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VIII.

Wir gehen einige Tage in unserer Erzählung zurück. Marianne war in sehr glücklicher Stimmung nach M. gekommen. Die zärtliche Liebe ihres Gatten, die Freude an ihren Kindern, die glückliche Lebensstellung, Alles das hätte das Loos dieser Frau beneidenswerth machen können, wenn es ihrer Beobachtung entgangen wäre, daß Steinert ein Geheimniß vor ihr verbarg, welches ihn so schwer drückte, daß sie oft genug wahrgenommen, wie er nur mit Mühe in ihrer Gegenwart sich zu einer heitern Stimmung zwang. Er hatte beunruhigende Träume und stieß im Schlafe entsetzliche Worte aus, als ob seine erregte Phantasie Bilder des Grauens, blutige Scenen und die Furien der Rache vor sich sehe.

Sie hatte mehrmals versucht ihn zu einem Geständniß der Sorgen, die ihn quälten, zu bewegen, aber er hatte dieselben verleugnet und sie dringend gebeten, dies Thema nie zu berühren, wenn sie ihn nicht erzürnen wollte.

»Du hältst mich für schwach,« hatte sie einmal darauf erwidert, »aber ich bin es nur einer ungewissen Besorgniß gegenüber, ich bin stark genug jede Sorge mit Dir zu theilen, und die Gewißheit, wäre sie noch so traurig, würde mich weniger quälen als die Ahnung daß Du Deine Sorgen einsam trägst.«

»Marianne,« hatte er darauf erwidert, »in allen Dingen würde ich Dir vertrauen, aber von Geschäftssachen verstehst Du nichts und es ist genug, daß Einer die Sorge trägt.«

Damit hatte er das Gespräch abgebrochen und sie hatte nur das erreicht, daß er vorsichtiger ward, ihr seine Verstimmungen zu verbergen.

Sie war überzeugt, daß noch etwas anderes als geschäftliche Sorgen ihn quälten, sie verstand es nicht, warum er, da er doch vermögend war, sich nicht von Geschäften zurückzog, die ihm nur Sorgen bereiteten, aber wie sie auch ihr Hirn anstrengte, sie fand keinen Anhalt, das Räthsel zu errathen und um so trüber wurden ihre Ahnungen, daß er sich schäme, ihr einzugestehen, was ihn quäle, daß etwas Unrechtes vorgehe.

Sie kannte ihn als einen leidenschaftlichen Mann und hatte ihn bald in Verdacht, daß er sein ganzes Vermögen an eine Spekulation setze, bald argwöhnte sie, daß es unangenehme Prozesse seien, die ihn zu seinen häufigen geheimnißvollen Reisen zwangen, dann beunruhigte sie der auffallende Geschmack, den er bei der Wahl seiner Dienstleute zeigte, er schien sich das verdächtigste Gesindel dazu auszusuchen.

Der Entschluß Steinert's, eine Badereise zu unternehmen, war plötzlich gefaßt und die Anstalten, die er dazu traf, waren geeignet gewesen, sie zu beunruhigen. Er hatte keinen Arzt befragt, aber einen Notar kommen lassen, um das Gut ihr zuschreiben zu lassen, er hatte große Summen flüssig gemacht, hatte gefordert, daß sie all ihren Schmuck mitnehme, und kurz vor der Abreise hatte er lange Gespräche mit verschiedenen seiner Dienstleute bei verschlossenen Thüren gehabt, er hatte Alles mit auffallender Hast und Unruhe betrieben, aber kaum war die Fahrt angetreten worden, als er sich überaus heiter und zufrieden zeigte.

Marianne schwelgte in der Hoffnung, er habe alle Geschäfte erledigt und wolle sich nun ganz der Ruhe im glücklichen Familienleben überlassen, sie hoffte, er werde daran so großen Geschmack finden, daß er sich ganz von seinen Geschäften lossage, heiter und glücklich strahlte ihr Antlitz, aber die Freude sollte von kurzer Dauer sein!

Steinert erhielt Briefe, bei deren Lectüre er alle Selbstbeherrschung verlor und zum ersten Male sie blicken ließ, welche furchtbaren Stürme in ihm tobten. Es rührte sie zu Thränen, daß er eine so schwere Last allein getragen, um sie nicht zu bekümmern, und mit unendlicher Liebe warf sie sich an seine Brust und beschwor ihn, ihr jetzt all seine Sorgen anzuvertrauen, sie wolle Noth und Elend, alles mit ihm theilen.

»Ja,« antwortete er in dumpfem Tone, »es ist Zeit, daß Du alles erfährst, morgen ist es vielleicht schon zu spät. Wappne Dich mit all Deiner Kraft, Du wirst sie brauchen. Ich will Dir die Geschichte meines Lebens erzählen – risse ich den Schleier von der Gegenwart, wie sie vor mir steht, Du würdest vor mir zurückschaudern.«

»Nie werde ich das«, rief sie schluchzend, »und hättest Du ein Verbrechen auf Deiner Seele, ich bin Dein Weib, die Mutter Deiner Kinder, ich habe glückliche Tage mit Dir verlebt und werde auch im Unglück nicht aufhören, Dich zu lieben.«

Er schaute sie zitternd an, als wage er es doch nicht, sie auf eine allzu harte Probe zu stellen und begann endlich seine Erzählung.

»Du weißt,« sagte er, »daß ich mich emporgearbeitet habe von unten auf, aber was ich erreicht habe, verdanke ich weniger dem Glücke, als Du an jenem Tage, wo Du mir Deine Hand reichtest, geglaubt haben magst. Du kennst von der äußeren Geschichte meines Lebens nur die groben Umrisse, von den inneren weißt Du gar nichts, denn nie habe ich mir in das Herz schauen lassen, und alles, was zu Dir, zu meinem häuslichen Glücke in Beziehung stand, ist streng gesondert von meinem sonstigen Leben. Ich hoffte, daß nie ein Schatten von dort herüberfallen sollte auf dieses, und wenn ich in zwei Naturen lebte, Marianne, so gehörte die eine dem Dämon, die andere meiner Familie, und ehe jene das Glück der anderen vernichtet, soll eine Kugel mein Leben enden, das habe ich mir geschworen.«

»Um des Heilands willen, Rudolf, sprich das Entsetzliche nicht aus, schon der Gedanke ist Sünde. Denke, daß Du ein Weib und Kinder hast, und willst Du um Deiner selbst willen den Rath und die Hilfe derer nicht annehmen, die es gut mit Dir meinen, so thue es aus Barmherzigkeit für uns.«

»Rath und Hilfe!« rief Steinert mit bitterem Lachen, »giebt es deren, so finde ich sie bei mir, und säße mein Schiff nicht schon auf den Klippen, so würde ich Dir den Schmerz sparen, mich anzuhören. Marianne, ich bin der Sohn eines armen Schmugglers, Du warst stolz darauf, einen Mann zu heirathen, der sich aus der Armuth emporgerungen, ich verschwieg Dir, daß sie mir einen Fluch mit auf den Weg gegeben. Schon als Kind lernte ich alle Pfade der Gebirges kennen, die Abgründe niederklettern und an den Felsen emporklimmen, mein Ohr erkannte den Tritt des Grenzjägers von fern und alle List und Verschlagenheit meines Denkens übte sich im steten Kampf mit dem Gesetz, die Gefahr wurde mein Element und ein Betrug machte mich stolz. Der Kampf des Schwächeren gegen den Starken hat einen eigenen Reiz, wenn die List der rohen Kraft gewachsen ist, und es prägte sich tief in mein Gemüth, daß jedes Mittel dem Schwächeren gerecht sein müsse in diesem Kampf. – Der Grenzjäger ist vom Gesetz berechtigt, auf den Schmuggler zu feuern, wie auf gehetztes Wild, vergilt dieser Gleiches mit Gleichem, so vertheidigt er sein Leben.

Mein Vater wurde von den Grenzern erschossen. Ich sah ihn in seinem Blute liegen. Mit seinem Leben hatte er das kümmerlich verdiente Brot bezahlen müssen, mit dem er Weib und Kind ernährte. Um die Hungersnoth im Gebirge, um das Elend der armen Leute bekümmerte sich Niemand, aber die Grenzjäger schossen den nieder, der zum letzten Mittel gegriffen, sich Geld zu erwerben. Der reiche Kaufherr bezahlt den Schmuggler für seine Arbeit und dafür, daß er Leben und Freiheit wagt; er ist in Sicherheit, der Schmuggler mag sich selber helfen.

Mein Vater war erschossen, die Grenzjäger triumphirten, als ob sie ein rühmliches Werk gethan, zu Dutzenden hatten sie einen armen Mann in den Tod gehetzt. Man scharrte ihn ein, Niemand rächte das vergossene Blut und der Mann war doch kein Räuber, kein Mörder; hatte er gefochten, so war er angegriffen worden durch Uebermacht, das Gesetz, das ihn richtete, war Partei und Richter in einer Person.

Man hatte meinen Vater erschossen, Niemand kümmerte sich darum, daß meine kranke Mutter hungerte. Das ist das Schmugglerweib, das Schmugglerkind! sagten die Leute. Ich bettelte im Kloster um Hilfe und man gab mir Ermahnungen statt der Hilfe, auszuharren unter der Zuchtruthe Gottes; ich ging zum Edelmann und flehte um Arbeit und Brot, und er ließ mich vom Hofe jagen.

Meine Mutter starb, weil kein Arzt sich um sie kümmerte und ich auch keine Arznei hätte bezahlen können, ich grub die Leiche mit meinen Händen in die Erbe und schwur mir an ihrem Grabe, all unser Elend zu rächen und die Reichen fühlen zu lassen, welchen Haß sie säen.

Ich entfloh aus meiner Heimath und kam in eine Stadt, wo ich Arbeit fand. Ein alter Jude nahm mich in seinen Dienst, er betrog mich um den Lohn, aber ich lernte bei ihm die Geheimnisse des Handels, das Führen der Bücher und die Kunst, allen Dingen ihren Vortheil abzusehen. Als ich ihn verlassen, kam ich in ein Weingeschäft, dann in ein großes Commissions- und Speditionsgeschäft. Ueberall sah ich, daß man nur die kleinen Diebe hängt und daß man den Reichthum achtet und nicht frägt, wie er erworben ist, wenn nur der äußere Schein gut ist, und daß der böse Leumund auch nicht den ehrlichen Mann verschont.

In meiner Brust war die Bitterkeit nicht geringer geworden, sie war gewachsen und als in dem Speditionsgeschäft einmal die Rede darauf kam, Waaren über die Grenze schmuggeln zu lassen, blitzte ein Gedanke in mir auf, der entscheidend für mein Leben wurde. Ich kannte alle Pfade des Gebirges, alle Schmugglerherbergen und Höhlen, ich wußte aber auch, daß die Unternehmungen der Schmuggler oft daran gescheitert, daß ihnen die Mittel fehlen, Spione zu bezahlen und die Idee, einen großartigen Schmuggelhandel zu organisiren, begeisterte mich, denn im Herzen erwachte die alte Lust, das gefährliche Spiel zu treiben und den Grenzjägern Streiche zu spielen. Der Chef des Speditionshauses kam mir mit seinem Anerbieten entgegen, als ich, um ihn zu erforschen, ihm meine Geschichte erzählte, ich übernahm auf eigene Gefahr die Besorgung der Schmuggelwaaren und da ich sehr bald die rechten Leute zu finden wußte und selbst die Leitung übernahm, so ging alles gut von Statten und so glatt, daß mein Prinzipal mir den Vorschlag machte, sein Compagnon zu werden.

Von dieser Stunde an war mein Glück gemacht, wir theilten den Verdienst und ich konnte in wenigen Jahren ein eigenes Geschäft gründen, als mein Compagnon sich zur Ruhe setzte. Ich wäre im Stande gewesen, jetzt eine andre Bahn einzuschlagen, aber abgesehen davon, daß ich einen Reiz an der Gefahr, wie der Spieler am Spiel gefunden, daß es eine Passion, eine Leidenschaft für mich geworden, bei Nacht und Nebel mit den Schmugglern über die Berge zu ziehen, die Flinte in der Faust, abgesehen selbst davon, daß ich jedesmal, wenn ich einen glücklichen Coup ausgeführt, die stolze Befriedigung fühlte, mich an denen gerächt zu haben, die meinen Vater gemordet, gab es auch noch andere Gründe, die mich bewogen, das alte Handwerk fortzusetzen.

Eine Menge von Leuten waren von mir engagirt worden, ich hatte ein vollständiges System organisirt, erhielt Kundschaft über jede Bewegung der Grenzjäger, hatte meine Stationen, kurz, die Sicherheit des Einzelnen beruhte ebenso wie der glückliche Erfolg, den ich gehabt, auf der vollkommenen Organisation und ich wollte die Leute nicht im Stiche lassen, die mir gedient und oft für mich ihr Leben gewagt; ich konnte Vielen auch nicht trauen, daß die Noth sie nicht dahin bringe, das Geschehene zu verrathen, wenn ich sie brotlos machte. Genug, Marianne, ich blieb was ich war und blieb es bis zum heutigen Tage, aber es scheint, ich habe mein Ziel gefunden. Der Verdacht naht mir und das ist genug für den Menschenjäger, ich habe daher alle Vorbereitungen getroffen, von hier aus das Weite suchen zu können.«

Marianne hatte der Erzählung mit schmerzlicher Bewegung gelauscht und der Gedanke drückte sie tief nieder, daß es um den guten Namen des Vaters ihrer Kinder geschehen. Wie sollte sie ihnen erklären, daß er die Heimath fliehen müsse, ohne einen Argwohn in die Brust der arglosen Mädchen zu legen.

»Rudolf,« sagte sie, »ich vermag es nicht, Dir einen Vorwurf zu machen; einmal auf der abschüssigen Bahn, bist Du tiefer und tiefer gesunken und ich glaube, daß Du hart gebüßt, denn es muß furchtbar gewesen sein, die Herzensangst in der Brust zu verschließen. Aber sieh, Du hast nichts begangen, was Du dem Gesetze gegenüber nicht sühnen könntest durch das Opfer eines Vermögens, auf dem kein Segen ruhen kann. Erdulde die Strafe, die man Dir auferlegt und Du wirst Dich frei fühlen von einer großen Last und meine Liebe, die Liebe Deiner Kinder wird Dich für alles Ungemach trösten, das Dich trifft.«

Steinert schaute seine Frau forschend an, er schien dadurch ermuthigt zu werden, daß sie das erste Geständniß leichter hinnahm als er erwartet, dennoch aber zitterte seine Stimme, als er fortfuhr und ihr sagte, eine Geldstrafe würde er gern zahlen, wenn damit Alles abgemacht sei; »aber,« flüsterte er, »Du vergißt es, daß der Schmuggler mit dem Grenzjäger kämpft und daß das Gesetz denjenigen einen Mörder nennt, der Nothwehr übt gegen seine Schergen.«

Marianne starrte ihren Gatten an.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, Steinert, hast Du Blut vergossen? Sage mir die Wahrheit, klebt Blut an Deinen Händen?«

»Marianne,« erwiderte er im dumpfen Tone, »die Grenzjäger haben meinen Vater erschossen. Auge um Auge, Zahn um Zahn, sagt die Schrift. Soll ich mich erschießen oder einfangen lassen?«

Die Wirkung dieser Worte war so entsetzlich, daß Steinert erst jetzt fühlte, wie er mit diesem Geständniß einen Abgrund zwischen sich und sein Weib gelegt, daß sie ein Grauen vor ihm empfinden mußte und er sich das Letzte geraubt habe, was ihn noch getröstet, sein häusliches Glück. Der Mann, der kaltblütig gemordet, der von Jugend auf mit den Gesetzen im Kampf gewesen, hatte nicht daran gedacht, daß eine Sache, mit der sein Gewissen sich müde gerungen, in ihrer ganzen furchtbaren Gräßlichkeit vor einer Seele erscheinen müsse, die schon vor einer Unredlichkeit erschrak und wenn sein Leben nur eine Sonnenseite hatte und in dieser sein Herz die süßesten Wonnen genoß, so war der Gedanke entsetzlich, daß er sich dieses Glück vielleicht unnöthig zerstört hatte, denn es war ihm ja noch keine Schuld bewiesen und wenn irgend Jemand an seine Unschuld geglaubt hätte, so war es sein Weib.

In der qualvollen Unruhe darüber, daß sie sein düstres Geheimniß von Andern erfahren könnte, hatte er sie darauf vorbereiten wollen; ihre Worte, daß sie stark sei, Alles mit ihm zu tragen, hatten ihn verleitet, das Aergste anzudeuten und erst jetzt, wo es zu spät war, das Geständniß zurückzunehmen, sah er, daß er wie ein Wahnsinniger gehandelt. Ein Blick auf sein Weib genügte ihm, zu fühlen, daß sie vor dem Mörder erbebe und unsägliche Angst ergriff ihn bei dem Gedanken, auch seine Kinder könnten vor ihm zurückschaudern, seine Kinder, die er so unbeschreiblich liebte, daß er für sie tausend Mal sein Leben geopfert hätte.

Der Leser wird sich jetzt die Scenen der Nächte erklären können, die Hallborn belauscht; so viel hatte Steinert durch gesetzt, daß seine Frau das Geheimniß vor ihren Kindern verbarg, aber es zehrte dieser Kampf an dem Marke ihres Lebens. – –

 

Jetzt stand er ihr abermals gegenüber und der Argwohn blitzte aus seinem Auge, daß sie ihn und sein Geheimniß vor den forschenden Blicken des Arztes nicht genugsam bewahrt. Das böse Gewissen sieht überall Gespenster, sieht in jedem Blick den Argwohn des Häschers.

»Marianne,« sagte er, »Du rechtfertigst meine Vertrauen schlecht. Wenn nicht aus Liebe zu mir, solltest Du aus Schonung für unsere Kinder dich mehr zu beherrschen suchen und Dich zwingen heiter zu scheinen. Ich fürchte, man argwöhnt bereits, daß meine Verhältnisse nicht geordnet sind und zu meiner Sicherheit ist es durchaus nothwendig, daß man uns für harmlose Reisende hält. Ich werde in Folge Deiner Schwäche, die Du nur zu sehr zur Schau getragen, eine Hoffnung aufgeben müssen, von der ich mir viel versprach. Die Verbindung mit einem Justizbeamten – und ich glaube, daß Anna an Somnitz großen Gefallen gefunden, hätte mir sehr nützlich werden können, aber jetzt muß ich fürchten, daß der Argwohn des Arztes seinem Freunde Bedenklichkeiten einflößen könnte. Die jungen Männer suchten die Bekanntschaft unserer Töchter und ich bemerkte wohl, daß Somnitz sich heute Mittag nicht neben Anna setzte, obwohl er am Morgen sie mit glühenden Blicken verfolgte.«

Marianne seufzte tief auf und schaute ihren Gatten mit dem Ausdruck schmerzlicher Betrübniß an.

»Rudolf,« sagte sie, »es wird mir schwer, den Gedanken zu fassen, daß Du in Deiner Lage Dich mit solchen Projecten beschäftigst und nicht vor dem Gedanken zurückschauderst, einen Ehrenmann mit unserm Unglück zu verketten.

»Schweig mir mit Deinen Ehrenmännern, Marianne,« unterbrach er sie heftig, »diese Bedenken sind geradezu närrisch. Soll ich etwa ausrufen, daß mein Kind einen Schmuggler zum Vater hat? Der Förster schweigt, dessen bin ich sicher, wenn Joachim ergriffen werden sollte – und wie ich höre, spürt man ihm nach – so ist damit noch nichts bewiesen, das Schlimmste was geschehen kann, ist, daß man mein Waarenlager in Glatz confiscirt und damit ist auch noch nicht gesagt, daß ich den Prozeß verliere. Mein Ruf ist ruinirt, das ist Alles und wenn ich mich in der Schweiz oder in Oberitalien niederlasse, kehre ich mich den Teufel darum, was die schlesischen Klatschweiber über mich sagen. Wir beginnen in der neuen Heimath ein neues Leben und die Vergangenheit ist in Nacht begraben.«

»Rudolf, Du bist allzu sicher, fürchtest Du nicht, daß die Rache Gottes Dich ereilt, wenn Du, anstatt zu bereuen, noch triumphirst!«

»Die Rache Gottes trifft den, der den Kopf verliert und sich selber aufgiebt. Da es Dir gefällt, in solchem Tone zu reden, frage ich Dich: wo blieb die Gerechtigkeit Gottes, als man meine Mutter verhungern ließ? Der Mörder meines Vaters darf in seinem Bett sterben als ein glücklicher Mensch und doch tödtete er einen Mann, der nur Waaren paschte, um einige Groschen für die Pflege seines kranken Weibes zu verdienen, dem man Arbeit verweigerte und der zu ehrlich war, ein Dieb oder ein Räuber zu werden. Was habe ich Anderes gethan, als solchen Armen, wie mein Vater es war, Brod und Arbeit gegeben, ich habe sie geschützt vor den Häschern eines Gesetzes, das sich nicht darum kümmert, ob die Leute andern Erwerb finden, und wenn sie gefochten haben, so war es Nothwehr. Der Soldat im Kriege ist auch kein Mörder und doch heißt man ihn andere Leute erschießen, die ihm nichts Böses gethan, im Leben heißt es, wer die Gewalt hat, der hat das Recht, aber vor Gott steht wohl der arme Schmuggler dem Grenzjäger gleich. Man urtheilt nicht hart über Duellanten, die sich auch das Recht geben einander zu tödten, man nimmt dem armen Manne das Recht, das Wild zu erlegen, daß ihm seine Saat frißt und der Förster darf ihn niederschießen, wenn er sich bei der Wilddieberei nicht einfangen lassen will – ja, der Mächtige und der Reiche, die haben immer das Recht und was der Arme gegen unrechte Gewalt thut, das ist ein Verbrechen und da soll nicht nur das Gesetz strafen, sondern auch der liebe Gott noch hinterherkommen und die Rache vollenden!«

Steinert ward unterbrochen, man brachte ihm eine Depesche. Er las das Telegramm und es flammte in seinem Antlitz, aber sein Blick hatte doch etwas Triumphirendes, so düster er auch vor sich hinschaute.

Marianne sah nur die Erregung ihres Gatten, und wenn in der Erklärung, die Steinert ihr gegeben, Vieles gelegen, was sie milder urtheilen ließ, so ergriff sie jetzt um so heftiger die Angst, daß sein Vorsatz, ein neues Leben zu beginnen, vernichtet sein könne durch die Entdeckung seiner Schuld, die Walter mit so schrecklicher Gewißheit prophezeiht.

»Fasse Dich, Rudolf,« schrie sie auf, als er sich abwandte, »denke an Deine Kinder!«

Die Worte ihres Gatten, daß er eine Kugel durch sein Hirn jage, ehe er sich ergreifen lasse, standen vor ihrer Seele, sie stürzte zu ihm hin – da zeigte er ihr eine Miene, die eher Ueberraschung und Befremden als Verzweiflung zu erkennen gab.

»Was sagst Du?« fragte er, »woher diese Angst?«

»Ich dachte – die Haussuchung – also es ist nichts entdeckt?«

Steinert schaute das zitternde Weib mit Befremden an.

»Du wußtest, was geschehen!« fragte er – und plötzlich zuckte es durch sein Antlitz – »ah, ich errathe Alles, dieser Hallborn – Somnitz, der Arzt! – Und man warnte Dich schon vor mir und Du verschwiegst deinem Gatten was ihn bedrohte, mein Weib stand zu meinen Häschern?«

Der Ausdruck seiner Züge war in diesem Moment entsetzlich, es funkelte wie Mordlust in seinem Auge und zu einem unbarmherzigen, furchtbaren Lächeln verzerrten sich seine Züge, es lag darin die Schadenfreude eines Dämons.

»Schau mich nicht so an, Rudolf – ich habe Furcht vor Dir – höre mich an und banne diesen schrecklichen Verdacht. Sei gütig Rudolf. Dein Blick hat nichts Menschliches, höre Dein Weib an, das Dich liebt und Dir angehören wird bis zum Tode.«

»Rede,« antwortete er mit eisiger Kälte. »Verantworte dich und ich will sehen, ob ich Dir verzeihen kann.«

Mit bebender Stimme schilderte sie das Gespräch Walters, er unterbrach sie nicht und als sie geendet, lächelte er spöttisch.

»Also nur ein Narr des Gefühls,« murmelte er, »Hallborn ist der schleichende Menschenjäger, aber er mag sich hüten vor dem Eber. Ich verzeihe Dir, Marianne, daß Du schwach gewesen in Deiner übertriebenen Angst, ich trage die Schuld, denn ich hielt Dich für stärker als Du es bist. Aber schwer werde ich es vergessen können, daß Du in dem Glauben, mir drohe eine Gefahr, schweigen konntest, anstatt mich zu warnen. Es sind Fremde zwischen uns getreten und das ist nicht gut in der Ehe. Lies dieses Telegramm und überzeuge Dich davon, daß man diesen edelmüthigen Arzt, der so gern Dein Freund in der Noth sein möchte, wie ein Puppe benutzt hat.«

Das Telegramm war vom Verwalter des Gutes, dem Steinert die Bewirtschaftung desselben übergeben.

»Gerichtliche Haussuchung bei Ihnen,« so lautete dasselbe, »so eben beendet. Habe die Beschwerde darüber eingereicht. Der Förster des Mordes geständig. Vermuthe, daß man Ihnen einen Beamten nachgesandt. Die Empörung über das Einschreiten gegen Sie allgemein, da nichts Verdächtiges gefunden.«

Marianne ließ das Blatt fallen.

»Du siehst,« sagte Steinert, daß man nichts gefunden, aber den Versuch gewagt hat, durch die Gattin etwas zu erfahren. Die Beleidigung, die mir widerfahren, giebt mir genügenden Vorwand zur Heimreise, ich werde dieselbe antreten, aber unterwegs die Richtung ändern. Es bleibt bei meinem vorher angedeuteten Entschluß.«

Damit verließ Steinert das Gemach. Die Kälte, die er Marianne zeigte, war wohl berechnet, er glaubte dadurch den Eindruck des Geständnisses, das er ihr gemacht, zu mildern, sie mußte annehmen, daß er selbst kein Verbrechen, keinen Mord begangen, sondern sich nur die Schuld vorwerfe, seine Diener dazu verleitet zu haben.

Der Eindruck, den das Telegramm und sein Benehmen auf Marianne gemacht, war jedoch ganz anderer Natur, als er voraussetzte. Instinktmäßig fühlte das reine Gemüth, daß er eine Maske vornehme, sie zu täuschen, daß ihm das glückliche Resultat neuen Muth gegeben und die Unruhe beseitigt, die ihn niedergedrückt und reuig gemacht. Die Worte, daß er ihr verzeihe, hatten ihr Gefühl auf's Tiefste verletzt, der Spott über Walter ließ sie ahnen, daß ihn nichts erschüttern könne als die Furcht, daß er jedes edleren Gefühle in dieser Stimmung unfähig sei und in dem wilden entsetzlichen Ausdruck seiner Züge hatte sie den Dämon erkannt, der ihn zu Verbrechen trieb.

Sie gedachte der Worte, die er im Traume ausgestoßen und sie glaubte jetzt das Aergste, Grauen vor ihm schüttelte ihre Glieder und sie fragte sich, ob es nicht ein Verbrechen an ihren Kindern sei, ihm zu folgen, ihm, der selbst davor nicht zurückbebte, seinen Töchtern Gatten zu suchen, die er benutzen konnte, vor der Welt seine Ehre zu retten.

Sie sah den Egoismus in seiner furchtbarsten Gestalt, wie er selbst die Zukunft ihrer Kinder bedrohte, sie mußte daran zweifeln, daß die Liebe Steinert's zu seinen Kindern ächt sei und sah mit Entsetzen eine Kette von trüben Tagen vor sich, die bleiern den Fluch, der auf ihm lastete, niederziehen konnte auf ihre Kinder.



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