr die kostbare Zeit lieber dem Studium und anderem Zeitvertreib, denn denen gewidmet, so doch, da sie seine Nächsten, leicht und gern Nachsicht gegen ihn üben und ohnehin durch den vielgestrengen Herrn Ritter Sebald Im Hoff alles über ihn zu erfragen vermögen, was sie begehren. Mein gnädiger Herr hat selbigem in langen Briefen berichtet, was uns nur immer angeht, und gewißlich auch, wie uns der alte Herr Marchese mit seinen Neffen, den übelen Schelmen, zu Padua an den Hals kam von wegen der schönen und jungen Hausehre des alten Marchese, die meinem gnädigen Herrn also hold war, daß ganz Padua sich daran ergötzet.

»Aber es war dannocht ein übeler Handel; denn selber drei fielen sie in finsterer Nachtzeit über uns her, und hätten nicht die gütigen Heiligen mit sonderbarer Gnade ein übriges gethan, wäre leichtlich statt ihres Schelmenblutes kostbares und aller Ehren wertes geflossen. Dannocht sind wir frohgemut und wohlbestellt an Leib und Seele nach Paris gelanget, einer Stadt, wo das Leben noch um vieles wonnesamer blüht, denn zu Nürnberg.

»Da mir nun hieneben wohl bewußt, mit wie günstiger Freundschaft sich die hochansehnliche Herrin Gred zu der Jungfrau Ann Spießin immerdar herabgelassen, und ich selbiger, als einer an Wohlgestalt und allen Tugenden reichen Maged, in eigener Person aufs beste gewogen, möcht' ich solcher gütigst ans Herz gelegt haben, sich meinen gnädigen Herren aus dem Sinn zu schlagen und nicht länger zu trachten, ihn festzuhalten, sintemal ihr solches dannocht nichts hülfe, und lieber nach einem anderen Freiersmann auszuschauen, der es ernstlicher meinet, auf daß ihr der Brautkranz nicht völlig verloren gehe, was die liebe heilige Katharina gnädig verhüte. Euch aber, hochansehnliche Jungfer Gred, bitt' ich in aller Unterwürfigkeit, Euerem werten Herrn Bruder dergleichen nicht übel zu deuten, oder ihm gar Euere köstliche Huld zu schmälern, denn mein hochansehnlicher Herr sollte mit der künftigen Hausfrau höher hinaus, und was ihn im ledigen Stande angeht, so gilt auch für uns der Spruch: ›Wie der Herr, so der Knecht‹; und da auch ich, der ich nur ein arm und gering Eppelein, es nimmer vermocht, das Herz an eine Einzige zu heften und mich wohl dabei befunden, so darf man von meinem gnädigen Herren, der reich und von edeler Geburt, sicherlich nichts Geringeres erwarten.«

Selbiges Schreiben hätte mich bei anderem Anlaß wohl zum Lachen bewogen, diesmal aber brachte mich die Art und Weise tief innerlich auf, in der sich der geringe Gesell von der Ann zu reden erfrechte.

Dannocht war er ein braver, seinem Herren in seltener Treue ergebener Bursch; denn wie der Herdegen überfallen worden war, hatt' er dem einen Neffen des Marchese das Schwert mit eigener Gefahr aus der Hand gerungen und solche wackere That bescheidentlich verschwiegen.

Wohl fiel es mir sauer, selbigen Briefes Ankunft mit keinem Blick zu verraten, doch es glückte mir bestens; mit dem anderen Schreiben aber, das bald daraus eintraf, blieb Fürsicht und Sorge vergebens.

O dieses Briefes! Seinen Inhalt ganz zu verheimlichen ging ja nicht an; doch ließ ich wenigstens die Hochzeit ihrer Mutter vorüber, bevor ich der Ann zu wissen that, daß mir der Bruder geschrieben.

Da liegt der Unglücksbrief vor mir!

Er ist um vieles länger, denn alle, so er früher an mich gerichtet, und ich schreibe ihn hier säuberlich ab, doch die Handschrift, wild und unwirsch, wie sie dasteht, wiederzugeben, das vermocht' ich mit nichten.

»Es muß aus sein, Gred, alles aus, zwischen der Ann und mir,« lauteten die ersten Worte, so mich wie Geißelhiebe trafen. Und dann ging es weiter:

»Da ist es heraus, und nun weißt Du's. Ich bin ihrer nimmer wert; denn wie Judas unsern Heiland, so hab' ich meines Herzens Minne verschachert.

»Aber darum ist meine Liebe und Sehnsucht doch mit nichten erstorben. Während ich dies schreibe, reißt es mich zu ihr hin, rufen mir tausend Stimmen zu, daß es nur eine Ann gibt, und den jungen Sieur de Blonay, der sich vermessen, seine Dame und ihr Rosenrot über die anderen Damen und Farben zu stellen, hat mein Schwert in voriger Woche genötigt, dem Blau – Du weißt schon wessen – den Vorrang zu gönnen.

»Dannocht muß ich ihrer entsagen; denn ob ich die Versuchung auch gemieden, ist sie mir nachgegangen, und wo sie mich anfiel, bin ich nach kurzem Kampf immerdar unterlegen. Das Verlangen nach jener weltlichen Lust, die sie mich verachten zu lehren begehrte, ist zu mächtig in mir. Zur Sünde bin ich geboren, und wie es nun einmal mit mir bestellt, also mag es verbleiben.

»Einer, der wie ich durch das Leben dahinschießt wie ein wilder Falk, dem muß schon ein Pfeil die Schwinge treffen, damit er innehalte und sich besinne. Das bittere Muß, von der Ann zu lassen, das hat getroffen, und nun ich es auf mich genommen, schaue ich rückwärts und in mich hinein, und je schöner, erhabener und lieblicher das war, was ich preisgab, um desto wüster und schimpflicher will mich alles bedünken, was ich in der eigenen Seele gewahre.

»Doch bevor ich hinter mich werfe, was rein war und hoch, gottgefällig und wahrhaft beglückend, halt' ich mir selbst den Spiegel vor das sündige Antlitz und bezwinge mich, Dir, meiner Gred, das wüste Bildnis zu weisen, so ich darin gewahre.

»In keinem Stück will ich mein Thun zu bemänteln oder zu beschönigen trachten, und dannocht möcht' ich in dieser Stunde, die mich völlig nüchtern und, nachdem ich die Genossen zeitig verlassen, daheim sieht, ernstlich meinen, daß ich recht wohl vermocht hätte, ganz anders und dem Herrgott, Dir, meiner Gred, der Ann und allen Guten wohlgefälliger zu werden, hätten andere Kräfte an meines Lebensschiffleins Steuerruder gestanden.

»Wir sind elternlos, Gred, und dem Manne ist, bevor er reif geworden und in sich gefestigt, nichts dringender vonnöten denn ein Meister, vor dem er Rücksicht zu nehmen hat aus Scheu oder Liebe.

»Aber wir, aber ich, Gred?

»Was war mir der Großohm?

»Wir beide sind eines Blutes und stehen einander an Jahren so gleich, daß eines dem andern wohl raten kann, daß wir aber kaum hoffen dürfen, Du werdest Dich meinem, ich mich Deinem Spruch sonder Widerstand fügen.

»Und Base Metz!

»So mütterlich zärtlich sie sich uns auch immer erwiesen, ihr war alles genehm, was ich that, und darin liegt wohl der Unterschied zwischen einer echten Mutter, die uns nicht selbst mit Schmerzen geboren, und einer treuen Pflegerin, daß dieser bangt, sich den Pflegling durch Härte zu entfremden, die Mutter aber strafet, wo es ihr gut dünkt, maßen sie der Liebe des eigenen Kindes immerdar sicher. Die Minne der Base war groß genug, doch die Strenge, die sie mir erwiesen, die war zu klein. Sie hat mir, da ich die hohe Schule bezog, aus Liebe den Beutel gefüllt, der Großohm that es in jüngster Zeit aus anderen Gründen, und nun ich ihm den Willen zu thun und der Ann zu entsagen verheißen, hasse ich mich selbst und heißer denn je, seitdem ich in einen Glücksstand gekommen, um den mich wohl Tausende beneiden, maßen mich der Großohm in aller Form einzusetzen gedenkt in sein Erbe. In der letzten Nacht war ich, nachdem ich mit großem Spielgewinn heimgekommen, nahe daran, den Qualen dieses Daseins ein Ziel zu setzen . . .

»Aber fürchte Dich nicht, Gred!

»Der leichte Sinn bringt bald wieder nach oben, was jetzund die Reue tief auf den Grund zieht!

»Was soll auch das Jammern? Bin ich denn der erste Junker, der mit einem süßen Bürgerkind ein anmutig Spiel trieb, um es in neuer Minne bald zu vergessen?

»Ja, Gred, meine Beichtigerin, vor der ich jetzund, wenn es auch weh thut, die Brust aufreiße, damit sie jegliche Falte meines Innern gewahre, ja, Gred: hätte der Ann ein Wappenschild über der Wiege geprangt, es stünde jetzt anders. Doch einen Rotschmied ›Herr Schwiegervater‹, eine Henneleinlein ›Frau Base‹ heißen, in der Kirche von dem alten Schoppergestühl aus zu geringen Leuten als seinen Blutsfreunden hinübernicken, den Lautenisten bei Vettern und Basen über der Unterweisung der Knaben und Mägede betreffen und ihn als lieben Herrn Großvater begrüßen, seine leiblichen Schwäger und Schwägerinnen die Schreibstuben oder Werkstätten füllen sehen, das schmecket bitter, zumal wenn auf der anderen Seite der Versucher steht und dem prunkenden Herrlein darbietet, was seinem hoffärtigen Sinn das Genehmste. Und Pater Ignatius, wie beredt, wie fröhlich und vielleicht sogar in wie redlicher Meinung wußte er mir hier zu Paris dies alles vor Augen zu führen, wie ernst und auferbaulich wußte er mir endlich in die Seele zu reden, wenn er herfürhob, was die Satzung des Herren und mein alt und edel Geschlecht von mir fordern.

»O, es hätte geringerer Hilfsmittel bedurft, um mich Schwächling zu Falle zu bringen, und nachdem ich dem Pater zugesaget, von der Ann zu lassen und nach meiner Heimkehr mich dem Vormund zur Verfügung zu stellen und im einzelnen mit ihm abzusprechen, was der eine dem anderen nachzugeben und zu gewähren gedenke, als handele es sich um ein kaufmännisch Geschäft mit Gewürz aus der Levante oder florentinischen Tuchen, da hat mich der Pater Ignatius gesegnet, als sei mein Heil diesseits und jenseits nunmehr für alle Ewigkeit gesichert.

»Bis vor das Thor gab ich ihm das Geleite und war fest überzeugt, in des Lebens Würfelspiel den höchsten Pasch geworfen zu haben; doch kaum hatt' ich das Roß gewandt, da wußt' ich, daß ich den Frieden und die Ruh der Seele mit drein gegeben.

»Doch hin ist hin! Ich habe der Ann abgesagt, abgesagt auf immer, und da sie es doch einmal erfahren muß, so gescheh' es denn gleich, und Dich, arme Gred, bestell' ich zum Boten! Wohl hab' ich versucht, der Ann selber zu schreiben, doch es wollte nicht glücken. Eines nur sollst Du ihr sagen, Gred, und das ist, daß ich ihrer auch während der Tage der schwersten Schuld nimmer vergessen und daß mich das Andenken an die seligen Stunden, da sie sich so gern meine Laura genannt, zu einem Ritt nach dem unfernen Treviso bewogen, allwo in des heiligen Franciscus Kirche der älteren Laura Bildnis zu schauen, so des Petrarca Freund Simone di Martino als ein löblich Kunstwerk vollbrachte. Wie mit Stimmen und Winken hat mich selbiges hin zu ihr gezogen, und dannocht, dannocht! O, ich Verruchter!

»Da hat die Feder lange Zeit gerastet, und ich habe erst des Petrarca Geliebte mit den blonden Zöpfen vor mir zu schauen vermeinet und dann die Ann und ihr volles schwarzes Haar, das so prächtig glänzte in seiner welligen Weiche und so herrlich abstach von der schneeweißen Stirn. Die Haltung und auch die Augen sind denen der Laura vergleichbar; bei beiden die gleiche hohe Würde und Reinheit! Doch da quillt das volle Herz wiederum über, und es kann nicht vergessen, wie weit an süßer Frauenhuld die Ann der Laura überlegen. Jetzt dämmert der Tag, und ich kann nur noch in den Morgen und in mich hinein seufzen und stöhnen: ›Verloren, verloren, das Schönste und Beste verloren!‹

»Da hab' ich lang still, in mich versunken, durch das Fenster und über die kahlen Bäume des Gartens hinausgeschaut in den grauen Nebel, der erst an den Grenzen der Welt ein Ende zu nehmen scheinet. Es rieselt naß von den nackten Zweigen, und auch meine Augen – ich hab' des kein Hehl – lassen sich noch immer nicht trocknen. Mir ist, als wären auch von meinem Lebensbaum die Blätter zu Boden gesunken, – nein, als hätt' ich sie mit frevelnder Hand von den Zweigen gerissen . . .«

 

»Ich komme spät heim von einem gar fröhlichen Gelage! Das wenigstens ist eine gnädige Fügung, daß es angeht, die Nacht zum Tage zu wandeln. Ja, Gred, für jeden, dem es erwünscht scheint, viel zu vergessen, ist dies Paris ein köstlicher Ort! Vorhin, da hab' ich tief in den Becher geschaut, doch wer da sagt, ich sei trunken, den nenn' ich einen Schelm; denn ich kann noch schreiben wie einer, und es ist mir auch voll bewußt, daß wenn ich mich verkauft, es nicht billig geschehen ist. Meine Minne hat es gekostet, und da sie groß war, gilt es, eine weite Lücke zu füllen, und so soll es denn heißen: ›Her jetzt mit allem, was Lust bringt, mit Wein und Minnespiel, mit Lichterglanz und rauschendem Tanz in Sammet und Seide, mit Würfeln und Getändel, mit tollen Ritten, frischem Weidwerk und blutigen Händeln!‹

»Ist das nichts? Ist das wenig?

»Wie löst sich, wenn alles vorüber, die Frage, was das köstlichere Gut gewesen: selige Minne, die mit weißen Schwanenfittichen sich hoch ausschwingt über das Reich des Standes und des Gemeinen, wie die Ann sie weiland gepriesen, oder echt irdische, frische und derbe Lust, die sich nur genießen läßt mit beiden Füßen am Boden?

»Ich habe gewählet und kann nimmer zurück. Jeder Lebensgenuß, wie er heißen mag, hoch soll er leben! Du hast einen fröhlichen, reichen, glänzenden Bruder gewonnen, mein Gredlein, und wenn der bescheidene Bursch von früher, der sich ein arm Schreiberkind zur Hausfrau erwählte, Deinem wie meinem eigenen Herzen auch besser zusagen sollte, behalt ihn doch lieb! Bleib' seiner Minne immerdar gewiß, denke sein in Deinem Gebetlein, und was Du der Ann zu künden hast, das bring' ihr solcherart bei, daß sie sich nicht allzu schwer härme. Stelle ihr für, wie unwert Dein Herdegen-Bruder sich ihrer erwiesen, und wisse Du im geheimen, daß meiner hohen Schutzheiligen Bildnis kein anderes Antlitz zeigt und jemals zeigen wird denn das ihre.

»Und nun wird dieser Brief schnell versiegelt und der Eppelein gewecket, auf daß er ihn dem Boten übergebe. Ich bin des Papierzerreißens müde, und wollt' ich bei voller Nüchternheit überlesen, was ich hier halb im Rausche geschrieben, dieser Brief würde sicherlich den Weg vieler anderen wandern, die ich allbereit an Dich und mein traut, lieb, einzig, verloren Annelein gerichtet.«


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