Georg Ebers
Die Gred
Georg Ebers

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Fünfzehntes Kapitel.

Mit hochroten Gesichtern und halb erstarrten Händen und Füßen kehrten wir am Abend desselbigen Tages auf der Forstmeisterei ein.

Der Ritt durch den tiefen Schnee und die strenge Dezemberkälte war baz beschwerlich gewesen, doch der Forst in seinem glänzenden Wintergewande, die reine Luft, die sich so frisch und erquicklich atmet, und dazu auch mancherlei Kleines, von den weißen Hütlein aus Steinen und Wurzelstumpfen an bis zu den artigen Kristallgebilden der Flocken, die aus den grünen Sammet meines Pelzmieders fielen, freute mich, obzwar die Sorge mir schwer auf der Brust lag.

Da wir die Forstmeisterei erreichten, war der Abendstern allbereit aufgegangen, und hier unter Gottes freiem Himmel, den Riesen des Forstes und den wettergebräunten, derben Menschen wollt' es mich geradezu unmöglich dünken, meine frische, jugendliche Ann als des Magisters andere Hälfte sein weltfremd, welkend Dasein teilen zu sehen. Wer hier im Walde lebe, der müsse, dacht' ich, das Gleiche empfinden, und so verhielt es sich wirklich; denn nachdem wir bei der Muhme am Kamin Platz genommen und sie uns den Würzwein mit den eigenen schwachen Händen gemischet, ließ sie mir das Wort, und nachdem sie vernommen, was mich so kurz vor dem Weihnachtsabend, der doch dem Großohm ein für allemal gehörte, in den Wald gezogen, brachte unseres Hausgenossen Werbung sie anfangs zum Lachen; sobald sie aber vernommen, daß die Ann ernstlich gewillt, sie zu erhören, schwur sie, solchen Tollhäuslerstreich nimmer zu dulden.

Sie hatte den Magister mehrfach auf der Forstmeisterei beherbergt, und weil sie, so klein und bresthaft sie selbst war, Kraft und Größe an den Mannsbildern liebte, hatte sie »den vertrockneten Bücherwurm« kaum zu selbigen gezählet. Von seinem neuen Reichtum sagte sie: »Hätt' er statt jedes Tausends ein Lebensjahr weniger, könnt' er dafür einen Zentner schwerer heben und hundert Meilen weiter hinaus in die Welt schauen, dann dürft' er meinetwegen sein Heil bei solchem Prachtkind versuchen!«

Was den Ohm angehet, so sang er zu dem schmetternden Liede der kleinen Hausfrau den Brummbaß; sobald er aber abgerufen wurde, fragte mich selbige, bevor er noch die Thür hinter sich zugezogen, so eilfertig, als habe sie die Ungeduld schon lange mühsam bezähmet: »Aber Dein Bruder! Wie ist das alles möglich geworden? Hatt' er denn nicht der Ann die Ehe versprochen?«

Da that ich ihr alles kund, was ich wußte, und reichte ihr auch des Herdegen Brief, den ich fürsorglich mit mir genommen, und allbereit beim Lesen gewährte sie einen sonderbaren, ja grauenerregenden Anblick, sintemal sie die Zähne wies wie ein grimmer Rüde, und das Tischlein neben ihrem Sorgenstuhle mit der kleinen Hand schlug, daß die Becher und Arzeneiflaschen, so darauf stunden, wankten und klirrten. Endlich wollte sie gar, ihres Siechtums vergessend, aufspringen; doch von Schmerz überwältigt sank sie mit einem Aufschrei in die Kissen zurück.

Dem Großohm Im Hoff war sie nimmer hold gewesen, und nachdem sie ihrer selbst wieder mächtig geworden, verschwur sie sich, seine Ränke zu schanden zu machen und auch ihrem Herrn Neffen in Paris zu weisen, was sie von dem schnöden Bruch eines heiligen Ehegelöbnisses denke.

Hienach berichtete ich ihr, wie das Leben der Ann sich so schwer und schier unerträglich gestaltet, und faßte mir auch das Herz, ihr allgemach zu künden, wer der Mann sei, den sie jetzt ihren Stiefvater nenne.

Da verstummte sie, schaute sich wie verwirrt in den Schoß und fragte endlich, aus was Grund und Ursach sie solches nicht früher erfahren, und wie ich ihr nun entgegnete, daß männiglich sich billig gescheut, den Namen des Meisters Ulman Pernhart vor ihr zu nennen, fuhr sie wiederum jählings auf und rief mir ins Antlitz, sie verbitte sich auch heute noch, ihr von dem Schelme und Glücksmörder zu reden, der ihres Sohnes Jugend und Unschuld mißbrauchet, um ihn den Seinen zu entfremden und ihn schnöd zu verderben.

Da verstieß ich zum erstenmale gegen die Scheu, die ich der ergrauten Frau schuldete, deren ganzes Wesen sicherlich Hochachtung und Schonung heischte; ja ich vermaß mich, sie der schmählichsten Ungerechtigkeit zu zeihen und des Meisters Sache mit glühendem Eifer zu führen.

Eine Zeit lang blieb sie sprachlos vor Unwillen und Staunen, maßen sie solcher Widerrede mit nichten gewöhnet; doch bald bezahlte sie mich mit gleicher Münze, und wie ein Wort das andere gab und mich das Ungestüm immer rascher fortriß, hehlte ich ihr nicht mehr, daß der Meister ihrem Götz die Thür gewiesen, um den Sohn von dem Gehorsam nicht abwendig zu machen, den er den Eltern schuldig. Und weiter berichtete ich, was ich durch des Rotschmiedes Mutter von dem Entführungsversuche und seinem Ende vernommen.

Nachdem der Obergesell nämlich den Anschlag der Liebesleute dem Meister verraten, hatte selbiger die Tochter in die Kammer gesperrt, und wie ihr Herzliebster, der sie vergeblich mit dem gedungenen Priester am Altar erwartet, endlich kam, um nach ihr zu sehen, war ihm von ihrem Vater eröffnet worden, daß er das Trudlein, wenn der Götz nicht von ihr lasse, entweder kraft seines väterlichen Rechtes zwingen werde, dem Obergesellen als seine Hausfrau nach Augsburg zu folgen, oder es ihr auch freistellen wolle, den Schleier zu nehmen. Solches hatte der Meister mit einem feierlichen Eidschwur bekräftiget, und als sich der Götz, außer sich, das Recht zu erzwingen getrachtet, die Herzliebste zu sehen und aus ihrem eigenen Mund zu vernehmen, ob sie gesonnen, sich dem väterlichen Zwange zu fügen, war es auf der Treppe, die in ihre Kammer führte, zu einem grimmen Streite gekommen, der leicht zu blutigem Ende gediehen wäre, hätte sich nicht die alte Frau Madalen zwischen die Männer geworfen.

Hienach hatte der Meister dem Götz versichert, sein Kind wie eine Gefangene verschlossen zu halten, wenn er ihm nicht geloben werde, von dem Trudlein zu lassen, bis er der Eltern Einwilligung gewonnen. Darauf sei denn der Götz in die Fremde gegangen, ohne doch der Herzliebsten zu vergessen; denn von Zeit zu Zeit sei immer wieder ein Schreiben von ihm eingelaufen, so sie seiner Treue versichert.

Am Ende des dritten Jahres nach des Vetters Aufbruch hatte er dem Meister endlich in einem neuen Briefe gekündet, daß er nunmehr eine Stellung gewonnen, die ihm gestatte, einen eigenen Hausstand zu gründen, und war den Meister dringlich angegangen, nicht länger zu scheiden, was sich doch nimmer lassen könne.

Da hatte denn der Pernhart nicht lange mit der Antwort gezaudert, doch war sie ihm sauer genug aus der Feder geflossen; denn er hatte dem Götz nichts zu erwidern vermocht, als daß das Trudlein nunmehr unter dem Rasen schlummere mit seinem Ringlein am Finger und den letzten Veilchen, die er ihr dargebracht, unter dem Kissen, wie sie's verordnet.

So endete die Geschichte von dem armen Trudlein, und bevor ich in die Mitte gekommen, hatte sich mein Ungestüm gesänftigt, sintemal die Muhme immer stiller geworden war, um mir zuletzt andächtiglich zu lauschen. Auch hatte weder mein Auge, noch das der willensstarken Frau trocken zu bleiben vermocht, und wie ich sie endlich fragte: »Nun, Muhme?« fuhr sie auf, wie aus dem Traume und rief: »Und die Handwerkersleute haben mir dannocht mein Kind, das einzige, entfremdet!«

Dabei schluchzte sie laut auf und schlug die Hände vor das zuckende Antlitz; ich aber kniete neben ihren Sorgenstuhl hin, schlang den Arm um sie her, küßte die hageren Finger, so ihr die Augen bedeckten, und wie von einer Eingebung getrieben sagte ich leise: »Aber der Handwerker hatte sein Kind auch lieb, und es war eine so süße, holdselige Maged, des Vaters Stolz, die schönste und tugendsamste in Nürnberg, und was sie so früh von hinnen gerissen, was war es denn als die Sehnsucht nach Deinem Sohne? Der Götz, o Muhme, ihn zieht es schon einmal in Deine Mutterarme zurück; doch der Meister, der findet sein Kind, der findet Schön-Trudlein, wie die Leute es nannten, nimmermehr wieder; und doch könnt' er sich seiner heute noch freuen . . .«

Da unterbrach sie mich mit abweisenden Worten und Geberden, und wie ich mich dannocht vermaß, sie anzuflehen, das Herz nicht länger zu verhärten und den Sohn heimzuberufen, der doch ihr köstlichstes Kleinod, herrschte sie mir zu, sie alsbald zu verlassen. Solchem Gebot mußt' ich denn wohl oder übel willfahren; weil ich aber allbereit auf der Schwelle stund, winkte sie mir noch einmal, und wie ich mich wandte, rief sie mir zu: »Geh nur, Gred; aber daß Du's weißt, Du bist eine wackere Maged!«

Beim Nachtmahl, das ich allein mit dem Waldohm und dem Herrn Kaplan einnahm, vertraute ich jenem an, daß ich mit seiner Hausfrau von dem Pernhart gesprochen, und da er vernahm, daß ich sogar dem Meister das Wort geredet, blickte er mich an, als habe ich mich einer verwegenen That unterfangen; doch nahm ich deutlich wahr, daß ihm solches mehr denn genehm, und der Herr Kaplan, der bis dahin, wie immer, geschwiegen, würdigte mich eines gar beredten, dankerfüllten Blickes und dazu auch etlicher lobender Worte.

Nachdem das Mahl längst beendet und der Ohm sich allbereit vom Nachttrunk erhoben, ließ die Muhme mich von der Schaffnerin zum andernmale berufen. Hold und gelassen, als habe sie mir mein Aufbegehren zum Guten geschrieben, lud sie mich ein, mich niederzulassen und gebot mir dann, ihr bis aufs kleinste alles noch einmal zu berichten, was ich über den Götz und das Trudlein in Erfahrung gebracht. Während ich nun solches nach bestem Vermögen vollbrachte, unterbrach sie mich mit keinem Worte; wie ich aber geendet, hob sie das Haupt und rief vor sich hin wie im Traume: »Doch der Götz! Hat er nicht um eines lieblichen Antlitzes willen Vater und Mutter vergessen?«

Da bat ich sie zum andernmale recht flehentlich, der Stimme des Mutterherzens zu folgen. Wie ich sie aber hienach ins Leere schauen und die Unterlippe noch weiter denn sonst hervorschieben sah, zweifelte ich nicht mehr, daß sie ihn nimmer heimrufen werde.

Eisig lief es mir über den Rücken, und ich schickte mich an, sie zu verlassen; doch sie hielt mich zurück und kam nunmehr auf des Herdegen Sache. Nachdem sie alles erfahren, schaute sie bedenklich drein und rief: »Ich kenn' meine Ann! Hat sie dem Bücherwurm einmal das Jawort gegeben, dann bringen sie die zwölf Apostel selbst nicht ab von dem Gelöbnis, und da liegt sie im Elend, und mit ihrem Schicksal ist auch das Deines Herdegen-Bruders besiegelt.«

Hienach fragte sie, wann der Magister heimkehren werde, und wie sie erfahren, daß er schon morgen zurück sein könne, ward sie von großer Unruhe befallen.

Mitternacht war allbereit vorüber, da ich sie verließ, und so kam es, daß ich mich übel verschlief. Da galt es denn eilen, und wie ich von ungefähr an das Licht trat, sah ich wiederum die Flocken im Winde stieben, im Schuppen, gewiß für einen Wunden, der ins Kloster geführt werden sollte, einen großen Holzschlitten richten.

Im Soler fand ich schon die Waldmuhme, die sonst die Kemenate nimmer vor Mittag verließ. Auch stak sie, statt in dem täglichen, weiten Morgengewande, in einem seltsamen, schier unförmigen Aufputz; denn sie war mit allerlei Röcken und Tüchern also vermummet, daß sie keinem, und am wenigsten sich selber, gleichsah, maßen aus dem zarten, hageren Weiblein eine schier ungeschlachte, umfangreiche, vielmalige Zwiebel geworden. Aus den Schleiern und Hüllen, so das Haupt ihr umgaben, schaute ihr schmal Antlitz herfür wie der Halbmond aus dichtem Gewölk; doch die hellen Augen blitzten mich gar sonnig an, wie sie mir zurief: »Auf, und hurtig an die Morgensuppe gegangen, Du Schlafratz! Dachte, Dich satt und fertig zu finden, und nun läßt der Reisegesell warten, als ob wir tagtäglich mitsammen auf der Landstraße lägen!«

»Ja, auf die Landstraße will sie!« stöhnte nun der Ohm und hob mit einem zärtlichen Blick auf die sieche Hausfrau die gefalteten Hände. »He, Kaplan, auch in unseren Tagen geschehen noch Wunder!«

Und der schweigsame geistliche Herr blieb ihm diesmal die Antwort nicht schuldig, sondern erwiderte rasch und voll herzinniger Wärme: »Eines wackeren Weibes liebreich Herz hat nie aufgehört, Wunder zu wirken.«

»Amen,« sagte der Waldohm und senkte den Mund leise auf den vermummten Scheitel der Muhme. Mir aber kam unser Gespräch von gestern in den Sinn und den Schlitten, den sie gerichtet; doch ganz allein der Blick, mit dem die Reisefertige mich ansah, hätte genügt, mir zu künden, was die bresthafte Frau sich meinem Annlein zu liebe aufzuerlegen gedachte. Da packte es mich, ich wußte selbst nicht wie, und mit einem ganz anderen Ungestüm, denn dem von gestern abend, warf ich mich auf sie und küßte sie wie ein Kind, dem die Mutter das Schönste und Liebste zum Weihnachtsabend bescheret, und indes mein Mund sich auf ihre Augen, die Stirn und Wangen, so die Tücher nicht bargen, heftete, rief sie: »Laß mich, Du tolles Ding, Du erwürgst mich! Was thu' ich denn Großes? Um eines Klatsches willen springt die eine durch den Schnee zu der anderen in Nürnberg, und wer wendet deswegen auch nur den Hals? Nein, jetzt läßt Du mich, Tollkopf! Solch ein Wesen um gar nichts!«

Wie ich meines Süppleins eins zwei drei Herr geworden und sodann in den Schlitten gekommen, wie wüßt' ich's zu melden? Wahrgenommen hab' ich überhaupt bis zum Aufbruch nur wenig; denn solches wehrte mir das Naß in den Augen.

Dicht an die Muhme geschmiegt, sintemal sie drei Vierteile des Sitzes füllte, flog ich mit ihr über den Schnee, und wir brauchten kein groß beritten Geleit, maßen der Ohm uns voranritt und der Buchenauer, der Steinbacher und andere Placker, so die Straßen um Nürnberg unsicher machten, mit dem Forstmeister Waldstromer in guter Eintracht lebten, schon wegen des Weidwertes.

Da ich nun in der Stadt dem Roßknecht gebot, nach dem Schopperhof zu fahren, rief sie: »Nein, zu dem Ulman Pernhart, dem Rotschmiedemeister!«

Da murmelte der alte, getreue Mann, der mancherlei von seines jungen, entschwundenen Herren Handel mit der schönen Handwerkerstochter vernommen und dem Götz gar gewärtig gewesen, seines Heiligen Namen und schaute sich nicht anders um, als stürze ein reisiger Troß aus dem Busch, um sein Fuhrwerk zu werfen, und auch ich wußte meine Bewegung schwer zu bemeistern; doch faßte ich mich schnell wieder zusammen und stellte ihr für, daß es doch nicht wohl angehe, in solcher Vermummung eines Fremden Haus zum erstenmal zu betreten. Mein Akusch sei ohnehin vorausgeritten, um der Base Metz ihr Kommen zu melden. Daheim werde ich die Ann rufen; denn es sei an ihr, der Jüngeren, zu der Muhme zu kommen.

Doch die sieche Frau bestund darauf, sich in des Meisters Haus zu begeben; weil sie aber die Tücher und anderen wärmenden Dinge belasteten, bequemte sie sich, selbige bei uns niederzulegen.

Daheim wollte die Base ihr schier mit Gewalt Rast und Erfrischungen aufdrängen, sie aber wies alles zurück, was für sie süß und dampfend bereit stund, und ließ sich nicht halten; doch wie sie eben in den Soler hinabgetragen ward, fügte es der Zufall, daß der Magister gerade von der Fahrt gen Nördlingen heimkam. In den langen Pelzstiefeln und der rauhen Decke, womit er das Haupt gegen die Dezemberkälte verbunden, glich er freilich eher allem andern denn einem Freier um eine junge und minnigliche Maged, und aus dem Blick, womit ihn die Muhme halb schalkhaft, halb dräuend von oben bis unten maß, mußte wohl männiglich außer dem Magister, der ihr in aller Demut einen wohlgesetzten Sermon hielt, lesen: »Warte, Du Wichtlein; da bin ich! Und kommen Dir die Motten in den Pelz, so hast Du Dich dafür bei mir zu bedanken!«

Angethan wie ein fürnehm Weibsbild, mit Mardermantel und Haube, ward sie nun in der wohlverschlossenen Sänfte der Base von dannen getragen; ich aber hatte den Akusch mit einem Zettelein an die Ann vorausgesandt, doch da er sie nicht daheim gefunden, harrte er mein auf der Gasse, und niemand bei den Pernharts hatte erfahren, was ihrer warte.

Wie die Träger die Sänfte endlich niedersetzten, fragte die Muhme, indem sie das stattliche Haus, vor dem wir hielten, mit den Augen maß, was solches bedeute; denn vor sieben Jahren hatte sie die Stadt zum letztenmale betreten, und des Meisters neu Quartier war erst später fertig geworden.

So war sie denn baz verwundert, den Handwerker in einem Haus von so fürnehmem Aussehen zu finden. Doch es sollte noch besser kommen; denn wie ich mich eben anschickte, den Klopfer zu heben, traten fünf Herren vom Rat, die für jenes Jahr erkorenen Wahlherren, so sämtlich zu den fürnehmsten Häuptern der Stadt gehörten, auf die Schwelle, und in ihrer Mitte der Meister. Sie schüttelten ihm, wie einem guten Gesellen, die Rechte, er aber überragte sie alle, und hätte er nicht dagestanden, wie er aus der Werkstatt kam, im Schurzfell und mit der Schmiedekappe in der Hand, wär' es jedermann leicht begegnet, ihn für den Fürnehmsten zu halten.

Selbige Herren waren aber zu dem Ulman Pernhart gekommen, um ihm seine Wahl unter die acht Zunftmeister zu vermelden, welche schon damals zu den zweiundvierzig Mitgliedern des ehrbaren Rates gehörten. Es hatte nämlich der alte Brauermeister Veit Gundling vom Rate das Zeitliche gesegnet, und die Wahlherren waren einig geworden, den Rotschmied, der auch den Zünften genehm, an seine Stelle zu setzen. Allbereit heute hatten sie sich zu ihm begeben, weil, wenn der Wahl Verkündigung auch erst zu St. Walpurgis stattfand, man doch gern vor des alten Jahres Abschluß den Ersatz ins reine brachte.

So wurde die Muhme denn Zeuge, wie ihnen der Pernhart frank und aufrecht in kurzen, kernigen Worten beim Abschied dankte. Selbiger war freilich durch ihre Ankunft unterbrochen worden, sintemal ihr alle fünf Wahlherren wohl bekannt, und sie sich sämtlich befleißigten, sie ihres Staunens und Genügens zu versichern, sie auch einmal in der Stadt zu begrüßen.

Daß die schwerbewegliche Frau nicht bei dem Pernhart vorsprach, um ein Kupferdach oder einen Muskessel zu bestellen, konnte sich männiglich denken, doch sie schnitt die neubegierigen Fragen, womit man sie anging, kurz ab, und durch das weit geöffnete Thor ward die Sänfte ungesäumt ins Haus getragen.

Im Soler empfing sie der Meister.

Er war ihr bis dahin nur von fern begegnet, doch hatte er genug über sie vernommen, um sich ein festes Bild von ihr zu gestalten. Mit ihr stund es nicht anders. Sie sah den Mann, dem sie so tief innerlich gram gewesen, hier in seinem eigenen Hause zum erstenmale, und so bot es ein gar sonderbar Schauspiel, wie sie einander mit den Blicken maßen: er, mit leicht geneigtem Rücken, beinahe zaghaft und mit dem Käpplein in der Hand, sie sonder Scheu, aber dannocht mit einer Miene, als wisse sie wohl, daß sie hier nichts Frohes erwarte.

Wie jener nun das Schweigen brach, sie aufrecht und dannocht mit ziemlicher Ehrfurcht willkommen hieß in seinem Hause, ohne selbiges, wie das wohl sonst bei Handwerkern üblich, »schlicht« oder gar »dürftig« zu nennen, und sich anschickte, ihr aus der Sänfte zu helfen, sah ich es immer lichter werden auf ihrem Antlitz, und es sagte mir wohl zu, daß sie, der vergangenen Dinge mit keinem Worte gedenkend, dem Pernhart erklärte, zu was Zweck und Frommen sie bei ihm angepocht habe.

In dem Wohngemach wich ihr auch die letzte Falte vom Munde, und es sah auch traut und zierlich genug darin aus, maßen es Frau Giovanna trefflich verstund, jedem Ding ein anmutig, dem Auge wohlgefällig Ansehen zu geben.

Der Pernhart war indes wortkarg verblieben und hatte ein ernst, beinah' finster Ansehen bewahret.

Ganz anders zeigte sich die Frau Meisterin-Mutter. Sie, der das Trudlein alles gewesen, und die ihrer Minne Vorschub geleistet, las in der anderen Seele und erfaßte die Schwere des Opfers, so sie sich auferlegt hatte.

Auch nicht die leiseste Spur des alten Grolles war an ihr zu verspüren, und es klang gar artig, wie sie, indes sie der Muhme das Kissen zurecht schob, selbige anging, sie nicht zu beneiden, weil es ihr, der Aelteren, vergönnet, sich der Jüngeren dienlich zu zeigen.

Während nun der Pernhart sich bald entfernt hatte, um, wie sich's ziemt, das Festkleid anzulegen, saßen die Alten in regem Gespräch sich gegenüber, und wenn die Edelfrau auch hager und bresthaft, die Meisterin-Mutter hingegen voll und rüstig, glichen sie einander dannocht in vielen Stücken. Gebietende Weibsbilder waren sie sicherlich beide, und da ich wahrnahm, daß sich bei dieser wie bei jener die Unterlippe vorschob, sobald sie ein Wort zum Widerspruch reizte, schien mir solches ergötzlich, doch zugleich erfüllte es mich mit Staunen, wie treffend die alte Pernhartin der Muhme die Ann darzustellen wußte. Freilich hatt' ich bis jetzt vieles an der Freundin mit ganz anderen Augen geschaut, und dannocht wär' ich billig nicht im stande gewesen, auch nur ein Wort der Meisterin ungerecht zu nennen, maßen ich nicht zu leugnen vermochte, daß des Rotschmiedes Stiefkind durch mich und den Umgang mit unserer Freundschaft anders geworden und mit minder bescheidenen Wünschen erwachsen denn anderer Schreiber oder gar Handwerkers Töchter.

Bei allem guten Willen, der Seele Unzufriedenheit zu bergen, sagte die Alte, glück' es ihr dannocht mit nichten. Ein Haus sei ein Körper, und wer darin der Art widerstrebe, die ihm zu eigen, der komme mit seinen Gliedern schlecht ins Vernehmen und erschwere es solchen, ihm so dienlich und gewärtig zu sein, wie sie wohl möchten. Ueberall, auch im Kleinsten, erfülle die Ann voll und ganz ihre Pflicht, maßen sie festen Sinnes und Großes über sich vermöge, doch sie schmälere sich selbst den Dank, weil es sonder Freudigkeit geschehe. Solche von ihr zu verlangen, würde heißen, an der Birke nach Trauben suchen, und so sehr sie auch noch jüngst gehofft, die so liebenswerte Maged werde ihr eine ersetzen, die nicht mehr sei, jetzt müsse sie ihr selbst ein neu und ander Heim wünschen.

Solcher Rede stimmte die Muhme zu, und weil der Pernhart im Feiertagsgewand wieder eintrat, stattlich und völlig geschickt für die neue Würde, bat mich die Muhme, nach der Ann auszuschauen.

Da merkte ich wohl, daß sie mich zu entfernen und mit Mutter und Sohn allein zu bleiben trachte, und so wich ich denn hurtig von hinnen und hielt mich in dem obern Stock bei den Kindern, bis ich Frau Giovanna mit der Ann dem Hause zuschreiten sah.

Nun eilte ich ihnen hurtig entgegen, und wie ich mit ihnen wiederum das Gastgemach betrat, beugte der Pernhart eben die Lippen über der Muhme Hand, um sie zu küssen, und in seinen wie in der Weibsbilder Augen schimmerte es feucht; auch waren alle drei so tief ergriffen, daß keines die Thür gehen hörte, und die alte Frau Madalen sich noch allein mit den Pernharts wähnte, wie sie ausrief: »O warum hat es dem Himmel doch nicht gefallen, Euch wenige Jahre früher zu uns zu führen!«

Da nickte die Muhme der Greisin nur schweigend zu, und die Meisterin mochte solches für willige Zustimmung nehmen; ich aber las in den Zügen der anderen noch etwas mehr, und das hätte etwa gelautet: »Wir haben einander schwer gekränket, und es freut mich, daß solches nunmehr vergeben; doch wie wert ihr mir auch geworden, das, worauf es euch ankam, hätt' ich euch so wenig heut wie damals gewähret!«


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