Georg Ebers
Die Gred
Georg Ebers

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Zwölftes Kapitel.

An eines jeglichen Weihnachtsfestes Abend vereinte sich die ganze Freundschaft des Großohms, soweit sie ihm genehm, in dem stattlichen Im Hoffschen Hause. Es hatte dort alles ein gar üppig, fürnehm Ansehen, ja kein Festsaal konnte heller erleuchtet und schmucker ausgeputzt sein denn der, an dessen Schwelle uns der alte Herr begrüßte; und dannocht durchwehte ihn, so gut auch Kamin und Ofen geheizet, ein frostiger Hauch.

Indes sich nun Groß und Klein der Gaben des fürnehmen Greises freute, hielt er sich zurück, und in seinem ebenmäßigen, farblosen Antlitz verzog sich keine Miene. Es war, als habe er nur geringen Teil an dem Genügen, so er uns doch nicht müßig und durch andere, sondern mit eigener Mühwaltung bereitet; denn da war kein Stück, so er nicht selbst erlesen und der Art des Beschenkten angepaßt hätte.

Weil nun der Handel seines großen Geschäftes sich gen Venedig richtete, konnte man sich in eines Nobile Haus am Canale grande versetzet wähnen, wenn man die Teppiche, die Spiegel, die Brokate und das Geräte in seinem Quartier ins Auge faßte, und auch viele seiner Angebinde waren von dorther bezogen.

Vor der Bescherung in seinem Hause pflegte er den alten Mannsbildern und Weiblein unter den Armen der Stadt eine andere, fast reichliche zu bieten und, wenn sie beendet, mit ihnen in die Sankt Aegidienkirche zu gehen und etlichen zwanzig die Füße zu waschen, welches Werk bußfertiger Demut er auch in der Marterwoche zu verrichten pflegte.

Nachdem sodann in seinem Hause jedes das Seine empfangen, sagte er denen, so ihm dankten, wenn es Kinder waren, ein eindringlich: »Seid fromm!«; für die Erwachsenen aber hatte er nur ein beinahe unwillig: »Gut,« oder »Laßt's euch genügen!«

Diesmal hatte er mir ein Festkleid von köstlichem cyprischen Brokat, dem Kunz alles, was ein fürnehmer Junker nur immer auf Reisen bedarf, und dem Herdegen das Schwert verehret, das er selbst weiland bei Hofe getragen, und dessen mit Edelgestein besetzten Griff der halbe springende Leu aus dem Im Hoff-Wappen krönte. Die Ursula Tetzelin hatte, gleich mir, ein Gewand empfangen, und es war neben dem Schwerte aufgebaut worden.

Wie der Herdegen nun dem Großohm mit der köstlichen Waffe in der Hand dankte, brummte selbiger sein üblich »Gut, gut;« doch der Jost Tetzel fügte hinzu, man sage, ein geschenktes Schwert zerschneide die Freundschaft, doch lasse sich solches leichtlich vermeiden, wenn der Empfänger dem Geber ein ander Ding dagegen biete und so das Angebinde in eine Ware verwandele.

Da löste der Herdegen schnell die goldene, mit Saphirsteinen besetzte Spange, die ihm die Base verehret, von der Krause, um sie dem Großohm zu reichen; dieser aber fand keinen Gefallen an dergleichen Spiel und wies das Kleinod zurück. Doch wie mein Aeltester nicht abließ und es ihm aufzudrängen trachtete, da ihm alles an der väterlichen Freundschaft des Großohms gelegen, rief selbiger ihm zu, mit dem blinkenden Tand sei ihm wenig gedienet; wenn aber der Tag komme, an dem er etwas von ihm zu fordern habe, möge der Herdegen sich erinnern, daß er in seiner Schuld sei.

Hier wurden sie von Dienern unterbrochen, die zum Imbiß luden, und da stund an Wild und Fisch, an Früchten und Kuchen, an den fürnehmsten Edelweinen und dem prächtigsten Geschirr vieles bereit, und Speisetafel wie Kredenztisch sahen aus, als habe sie Pomona, Ceres, Bacchus und Plutus mit den auserlesensten Gaben gerüstet. Aber auch hier war dem Frohsinn keine Stätte bereitet; denn der Großohm wünschte zu guter Zeit der Gäste ledig zu sein, und so stunden keinerlei Tische für die Schmausenden bereit, und nur die Hand diente dem Teller zur Stütze.

Wie ich nun eben dem jungen Herrn Vorchtel entronnen, der mich bedienet und dabei eifrig umworben, und die Base suchte, fand ich sie mit dem Großohm und vernahm noch, wie selbiger seine eindringliche Rede damit beschloß, daß ein verständig Weibsbild, wie sie doch sonst sei, dergleichen nimmermehr dulden dürfe, und wie die Base ihm darauf zurief: »Aber Ihr, mein edler und wohlgeneigter Herr Vetter, Ihr kennt doch das Schoppersche ›mit dem Kopf durch die Wand‹. Wenn wir den Hitzkopf zu zwingen suchen, so trotzt er uns sicher; lassen wir ihn hingegen einstweilen frei seiner Wege gehen, so staut sich das Wasser nicht auf, sondern verläuft sich im Sande.«

Das waren übele Worte, und wie sie mich bekümmerten, so verdroß mich der Ursula Gebahren; denn sie gab sich das Ansehen, nach keinem der Gäste zu fragen, es sei denn nach dem Ritter Franz, der nunmehr ihres Hauses Gast und, immer noch siech und bleich, für manche Verrichtung des Beistandes einer pflegsamen Frauenhand bedurfte, maßen er sich des rechten Armes noch schwer zu bedienen vermochte. Auch schien ihm die Ursula als Wärterin baß genehm; doch ihre liebreichste Sorge und zärtlichsten Blicke hatt' er dem Herdegen zu danken; denn sie spendete ihm solche immer nur, wenn mein Aeltester es gewahrte.

Wie wir endlich Abschied nahmen, hielt der Großohm den Herdegen zurück, und so gab uns der Kunz das Geleit; doch wenn er auch auf dem Heimweg allerlei Kurzweil trieb, brachte er uns doch nicht zum Lachen.

Mir that das Herz weh; denn ein gar bitterer Tropfen war hineingefallen, maßen auch die Metz, die ich bis dahin nur des Treuesten und Besten fähig gehalten, sich als falsch erwiesen, und so jung und daseinsfroh ich auch sonst war, sagte ich mir in meiner Seele Pein dannocht, wenn das Leben so beschaffen sei, daß es das arme Menschenkind zwinge, sich immerdar mit dem »Traue, schaue, wem?« gewappnet zu halten, es eine gar harte, schwer zu vollbringende Fahrt sei.

Wir schliefen noch immer in der nämlichen Kammer, doch obzwar die Base nicht wußte, daß mir Kunde von dem Rate geworden, den sie dem Großohm erteilt, ging sie mir doch scheu aus dem Wege, und beide blieben wir stumm bis zum Nachtkuß. Da konnt' ich mich denn nimmer halten und fragte sie, ob sie ernstlich bezwecke, den Herdegen und die Ann auseinander zu bringen.

Nun begann es gar sonderbar in ihren ungeschlachten Zügen zu zucken, und in ihrer Brust arbeitete es gewaltig, bis es plötzlich losbrach: »So grausam! So kläglich! O dies . . . Es frißt mir das Herz ab!«

Hienach schluchzte sie laut auf, und ich that es ihr nach, bis ich schier außer mir rief: »Aber Du bist ihnen doch gut, allen beiden!«

»Ja, ja, ja! Aber das, das ist es ja eben!« unterbrach sie mich kläglich. »Der Herdegen, das Annelein – welches von den beiden ist mir wohl lieber? Aber zeige mir zu Nürnberg einen weiseren Mann denn den Großohm, und ich selbst, gnadenreiche Jungfrau, ich komme nicht mit mir ins reine, – ich weiß nicht . . .«

Da vergaß ich der schuldigen Ehrerbietung und wiederholte: »Du weißt nicht?« und wie sie die Antwort schuldig blieb, brauste ich auf: »Und doch hast Du ihr Linnen und den halben Zuschatz auf den Christtisch gelegt, als ob sie allbereit vor der ganzen Stadt Braut und Bräutigam wären! Freut man sich, wenn man alt und verständig, einer Minne und ermutigt sie gar, wie Du es gethan, wenn man doch ihr zu widerstreben im Sinne trägt? Ist das die Wahrhaftigkeit und Treue, zu der Du uns vormals früh und spat vermahnet; heißt das aufrecht und gerad sein, oder mit zwo Zungen reden?«

Da hatte mir wieder einmal das rasche Schopperblut einen Streich gespielt, und es reute mich, da ich wahrnahm, welch großes Leid meine ungestüme Rede der lieben Seele verursacht.

So hilflos und schwankend hatt' ich sie freilich nimmer geschaut, und doch lag ich bald an ihrer Brust, und ein Drittes hätt' es leicht wunder genommen, wie wir einander um Vergebung baten, sie wegen ihrer kleinmütigen Schwäche, ich ob meines unziemlichen Aufbegehrens. In jener Stunde aber bin ich aus ihrem Kind oder Pflegling ihr zur Freundin geworden.

Vor Beginn der Marterwoche mußte der Herdegen zum Aufbruch bereit sein, doch bevor er uns verließ, sollte er, der bis dahin sich nur im Fechthause ob seines Armes Kraft und Schnelligkeit großen Ruhm erworben, die ganze Stadt von sich reden machen, maßen er es beim SchembartlaufenEigentlich Schönbartlaufen. Schönbart bedeutet Maske; also Maskenlaufen, Maskenaufzug. allen anderen zuvorthat.

Wenn sich nun auch selbige Sitte bis auf diesen Tag erhalten, ist doch bei vielen in Vergessenheit geraten, wie sie entstanden, während solches in meiner Jugendzeit noch männiglich bewußt war.

So sei denn hier vermeldet, daß in der Zeit, da die Zünfte gegen den Rat aufgestanden waren, die Messerer und Metzger treu zu den Geschlechtern gehalten hatten, und weil sie hienach jeden Lohn verschmähten, der ihnen auf Kosten der andern vergönnt werden sollte, warben sie nur um das Recht, in der Faschingszeit durch einen Tanz und Aufzug sich hervorzuthun, wobei es ihnen auch gestattet ward, wie adelige und ritterliche Herren Sammet und Seide zu tragen.

Selbiger Tanz mit seinem Zubehör wurde nun das Schembartlaufen benamset, und sintemal es ansehnlicher Leute Beistand bedurfte, um den Handwerkersleuten die Bahn in den Gassen frei zu halten, und selbigen auch der alljährliche Aufwand zu schwer auf den Beutel fiel, räumten sie den jungen Söhnen von den Geschlechtern gegen ein ziemlich Entgelt das Recht ein, an ihrem Aufzug teil zu haben. Was aber unsere frohgemuten, wappenfähigen Herrlein angeht, von denen ja viele das lustige Karnevaltreiben der Wahlen gesehen und mitgemacht hatten, so war es ihnen fast genehm, sich daheim ein ähnlich Genügen zu schaffen, und bald wurde weit mehr auf sie geschaut denn auf die Zünfte.

Sie versammelten sich in einzelnen Verbänden, so sie Schembartgesellschaften nannten, unter der Veste, und zogen vor das Rathaus und von dort aus zu dem Tanz der beiden Zünfte.

Die Metzger hielten sich bei dem ihren – einem ZäunertanzEine Art Reigen, ähnlich unserem Katz und Mausspiel. Die Tanzenden bildeten durch Händegeben eine Art von Zaun, woher wohl der Name »Zäunertanz«. – an ledernen Seilen, die wie Leberwürste gestaltet; der der Messerer ging zierlicher vor sich, maßen sie dabei mit bloßen Schwertern ihr Spiel trieben, doch richtete sich die Aufmerksamkeit des Volkes, wie auch heute noch, fürnehmlich auf den Zug der Vermummten, bei dem es denn auch manch ergötzlich und prächtig Ding zu schauen gab.

Mit Quasten und Eichenlaubruten schaffte eine Schar von Mannsbildern in rauhen Kleidern, so man Holzleute benamste, und ein gut Teil Vermummter, in Narrentracht und mit Pritschen versehen, dem Schembartszuge Raum, und solchem voran trommelten und pfiffen, trompeteten und schalmeiten fleißige Musikanten, so bei selbigem Anlaß in ihr Spiel auch lustiges Schellengetön mischten. Dann kam hoch zu Roß der Mann mit den Nüssen und warf solche unter die drängenden Kinder. Da gab es denn ein gar munter Gebalg und Gekreisch auf dem Pflaster, doch auch von den Erkern und Lichtern der Häuser her hörte das Lachen und Zetern nicht auf, maßen die jungen Herren den Mägeden und Frauen in den Fenstern wenig Ruhe ließen, indem sie selbige mit Blumensträußlein und süßem Gebäck, ja mit Eiern, so mit Rosenwasser gefüllet, fleißig beschossen.

Vieler Schembartleute Gewand war jedes Jahr in Farbe und Art überein, doch unter sie mischten sich Spaßvögel, so als wilde Männer und Weiber erschienen, oder auch als Mohren, als kinderfressende Riesen, als Vogel Strauß und dergleichen. Am Ende des Zuges kam dann das Größte und Schönste, mancherlei wunderlich Gebäu und Gebild, von Gäulen gezogen, dahergefahren. Ein Narrenschiff, und hinter ihm eine Windmühle, ein Vogelherd, darauf man Narren und Närrinnen fing, und andere ähnliche Kurzweil.

Unter diese wunderlichen Gefährten und Gruppen hatte sich mein Herdegen gemischt und zwar als kreuzfahrender Ritter, dem drei gefangene sarazenische Fürsten folgten: die jungen Herren Löffelholz und Schlebitzer, so ihn zu dem Aufputz im Fechthause aufgesungen, hoch zu Roß, als schwarze Mohren, und in ihrer Mitten mein junger Knapp Akusch auf dem Kameel des gerichteten Bärenführers als Sohn der Wüste in weißem Gewand; alle drei mit hölzernen Ketten belastet.

Der Großohm hatte dem Herdegen die Rüstung geliehen, die er in seiner Jugend auf dem Turnier getragen, für den weißen Mantel mit dem roten Kreuze hatte die Base gesorgt, und wie er da auf dem stolzen, reich gewappneten und mit Scharlach behängten Rappen, dem edelsten und stärksten Hengste aus dem Im Hoffschen Stalle, daherritt, während sein volles Goldgelock im Sonnenlicht gleißte, blieb mancher Jungfrau Blick an ihm haften.

Der Kunz mochte sich in seinem Narrenhabit, darin er bald hier, bald dort und ein wenig überall war, besser unterhalten, doch durfte dem Herdegen das Herz höher schlagen; denn von tausend Lippen konnte er sich den Schönsten und seinen Aufzug den stattlichsten nennen hören; auch fiel von manchem Erkerfenster ein Sträußlein, ein Band oder eine Schleife zu ihm nieder; und wie endlich die Zünfte nach vollbrachtem Tanze mit des Rates Stadtpfeifern sich zu des Pfänders Haus begaben, woselbst ihnen ein Trunk aufgetragen wurde, bei dem sie die ihnen verehrten Fastnachtsfische verspeisten, und das Laufen vorbei war, ließ der Großohm den Herdegen zu sich berufen, und das, was der Alte dort ausspielte, um ihn seiner Minne abwendig zu machen, war klüglich gewählt und sollte auch seine Wirkung nicht völlig verfehlen; denn nachdem er den schmucken Gesellen mit stillem Genügen von oben bis unten gemustert und ihm gütig die Schulter geklopfet, zog er ihn, wie von ungefähr, vor den venedigschen Spiegel im Festsaal, wies in das blanke Glas und lachte: »Ein Tankred, ein Gottfried, ein Richard Löwenherz; und daneben ein schmächtig Schreiberdirnlein als hohe Gemahlin!«

Wie nun hienach der Herdegen erglühte und der Ann fürnehme Schöne zu preisen anhub, schnitt ihm der Vormund das Wort ab, legte ihm den Arm um die Schulter und raunte ihm zu, auch zu seiner Zeit habe die wappenfähige Jugend mit den artigen Kindern der kleinen Bürger getändelt; doch wem es eingefallen wäre, allen Ernstes um sie zu freien . . .

Hier unterbrach er sich selbst mit einem hellen Gelächter, zog ihn fester an sich und rief: »Nichts für ungut, mein Tankred! Den Rappen magst Du zum Angedenken an diese Stunde behalten!«

Der alte Berthold, des Großohms Leibknecht, vertraute mir dies alles; denn mein Aeltester war mir bei der Heimkehr manche Antwort schuldig geblieben. Er hatte sich sogar geweigert, meiner Bitte zu willfahren, sich der Ann im Ritterstaate zu zeigen, und unwirsch bemerket, daß selbige dergleichen Mummenschanz abhold.

Da war es denn leicht zu erkennen, was in seiner Seele vorging; doch wie mochte derselbe Greis, dessen fürnehme Heirat seines Daseins Glück und Frieden vernichtet, so emsig trachten, denjenigen, den er am meisten liebte, auf den nämlichen Weg zu führen?

Und unter dem vielen, so ich nicht verstund, gab es noch ein anderes: Warum war der Eppelein, der seinem Herren so treulich anhing und gar wohl geübt, einer jungen Maged Schöne zu schätzen, ja warum war auch meine alte, gute Sus und mit ihr die Mehrzahl unserer Ehalten der Ann, der sie sich früher sämtlich hold und gewärtig erwiesen, in ärgerlicher Weise entgegen, seitdem sie gewittert, daß es mit ihr und unserem Aeltesten ernst ward?

Es hatte mir auch von vornherein wenig gefallen, daß der Herdegen kurz vor dem Aufbruch so fleißig an eitelen Tand denken und ihm zu liebe seiner Trauten so viele Stunden entziehen mochte. Dannocht hatt' es mir an Mut gebrochen, ihn zu vermahnen, maßen er ohnehin sich in mancher stillen Stunde dem Wahne hingab, daß er seiner Minne zu Gefallen vielem werde entsagen müssen, so sich unser Vater selig vergönnet; auch meinte ich zu wissen, woher dieser Kleinmut stamme, der seinem leichtblütigen Wesen doch so gar fremd ließ.

Auf selbige Zeit muß ich also zurückschauen, und da gibt es erstlich zu berichten, daß die Ann ihre Minne vor der Mutter nicht länger hatte verheimlichen mögen. Obzwar selbiger nun ans Herz gelegt worden war, fürs erste noch reinen Mund zu halten, hatte die immer noch gar anmutige Witib, wie die meisten welschen und vielleicht auch etliche Nürnberger Frauen, nicht bei sich zu behalten vermocht, was ihr Herz und Sinn als ein großes Glück für ihr Kind und ihr gesamtes Haus bis zum Ueberfließen erfüllte, und ihre nächste Freundschaft ins Vertrauen gezogen.

Acht Tage vor Fastnacht waren dann wir Schoppengeschwister und die Base Metz auf den Abend in das Häuslein am Wasser geladen worden, und dazu hatte die gute, doch nicht sonderlich weit denkende Frau Giovanna auch ihren Schwiegervater, den alten Lautenisten, und den Adam Heyden vom Turme, sowie endlich auch die einzige Base der Ann, des Rudel Hennelein Witib, zu Gast geladen.

Selbiger Hennelein war der Meister oder Richter der Zeidler gewesen, so damals wie heute im Lorenzerwald ihr Handwerk betrieben. Bei Lebzeiten war er gehalten gewesen, im Flecken Feucht dreimal des Jahres für die Zeidler Gericht zu halten und ihnen auch sonst in allen Rechtssachen das Ohr zu leihen, und wenn er seines Amtes auch sonder Tadel gewartet, hatte er doch mit seiner Hausfrau in übeler Eintracht gehauset und war ein ausgelassener Herr gewesen, der den Schenktisch der Tafel seines unfriedsamen Weibes baz fürzog.

Da er nun starb, stund es gar trüb um den Nachlaß, und die Witib mußte in ihrem Häuslein am Milchmarkt die Heller zusammenhalten, obzwar sie sonder Kinder und Anhang. Da nun die Gabe, die die Zeidler der Witib ihres Meisters selig ausgesetzt hatten, zur größeren Hälfte aus Honig bestund, suchte sie solchen aufs beste zu verwerten, indem sie ihn den Pfragnern, die sie oft darum angingen, mit nichten abließ, sondern ihn in den Häusern der Geschlechter in zierlichen Kandeln einzeln anbrachte, wodurch ihr Gewinn sich ansehnlich mehrte.

Da nun ihr Eheherr selig zu dem hochansehnlichen Richterstande gehöret, wollte ihr solcher Handel nur übel anstehen, und so trug sie denn stets eine Marderhaube von eines ziemlichen Wagenrades Größe und den anderes, wenn auch fadenscheinigen Putz einer wohlbehaltenen Hausfrau, und bot den Müttern ihren Honig nur als Geschenk an für die herzlieben Kleinen. Dabei war sie nie zu bewegen, den Preis der Gabe zu nennen, weil sich solches für eines Zeidlermeisters Witib nicht schicke, wogegen es sie nur zu ehren vermöge, wenn man ihr eine kleine Liebung als wertes Angedenken darbieten werde.

Weil nun ihr Honig gut war, sahen die Kinder sie gern, zumal sie, ohne daß sie es merkte, ihren Spaß mit ihr hatten, sintemal sie ein putzig Weiblein, so das letzte Wort der eigenen Rede gewohnheitsgemäß wiederholte, also daß sie nie rief: »Ei, da ist ja der Kunz,« sondern immer nur: »Ei, da ist ja der Kunz-Kunz!« Auch hielt sie sich stets das Haupt mit den Händen fest, als sei es mit seiner gewaltigen Marderhaube in Gefahr, von dem dünnen Hälslein zu brechen.

So stund sie mit den meisten Geschlechterhäusern in regelmäßiger geschäftlicher Verbindung, und das junge Volk hieß sie, die eigentlich Hennelein benamset, die »Henneleinlein«, vielleicht, um auf ihre Unsitte zu weisen, das letzte Wort stets zu verdoppeln.

So lang ich zu denken vermag, hatte nun die Henneleinlein auch in unser Haus den Honig gebracht und dafür von der Base Metz nicht nur klingende Heller, sondern auch manch noch wohl brauchbar abgelegt Gewandstück als »Angedenken« erhalten. Uns allen voran hatte der Herdegen seinen Spaß mit ihr getrieben, und es war selbigem auch wohl bewußt, daß sie den Liebesleuten sonderbar hold und manchem Pärchen zu einander verholfen.

Selbigem Weiblein hatte die frohe Kunde, ihre Nichte sei bestimmt, als Hausfrau den Schopperhof zu regieren, vor allen anderen hohes und stolzes Genügen bereitet, und weil Frau Giovanna auch sie ins Vertrauen gezogen und zu Gast geladen, hing sie sich so fest an den Herdegen, daß es die Ann mit Aengsten und Unwillen erfüllte.

Da merkte ich meinem Aeltesten wohl ab, daß ihm dergleichen übel behage, ja daß es ihm, wenn die Henneleinlein ihm den Arm streichelte und seine Herzliebste mit dem verfallenen Munde auf die Lippen küßte, nicht anders zu Sinn sei, als beflecke ihm eine ungewaschene Hand das hellfarbige Sammetkleid.

Den freundlichen und seiner Kunst fürtrefflich mächtigen Lautenisten hatte er immerdar gern gemocht, und wie oft war er frohgemut zu dem wackeren alten Orgelspieler auf den Turm gestiegen; doch da er sich nun von diesen beiden als jüngeres Glied ihrer nächsten Freundschaft behandelt sah, war ihm auch solches zuwider, und es mag wohl wahr sein, daß mancher, den wir an seinem eigenen Herd und in seiner ihm gewohnten Umgebung gern aufsuchen und schätzen, ein ganz ander Ansehen gewinnt, wenn er beansprucht, als einer der Unseren mit uns zu leben.

Base Metz war vielleicht um des Großohms willen der Einladung aus dem Wege gegangen und mit ihr zugleich dem Verdruß, den Herdegen an diesem ersten Abend, den er im Haus seiner künftigen Freundschaft verlebte, so still und in sich gekehrt zu finden, daß er sich selber kaum gleichsah. Ja, er entfärbte sich und biß sich die Unterlippe, wie er nur that, wenn er des Ingrimms mühsam Herr ward, als die Henneleinlein, die ihn bis dahin nur als frohgemuten, ausgelassenen Burschen gekannt und sein verschlossen Wesen in ihrer Weise deutete, zutraulich bemerkte, der Junker werde freilich mit dem Bräutlein einen großen Anhang erfreien, doch stehe in Aussicht, daß sich die Sorge bald geringer gestalte. Denn – und dabei schielte sie auf Frau Giovanna – sein schön Schwiegermütterlein werde fleißig umworben, und sie habe einen im Sinn, wenn der sich anzubeißen bequeme, so sei nicht nur die Witib, sondern auch die ganze Kinderherde reichlich versorget.

Solches und mehr vermeldete mir der Herdegen auf dem Heimwege, und er that es tief verdrossen und mit grollender Stimme, und was ihm die Henneleinlein noch ferner ins Ohr geraunet, war so beschaffen, daß es auch mir nicht nur ungenehm, sondern mich sogar mit wohl begründeter Sorge erfüllte. Denn die Alte hatte ihm vertraut, wer um Frau Giovanna werbe, und es war kein anderer als der Rotschmiedmeister Ulman Pernhart, derselbigen schönen Maged Vater, um deretwillen Muhme Jacoba den einzigen Sohn in die Fremde gestoßen.

Wie weiland das Waldstromerpaar, so verschloß jetzt der Herdegen das Ohr gegen das Lob, so ich dem Rotschmiede nach bester Ueberzeugung zollte; denn die Aussicht, seine künftige Hausfrau diesen Handwerker, wenn auch nur als Stiefvater, ehren zu sehen und sich selbst von ihm »Sohn« heißen zu hören, brachte ihn heiß in Harnisch.

Am folgenden Morgen hatten ihn die genannten Junker im Fechthause und auf der Herrentrinkstube zur Teilnahme am Schembartlaufen veranlaßt, und da die Ann später, nachdem das Volk sich verlaufen, zu uns kam, fand sie den Liebsten nicht mehr; denn er hatte sich wiederum zum Trunk auf die Frohnwage begeben, die dergleichen Leuten, wie seiner Verlobten künftigem Stiefvater verschlossen.

Zur selbigen Zeit hatte auch der Bruder Ignatius vom Grabenorden mehrmals im Auftrage des Großohms, für den er die Almosenverteilung besorgte, bei uns vorgesprochen, und da der Herdegen uns am Aschermittwoch kündete, selbiger geistliche Herr habe ihn ersucht, ihm unter seinem Geleit bis Ingolstadt folgen zu dürfen, schwante mir nichts Gutes; denn war auch der Pater ein ehrbarer Priester, dessen muntere und gesprächige Weise mich oftmals ergötzet, so mußte er doch sicherlich wohl geneigt sein, des Großohms Wünsche zu fördern.

Trotz alledem zeigte sich der Herdegen beim Abschied so tief innerlich bewegt, daß ich Zweifel und Furcht zu überwinden vermochte.

Die Ann, die sich eins mit ihm fühlte und wiederum fest an ihn glaubte, war viel zu klug, um nicht zu empfinden, daß er nicht eigentlich in ihre Sippe tauge, ja daß es ihm sauer fallen müsse, ein Weib wie die Henneleinlein Frau Base zu nennen, und so hatten sie sich daheim geeinigt, daß er sich späterhin nicht zu Nürnberg, sondern in des Reiches Dienst um Amt und Würden bewerbe; auch war der Ritter Franz beflissen gewesen, ihn der Fürsprache seines Ohms zu versichern, der an des Kaisers Hof der gewaltigsten einer.

Wie sie nun kurz vor dem Aufbruch zum letztenmal mit mir allein waren, rief die Ann, indem sie selbiger Abrede gedachte: »Du hast mir verheißen, an einem fremden Orte das Nest für uns zu bauen, und wo es auch sei, überall, wo wir auf uns selbst gestellt, einander besitzen, wartet unser ein glückselig Dasein.«

Da flammten ihm die Augen auf, und mit jugendlichem Ungestüm rief er: »Mit dem Doktorhut an des Kaisers Hof, bald sein Rat und, will's Gott, zuletzt auch des Reiches Kanzler!« Hienach wechselten sie noch gar minnigliche und bewegliche Worte, und wie er allbereit im Sattel saß und ihr zum letztenmal winkte, flossen ihm die Augen über – ich täuschte mich nicht –und zu jener Stunde betete ich brünstig, der Herr möge mich, an der doch nur wenig gelegen, mit jedem Leid und Weh prüfen und schlagen, diese beiden aber wieder zu einander führen und ihr Bündnis gesegnet sein lassen mit der besten Glückseligkeit, die dem Menschenherzen vergönnet.


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