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II.

Walter traf zu der bestimmten Stunde in M. ein, die Freunde hatten brieflich mit einander verabredet, von hier aus eine Rundreise zu machen, um alle die Orte wiederzusehen, die sich während des Feldzuges unvergeßlich in ihre Erinnerung geprägt.

Als die ersten Begrüßungen vorüber, konnte Somnitz nicht umhin, dem Freude den Eindruck mitzutheilen, den er heute Morgen empfangen.

»Ich bin überzeugt,« schloß er, »daß die Phantasie mir einen argen Streich gespielt, als ich in dem Vater jener reizenden Mädchen jene Gestalt wieder zu erkennen glaubte, die Du damals durchaus als ein Traumbild der Fieberphantasie gelten lassen wolltest. Ich meine, man kann sich ebenso wohl eines Traumbildes als einer wirklichen Person erinnern und sich einbilden, daß man lebendig gesehen, was nur im kranken Hirn gespukt?«

Walter schaute dem Freunde forschend ins Antlitz.

»Karl«, sagte er, »meine Antwort wird sich ganz darnach richten, wie Du mir den Eindruck erklärst, den die jungen Mädchen auf Dich gemacht haben. Ist es nur ein allgemeines Interesse, das Dich an diese liebenswürdigen Gestalten fesselt, oder hast Du Einer von ihnen tiefer ins Auge gesehen?«

»Ich weiß nicht, wie Du diese Frage mit der meinigen verbinden willst«, versetzte Somnitz, »aber ich will sie ehrlich beantworten. Als ich die Mädchen belauschte, dachte ich, so müsse die Frau aussehen, die ich mir einmal erwähle und ich wäre glücklich, wenn ich in dem Auge eines dieser Mädchen Etwas fände, das bei näherer Bekanntschaft mir bewiese, wie der Zufall das Glück im Schooße trägt, wenn man entschlossen den flüchtigen Moment erhascht. Ich gestehe, daß ich sehr begierig bin, die Bekanntschaft dieser Schwestern zu machen.«

»Wenn das der Fall ist«, antwortete Walter mit einem Lächeln, »so verschieben wir natürlich unsere Reise oder geben dieselbe ganz auf. Ehe wir uns jedoch dazu entschließen, höre die Antwort auf Deine Frage. Ich habe als Arzt und als Freund die Verpflichtung gehabt, die Gedanken zu verscheuchen, welche Dich furchtbar erregten, als Dein Zustand nothwendig die Ruhe des Gemüths erheischte. Ich erklärte die Träume, die Dich beschäftigten, für Fieberphantasien und versuchte Dich zu überzeugen, daß die gräßlichen Bilder, die Deine Seele erfüllten, unmöglich der Wirklichkeit angehört haben könnten. Du wirft aber seither erfahren haben, daß ähnliche Schreckensscenen sich wirklich ereignet haben und jetzt kann ich Dir gestehen, daß ich nicht nur an der Wahrheit der Scenen, die ich Traumbilder nannte, nie gezweifelt, sondern alle Ursache hatte, nur zu gewiß anzunehmen, daß Dein Kopf fieberfrei war, als Du jene entsetzliche Dinge schautest.«

»Ich weiß es«, murmelte Somnitz, dessen Antlitz bleich geworden und den ein eisiger Schauer bei dieser Erinnerung überlief, »aber ich tröste mich mit dem Gedanken, daß es der Abschaum der Menschheit, daß es Leute waren, die grenzenloses Elend allen Gefühls beraubt – es ist unmöglich daß ich Züge, die ich in jener Nacht erblickt, jemals wo anders wieder treffen könnte, als in den Spelunken des Lasters, in Zuchthäusern, im Bagno. Ich klage meine Phantasie einer schweren Verleumdung an, daß sie die zufällige Aehnlichkeit der Züge zum Anhalt nahm, mir bei dem Anblick eines jedenfalls gutsituirten Mannes, eines unzweifelhaft gebildeten und den besseren Ständen angehörigen Menschen, Erinnerungen zu erwecken, die den Ankläger beschimpfen.«

»Ich kann Dir nicht durchaus beistimmen«, erwiderte Walter ernst; »obgleich ich hoffe und voraussetze, daß Du in diesem bestimmten Falle Dich täuschen magst, bin ich doch der Ansicht, daß die Gefühllosigkeit des Verbrechers den Schurken aus besseren Ständen häufiger eigen ist, als den Elenden, welche die Noth und die Verzweiflung zu Verbrechern gemacht. In Berlin spielt gerade jetzt eine Untersuchung, welche entsetzliche Dinge zu Tage fördert und darthut, wie gemeine Habgier einen gebildeten Mann verleitet hat, mit unglaublicher Gefühllosigkeit zu handeln. Der Mann ist Apotheker und hatte die Lieferung von Medikamenten für die Lazarethe der Armee im Felde. Es stellt sich heraus, daß er, um diese Lieferung einträglich zu machen, schlechte Waaren versandt und z. B. Opium in einer Qualität geliefert hat, die die Wirkung der verordneten Arzneien unmöglich machte. Er hat dadurch Tausende von Thalern gewonnen, aber wohl ebenso viel Morde auf dem Gewissen, denn da wir Aerzte im Felde die gelieferten Medikamente nicht chemisch prüfen konnten und die Güte der von einem Apotheker verschriebenen Substanzen voraussetzen mußten, haben wir die Wirkungslosigkeit unserer Recepte der Wuth der Epidemie zuschreiben müssen, wo gewiß in sehr vielen Fällen die Mangelhaftigkeit des Medikamente allein die Ursache davon war, daß der Kranke erlag.«

»Entsetzlich«, murmelte Somnitz und sein Auge starrte vor sich hin, als ob seine Seele Gespenster des Argwohns vor sich aufsteigen sähe. »Walter, Du ahnst nicht, welche gräßlichen Gedanken Du in mir erweckst! – Wenn dieser Vater jener Elende wäre, wenn diese Mädchen einmal erröthen müßten vor ihm – – aber nein, nein – es ist Wahnsinn, dergleichen zu denken. Wenn der Vater ein finsteres Geheimniß verbirgt, so zieht der Schatten desselben über die Seele der Kinder, wenn sie auch das Schreckliche nicht ahnen, und diese Mädchen waren so fröhlich, als ob nimmer ein Schatten den Himmel ihres Glücks getrübt. Ich will sie meiden, will vergessen was heute so wonnig mein Herz durchzuckte, es wäre ein Verbrechen, mit solchem Argwohn die Schwelle ihres Hauses zu betreten, es hieße die stille Heiligkeit ihrer Häuslichkeit entweihen.«

»Da sind sie!« rief Somnitz, der einen Blick durch's Fenster auf die Straße geworfen, »da kommen sie gerade hierher. Als ich diese Wohnung für Dich bestellte, dachte ich daran, Dein Nachbar zu sein und nun bin ich auch der ihre.«

Walter trat an das Fenster und sein ernstes Antlitz strahlte, als ob ein Sonnenstrahl darüber hingeglitten.

»Reizende Wesen,« murmelte er leise – aber wo ist der Vater?«

»Dort kommt er um die Ecke. Die bleiche Frau an seinem Arme, das ist wohl die Mutter. Wie schön sie noch ist! Aber er! – Walter mich fröstelt es wieder, ich kann ihn nicht ansehen, ohne an jene Nacht zu denken. Es ist ein Wahnsinn, aber ich fühle es, ich entrinne ihm nicht anders als durch die Flucht.«

»Thor«, antwortete Walter lächelnd, »das hieße ihn aufsuchen. Wer einen Argwohn bekämpfen will, muß Klarheit suchen und den Eindruck, den die Phantasie erhalten, mit dem Auge des Verstandes prüfen, den Gegenstand der unsere Seele in Aufruhr versetzt, meiden, heißt seinen Argwohn ganz der erregten Phantasie zum Spiele geben. Hast Du die Liste der Kurgäste zur Hand?«

»Hier ist sie. Wir brauchen nur nachzusehen, wer im Elisenhause wohnt.«

Walter schlug die Liste auf und mit einer Spannung, die er sich keine Mühe gab zu verbergen, schaute Somnitz ihm über die Achsel.

»I..., General – das ist er nicht, M..., Gutsbesitzer – auch nicht, denn Beide stehen hier als einzelne Gäste. Hallborn, Rentier – ebenfalls ohne Familie verzeichnet –, aber hier – das sind sie – Steinert, Rittergutsbesitzer aus A. in Schlesien, nebst Frau Gemahlin und Fräulein Töchtern. Sonst wohnt Niemand hier im Hause, sie müssen unsere Gesuchten sein. Ein Rittergutsbesitzer und Dein düsteres Gespenst von Nachod! Suche seine Bekanntschaft zu machen, Somnitz, und ebenso rasch wie das Gespenst in Deiner Phantasie verbleichen wird, bettet sich vielleicht ein heitereres Bild in Deiner Seele – diese Mädchengestalten waren bezaubernd.«

Der Klang eines Titels hatte den Argwohn Karls um so leichter entwurzelt, als die Vernunft ihm keinen Halt gegeben und der Wunsch des Herzens darnach getrachtet, ihn zu bannen. Dennoch sträubte er sich gegen den Vorschlag mit jener Scham, die uns das Geständniß der erwachenden Neigung verbietet.

»Es ist eine Thorheit,« sagte er, »einen verabredeten Plan aufzugeben, weil man hübsche Mädchen gesehen. Ich hätte dich für einen minder bequemen Freund in dieser Beziehung gehalten.«

»Mir gilt es gleich, wo ich Erholung suche«, versetzte Walter, »und ich gestehe«, setzte er mit leichtem Erröthen hinzu, daß Du mich neugierig auf die Bekanntschaft dieser Familie gemacht hast. Es ist eine Zerstreuung, dem Freunde bei einem Abentheuer zur Seite zu stehen. Ich sagte es schon, die Mädchen sind reizend, und es sollte mich freuen, wenn ich Dich hier als Eroberer sähe.«

»Welche von den Schwestern gefiele Dir am besten?« fragte Somnitz, einen scherzenden Ton wählend. »Dein Urtheil erleichtert mir die Schwierigkeit der Wahl.«

»Die Aeltere hat etwas Madonnenhaftes, ich habe selten einen gewinnenderen Zauber weiblicher Anmuth gesehen.«

»Aber die Jüngere hat einen köstlichen Schelm im Nacken. Du hättest sie lachen hören sollen und sehen, wie reizend kokett sie ihre Blumen warf.«

»Sie mag lieblicher sein, die Aeltere ist schöner. Jene ist sonniger, diese aber duftiger, sie ähnelt der bleichen Mutter, die wie eine welkende Lilie am Arme des Gatten hing.«

Somnitz hatte eine Bemerkung über die Extase des sonst so ernsten Freundes auf den Lippen, aber er unterdrückte sie. Sein forschendes Auge sprach dafür um so beredter und es fiel ihm jetzt nicht mehr ein, von der beabsichtigten Reise zu sprechen, es war ihm, als ob der Freund mit dem Aufgeben derselben ihm nichts weniger als ein Opfer bringe.

Die Freunde begaben sich zu dem Wirthe des Hauses, um den Miethsvertrag für die Wohnung des Arztes auf längere Zeit in Ordnung zu bringen.

»Das freut mich«, sagte der Wirth, als der Vertrag geschlossen worden, »ein Arzt im Hause ist für alle Fälle gut.«

»Wie meinen Sie das?« fragte Walter. »Es ist nicht Sitte, daß ein fremder Arzt in einem Badeorte practicirt, und ich hoffe, Sie haben keine Schwerkranken im Hause, bei denen eine plötzliche Hilfe nothwendig werden könnte.«

»Schwerkranke, das will ich nicht sagen, aber doch sonderbare Leute, mit denen es nicht ganz richtig ist.«

»Ich will nicht indiskret fragen«, antwortete Walter, während Somnitz mit athemloser Erwartung lauschte, denn er glaubte das Kommende zu errathen; »aber wenn Sie ernstliche Befürchtungen hegen, die in Beziehung zu ärztlichen Pflichten stehen, so thäten sie gut, dem betreffenden Brunnenarzt einen Wink zu geben, es ist nicht selten, daß Kranke aus Mangel an Vertrauen zu den Badeärzten oder aus ökonomischen Rücksichten die nöthige Hilfe zu spät suchen.«

»Das ist es nicht, sondern etwas anderes, was ich nicht verstehe,« versetzte der Wirth, »ich will Ihnen die Geschichte erzählen. Vor vier Tagen traf hier ein Herr mit seiner Frau und zwei Töchtern ein und miethete die ganze Parterrewohnung, auch forderte er die Zusage, daß ihm allein die rechte Seite des Gartens reservirt bleibe. Er ließ zwei Betten aus den Schlafzimmern in den Gartensalon bringen, obwohl es dort feucht ist, er schläft mit seiner Frau im Salon, während die Töchter – zwei wunderhübsche Mädchen ihr – Schlafzimmer am anderen Ende der Wohnung haben. Dort war das Putzzimmer, ich mußte es ausräumen lassen und lachte über die sonderbare Laune des alten Herrn, der eine schöne große Wohnung bezahlt und so einrichtet, daß er kein elegantes Empfangzimmer und kein Speisezimmer mit Gartenthüren hat; aber das Räthsel wurde bald gelöst, die Tochter sollen nicht ahnen, wie es drüben im Salon in der Nacht vorgeht.«

»Sonderbar was geht denn da vor?«, fragte Walter, während Somnitz mit Mühe seine Erregung verbarg.

»Hören Sie die ganze Geschichte – ich komme darauf. Herr Steinert nahm den Doktor Klatt als Arzt, obwohl dieser von allen Brunnenärzten den wenigsten Ruf besitzt. Die Consultation dauerte nicht lange und es wurde wohl wenig von Krankheiten gesprochen, denn sie machten Scherze; die Unterredung fand im Garten statt, ich sah sie lachen. Herr Steinert geht zum Brunnen, aber die Frau, die kränker aussieht wie er, braucht keine Rur. Statt wie andere Kurgäste sich den Geschäften zu entziehen, arbeitet er nach der Brunnenpromenade mehrere Stunden, es kommen viele Briefe, die er beantwortet, in den vier Tagen hat er schon sechs Depeschen erhalten. Das wäre nun nichts so Besonderes, wenn er wichtige Geschäfte hat, obwohl die geistige Erregung bei einer Brunnenkur nachtheilig sein soll, aber die Nachrichten, die er erhält, mögen derart sein, daß sie einen Gesunden krank machen können, das sieht man aus Allem.«

»Sie haben Recht,« versetzte Walter, »eine Gemüthserregung kann bei der Brunnenkur sehr gefährlich werden und, kann er diese nicht vermeiden, so thäte er besser, das Trinken des Brunnenwassers auszusetzen. Aber,« schloß Walter mit einem fragenden Blick auf den geschwätzigen Mann, »Alles das wird der Arzt Herren Steinert gesagt haben und wenn er also seine Kur fortsetzt, sind Ihre Besorgnisse wohl übertrieben.«

»Herr Doktor,« antwortete der Wirth, der den Vorwurf in diesen Worten fühlte, »ich würde von der Sache nicht reden, wenn ich nicht Beweise hätte, daß ein längeres Stillschweigen mich einmal gereuen könnte. Dieser Ansicht ist auch Herr Hallborn.«

»Wer ist das? Sprechen die Miether Einer über den Andern?«

»Hören Sie mich erst, ehe Sie urtheilen,« versetzte der Wirth leicht erröthend, »wenn ein Arzt die Pflicht hat, jedem Kranken zu helfen, so werden Sie finden, daß mein Vertrauen kein Geklätsch ist. Herr Hallborn traf einige Stunden früher hier ein als Herr Steinert, er war im Gasthofe abgestiegen und miethete erst, als Herr Steinert, der hier vorgefahren, seine Wohnung bei mir genommen. Ich glaube er hat Steinert's wegen bei mir gemiethet, vielleicht interessiren ihn die jungen Damen, genug er erkundigte sich nach der Familie etwas neugierig und hat doch noch keine Bekanntschaft angeknüpft.«

»Mein Herr,« – fiel Walter dem Wirth in's Wort – »diese Privatangelegenheiten von Fremden sind mir zuwider, ich sehe noch nichts, was mich berechtigt, dieses Gespräch fortzusetzen.«

»Ich bitte, gedulden Sie sich einen Moment und wenn Sie mir dann nicht Recht geben, so mögen Sie mich einen Verleumder und Klätscher schelten. Vorgestern erhielt Herr Steinert des Abends Briefe. Die Familie war im Garten, als dieselben ankamen. Die beiden jungen Damen promenirten, Herr Steinert saß mit seiner Frau in der Laube, ich stand in der Thüre des Hauses und rauchte meine Pfeife. Plötzlich höre ich ein leises, heftiges Schluchzen. ›Geh zu Bett!‹ ruft Herr Steinert mit rauher Stimme und ich sehe die bleiche kranke Frau nach der Salonthüre hin wanken, als ob sie jeden Augenblick zusammenbrechen werde. Herr Steinert bleibt in der Laube, ich schaue neugierig hin und sehe daß er bleich geworden wie ein Gespenst, die Augen rollen wild, er starrte mit Blicken vor sich hin, die Einem Furcht vor ihm einjagen konnten.

Einige Minuten später und er hatte sich gesammelt, denn er sprach in freundlichem Tone zu seinen Töchtern, die herangekommen waren und nun ihrer Mutter folgten. Steinert ging noch eine Stunde im Garten umher, dann begab er sich zur Ruhe. Ich that desgleichen, aber die Theilnahme für den Mann, die Neugier oder wie Sie es nennen wollen, ließen mich nicht schlafen. Es war etwa zwölf Uhr, da hörte ich vom Garten der einen unterdrückten Schrei, erregt wie ich war, kleide ich mich an und eile hinab, da flüstert es ›St!‹ und ich sehe Herrn Hallborn, der sich hinter einem Gebüsch verborgen. Er sagt mir, daß im Garten Wunderliches vorgehe und seltsam war es. Herr Steinert rannte umher wie ein Wahnsinniger, es war ein gräßlicher Anblick ihn zu sehen, wie er im hellen Mondschein den Weg hinabraste, mit fliegenden Haaren, todtenbleich, wie die Augen funkelten und er sich den Schweiß vom Antlitz wischte, obwohl es keine vier Grad Wärme sein mochten und ein kalter Nordwind blies.

›Der braucht einen Arzt, wenn ich nichts Schlimmeres denken soll,‹ flüsterte Hallborn, ›sehen Sie die arme Frau!‹

Damit deutete er auf ein Boskett in der Nähe des Hauses. Frau Steinert saß, in einen Shawl gehüllt, das Antlitz in den Händen begraben, auf einer Bank, ein Bild des Jammers und des Elends. Endlich – es währte lange bis diese Scene endete, ging Steinert ins Haus, die Frau schlich ihm nach und schloß leise die Thüre.«

»Das ist freilich seltsam genug,« murmelte Walter. »Sahen sie ihn am anderen Morgen?«

»Gewiß – ich konnte die Zeit nicht erwarten. Ich hatte zu Herrn Hallborn die Besorgniß geäußert, der Mann sei vielleicht wahnsinnig, denn sein Blick hatte etwas Entsetzliches, aber er antwortete: ›Sie werden den Mann morgen ruhig und vernünftig finden. Schweigen wir über das, was wir gesehen!‹ Ich war betroffen von diesen Worten, denn wie konnte Hallborn sich so sicher äußern, da Steinert doch für ihn ein Fremder ist! Aber er hatte Recht, es war wie er vorher gesagt, Herr Steinert war nicht wieder zu erkennen, trotzdem aber wiederholte sich dasselbe nächtliche Rasen auch heute Nacht.«

»Und Herr Hallborn lauschte abermals?« fragte Walter.

»Ja, ich glaube das Geheimniß dieser nächtlichen Raserei hielt ihn ab, sich der Familie zu nähern.«

»Hm!« murmelte Walter, als ob er anderer Ansicht sei – »aber,« fragte er nach einer Pause, »ahnen denn die jungen Damen nichts von diesem Zustande ihres Vaters?«

»Nein, denn sonst könnten Sie nicht so heiter sein. Ihnen gegenüber ist Herr Steinert immer ruhig, zärtlich, er hütet sie wie seine Augäpfel, nur die arme Frau hat schwer zu tragen.«

»Ich finde Ihre Besorgnisse sehr erklärlich,« versetzte Walter nach einer Pause, »rathe Ihnen aber, über diese Angelegenheit das tiefste Schweigen zu beobachten. Sollte die plötzliche Hilfe eines Arztes einmal nöthig werden, so rufen Sie mich, sonst aber ist Niemand berechtigt, Herrn Steinert seine Hilfe aufzudrängen und das um so weniger, als es vielleicht unglückliche Privatverhältnisse, nicht aber körperliche Leiden sind, die ihm die Nachtruhe rauben.«

»Das meint auch Herr Hallborn und sagt, ich solle dem Arzt einen Wink geben, damit er ihm den Brunnen untersagt, aber ich wage das nicht, denn der Doctor Klatt ist neugierig und kann nicht schweigen. Doch Sie werden ja Herrn Steinert sehen, mag Hallborn sagen, was er will, ich bleibe dabei, er hat Anfälle von Wahnsinn.«

Walter antwortete nicht und damit war ein Thema abgebrochen, welches die Aufmerksamkeit auch des Herrn von Somnitz auf's Höchste gefesselt. Die Freunde verließen den Wirth und begaben sich in den Garten, um dort bei einem Frühstück über das Gehörte ihre Ansichten auszutauschen.



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