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XV.

Der Leser möge sich selbst die Gefühle ausmalen, welche Anna beim Lesen dieses Briefes bestürmten. Zum ersten Male erhielt sie volle Gewißheit darüber, daß ihr Vater nicht durch ungerechten Argwohn in den Tod gejagt worden, sondern durch eigene Schuld zu Grunde gegangen, daß er vor seinen Kindern eine Maske getragen und mit ungeheurer Selbstbeherrschung die Hölle im Innern verborgen.

War diese Gewißheit niederdrückend für ein Kind, das den Vater zärtlich geliebt, so war sie doch auch ein unbezahlbarer Trost für das Herz, das von Ahnungen gequält, mit sich selber darüber gekämpft ob es den Vater eines Verbrechens beschuldigen müsse, welches die Seele mit Grauen erfüllte.

Von diesem Verdachte reinigte er sich durch den Brief, und was Trübes von dessen Inhalt haften blieb, erhielt doch ein milderndes Licht durch das Unglück, das er erfahren, das ihn verhärtet und mit Bitterkeit erfüllt, und mit warmem vollem Glockenton schlug dann die Betheuerung an ihr Herz, daß dieser harte, durch das Unglück gestählte, in den Stürmen des Lebens und den Gefahren seines Berufs unbeugsame Mann ein weiches Herz für seine Familie gehabt, daß dieser Zug nichts von der Verstellung und Heuchelei gewußt.

Mochten Alle den Schmuggler verdammen, ihren Vater durfte sie verehren, lieben, betrauern, er sagte es ja selbst, daß er in zwei Naturen gelebt!

Thränen sind das Labsal des Schmerzes; will die Brust an ihrem Weh ersticken, so schickt die gütige Natur die Thränen. In ihnen weint der Schmerz sich aus, da erholt sich die Natur von der Gewitterschwüle, die das Herz bedrückt.

Anna weinte, ein Strom von Thränen fluthete aus ihren Augen und Somnitz sah es ihr an, was sie gelitten und welchen Trost ihr dieser Brief gebracht.

Sein Herz fluthete über, leise ließ er sich vor ihr nieder, drückte sein Antlitz in ihren Schooß, die Lippen auf ihre Hände.

Sie weinte um so heftiger – was in ihrer Seele stürmte, zeigte Wolken und Sonnenstrahlen durcheinander, thauete Gefühle auf und ließ das Herz bluten. Sie sah, daß er sie liebte und daß er Grauen empfunden vor der Tochter ihres Vaters – durfte sie diesem Herzen trauen oder mußte sie zittern, daß der alte düstere Schatten sich in einsamen Stunden doch wieder vor seine Seele lagern werde?

Ein trüber Tag hatte den sonnigen Glanz ihres Lebens für immer zerstreut, die Jugend im Herzen erbleichen lassen, das Kind in ein sorgenvolles Weib verwandelt und ihr eine Last aufgebürdet, die all ihr Denken niederdrückte.

»Hast Du ihm vergeben?« fragte sie leise, mit bebender Stimme.

»Anna, lege Deine Hände in die meinen, und sage mir; wenn er aus dem Jenseits hernieder zu schauen vermag, würde er da nicht in unserem Bunde die Bestätigung sehen müssen, daß der Fluch gesühnt, der auf ihm gelastet? – Würde ich nicht erbeben, unser Schicksal mit einander zu vereinen, wenn ich noch jener Worte gedächte, die ich in finsterem Argwohn an ihn gerichtet und die ihn so hart, so schonungslos getroffen?«

»Habe Dank für dieses Wort, Karl, aber lasse mich jetzt, ehe ich Anderes zu denken vermag, meiner kranken Mutter diesen Brief zeigen. Ihre geängstigte Seele bedarf des Trostes mehr als Du glaubst.«

Er drückte ihre Hände und sie enteilte. Er schaute ihr nach wie einem Engel, der sich in die Wolken verlor und der wiederkehrend den Himmel uns öffnen soll.

 

Marianne Steinert hatte das Lager, auf welche sie in der Nacht der Abreise ihres Gatten, ein Fieber geworfen, nicht verlassen. Das Fieber war allmälig in Folge der Arzenei, die ihr Walter verschrieben, gewichen, aber den Körper lähmte die Mattigkeit der Seele, die ausgerungen und die wie ein sterbend Licht nur eines Hauches bedurfte, um zu verlöschen.

Marianne hatte die Besuche Walters dankend ablehnen lassen. Sie bedurfte weder des Arztes um zu wissen, daß seine Arznei ihr wiedergeben konnte, was hingewelkt und todesmatt geworden, noch bedurfte ihr Herz eines anderen Rathes und Freundes als des eigenen Gefühls. Sie wollte mit ihren Kindern allein sein, die letzten Augenblicke denen schenken, die bald allein dastehen sollten auf der Welt. Und eine schwere, ernste Aufgabe blieb ihr zu lösen. Sie mußte ihre Kinder lehren, das Unglück, das sie getroffen, zu begreifen und in dem Bewußtsein dieses Unglücks ihre Herzen zu prüfen. Darum durfte Walter nicht in ihr Gemach, weil sie fürchtete, Bertha könne in dankbarer Rührung sich hinreißen lassen, ohne ernste Prüfung ihres Herzens, dem einzigen Freunde ihrer Mutter den heißesten Wunsch zu erfüllen.

Es war eine bittere, harte Pflicht für die Mutter, ihren Kindern zu sagen, daß der Mann, der sie um freie, den Vorurtheilen und der Bosheit der Welt Trotz bieten müsse, daß sie ihm eine schwere Sorge in die Häuslichkeit brächten, daß ein Fluch an dem Vermögen klebe, welches der Vater ihnen hinterlassen, denn er habe ja schwer büßen müssen für die Wege, auf denen er es erworben.

Und sie hielt ihnen vor, wie gewagt das Vertrauen sei, welches sie auf die beiden jungen Männer setzten, gerade weil dieselben edle Naturen sein.

»Sie haben,« sprach die Mutter, »Euch im Sonnenglanz heiteren Glückes kennen gelernt und ein edles Mitgefühl hat ihre Herzen rasch zu einem Entschluß getrieben, dessen ernste Folgen sie zu hochherzig sind, auf die Waagschaale zu legen. Scheint es aber heute, als ob der Tod Eures Vaters den Abschluß dieser schrecklichen Periode Eures Lebens gebildet, so kann ich mich doch der Besorgniß nicht verschließen, daß damit die waltende Gerechtigkeit sich nicht begnügen werde – ein Selbstmord sühnt nicht die Schuld und entzieht sich der Schuldige der ihm drohenden Strafe, so trifft die Buße seine Erben. Jeder Tag kann die Kunde bringen, daß Einer der Genossen oder Gehülfen Eures Vaters ein Geständniß gemacht, welches das Gericht veranlaßt, den Schadenersatz von den Erben des Todten zu fordern; in den öffentlichen Blättern wird der Name Eures Vaters genannt und wo Ihr auch seid, dieser Fluch folgt Euch nach und Euer Gatte muß ihn tragen, er muß erröthen, wenn Eure Kinder dereinst nach Eurem Vater fragen und nur eine seltene Liebe vermag das Herz gegen die Nadelstiche des bösen Leumunds zu stählen, nicht aber eine solche, die rasch entflammt und durch ein augenblickliches Gefühl edler Theilnahme zu schnellem, entscheidenden Entschlusse getrieben worden ist.«

Es war ein grausamer Zweifel, den die Mutter mit solchen Worten in das Herz ihrer Kinder gelegt, aber sie sagte sich, daß dieser Zweifel jetzt bekämpft werden müsse, wenn er sich nicht wie ein Schatten auf das ganze Leben ihrer Kinder lagern solle. Das Bewußtsein des Unglücks, die Erkenntniß der Gefahr treffen das Herz bitter, aber hat es den schwersten Schlag überwunden, so entgeht es den Martern ewiger Zweifel.

 

Der Brief, den Anna heute ihrer Mutter brachte, gewährte zwar auch ihr einen Trost, aber die Besorgniß über die Zukunft ihrer Tochter wurde dadurch nur vermehrt, denn früher oder später konnte die Blutschuld an dem Grenzjäger ihre Rache fordern, vielleicht ein Unschuldiger in Verdacht des Verbrechens kommen!

Bertha und Anna, Beide sahen es mit schwerem Herzen ein, daß es ihre Pflicht sei, der Hoffnung auf Glück zu entsagen – eines Tages hatte Marianne mit ihren Töchtern plötzlich M. verlassen und beide Freunde hatten Schreiben erhalten, in denen ihnen die jungen Mädchen mit herzlichen Worten mitgetheilt, was sie zu dem unumstößlichen Entschlusse bewogen, einer Hoffnung zu entsagen, die sie unter anderen Verhältnissen beseligt hätte.

Walter hatte diesen Schritt erwartet und befürchtet, er war auf's Schmerzlichste erschüttert aber er trug den Schlag gefaßter als Somnitz, der sich den Vorwurf machte, durch seine Bedenklichkeiten diese Zweifel heraufbeschworen zu haben.

Frau Steinert war nicht in ihre frühere Heimath zurückgekehrt, sondern hatte Auftrag gegeben, das Gut zu verkaufen, lange Zeit gelang es Walter nicht, ihren neuen Aufenthalt zu entdecken, obwohl er Hallborn brieflich gebeten, denselben zu erforschen und dies dem Criminalbeamten eine leichte Aufgabe sein mußte, da der Geschäftsführer Mariannens mit ihm in demselben Orte wohnte und mit demselben Gericht zu thun hatte. Er erfuhr dagegen, daß Frau Steinert den größten Theil des ihr von ihrem Gatten zugeschriebenen Vermögens deponirt habe, um damit etwaige spätere Ansprüche der Behörden an die Nachlassenschaft ihres Gatten zu decken, daß sie dem alten Vater des ermordeten Grenzjägers eine Rente ausgelegt und so viel an milde Stiftungen gegeben, daß ihr selbst nur eine sehr kümmerliche Rente geblieben sein könne.

»Auffälliger Weise,« berichtete Hallborn am Schlusse seines Briefes, »sind aber der Zollbehörde von anderer Seite Gelder zugegangen, welche errathen lassen, daß Steinert entweder vor seinem Tode noch die Dispositionen getroffen, die beschädigte Behörde schadlos zu halten, oder aber – daß er noch lebt und uns Alle durch seinen Selbstmord nur getäuscht.«

 

Ein halbes Jahr ist vergangen, seit Marianne mit ihren Töchtern M. verlassen und Walter hat endlich erfahren, daß sie in einem kleinen Orte Thüringens lebt. Somnitz hat seine Carrière aufgegeben, um die Bewirthschaftung eines ererbten Gutes anzutreten und es bedarf nur eines Winkes von Walter, daß der Aufenthalt Mariannes entdeckt ist, um ihn reisefertig zu machen.

Beide Freunde eilen nach K..., sehen das kleine bescheidene Häuschen, in dem Marianne mit ihren Kindern wohnt und begehren mit klopfendem Herzen Einlaß, aber ihnen wird eine seltsame Ueberraschung zu Theil. Der Mann, der Walter den Aufenthalt Marianne's mitgetheilt, öffnet ihnen die Thür eines Sterbezimmers und der Kranke, der so eben in die Hände des Gerichtsbeamten sein letztes Geständniß niedergelegt, – ist Steinert! An seinem Bette weinen Bertha und Anna, aber die Gewißheit, daß ein höherer Richter ihrem Vater vergeben, verklärt ihren Schmerz mit seligem Frieden, und als Somnitz tief erschüttert die Hand des Sterbenden drückt, da ist es Allen, als ob der Engel der Versöhnung durch das stille Gemach schwebe.

Krank und gebrochen ist Steinert vor drei Wochen in das Asyl seiner Familie getreten, um die Seinen noch einmal an sein Herz zu drücken und sich dann den Gerichten zu stellen. Die Liebe der Seinen hat ihn festgehalten und die Erschütterung, die Rührung über solche Liebe hat den kranken, gebrochenen Mann auf das Sterbebett geworfen, aber nicht eher hatten sich die Bande der Seele von dem sterbenden Körper gelöst, als bis er den letzten Schritt gethan, der Gerechtigkeit ihr Opfer zu übergeben und Sorge zu tragen, daß kein Unschuldiger verfolgt werde um seinetwillen.

Marianne folgte ihrem Gatten in das Jenseits, ehe der Tag sich geneigt, aber sie sah an ihrem Sterbebett Männer, an deren Herzen sie ihre Waisen wohl gebettet wußte.

»Ich hatte mich doch nicht verrechnet,« sagte Hallborn, als man Steinert bestattete, aber ich bin zufrieden, daß ich statt seiner den Todtenschein und das Protokoll dem Gericht bringe. Ihn hat ein Anderer gerichtet!« –


Druck von R. Gensch & Elsner in Berlin.

 


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