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I.

Im Bade M. war diese Saison außerordentlich belebt. Der Krieg zwischen den deutschen Stämmen, welcher 1866 altem Hader entsprang, hatte naturgemäß preußischen Kurgästen die österreichische Grenze verschlossen, wer hinüberkam, hatte statt des Brunnenglases die Waffe in der Hand. Die Befürchtung jedoch, daß der Kriegslärm bis in die friedlichen Thäler der Heilquellen ziehen könne, hatte auch die Leidenden aus den österreichischen und diesen befreundeten Landen abgehalten, zum Bronnen zu pilgern und erst im Hochsommer kam die Bade-Saison des Jahres 1866 zu einer sehr verkümmerten Blüthe in den böhmischen Wäldern.

Wie überall, so trafen auch in M. ganze Schaaren von Gästen ein, sobald die Sonne des folgenden Sommers das grüne Frühlingsgewand der böhmischen Bäder durchglühte und wie man aller Orten bemüht gewesen, sich von den Schlägen zu erholen, die der deutsche Bürgerkrieg mit Blitzesgewalt allen Verhältnissen zugefügt und jedem mehr oder minder empfindlich beigebracht, so beeilten sich auch die Lebenden, die im vorigen Jahre versäumte Kur nachzuholen.

Das Glück hatte bekanntlich die preußischen Waffen so außerordentlich begünstigt, daß denen, welche die Niederlage erlitten, ein bitteres Gefühl gewiß verzeihlich war und Jedem, der in die Bäder eilte, mußte sich die Besorgniß aufdrängen, daß die Bemühung, entweder die eigene Empfindlichkeit zu verbergen oder die Anderer nicht zu reizen, einen peinlichen Druck auf die sonst so gemüthlich harmlose Stimmung des Badelebens werfen müsse, daß die Rücksicht auf eine jüngst verflossene Vergangenheit, deren bittere und schmerzliche Erfahrungen nach drückend auf vielen lasteten, der Annäherung zwischen den Kurgästen verschiedener Stämme eine peinliche Vorsicht gebiete.

Die Befürchtung, daß das Badeleben hierdurch einen minder freundlichen Charakter gewinnen werde, schien sich zu bestätigen, man sah auf den Promenaden viele einsame Wanderer und wo sich Gruppen zusammengefunden, hielten sie sich abgesondert von Andern, selten nur sah man Norddeutsche im Verkehr mit Süddeutschen, obwohl von beiden Seiten die Annäherung nicht absichtlich vermieden wurde. Die jüngeren Kurgäste hofften übrigens, daß der Charakter des Badelebens sich verändern werde, wenn erst ein größerer Zuzug von Damen stattgefunden und die Huldigung der Schönheit den grämlichen Schatten politischen Haders vertreiben werde.

Diese Ahnung erfüllte sich, ein warmer Hauch durchglühte die frostige Stimmung, das Eis begann zu schmelzen, der Mensch näherte sich dem Menschen und man sah nur Wenige, die einsam auf einsamen Pfaden wandelten und gleich Schatten aus einem von der Sonne durchbrochenen Gewölk noch daran erinnerten, daß eine trübe und peinliche Stimmung vorherrschend gewesen.

Wir folgen einem dieser Wanderer. Es ist eine hohe, kräftige Gestalt, die den steilen Waldweg hinanschreitet, der auf die Höhe führt, und durch ihre elastische Bewegungen und den raschen Schritt darthut, daß ungeschwächte Jugendkraft in ihr mit raschem Blute verbunden.

Es ist ein Mann etwa in der Mitte der Dreißiger, der sich hier von den belebten Promenaden entfernt und dem stillen Waldesdunkel zueilt, die Kleidung ist in ihrer Einfachheit von ausgesuchter Eleganz. Das von der Sonne gebräunte Antlitz zeigt kräftige Züge, es ist wie ein Buch mit klaren schönen Lettern, man liest in der Schrift dieser Gesichtszüge, daß der junge Mann schon den Stürmen des Lebens getrotzt, daß er dieß mit Entschlossenheit und festem Muthe gethan; das Auge blickt frei und klar, die hohe feste Stirn verräth Geist und ein Zug im Antlitz giebt diesen festen schönen Zügen eine angenehme Wärme.

Der junge Mann hat die Höhe erreicht, auf welcher ein kleiner Tempel mit Ruhebänken errichtet ist, welche dazu einladen, hier Platz zu nehmen und die schöne Aussicht über das blumige Gefilde zu genießen. Der Ton heiterer Stimmen bringt an sein Ohr und er sieht unter sich auf dem grünen Abhang der Höhe zwei sonnige Mädchengestalten, lachend wie der junge Tag, Feldblumen von der Matte pflückend und spielend sie einander zuwerfen.

Es ist ein fesselndes Bild, diese frohen Kinder in lichten Gewändern, sie selber duftige Blüthen, wie sie sich mit Blumen werfen und auf der grünen Matte im Glanz der Morgensonne gleich frohen Schmetterlingen tummeln in ausgelassener, kindlich harmloser Freude.

Karl von Somnitz, so nennt sich unser Wanderer, tritt hinter einen Pfeiler des Tempels, um zu lauschen ohne zu stören, und je länger er das heitere Bild betrachtet, um so fesselnder wird es für ihn, seine ganze Seele folgt diesen muthwilligen und doch so graziösen Sprüngen und möchte dort mitspielen und nach den Blumen haschen oder sie werfen.

Ein alter Mann kommt des Weges, die Matte hinauf, er keucht unter der Last eines schweren Tragkorbes, den er über den Rücken gehangen und gerade als er bei den jungen Mädchen vorüberschreitet, kommt er an eine Stelle, wo der Pfad steiler und beschwerlicher wird. Man sieht, welche Mühe es ihm kostet, sich mit dem schweren Korbe hinaufzuschleppen, die beiden jungen Mädchen wechseln einen Blick, es strahlt Etwas in ihren frohen lachenden Augen, sie springen hinzu und nicht als ob sie ihm einen dankenswerthen Dienst erwiesen, sondern als gelte es einen muthwilligen Scherz, fassen sie an den Korb und heben die Last, bis der Alte die Höhe gewonnen. Er dankt ihnen und sie lachen vergnügt wie zufriedene Kinder, sie greifen in die Taschen und werfen ihm kleine Münzen in die Mütze, die er gezogen und springen davon, er schaut ihnen mit dankbarer Rührung nach, als wolle er beten, daß Gott sie erhalte

»so schön, so hold und so rein«

und Somnitz fühlt sein Blut rascher durch die Adern wallen, er ist vorgetreten, um die Scene besser schauen zu können, sein Herz fliegt mit tausend Empfindungen diesen holden Wesen zu – –

Die Mädchen drehen sich um, ihre Blicke fallen auf den Tempel, sie sehen, daß ein Fremder sie belauscht und glühende Röthe flammt über ihre frohen Züge.

Somnitz wendet sich rasch ab und entfernt sich in entgegengesetzter Richtung, er fühlt, daß sie ihm zürnen müßten, wenn er sich an ihrer holden Scham weidete und so gern er auch geblieben wäre, eilt er raschen Schrittes in den Wald zurück, aber die Bilder der schönen Gestalten folgen ihm und umgaukeln seine Seele.

Er weiß jetzt, daß er eine Bekanntschaft im Bade suchen wird und daß er dieselbe machen muß, sollte er auch tausend Schwierigkeiten haben, in seiner Gemüthswelt sind durch einen Sonnenstrahl abertausend Reime erweckt und es regt sich in ihm wie erwachender Frühling, von Empfindungen durchbebt, bemerkt er es kaum, daß sich ihm ein einsamer Wanderer naht, bis dieser dicht in der Nähe des Träumers ist.

Somnitz schaut gleichgiltig auf, seine Gedanken sind wo anders, aber der Anblick, der ihm wird, ist geeignet, alle Empfindungen zu verscheuchen, die seine Seele beschäftigten, Ueberraschung und Schrecken malen sich in seinen Zügen, es ist als wäre Alles, was dem Ausdruck seiner Züge seelenvolle Wärme verliehen, plötzlich versteinert und erstarrt, er zuckte zusammen, als ob eine Schlange vor ihm aufgezischt wäre oder er plötzlich ein Ungeheuer vor sich sähe.

Der Mann, welcher diesen sonderbaren Eindruck auf Somnitz machte, bemerkte den Schrecken, den er einflößte und schaute nun seinerseits den Fremden überrascht, neugierig und mißtrauisch an. Er besaß in seinem Aeußern keineswegs etwas so Abschreckendes, um einen solchen ungewöhnlichen Eindruck zu rechtfertigen, aber man konnte auch nicht sagen, daß er gerade einen angenehmen Eindruck gemacht hätte.

Er war ein Mann in den Fünfzigern, von untersetzter Statur und in dem Geschmack der Emporkömmlinge gekleidet. Der Schnitt seiner Kleider war geckenhaft modern, eine große Brillantnadel glitzerte auf der rothseidenen Cravatte, die bunte Weste war mit goldenen Knöpfen versehen, an der schweren Uhrkette von reicher Arbeit hingen Medaillons und Berloques, zwei kostbare Brillantringe schmückten die eine Hand, von der er den hellfarbigen, französischen Handschuh gestreift.

Das Antlitz des älteren Fremden hatte etwas pergamentartiges, die Gesichtsfarbe war grau, der Schnitt der Züge fest und von strengem, kaltem Gepräge. Das dunkle Haar schien gefärbt und war an den Schläfen mit dem Brenneisen gekräuselt, über dem ganzen Antlitz lag es wie ein düsterer kalter Schatten, man konnte sich in diesen Zügen kein frohes, offenes Lächeln denken und in dem kleinen, tiefschwarzen, beweglichen Auge blitzte jetzt ein unstätes Feuer, es lag etwas argwöhnisch Lauerndes in dem Blick, den er auf Somnitz heftete, als erwache in ihm die Leidenschaft darüber, daß er einen besonderen Eindruck verursacht.

Der Moment dieser Bewegung war nur kurz, die Blicke wurden ausgetauscht wie magnetische Blitze, die Männer schritten an einander vorüber und ertappten sich beide darauf, daß sie einer dem Andern nachschauten.

Somnitz war die Farbe aus dem Antlitz gewichen, vergessen war der Eindruck der Scene, die ihn vorher so lebhaft beschäftigt, der rasche Athem verrieth, daß es in seinem Innern stürmte.

Das war der Elende, murmelte er vor sich hin, das sind die Züge die sich unvergeßlich mit allen Schauern jener entsetzlichen Nacht in meine Seele geprägt – und doch – wie käme er hierher!

Wäre es möglich, daß die Natur zwei Menschen diese Züge, diesen Blick gegeben? Kann man sich in einer Erinnerung täuschen, die sich in dem furchtbaren Moment, wo man dem Tode ins Auge schaut, in die Seele geschrieben? Prägt sich das Bild des Mörders nicht in den Augapfel des zitternden Opfers ein? Kann der Haß sich täuschen, so müßte dies ja auch die Liebe vermögen und alle magnetische Kraft, diese wunderbare Empfindung, die Herzen durch einen Blick verwirrt, Freunde an einander kettet, uns Vertrauen und Liebe, oder Haß und Argwohn, Haß und Widerwillen einflößt, wäre eine Lüge.

Nein – die Seele täuscht sich nicht, wo ein solcher Blitz ihr ganzes Dasein durchzuckt – er war es – er fühlte sich getroffen von meinem Blick, er zuckte zusammen.

Ich will ihn mir stellen, will ihm Auge ins Auge sehen, ich will erproben, ob er den Blick eines Mannes erträgt, der ihn in jener furchtbaren Nacht gesehen – –

Somnitz drehte um, rasch entschlossen und wie von diesem Entschluß leidenschaftlich beseelt, eilte er dem Fremden nach – da sah er, noch ehe er ganz aus dem Walde heraustrat, den finsteren Mann von Engeln umschlungen, wie Genien ruhten die beiden jungen Mädchen an seiner Seite in dem kleinen Tempel, sie hatten ihre Arme um seinen Nacken gelegt und ihre Locken umrahmten, im Winde spielend, seinen Kopf.

War er der Verbrecher, den der Argwohn des jungen Mannes in ihm erkennen wollte, so waren diese holden Wesen seine Schutzengel gegen den, der ihm die Maske vom Antlitz reißen wollte – Somnitz stutzte, er wagte es nicht, sich zu nähern und hatte er eben noch kaum daran gezweifelt, daß das Schicksal ihm einen Mann in den Weg geführt, den er zermalmen müsse, so schalt er sich jetzt selbst einen Thoren – konnte der Mann ein Verbrecher sein, der solche Kinder erzogen und den solche Mädchen mit inniger Liebe umschlangen?

Das war unmöglich. Er hatte sich also doch geirrt, ein seltsames Spiel der Phantasie hatte ihn genarrt, und jetzt, wo er ohne das Vorurtheil des empfangenen Eindrucks und der heftigen momentanen Erregung seinen Argwohn prüfte, mußte ihm derselbe geradezu widersinnig erscheinen. Der Mann, an den ihn die Züge des Fremden erinnert, konnte nach dem, was er von ihm gesehen, wohl nirgend Ruhe vor seinem Gewissen finden und suchte gewiß eher die Einöde auf, als ein Bad, wo tausend Augen ihn beobachten, ihn erkennen konnten, wo er in jedem Fremden einen Ankläger argwöhnen mußte.

Und Jener, an den Somnitz nur mit dem Grauen des Entsetzens zu denken vermochte, wie wäre er in die Sphäre der eleganten Welt gekommen, wie hätte er sich aus der Cloake des Lasters emporarbeiten können an das Licht des Tages und wenn dies möglich gewesen, so hätten ja dann auch diese lieblichen Mädchengestalten einen düsteren Schatten auf ihrer Vergangenheit gehabt und sie hätten nicht so herzlich heiter und froh sein können, wenn ihre Kindheit nicht sonnig gewesen, wie dieser Lenz.

Die Schwere des Daseins und beruhte sie auch nur auf dem Elend der Armuth und hat der Druck des Verbrechens auch keinen Schatten über sie geworfen, läßt immer in der Menschenseele einen trüben Ernst zurück, Vergangenes läßt sich nicht hinwegscherzen, ohne daß es dem Klange des Scherzes die Reinheit des Tones raubt.

Und der Klang dieser Freude war so rein gewesen, wie Glockengeläut der Heimathskirche, er hatte ja Somnitz an das Herz geschlagen und es mit wonniger Sehnsucht erfüllt.

Nein – rief er – Du warst ein Narr des Argwohns und jetzt wäre es Verbrechen, dem Zweifel nur einen Gedanken zu gönnen. Hat dieser Mann dich an jenen Elenden erinnert, so ist das ein Beweis, daß man Unrecht thut, sich von dem ersten Eindruck beherrschen zu lassen – die kindliche Liebe dieser holden Wesen würde für ihn zeugen und trüge er das Kainszeichen auf der Stirn!

 

Somnitz kehrte nach dem Badeorte zurück, um dort einen Freund zu empfangen, dessen Ankunft er heute erwartete.

Doktor Walter, so hieß derselbe, hatte vor einem Jahre seine Frau verloren und war von diesem Schicksalsschlage härter getroffen worden, als Viele in gleicher Lage, er trug seinen Kummer verschlossen in der Brust, Niemand hörte von ihm eine Klage, er schien denen, die ihn nicht besser kannten, sehr gleichgiltig für seinen Verlust und Somnitz war Einer der Wenigen, die einen Begriff davon hatten, wie furchtbar ihn der Schlag niedergedrückt und was er litt, wenn er der Welt ein gleichgültiges, ruhiges Antlitz zeigte und wie sonst seine Berufspflichten erfüllte. Somnitz wußte es, daß Walter seinen Schmerz zu heilig hielt, um Phrasen der Theilnahme, gleichgültige Trostworte ertragen zu können, er kannte den Character dieses Mannes hinreichend, um überzeugt zu sein, daß diese Wunde, die er vor der Welt verbarg, niemals ganz vernarben werde.

Als Somnitz Walter den Vorschlag gemacht, eine gemeinschaftliche Reise zu unternehmen, sobald er seine Kur beendet, hoffte er, daß dieser Ausflug Walter zerstreuen und auf seine herbe Stimmung einen günstigen, wohlthuenden Eindruck machen werde.

Hier in Böhmen hatten sie einander vor einem Jahre kennen gelernt und einen Freundschaftsbund geschlossen, wie er selten in den reiferen Jahren dem Leben eines Mannes noch erblüht, dann aber auch in edlerem Boden wurzelt, als es meist da der Fall ist, wo jugendliche Gemüther, durch Sympathie gefesselt, einander die Herzen entgegen tragen.

Beide Männer, Somnitz wie Walter, waren durch den Krieg aus ihren bürgerlichen Verhältnissen herausgerissen worden, Somnitz, der die Stelle eines Staatsanwaltes in einer brandenburgischen Provinzialstadt bekleidete, folgte der Armee in seiner Eigenschaft als Landwehroffizier, Walter, der ebenfalls noch dienstpflichtig in der Landwehr war, verließ seine junge Frau und gab eine mühsam erworbene Praxis auf, um die Leitung eines Feldlazareths zu übernehmen.

In der Schlacht bei Nachod war Somnitz verwundet worden und er hatte es allein der treuen Pflege Walters zu verdanken, daß er vom Tode gerettet worden. Die Kugel, die ihn getroffen, hatte keine edleren Theile verletzt, aber die Umstände, welche diese Verwundung begleiteten, hatten dieselbe außerordentlich gefahrvoll gemacht.

Nach unerhörten Anstrengungen eines weiten Marsches, erschöpft durch Entbehrungen, gequält vom brennenden Durst, hatte die ungeheure nervöse Erregung, welche im Donner der Kanonen, im Toben der Schlacht den Krieger ergreift, Somnitz die Kräfte gegeben, bei der Fahne auszuharren, bis ihn die Kugel niederstreckte. Das Unglück wollte es, daß er in einem Kornfeld zusammenbrach und dort von den Mannschaften nicht bemerkt wurde, welche die Verwundeten vom Wahlplatze auflasen und in die Lazarethe schafften. So hatte er ohne Verband, durch Blutverlust ermattet, vom brennenden Durst gemartert, vier und zwanzig Stunden auf dem Felde gelegen, ehe ihm Hilfe genaht, er hatte die Sonne niedersinken gesehen, Frost hatte die Glieder geschüttelt und in einem Zustand halb der Ohnmacht, halb des wachen Traumes hatte seine Seele die Schrecken einer Nacht auf dem Schlachtfelde, die grauenhafte Empfindung des Verlassenseins durch gekämpft; wie ein lebendig Begrabener den Tod langsam, unerbittlich heranschleichen sieht, waren die grauenvollen Schatten des Todes vor seine Seele aus dem Dunkel emporgestiegen, Verzweiflung hatte sich seiner bemächtigt, die letzte Hoffnung war von ihm gewichen und die Seele nur von Schreckbildern wilder Phantasien erfüllt, als er plötzlich erwachte und sich auf einem Feldbette unter der Obhut sorgender Wächter fand.

Das Wonnegefühl, welches in diesem Augenblick ihn erfüllte, läßt sich nicht beschreiben, es mochte dem gleichen, was den unschuldig Verurtheilten durchströmt, wenn am Fuße des Schaffots der Ruf an sein Ohr dingt, daß man seine Unschuld erkannt.

Herausgerissen aus den Schrecken des Todes, welche die Seele schon umnachtet, fühlt das Herz den Sonnenstrahl eines neuen Lebens durch seine Adern glühen und mit unendlicher Dankbarkeit und Rührung schaut es auf den, dem es die Rettung verdankt.

Walter trat an das Bett des Kranken und reichte ihm die Arznei, die frisches Leben in die wunde Brust, die wohlthuende erfrischende Wärme in die lechzenden Adern goß und Somnitz hörte, daß dieser Arzt ihn im Kornfeld gefunden, selber Hand angelegt, ihn unter dem Zeltdach zu betten.

Somnitz schritt bereits seiner Genesung entgegen, als er eines Tages in dem Auge des Mannes, dem er sein Leben dankte, Thränen erblickte. Ein tiefer Schmerz hatte die Züge des Arztes entstellt, Somnitz sah den Kampf, in welchem die Seelenkraft Walters zu erliegen schien und auf seine theilnehmende Frage antwortete Jener:

»Ich habe Briefe aus der Heimath erhalten, meine Frau ist an der Cholera gestorben.«

Somnitz fühlte, daß es Schonung sei, diesem Manne den lauten Ausdruck der Theilnahme zu ersparen, ein Händedruck sprach beredter, als Worte es vermögen und seit dieser Stunde waren Somnitz und Walter Freunde.

Da der Zustand der Schwäche, in dem Somnitz sich noch befand, es ihm nicht gestattete, zur Truppe zurückzukehren, erhielt er den Befehl über die Colonnenabtheilung, zu der das Lazareth gehörte und war auf diese Weise während des ganzen Feldzuges in der Gesellschaft Walters, er sah, wie dieser mit unermüdlichem Eifer seine schwere Berufspflicht erfüllte, die Wunden Anderer heilte, während die eigene in der Brust blutete und mit der Zuneigung und Dankbarkeit verband sich die Achtung und die Bewunderung.



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