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VII.

Die Familie Steinert's war im Garten versammelt, die Damen mit Handarbeiten beschäftigt, Steinert hatte mehrere Zeitungen vor sich, aber er schien mehr seinen Gedanken nachzuhängen, als daß er sich der Lektüre widmete. Das Geräusch der Nahenden störte ihn auf, aber es schien ihm nicht unangenehm zu sein, daß Jemand kam, ihn seinen Gedanken zu entreißen, und die Blicke, welche die Schwestern mit einander wechselten, verriethen, daß ihnen der Besuch nichts weniger als unwillkommen sei.

»Ich bringe das versprochene Recept noch nicht,« sagte Walter, »ich halte es für gerathen, zuvor eine Untersuchung Ihrer Brust vorzunehmen, Madame, und habe die Instrumente mitgebracht. Wollen Sie die Güte haben, mir dies zu gestatten oder komme ich zu ungelegener Zeit?«

Frau Steinert sah ihn befremdet an, sie glaubte ja ihm deutlich genug gezeigt zu haben, daß ihr Leiden kein körperliches sei, aber es lag Etwas in seinem Blick, was sie zugleich verwirrte und doch auch ihr Vertrauen erweckte. Sie erhob sich und verließ, ohne den mißmuthigen Wink ihres Gatten zu bemerken, den Garten. Walter folgte ihr und Somnitz nahm zur Seite Bertha's Platz, obwohl auch neben Anna ein leerer Sessel stand.

»Ihr Freund scheint mir ein sehr vorsichtiger und verständiger Arzt zu sein,« begann Steinert das Gespräch. »Er scheint nicht viel von Arzneien zu halten, mit denen andere Aerzte die Kranken überschwemmen und die Apotheker bereichern.«

»Ich halte ihn für einen vernünftigen Arzt,« versetzte Somnitz.

»Sie legen Gewicht auf dieses Wort. Ist vernünftig und verständig nicht ziemlich dasselbe?«

»Ich meine nicht. Der Vernünftige zieht immer den Verstand zu Rathe und urtheilt dann mit dem Gefühl, der Verständige handelt aber nicht nothwendig auch immer vernünftig.«

»Diese Definition klingt gut, aber ist doch nur eine Wortspielerei. Wo Verstand ist, da ist auch Vernunft.«

»Nicht immer, Herr Steinert. Der Verstand rechnet und kann sich verrechnen, die Vernunft, die immer praktisch ist, während der Verstand dies als solcher nicht zu sein braucht, nimmt das natürliche Gefühl zu Hilfe, urtheilt nach der Erfahrung und mildert dadurch Vieles, was der trockene, klare Verstand schroff hinstellt. Ein vernünftiger Arzt bringt die Lehren der Wissenschaft und seine Methode mit der individuellen Natur der Kranken in Einklang und mäßigt danach Vorschriften, die er sonst nur nach der Schablone ertheilen würde.«

»Beim Arzt will ich das gelten lassen, daß Sie die Vernunft über den Verstand stellen,« erwiderte Steinert; »denn die Wissenschaft tappt im Dunkeln, sonst aber halte ich es für eine Schwäche und für einen Fehler, wenn das Gefühl sich in unser Urtheil mischt, es erzeugt die schwankenden Charaktere.«

»Nur da«, wandte Somnitz ein, »wo das Gefühl selber unsicher ist.«

»Das ist es immer, denn es entspringt unserer Schwäche.«

»Nennen Sie Mitleid, Theilnahme, Dankbarkeit, Liebe eine Schwäche?«

»Ganz gewiß, sobald wir uns von diesen Gefühlen so beherrschen lassen, daß wir unklug handeln.«

»Es kommt darauf an, was Sie unklug nennen.«

»Alles, was einen Nachtheil bringt, jede Handlung, die meinem Interesse schaden könnte.«

»Das führt zum Egoismus.«

»Ich bin Egoist und ich will es sein. Ich lasse mich lieber einer Herzlosigkeit als einer Thorheit beschuldigen, wenn ich zu wählen habe.«

Die letzten Worte setzte Steinert hinzu, als er des merkte, daß seine Töchter ihn befremdet ansahen.

»Du bist kein Egoist, Vater,« sagte Bertha, als müsse sie Somnitz gegenüber für ihn auftreten. »Du scheust ja keine Sorgen und Mühen, um Deine Familie glücklich zu machen, Du hilfst den Armen und lässest es es nur die Leute nicht merken, wenn Du mit Güte heimlich die Strenge milderst, die Du grundsätzlich geübt.«

Ein zärtlicher Bild Steinert's dankte seiner Tochter, aber als wolle er eine weitere Erörterung dieses Punktes vermeiden, änderte er plötzlich das Thema.

»Ihr Freund ist Wittwer?« fragte er.

»Seit einem Jahre. Er verlor seine Frau an der Cholera.«

»Er hat keine Kinder?«

»Die Frau Walter starb kurze Zeit, nachdem sie einem Kinde das Leben gegeben.«

»Das ist sehr traurig,« sagte Bertha mit tiefer Bewegung. »Er sprach davon nicht zu meiner Mutter, der er sein Unglück geschildert.«

»Er spricht überhaupt selten von dem, was ihm sehr nahe geht. Seines Kindes erwähnt er fast nie, denn es bereitet ihm stets der Gedanke, daß demselben die Mutter fehlt, einen tiefen Schmerz.«

Bertha schaute auf ihre Arbeit nieder und antwortete nicht, aber eine innige Theilnahme war auf ihren Zügen zu lesen. Auch aus Anna's Antlitz war der heitere Zug des Muthwillens verschwunden.

»Sie kennen Ihren Freund gewiß schon lange?« fragte Steinert.

»Nein, erst seit einem Jahre, aber ich befand mich damals in einer Lage, in der die Freundschaft, die uns geboten wird, doppeltes Gewicht hat, und ich war Zeuge, wie er den größten Schmerz seines Lebens ertrug.«

»Wie?« fragte Steinert überrascht, »waren Sie denn auch im Felde?«

»Gewiß. Ich bin Offizier der Landwehr und zog als solcher mit. Ich wurde verwundet und Walter rettete mich.«

»Er heilte Sie?«

»Nachdem er mich von einem qualvollen Tode gerettet. Er fand mich, als ich verlassen auf dem Schlachtfelde lag.«

Die Züge Steinert's verwandelten sich in auffälliger Weise, es entging Somnitz nicht, daß er sich vergeblich bemühte, eine seltsame Unruhe zu beherrschen, und Steinert's Stimme bebte leise, als er ziemlich heftig fragte:

»Wo war das?«

Somnitz heftete seinen Blick fest auf den Mann.

»Bei Nachod,« sagte er, »ich lag im Korn nahe dem Saume des Waldes.«

Die Züge Steinerts wurden aschgrau. Er konnte das Auge nicht erheben.

»Das ist entsetzlich,« murmelte er mit bebender Stimme, als müsse er etwas sagen. »Der Krieg ist schrecklich. Ich habe ein solches Blutfeld gesehen. Das vergißt man nicht. Man sieht's im Traume wieder. Warum müssen die Menschen einander schlachten!«

Er erhob sich und trocknete den Schweiß von seiner Stirn. Noch immer sah er Somnitz nicht an, und als fühle er die Blicke desselben auf sich haften, als müsse er fliehen, um sich zu sammeln, entfernte er sich rasch.

»Seltsam!« sagte Somnitz halblaut und starrte ihm nach. »Ihr Herr Vater, meine Damen, ist seltsam ergriffen.«

»Das ist er stets, wenn von Schlachten die Rede ist,« antwortete Bertha, »er kann kein Blut sehen und wird fast ohnmächtig, wenn sich eine von uns geschnitten. Er ist damals über ein Schlachtfeld gekommen, hat die Verwundeten gesehen und die Erinnerung an diese entsetzlichen Bilder erregt ihn furchtbar.«

Mit diesen Worten erhob sie sich, dem Vater nachzugehen, und, wie sie sagte, ihm ein beruhigendes Getränk zu bereiten.

Somnitz und Anna waren allein.

Er starrte düster vor sich bin. War sein entsetzlicher Argwohn begründet oder nicht? Er wuchs und wuchs, aber ein Wort von den Lippen Anna's ließ den gräßlichen Verdacht als Wahnsinn erscheinen.

»Sie haben Schweres durchlebt,« sagte Anna, um der für sie höchst peinlichen Pause ein Ende zu machen und in einem Tone, der verrieth, daß es sie verletzt habe, gar nicht von ihm beachtet zu sein.

Er schaute sie an, sah das Erröthen in dem lieblichen Antlitz, das heute Morgen so heiter gestrahlt. Aber sie ist die Tochter eines Mörders! rief es in ihm, als er fühlte, daß ihr Zauber in sein Herz drang, und er gab, ohne es zu wollen, in rauhem Tone eine kurze Antwort.

Anna erröthete bis zur Stirne und erhob sich.

»Verzeihen Sie,« sagte sie mit schlecht verhehlter Verwirrung, »aber ich muß Sie allein lassen.«

Er fühlte, daß er grausam gewesen, daß er sie verletzt.

»Bleiben Sie noch einen Augenblick,« sagte er leise. »Ich bin sonst ein besserer Gesellschafter, aber mich bestürmen heute sehr trübe Gedanken, mir ist etwas sehr Ernstes begegnet.«

Der Unmuth verschwand von ihrer Stirne und mit neugieriger Theilnahme blickte sie ihn an.

»Ich erkannte Sie auch kaum wieder,« sagte sie, »heute Morgen waren Sie so heiter und aufgeräumt. Ohne Ihre Sorge zu kennen, wünsche ich Ihnen, daß sie sich bald zerstreuen möge. Es scheint, als ob heute sich Vieles verändert hat, auch mein Vater verbirgt Etwas, die Mutter ist unruhiger als je – es ist, als schwebe ein Unglück in der Luft, aber ich denke immer, auf Regen folgt Sonnenschein.«

»Nicht immer« – murmelte Somnitz und wandte sich ab, um seine Erschütterung zu verbergen –, dieses Kind ahnte noch nicht, daß es Schicksalsschläge giebt, die einen kalten Winter und grauen Nebel auf das Herz legen.

Ein Schrei ertönte aus dem Salon und gleich darauf hörte man die Stimme Steinert's in leidenschaftlicher Erregung.

 

Als Walter der Frau Steinert in den Salon gefolgt war, hatte er hinter sich die Thüre geschlossen.

»Madame,« sagte er, »ich bitte Sie, mich zu entschuldigen, daß ich einen Vorwand gebraucht, Sie allein zu sprechen. Was ich Ihnen mitzutheilen habe, betrifft Sie näher, als Sie errathen mögen.«

»Herr Doctor,« antwortete sie, ihn befremdet anschauend, »ich hege das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie das meinige nicht mißbrauchen können.«

»Ich danke Ihnen für die Gerechtigkeit, die Sie mir zu Theil werden lassen. Ich habe Ihnen das Geständniß zu machen, daß ich beim ersten Anblick Ihrer ältesten Tochter die Sehnsucht empfunden habe, dieselbe näher kennen zu lernen; ich weiß, daß es nicht Sitte ist, derartige Gefühle laut werden zu lassen, ehe man die Hoffnung hegen darf, nicht zurückgewiesen zu werden, aber es sind Umstände eingetreten, die mich den sehnlichen Wunsch hegen lassen, daß Sie mich schon jetzt als einen Mann betrachten, dem nicht mehr am Herzen liegt, als Ihr volles Vertrauen zu besitzen und der ein Recht darauf hat, Ihnen als Freund zur Seite zu stehen.«

»Sie setzen mich in Verwirrung, Herr Doctor. Welche Umstände können Sie veranlassen, ungewöhnlich zu handeln und auf eine Art Vertrauen zu suchen, die, milde gesagt, befremdend ist!«

»Madame, wenn ein plötzliches Unglück Sie bedrohte, würden Sie sich dann meinen Schritt erklären können?«

Marianne erbleichte, sie starrte den Arzt mit tödtlicher Unruhe an.

»Welch' ein Unglück?« stotterte sie. »Meine Kinder sind gesund, mein Gatte auch – oder wäre er es nicht?«

»Denken Sie an ein Unglück anderer Art, Madame.«

Eine schreckhafte Blässe überzog ihr Antlitz, aber sie antwortete mit erzwungener Fassung: –

»Bei Allem, was sonst kommen kann, habe ich nur einen passenden Beschützer, und das ist mein Gatte.«

»Madame, verzeihen Sie mir, wenn ich die Möglichkeit voraussetze, daß Ereignisse eintreten, die Ihnen diesen Schutz plötzlich entziehen.«

Hätte Walter nicht das wärmste Gefühl in seinen Ton gelegt, sie hätte trotz dessen, daß ihre Besorgniß dieses Unglück erwartet, die dreiste Zudringlichkeit mit Empörung aufnehmen müssen, aber ein Blick in das Auge Walters sagte ihr Alles. – –

Wir können jetzt noch nicht berichten, wie weit sie von Allem unterrichtet war, was die Ehre Steinert's bedrohte, aber es genügte, daß sie wußte, wie er vor einer Gefahr zitterte und jetzt war es ihr klar, daß das Unglück hereinbrach, denn ein Dritter wußte schon darum!

»Was ist geschehen?« stotterte sie mit unsäglicher Angst. »Sie sprechen von etwas Gewissem, verschweigen Sie mir Nichts!«

»Madame, ich darf nicht mehr sagen als schon geschehen, und will nur hinzufügen, daß es im Interesse Ihres Gatten ist, wenn er nichts von diesem Gespräch erfährt. Man hegt einen Verdacht gegen ihn und er ist überwacht, eine Warnung könnte ihn nur aus seiner Fassung bringen und ihn zu einem übereilten Schritt veranlassen. Bestätigt sich der Verdacht nicht, wie ich dies hoffe, so wird er über die Maßregeln, die derselbe hervorgerufen, sehr erbittert sein und schon diese Voraussicht bewog mich, Sie darauf vorzubereiten, daß seine Stimmung eine sehr erregte sein wird. Als Ihr Arzt sorge ich daher dafür, daß der Schlag nicht zu plötzlich trifft und ich denke mir, es wird für Sie immerhin ein Trost sein, Jemand in Ihrer Nähe zu wissen, der den innigsten Antheil an Ihrer Familie nimmt und dem Sie in allen Dingen Ihr Vertrauen schenken können, der endlich, komme was da wolle, immer bestrebt sein wird, Ihr Wohlwollen zu verdienen.«

»Ich glaube Ihnen, ich vertraue Ihnen, aber um Gotteswillen, was ist geschehen?«

»Madame, es handelt sich um eine Maßregel, die mit der Verhaftung Ihres Försters zusammenhängt und wenn sie vielleicht auch von keiner gewichtigen Bedeutung ist, doch Ihren Gatten tief kränken wird; man hält Haussuchung auf Ihrem Gute.«

Marianne bedeckte sich das Antlitz mit ihren Händen und sank wie gebrochen in das Sopha zurück – in diesem Augenblick erschien Steinert auf der Schwelle, noch erregt von dem Gespräch, welches ihn aus der Nähe Somnitz getrieben.

»Mein Herr,« rief er, und finstere Leidenschaft blitzte in seinen Augen, als ob er ein Opfer suche, die kochende Galle auszuschütten, »ist Ihre Untersuchung noch nicht beendet? Ich sehe keine Instrumente und Sie scheinen die Gabe zu besitzen, Ihre Patienten eher zu erschöpfen als zu heilen.«

»Meine Untersuchung ist beendet,« erwiderte Walter mit kalter Ruhe, obwohl er nicht begriff, was Steinert zu diesem brutalen Ausfalle veranlaßt haben könnte, »aber ich bitte Sie, Ihre Stimme in diesem Gemach zu mäßigen.«

Steinert fühlte instinktmäßig, daß er einem Feinde gegenüber stehe, der Arzt schien mehr errathen zu haben, als Steinert angenehm war und er dachte daher auf die kürzeste beste Weise mit ihm zu brechen.

»Ich bedaure, Herr Doctor,« erwiderte er in spöttischem Tone, »von Ihrer Wissenschaft nicht so viel zu halten, um meine Ansichten deshalb zu ändern, am wenigsten da Sie denselben früher beigestimmt haben. Ich werde daher, wenn ich ferner des Rathes bedarf, ganz besonders darum bitten und danke somit für Ihre Bemühungen.«

»Wie Sie dies wünschen, mein Herr,« versetzte Walter vor Unmuth erröthend, und suchte nach seinem Hut.

»Lieber Vater,« bat Bertha in besänftigendem, bittendem Tone und ihr Blick schien Walter anzuflehen, daß er die Heftigkeit und erregte Stimmung ihres Vaters berücksichtigen möge.

Walter mußte, um den Salon zu verlassen, bei Steinert und seiner Tochter vorüber gehen. Fest und kalt sah er dem Ersteren ins Auge, verneigte sich aber gegen Bertha.

»Pflegen Sie Ihre Frau Mutter,« sagte er zu dieser, »sie bedarf des tröstenden Zuspruch mehr, als Sie ahnen.«

Steinert war das Blut ins Antlitz gestiegen, als er sah, daß Walter ohne Gruß sich entfernen zu wollen schien.

»Herr Doktor«, sagte er, »ich bemerkte soeben, daß wir Ihre Rathschläge besonders erbitten würden.«

Walter richtete sich stolz auf und sah jetzt Steinert mit dem Ausdruck der Verachtung und so fest ins Auge, daß dieser einen Moment den Blick nicht ertragen konnte.

»Herr Steinert,« sagte er, »Sie können Dienste zurückweisen, um die Sie mich gebeten haben und dafür eine Laune zum Vorwand nehmen, aber es muß eine seltsame Stimmung sein, die einen gebildeten Mann dahin bringt, dies in einer solchen Weise zu thun, als es Ihnen jetzt beliebt, und ich rechne darauf, daß Sie bei ruhiger Ueberlegung dies einsehen werden.«

»Mit nichten, Herr Doktor,« versetzte Steinert, über die Zurechtweisung erröthend, »und da Sie eine Erörterung verlangen, will ich sie Ihnen geben.«

»In diesem Augenblick verzichte ich darauf.«

»Mein Herr, ich habe Sie nicht kränken wollen, aber wenn ich dies in der Erregung gethan, so haben Sie Anlaß dazu gegeben. Ich bat Sie, meiner Frau vorzustellen, daß ihr Zerstreuungen nothwendig seien, statt dessen setzen Sie ihr und meinen Kindern Gedanken in den Kopf, als sei ihr Zustand gefährlich. So etwas posaunt man nicht vor ängstlichen Gemüthern aus, es sei denn, daß man sich wichtig machen will.«

Walter würdigte Steinert keiner Antwort, er deutete nur auf die kranke Frau, die einen Schrei des Schmerzes ausstieß, als sie ihren Gatten dem Manne die Thüre weisen sah, der wie ein Freund zu ihr gesprochen. Somnitz und Anna kamen herbeigeeilt, sie hatten die letzten Worte Steinerts gehört und Somnitz reichte dem Freunde die Hand, um sich mit ihm zu entfernen, nachdem er eine kalte Verbeugung gegen Steinert gemacht.

»Befragt mich nicht,« sagte dieser zu seinen Töchtern, die ihn zum ersten Male ohne seine gewöhnliche Selbstbeherrschung und im Zustande großer Erregung sahen, »ich handle durchaus überlegt. Der neugierige Mensch, der Hallborn, hat dem Doktor mit seinen Muthmaßungen den Kopf verdreht, er lief hinüber zu Somnitz, als Walter Eure Mutter untersucht hatte, er war wohl eine Stunde dort, und es ist kein günstiges Zeichen für die Sicherheit eines Arztes, wenn er des Nachmittags anders spricht, als des Morgens. Geht auf Euer Zimmer und ich verspreche Euch, daß Ihr die Mutter heute noch vergnügt und munter sehen sollt.«

Bertha und Anna gehorchten, sie waren daran gewöhnt, dem Vater nicht zu widersprechen.

 

Ehe wir jedoch schildern, welches Mittel Steinert anwandte, seine Frau heiter und vergnügt zu machen, folgen wir den Freunden. Noch hatte Walter Somnitz nicht den ganzen Auftritt schildern können, als Hallborn in hastiger Erregung zu ihnen trat.

»Komme ich schon zu spät?« fragte er, »haben Sie Frau Steinert schon gesprochen?«

»Ja,« antwortete Walter, betroffen von den Tone dieser Frage.

»Verdammt!« murmelte Hallborn »das ist fatal,« sagte er laut, »die Depesche ist da, aber sie lautet anders, als ich erwartet.«

Er reichte den Freunden das Telegramm.

»Keine Bärte gefunden,« so lautete dasselbe. »Scharf befragt, gestand der Förster, daß er den Jäger erschossen. Der Revolver bei ihm nicht gefunden. Beobachten Sie Steinert.«

Walter wechselte die Farbe.

»Ihre allzugroße Sicherheit,« sagte er in dem Tone des bittersten Vorwurfs, »hat mich verleitet, in bester Absicht vielleicht, ein großes Unheil anzustiften. Ich habe der Frau einen Argwohn gegen ihren Gatten eingeflößt, der vielleicht nie zu beseitigen ist.«

»Das ist das Geringste! Wenn sie nur nicht plaudert! Schöpft Steinert Verdacht gegen mich, so ist er gerieben genug, mir alle Schritte zu vereiteln.«

»Wie?« fragte Walter betroffen. »Sie erhalten Ihren Argwohn aufrecht, trotz des Geständnisses des Mörders?«

Hallborn lächelte.

»Fragen Sie Ihren Freund,« sagte er, »ob sein Argwohn dadurch bestärkt oder vermindert wird, er ist Jurist. Die Sache, verehrter Herr Doctor, ist für uns, die wir viele Verbrecher beobachtet, sehr einfach. Wäre der Förster der Mörder, so hätte er eben nicht eingestanden. Das thut nur der Reuige, der sich dem Gericht überliefert, nicht aber ein Bursche, der lange Jahre hindurch die Grenzjäger betrogen. Er weiß, daß ihm der Mord bewiesen werden muß, so verlangt es das Gesetz. Er wird sich aber hüten dem Untersuchungsrichter diesen Beweis möglich zu machen.«

»Ich verstehe nicht, was er dadurch erreichen sollte.«

»Das ist sehr einfach, er leitet die Untersuchung auf eine falsche Spur und gewinnt Zeit. Er calculirt etwa so: der Widerstand, den er mit Waffen in der Hand leistete, als er beim Schmuggeln ertappt wurde, kostet ihn, da er einen Grenzjäger schwer verwundet hat, lebenslängliche Zuchthausstrafe. Er wählt lieber den Tod als diese, aber er hofft etwas Besseres. Verräth er seinen Herrn, so bringt ihm das keinen Nutzen, wendet er den Verdacht von diesem ab, so hat er einen Mann zum Freunde, dem es vielleicht gelingt, durch Bestechung der Kerkerwächter oder durch die Hülfe der Schmuggler ihn zu befreien. Man hat ihm dies jedenfalls versprochen und er rechnet darauf; entspringt er, so muß Steinert für ihn sorgen, er kann dann Alles von ihm fordern.«

»Ihre Annahme ist möglich, aber doch sehr kühn.«

»Lesen Sie die Depesche aufmerksam und Sie werden finden, daß mein College denselben Gedanken hat. Auch ist der Revolver nicht gefunden, die Geschichte mit demselben noch nicht aufgeklärt.«

»Das Auffallendste ist,« nahm jetzt Somnitz das Wort, »daß der Förster sein Geständniß so früh und in dem Augenblicke macht, wo er weiß, daß die Haussuchung bei Steinert stattfindet. Er hat aus dem Verhör errathen, daß man Verdacht gegen Steinert hegt und will diesen entkräften.«

»Du glaubst also auch – –«

»Ich habe jetzt fast die Gewißheit. Steinert's Unruhe verräth ihn. Hätte er ein gutes Gewissen, handelte es sich selbst allein darum, daß er an der Schmuggelei betheiligt ist, so würde er, sobald er die Nachricht von der Verhaftung seines Försters erhalten, nach Hause geeilt sein, keineswegs würde er Schweigen beobachtet, sondern meinen Rath erbeten haben; statt dessen wartet er ab, was geschieht, bleibt im Auslande, wo seine Verhaftung, wie er wohl weiß, umständlicher ist und hat vielleicht im Stillen Anstalten zur Flucht getroffen. Sein Benehmen kennzeichnet den unruhigen, unentschlossenen Verbrecher, der in der peinlichen Lage ist, nicht zu wissen, ob er fliehen muß oder ob ihn die Flucht compromittirt. Daher auch seine Angst, Dich allein mit seiner Frau zu sehen. Ich habe übrigens noch eine andere Entdeckung gemacht,« schloß Somnitz, Walter einen bedeutsamen Wink zuwerfend, »doch davon später.«

Hallborn horchte auf, aber er fühlte, daß eine Frage indiskret sei. Es befriedigte ihn, seine Ansicht von dem Juristen unterstützt zu sehen. –



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