Georg Ebers
Die Gred
Georg Ebers

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Drittes Kapitel.

Wohl hat meine Schulbank in dem Kloster des allergestrengsten Ordens gestanden, und meine Lehrerin ist eine Karthäuserin gewesen, und dannocht gedenk' ich gern der Jahre, darin meinem Geiste mit guten Genossinnen und stets an der Seite der liebsten Freundin die Wohlthat der Belehrung gereicht ward. Ja, in der stillen Behausung der stummen Schwestern erklang während der Unterrichtspausen gar fröhliches Lachen, und solches drang auch trotz der dicken Mauern des Lehrsaales bis zu den Nönnlein. Wenn selbige mich nun auch anfänglich mit Scheu und Grausen erfüllet, so wurde mir ihr sonderbar Wesen doch bald vertraut, und es gab unter ihnen manche, die ich lieb gewann, und wieder andere, mit denen sich's gar fröhlich plauderte und scherzte, sintemal sie sich feiner Ohren erfreuten, wir aber die Sprache ihrer Augen und Finger schnell genug begriffen.

Was die Regel des Schweigens angeht, so hat sie meines Wissens vor uns Mägeden nur die Schwester Renata gebrochen, die man auch endlich des Klosters verwies; doch da ich größer ward, nahm ich wahr, wie selbige Nönnlein, was auch immer aus des Lebens Treiben von ungefähr in das Kloster drang, so froh begrüßten, als wüßten sie sich nichts Lieberes denn die Welt, der sie doch aus freien Stücken entsaget.

Was mich nun angeht, so blieb ich sicherlich bis zuletzt eine von denen, die am wenigsten geschickt für das Leben in der Karthause, und doch hatte uns Schwester Margret den Segen und die läuternde Kraft ihrer Ordensregel mit gar lieblichen und bestrickenden Farben geschildert; denn in den der Gottesgelahrtheit gewidmeten Stunden, in denen sie den ausbündigen Reichtum und die ganze Anmut ihres Geistes und ihrer warmen Seele über uns ausgoß, also daß sie aus unserer kleinen Zahl nicht weniger denn vier für das Kloster gewann, pflegte sie gern auf diesen Gegenstand zu kommen, und da sagte sie, daß in jeder Menschenbrust etwas Himmlisches lebe und webe. Mit heiligen, glockenreinen Engelstimmen künde es uns, was göttlich und wahr sei, doch der Lärm der Welt und unser eigen eitel Gerede übertönten es laut, also daß wir es nicht mehr vernähmen. Wer aber der Regel der Karthause folge und stumm in schweigender Umgebung, nie hinaus in die Nähe und Ferne, sondern nur in sich hinein horche, der lerne das Himmlische, so ihm innewohne, bald mit dem Ohre der Seele ergreifen und seiner Stimme lauschen. Die künde ihm die Herrlichkeit und den Willen des Höchsten und entschleiere ihm das Verborgene, also daß er allbereit hienieden der Wonnen des Paradieses teilhaftig werde. Aber ob ich auch nie eine Karthäuserin gewesen und mir das Zünglein oft nur zu schnell lief, meine ich doch auch in meiner Seele Tiefen das Himmlische erkannt und seine Stimme vernommen zu haben; doch ist solches am sichtlichsten und wonnigsten geschehen, wie der Herr mir das Herz mit jener weltlichen Minne gesättiget, gegen die sich die Karthause mit hundert Thoren verschließet. Und auch wenn ich die Liebe gegen den Nächsten bethätigt, so sie Barmherzigkeit heißen, und mich dabei recht müde geschafft und nichts geschont, was mein eigen, auch dann hab' ich das Himmlische deutlich genug in mir selbst verspüret.

Immer hielt uns die Karthäuserin an, sonder Scheu zu fragen, und ich bin diejenige unter allen gewesen, die sie am häufigsten mit Einwürfen plagte. Zwar wußte sie meine nach Erkenntnis dürstende Seele nicht immer zufrieden zu stellen, doch sie zu beruhigen gelang ihr allerwegen; denn ich stund fest im Glauben, und was sie in sein Bereich wies als Gottes Offenbarung, das nahm ich willig an, ohne zu zweifeln oder zu grübeln; denn sie hatte uns gelehrt, daß Glauben und Wissen zweierlei Ding, und ich fühlte selbst, daß es aufhören müsse mit der Seele Frieden, wenn ich diesem gestattete, an jenen zu rühren.

Mit ihr sah ich in dem Heiland die Liebe selbst, doch daß die Liebe, die er in die Welt gebracht, immer noch lebendig fortlebe und wirke nach seinem Willen, solches anzuerkennen sträubte sich mein denkender Geist; denn ich sah selbst die Erzbischöfe und Bischöfe mit Schwert und Schild in den Krieg ziehen und mit feindseligem Trutz der Nächsten Herzblut vergießen. Papst gegen Papst sah ich Bannflüche schleudern; denn das Schisma gedieh erst während meiner Schulzeit zum Ende. Friedliche Städte verbanden sich, der Not gehorchend, vor unseren Augen, um christlicher Ritter und Herren sich zu erwehren. Auf des Kaisers Straße plünderte der räuberische Adel den Kaufmann, der doch auch seines Glaubens, während die Bürger der Ritter Burgen zu brechen suchten. Von wie viel mehr Fehdebriefen gab es zu hören, denn von Friedensschluß und Bündnis! Und die Bürger unserer guten christlichen Stadt, konnte denn nur unter ihnen jene Liebe aufkommen, die der Heiland gelehret? Und wie die Großen, so die Kleinen; denn war etwa das, was uns Kinder in einer christlichen Schule verband, lauter Liebe? O nein; denn nimmer konnt' ich's vergessen, wie die Ursula Tetzelin, und mit ihr die gute Hälfte der anderen Schülerinnen, meine sanfte, kluge Ann, die bravste und fleißigste von allen, mit übler Arglist verfolget, um sie aus unserer Mitte zu drängen; doch, Dank dem gerechten Sinn der Karthäuserin, vergebens. Ja die schlimmen Ränkespinnerinnen mußten am Ende sehen, daß die Schreiberstochter zu unserem Princeps erhöht ward, und solches zwang sie, den Trutz vor ihr zu beugen.

Das alles und noch viel mehr hielt ich der Schwester vor, und ich vermaß mich, sie zu fragen, ob Christi Gebot, auch den Feind zu lieben, das Vermögen des menschlichen Wesens nicht übersteige. – Da hab' ich sie gar nachdenklich gefunden, doch ließ sie es nicht an tröstlichen Worten fehlen und sagte, der Heiland habe nur die Wege gezeigt und das Ziel. Noch irre die Menschheit beklagenswert ab von beiden, aber der Strom entferne sich in vielen Krümmungen von seinem Endziel, dem Meere, bevor er selbiges erreiche, und einen ähnlichen Anblick biete die Menschheit, der dannocht, in wie blutigem Hader sie sich auch jetzund zerfleische, der Tag beschieden sei, an dem der Feind dem Feinde die Palme des Friedens reichen, und es nur noch eine Herde geben werde hienieden und einen Hirten.

Und meine, eines Kindes, bange Frage hat ihre lautere und wahrhaftige Seele gewiß vielfach geängstigt; denn nachdem im Verlauf unserer Schulzeit ihre Haltung immer geneigter und ihre Stimme immer leiser geworden, also daß wir oft Mühe hatten, sie zu verstehen, und sie, es war in der Marterwoche des fünften Jahres und kurz vor dem Abschluß unserer Lehrzeit, die Zelle nicht mehr zu verlassen vermochte, ließ sie mich an ihr Lager bescheiden, und mit mir von uns allen nur drei, mein Annelein und die Els Ebnerin, ein gutes Kind und dabei ein gar emsig Bienlein.

Indes nun die sieche Schwester uns das Valet bot auf immer und uns mit manchem freundlichen Gruß und guten Rat auch für die anderen das Herz erweichte, kam sie weiterhin auf die Liebe zu sprechen, die der Christ jedem Nächsten schuldig sei und auch dem Feinde. Dabei faßte sie mich besonders ins Auge und bekannte mit dem bleichen, leisen Munde, daß es auch ihr oft schwer gefallen, arge Widersacher und solche, deren Art der ihren vorzüglich entgegen gewesen, nach dem Gebot des Erlösers zu lieben. Denen unter uns, so sich entschlossen, den Schleier zu nehmen, habe sie allbereit des nähern gewiesen, was not thut; denn ihnen sei es vorgeschrieben, und falle es auch ihrer Menschennatur noch so sauer, in der Nachfolge Christi zu leben; wir aber seien bestimmt, in der Welt zu bleiben, und sie könne uns nur raten, den Haß zu meiden als den grimmigsten Seelenfeind und arglistigsten Unhold. Sollte es uns aber widerfahren, daß sich das Herz auch nach wackerem Strauß nicht entschließen wolle, diesen oder jenen zu lieben, dann sollten wir wenigstens hoch zu achten bestrebt sein, was an ihm gut sei und löblich, maßen wir auch an dem Aergsten und uns am wenigsten Genehmen etwas finden würden, das Wertschätzung heische.

Selbige Worte aber sind mir unvergessen verblieben, und sie haben mir manchmal die Hand zurückgehalten, wenn das rasche Schopperblut mich schon nach dem Stein greifen ließ, um ihn auf den Nächsten zu schleudern.

Nur drei Tage, nachdem sie uns zu sich berufen, hat sodann die Karthäuserin Margret, die uns eine selten feste und doch milde Lehrerin gewesen, und deren Wissen das der meisten Frauen ihrer Zeit himmelhoch überragte, ein sanft selig Ende gefunden, und da ihre irdische Hülle nicht mehr gebeugt, sondern lang und gerade ausgestreckt im Sarge lag, da gewann die fromme Frau, die, bevor sie den Schleier genommen, eine Gräfin von Lupfen gewesen, das Ansehen, als habe sie einem Geschlechte angehört, so das unsere an Haupteslänge überraget. Eine stille königliche Würde breitete sich über ihre edlen, schmalen Züge, und da ihre Leiche die erste war, die ich mit Augen geschaut, bewirkte sie, daß der Tod, vor dem mir bis dahin gegraut, in meiner jungen Seele die Gestalt eines würdigen Herrschers annahm, dem man sich neiget und der uns doch nicht zuwider.

So großen Ruhm wie die Ann, die mit gutem Recht unser Princeps, hab' ich nimmer in der Schule erworben; doch ward ich immerhin zu den Besseren gezählet. Der Base aber genügten die Zeugnisse, so ich heimbrachte, völlig, zumal ihr Verlangen, ihre Pfleglinge möchten sich vor anderen herfürthun, durch unseren Aeltesten, den Herdegen, reiche Befriedigung erfuhr; denn selbiger war gleichsam voll von schlummerndem Wissen, und es wollte mich oftmals dünken, als bedürfe es bei ihm nur bescheidener Anweisung und eines guten Anlaufs, um solches zu wecken. Doch sonder Mühe ist auch er nicht zu dem Seinen gekommen, und die, so da wähnten, das Wissen sei ihm ins Maul geflogen, die irrten. Oft weilte ich ihm zur Seite, wenn er sich in die Arbeit vertiefte, und da nahm ich wahr, wie scharf er ins Zeug ging, wenn er einmal Spiel und Kurzweil verlassen. Mit drei wuchtigen Hieben schlug er den Nagel ein, den es Schwächeren nicht mit zwanzig ins Brett zu treiben glückte. Ganze Wochen lang konnte er müßig gehen und mancherlei betreiben, was am letzten in die Schule gehöret, doch hatt' er sich einmal auf die Arbeit gestürzet, dann beherrschte selbige ihn derart, daß er den Stein nicht wahrgenommen hätte, der vor ihm niedergefallen.

Mit unserem zweiten, dem Kunz, stund es ganz anders. Nicht als sei er blöden Geistes gewesen. Im Gegenteil! Für alles, was das Leben heischet, war sein Kopf so hell wie der klügste; doch das Erlernen gelahrter Dinge, das fiel ihm sauer, und was der Herdegen in einer Stunde erwarb, dazu bedurfte es bei ihm eines voll gemessenen Tages. Aber er gehörte dannocht nicht zu den letzten; denn er dauerte emsig aus, und lieber hätt' er sich während einer ganzen Nacht des Schlafes begeben, als nur halb erfüllet, was er für seine Pflicht hielt.

So gab es denn für ihn während der Schulzeit manche harte Stunde; aber beklagenswert war er darum dannocht mit nichten, sintemal er sich eines gar frohen und schnell zufriedenen Gemütes erfreute und männiglich ihm hold war. Aus seinen großen blauen Augen schauten Heiterkeit und Bravheit Wange an Wange heraus, und wenn er einmal einen Streich begangen, der ihm Strafe zuzuziehen dräute, wußte er Augen zu machen, Augen, die eines Steines, geschweige denn der guten Base Metz Barmherzigkeit erweckt haben würden.

Aber auch selbiger Vorzug sollte ihm nicht immerdar frommen; denn nachdem der Herdegen einmal wahrgenommen, wie gern ihm eine Strafe geschenkt ward, hielt er ihn an, manche Unthat, die er selbst verübet, auf sich zu nehmen, und des Kunz weiches Herz ließ es ihm genehmer erscheinen, sich selbst züchtigen zu lassen, denn den lieben Bruder einer Buße verfallen zu sehen. Außerdem war der Kunz ein schmucker, behender Bub; doch neben des Herdegen seltener Leibesschöne und Schwungkraft des Geistes stund er gemeinhin zurück. Dafür hatte er keinen Widersacher, während unseres Aeltesten in allen Stücken ungewöhnliches Wesen und leicht im Guten und Bösen überschäumende Weise ihm schon früh Mißgunst und Gegnerschaft weckten.

Da die Base sah, wie übel das Lernen trotz allen Eifers dem Kunzlein glückte, beschloß sie, einen Hilfslehrer für ihn zu nehmen, und solches geschah auf Vorschlag des hochgelahrten Doktors des geistlichen Rechtes, des Plebanus zu Sankt Sebald und kaiserlichen Rates, Albrecht Fleischmann, sintemal wir Schopper zur Gemeinde der Sankt Sebaldkirche gehörten, an deren Altar der Albrecht und Friedrich Schopper selig eine reiche Pfründe geknüpfet.

Der Hilfslehrer nun, den der Herr Plebanus Fleischmann der Base in Vorschlag brachte, kurz nachdem er selbst auf dem Konzil zu Costnitz, wohin ihn der ehrbare Rat mit mancherlei Botschaft an den Kaiser Sigismund gesandt, mit dem böhmischen Ketzer Hans Huß disputiret, hieß Peter Pihringer und war ein Nürnberger Kind. Er ist es, der dem Griechischen, so damals in den lateinischen Schulen unserer Stadt noch nicht gelehrt ward, in unserem Haus und bisweilen auch anderwärts Eingang verschaffte; doch glich er mit nichten den hochgemuten Männern und Helden, von denen sein Plutarchus berichtet, vielmehr war er ein gar kümmerlich Männlein, das nichts vom Leben, aber desto mehr aus den Büchern erlernet. Lange Zeit war er in Italien von einem der großen humanistischen Doktores zum andern gewandert, und während er zu ihren Füßen den Geist mit Wissen gefüllt, waren ihm die Heller unter den Fingern geschmolzen, so ihm von seinem Vater, einem ehrsamen Gastgeber und Bäckermeister, anerstorben. Gar vieles hatte er freilich an falsche Freunde auf Nimmerwiedersehen verliehen, und es ist nicht zu glauben, wie oft arge Schelme diesen hochgelahrten Herrn um das Seine betrogen. Als armer Fahrender war er endlich nach Nürnberg heimgekehrt und durch dasselbe Thor dort eingezogen, durch welches der Huß, der auf dem Wege nach Costnitz in unserer Stadt geherbergt und unter unseren studirten Herren manche für seine Lehre gewonnen, am nämlichen Tage den Ausgang gefunden. Nachdem nun unser Magister gegen selbigen Hans Huß eine gar gelehrte Streitschrift erlassen, in der zwar viel Griechisches vorkam, von der es aber hieß, sie habe dem standhaften Prager Professor in seiner Trübsal zu einem Lächeln verholfen, hatte er in dem Doktor Fleischmann, dem selbige Schrift baz genehm, einen Gönner gefunden und hienach mit verschiedentlichem Unterricht das Leben gefristet. Doch das Alleinwohnen war ihm übel gediehen, maßen er des Speisens und Trinkens vergessen und das sauer verdiente Geld verlegt oder verloren. Auch hatte ihn der Weibel heimgeleiten müssen, weil er statt des Buches einen Schinken, den ihm seine Pathin verehret, unter dem Arme getragen und ein andermal mit der Nachtmütze auf dem Haupte zum lauten Ergötzen der Buben und Mägede durch die Gassen geeilt war.

Dannocht sollt' es sich zeigen, daß das hohe Lob, womit ihn der Herr Plebanus geehret, mit nichten des Grundes entbehre, maßen er gewißlich nicht nur ein hochgelahrter, sondern auch ein treuer und unermüdlicher Lehrer. Doch sein Wissen ist dem Herdegen, der Ann und mir mehr zu gute gekommen, denn dem Kunz, zu dessen Gunsten er doch bei uns hauste, und was selbigen sonderbaren Mann im übrigen angeht, so hat mir die Base später vertraut, sie habe, da er ihr präsentirt ward, zunächst ein solches Grauen vor seiner Jammergestalt empfunden, daß sie schon im Begriff gestanden, ihn heimzusenden und den Herrn Plebanus um einen anderen Instruktor zu bitten. Aber aus Barmherzigkeit habe sie es dannocht mit ihm versuchet, und dazu sei die Erwägung gekommen, daß ich bald heranwachsen werde, und ein Jungfrauenherz ein wundersam Ding sei, dem ein junger Präceptor, der etwas fürstellet, Gefahr bringen könne.

Wie der Magister zu uns ins Haus kam, hatte der Herdegen allbereit die Reife für die hohe Schule erworben; denn er war der erste in seinem ordo, doch achtete ihn unser Vormund, der alte Ritter Hans Im Hoff, von dem ich hienach mancherlei zu berichten habe, noch für zu jung, um die Fährnisse des freien Scholarenlebens auf einer fremden hohen Schule glücklich zu bestehen, und so hielt er ihn noch zwei Jahre in Nürnberg in der Spitalschule zum heiligen Geiste zurück, obzwar es dort mit dem Unterricht nur gar kümmerlich bestellt war. Wenigstens schwur der Magister, wir stünden in allen gelehrten Sachen himmelweit hinter denen in Welschland zurück, und ein wie roh und barbarisch Latein die Herren Patres redeten und bei ihren Schülern durchgehen ließen, solches hab' ich später selbst zu erkennen vermocht.

Es ging auch während des Unterrichts in dieser Sprache gar wunderlich her; denn um den Scholaren die Quantität der Silben recht fest einzuprägen, mußten sie die Verse im Chorus singen, und ein Erwählter, dem Pater Hieronymus zum Zeichen seines Amtes ein papieren Hütlein aufgesetzt, schlug dazu mit einem hölzernen Schwert den Takt; wie viel argen Unfug aber die ungestüme Rotte bei dem allen verübte, solches zu schildern würde meinem Kunz besser geraten denn mir.

Von den köstlichen und hochberühmten Werken der römischen Schreiber und Dichter, mit denen sich der Magister in Italien vertraut gemacht hatte, und von denen er fast zierliche Abschriften besaß, bekamen die in der Spitalschule nichts zu erfahren, maßen diejenigen, so sie verfaßt, nur blinde Heiden gewesen; doch die bekannten Schulfragen, so man ihnen zur Unterweisung in die Hand gab, enthielten so abgeschmackte, thörichte Dinge, daß sich ihrer auch ein verständiger Heide geschämt haben würde. Die fürnehmste Uebung bestund in den Disputationen über allerlei heikele, spitzfindige Fragen, und die lateinischen Reimverslein, so sie unter Leitung des Pater Jodocus schmiedeten, waren also beschaffen, daß sie bei dem Magister Peter großes und gerechtes Aergernis erregten. – Jeglicher Unterricht ward mit dem alten berühmten Liede: »Salve regina!« begonnen, und in der Spitalschule kam selbiges merklich schöner und feiner zum Vortrag, denn in den anderen Klöstern, wie denn die Mönche just dorten die edle Musika absonderlich pflegten. Mein Herdegen hat daraus großen Vorteil gezogen, und unter den singenden Scholaren war er der fürnehmsten einer. So nahm er auch gern und freiwillig teil an den Uebungen der alumnorum, unter denen ein Dutzend, so man die zwölf pueri hieß, beim heiligen Gottesdienste, bei Begräbnissen und allerlei Festen, ja auch auf der Straße vor den Häusern der Geschlechter und anderer guten Bürger zu singen hatten. Die Heller, so sie dafür empfingen, dienten dazu, den armen Eltern ihren Unterhalt zu erleichtern, und es versteht sich, daß mein Bruder ihnen seinen Part williglich abtrat; ja ein gut Teil seines eigenen Taschengeldes floß den zwölfen zu, unter denen sich etliche fanden, so ihm liebe Kumpane.

Es lag etwas Herrschendes in meines Aeltesten Wesen, dem sich seine Gesellen früh unterwarfen. Allbereit bei den Spielen der Schützen wurde er immerdar zum Feldhauptmann erkoren, und bald waren ihm auch die singenden pueri in Gehorsam gewärtig. Base Metz hielt ihnen freilich an manchem Sonn- und Festtag Tisch und Schüssel offen, und wenn sie an unserer Tafel die langen Scholarenmägen für die kommende magere Woche baz ausgefüttert, zogen sie mit uns in den Garten, und da klang es denn oft von fröhlichen Liedern wider, zu denen der Herdegen den Takt schlug und in die wir Freundinnen die Stimmen gar frohgemut mischten.

Gemeinhin waren ich, die Ann und die Els Ebnerin die einzigen Mägede unter den Buben, zuweilen aber drängte sich auch die Ursula Tetzelin zu uns, die überall sein mußte, wo sie den Herdegen wußte. Und selbiger war ihr auch emsig genug nachgegangen, bevor ich in die Schule gekommen. Da hatt' es ein immerwährend Blumen- und Sträußleinreichen und -Empfangen gegeben, da hatt' er sie seine Dame, sie ihn ihren Ritter geheißen, und trug er ein rotes Schleiflein an der Kappe, so war es mir wohl bewußt, daß er sich mit ihrer Farbe gezieret; all dies Kinderspiel aber war mir dazumal mit nichten zuwider gewesen, maßen ich gleichfalls meine Farbe erkoren: das Grün meines Vetters vom Forste.

Doch mit dem allen hatt' es, seit ich zu der Karthäuserin ging, ein Ende, und ich mußte meiner frühen Kinderminne bald entsagen, nicht nur um der Schularbeit willen, sondern weil ich vernommen, daß der Götz einen Minnehandel begonnen, und noch dazu einen, der seinen Eltern zu großem Aergernis gereichte.

Eines Handwerkers, des Rotschmiedes Pernhart Tochter war es, der er mit treuester Minne anhing, und da mir solches kund ward, gereichte es mir zu großem Verdruß, also daß es mich bittere Thränen kostete, da ich es dem Annelein kund that. Doch um weniges später spielten wir wieder gar fröhlich mit unseren Puppen.

Dannocht ging mir selbiger Handel tiefer nach, denn sonst wohl Kindern in meinem Alter, und wie wir wiederum in den Wald gezogen waren und ich auf der Forstmeisterei den Götz vermißte und einmal von ungefähr zu hören bekam, wie die Muhme der Base Metz bitterlich klagte, wie schwere Kümmernis der einzige Sohn ihr bereite, da er allen Ernstes darauf bestehe, die Handwerkerdirne vor den Altar zu führen, da stellte ich mich in meiner kindischen Seele Innerstem auf der Muhme Seiten, und es wollte mich schmählich und schmerzlich dünken, daß ein so weidlicher Jüngling es über sich gewinne, um einer geringen Maged willen den allerbesten Eltern bitter Herzeleid zu bereiten.

Hienach kam dann ein Sonntag, an dem ich von ungefähr mit der Ann in die Sankt Lorenzkirche zur Messe ging, nicht nach Sankt Sebald, wohin wir gehörten.

Weil ich nun mein Gebet gesprochen und Umschau hielt, nahm ich den Götz wahr, und wie er, an einen Pfeiler gelehnt, immerfort nach der nämlichen Richtung schaute. Da folgte ich denn seinem Blicke, und alsbald war mir bewußt, was er mit selbigem suche; denn da kniete eine junge Maged in gar sauberem, fast köstlichem bürgerlichen Gewande, und sie war von so seltener und wunderbar holdseliger Schöne, daß ich nicht von ihr fortschauen mochte. Auch kam mir in den Sinn, daß ich ihr allbereit früher am Johannisfeste begegnet, und der Ohm Kristan Pfinzing, mein Herr Pathe, sie der Base gewiesen und sie die anmutigste Jungfrau Nürnbergs genannt, die männiglich, und solches mit gutem Recht, »schön Trudlein« heiße.

Je länger ich selbige nunmehr anschaute, desto holdseliger wollte sie mich dünken, und da die Ann mir bestätigte, was mir allbereit selbst geschwanet, diese anmutsvolle Maged sei des Rotschmiedes Pernhart Tochter und des Götz Herzliebste, erwachte in meinem kindischen Herzen eine große Freude; denn wie mein Vetter sicherlich das stattlichste Mannsbild in der ganzen versammelten Gemeinde, so war Schön-Trudlein die anmutsvollste Jungfrau, vielleicht, so wollt' es mich dünken, in der ganzen weiten Welt.

Wär' es möglich gewesen, daß sie von noch größerer Schöne, es hätte meine Freude nur höher gesteigert, und von nun an ging ich, so oft es nur anging, nach Sankt Lorenz und an des Rotschmiedes Haus vorüber, um Schön-Trudlein zu sehen, und wie freudig schlug nur das Herz, da sie mich einmal wahrgenommen, meinen stummen Gruß hold erwidert, und mir dabei fragend, aber gütig in die Augen geschaut.

Wie der Götz hienach bei uns fürsprach, zeigte ich ihm wieder das alte frohe Antlitz und Wesen, und da ich mich einmal getraut, ihm zuzuraunen, ich habe schön Trudlein gesehen, und holdseliger denn das ihre sei gewiß keiner hohen Heiligen Antlitz, dankte er mir mit einem leuchtenden Blick, und es kam ihm so recht aus dem tiefsten Innern, wie er mir zurief: »Und könntest Du nur ihr gülden, vielgetreues Herze gewahren!«

Da ward mir der Götz werter denn je zuvor, und es hob mich vor mir selbst, daß er mich thöricht jung Ding solchen Zutrauens gewürdigt. Späterhin that es mir weh, sein frank und offen Antlitz immer gedankenvoller, ja finsterer zu sehen, und es war mir gar wohl bewußt, was ihn drückte; denn ein Kind vernimmt und erspähet weit mehr, als die Alten oft ahnen. Zum schärfsten Zwist zwischen Sohn und Eltern war es gekommen, und ich kannte den Vetter und seinen eisernen Willen, der zum Sprichwort unter uns geworden. Mit der Muhme im Forste aber stund es ganz ähnlich; denn trotz ihres siechen Leibes zählte sie zu den Frauen, die keinen Widerspruch dulden, und so füllte es mich mit großem Bangen, wenn ich des Ausganges selbigen Handels gedachte.

Da war es mir denn eine rechte Wohlthat, daß ich mein Annelein hatte und in ihr treu Freundesherz ausschütten konnte, was meine junge Seele mit Bangen erfüllte. Wie konnte das Antlitz uns brennen, wenn wir in manchem Gespräch der Minne gedachten, die den Götz und Schön-Trudlein vereinte! Wohl war uns selbige noch wie ein Geheimnis, doch daß es süß und wonnesam sei, das dünkte uns sicher. Kaiser und Reich gegen die harten Eltern aufzurufen, die eine so heilige Herzensblüte niederzutreten gedachten, wär' uns billig erschienen, doch da dergleichen nicht anging, sannen wir auf Anschläge, der Waldmuhme, die sich nur des einzigen Sohnes und keiner Töchter erfreute und deren Liebling ich immer gewesen, das Herz zu rühren.

So vergingen etliche Wochen, und eines Morgens, wie ich eben aus der Schule kam, traf ich den Götz, wie er der Base, die mit naßgeweinten Augen in ihn hinein gesprochen, zurief: »Der Mutter eignet die Macht, mich in Mißgeschick und Verderben zu treiben; doch keine Gewalt des Himmels und der Erde kann mich dem Eid und der Treue abwendig machen, die ich geschworen.«

Dabei glühten ihm die Wangen, und so groß und hoch war er mir nimmer erschienen.

Wie er mich hienach wahrnahm, streckte er wir in seiner redlichen, liebreichen Weise beide Hände entgegen; ich aber schlug inniglich ein. Da schaute er mir in die feuchten Augen, zog mich schnell an sich, küßte wir zum allererstenmale und mit sonderbarem Ungestüm den Scheitel, und ohne ein Mehreres stürzte er an das offene Hausthor und auf die Gasse.

Die Base sah ihm mit wehmütigem Kopfschütteln nach und wischte sich die Augen; doch da ich sie frug, was es mit dem Vetter gegeben, versagte sie mir jegliche Auskunft.

Am nächsten Tage sollt' es hinaus in den Forst; doch wir blieben daheim; denn Muhme Jacoba wollte niemanden sehen. Ihr Sohn hatte dem Elternhause den Rücken gewandt und sich als landfremder Mann in die Ferne begeben. Solches aber war der erste echte und rechte Kummer, den der Himmel meinem jungen Herzen beschieden.


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