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XI.

Wir wenden unseren Blick zurück, um zu sehen, was unterdessen im Salon vorgegangen und schließlich Steinert zu dem veränderten Entschluß bewegt.

Marianne hatte Walter erwartet. Wenn ihr Argwohn, daß Steinert Verderben drohe, nicht bis zu einer überzeugenden Gewißheit sich gesteigert hätte, so würde sie nicht im Stande gewesen sein, ihren Brief an Walter zu schreiben. Ihr Gatte war ausgegangen, um Vorbereitungen zur Abreise zu treffen. Er hatte es ihr verboten, die Kinder darauf vorzubereiten und daher sollten erst am Abend die Koffer gepackt werden. Er hatte die drückende Tageshitze zum Vorwand genommen, die Reise in der Nacht anzutreten. Wenn man um 2 Uhr Nachts die Station erreichte, so kam man zur Zeit, mit dem Courierzug weiter zu fahren.

Unter anderen Verhältnissen hätte Niemand etwas Ungewöhnliches in diesem Arrangement finden können, die Post zur Station ging um neun Uhr Abends ab, nahm Steinert eine Chaise, so genügte es, wenn er um zehn Uhr M. verließ.

Unter den obwaltenden Umständen erschreckte es Marianne, daß er im Dunkel der Nacht aufbrechen wollte, Alles war seltsam, er wollte nicht, daß von der Abreise gesprochen werde, die Koffer sollten erst im letzten Moment gepackt werden, Steinert ging aus und sagte, daß er wohl einige Stunden fortbleiben werde!

»Wo ging er hin, was trieb er in dieser Zeit?«

Für den Argwohn liegt im unbedeutendsten Geheimniß ein Schatten.

Und Marianne hatte wohl ein Recht, tiefes Mißtrauen zu hegen. Der sonst so sichere Mann, der stets seine äußere Ruhe bewahrt, hatte sich durch die Erregtheit gegen Walter auf's Aeußerste compromittirt. Walter und seine Freunde wußten, was gegen ihn im Werke war, er hatte dem Arzt gegenüber Gereiztheit und Laune gezeigt, er hatte verrathen, daß er fürchte, derselbe könne Marianne Geheimnisse enthüllen.

Sie erinnerte sich des Moments, wo Steinert unter dem erschütternden vernichtenden Eindruck der Nachrichten, die er erhalten, ihr sein Geständniß gemacht, wie ihr Entsetzen ihn aber zurückgeschreckt habe, Alles zu sagen. Heute hatte die Depesche, die er erhalten, ihm die alte Zuversicht wiedergegeben, aber der Argwohn lag nahe, daß er sich täusche, daß er getäuscht werde, daß er sich in einer erträumten Sicherheit wiege.

Der Gedanke, daß die von Walter angedeutete Gefahr ihn in Gegenwart seiner Kinder ereilen könne, daß diese plötzlich erfahren sollten, wie sie ihre Achtung, ihre kindliche Liebe und Ehrfurcht Jemandem geschenkt, der eine Maske vor ihnen getragen, daß jene sehen sollten, wie nicht ein Unglück, sondern verdiente Schande ihren Vater treffe, der Gedanke, wie eine solche plötzliche Entdeckung ihnen den Glauben an die Menschheit nehmen und alle ihre Gefühle in Aufruhr versetzen müsse –: alle diese Betrachtungen führten sie dahin, sich als die natürliche Beschützerin ihrer Kinder berechtigt zu sehen, selbst auf die Gefahr eines Bruches mit dem Gatten hin, nicht zu dulden, daß er sie der Möglichkeit aussetze, Zeugen seiner Entlarvung zu werden.

Walter hatte ihr seine Freundschaft angeboten und wohl konnte sie einem Manne vertrauen, der ihr in solchem Moment seinen Rath und seine Hülfe angeboten, sie war überzeugt, daß er einen solchen Schritt nicht gewagt haben würde, wenn er nicht die Gefahr gesehen, die über ihrem Haupte schwebte.

Walter kam. Der letzte Schatten einer Hoffnung, daß diese Krisis doch noch vorüber gehen könne, schwand bei seinem Anblick.

»Sie kommen!« rief sie, mit zitternder Angst ihn anschauend, »es ist also doch Gefahr für meinen Gatten vorhanden?«

»Madame,« versetzte Walter, »fassen Sie alle Ihre Kraft zusammen, um mich mit Ruhe anzuhören, denn Ihr Herz, Ihr Gefühl und Ihr klares Urtheil müssen schließlich die Entscheidung fällen, ob der Rath, den ich Ihnen ertheilen werde, annehmbar ist, oder nicht. Ihr Herr Gemahl weiß es allein, ob der Verdacht, der auf ihm ruht, begründet ist oder nicht, lassen wir dies ganz außer Betracht und halten uns allein an die Thatsache, daß ein solcher Verdacht existirt, so werden Sie finden, daß in jedem Falle, ob er schuldig oder unschuldig ist, seine erste Sorge die sein müßte, alles Unangenehme, was ihn berühren kann, vor seinen Kindern zu verbergen, die noch nichts ahnen. Trifft ihn später, ob verdient oder nicht, ein hartes Geschick, so ist es dann Zeit genug, die Seinigen allmälig und schonend davon in Kenntniß zu setzen, beweist er aber seine Unschuld, so ist seinen Kindern ein quälender Zweifel, eine schwere Betrübniß erspart geblieben.«

»Sie sprechen aus, Herr Doctor, was meine Seele erfüllt; aber wenn der Wille meines Gatten einen Weg einschlägt, auf dem dieses Ziel nicht zu erreichen ist, so muß ich sehr haltbare Beweggründe haben, wenn ich es verantworten soll, diesem Willen Widerstand entgegenzusetzen. Ich könnte ein Leiden vorschützen, das mich an der Reise verhindert, aber ich mag nicht eine Lüge zwischen meinen Gatten und mich stellen, was ich thue, soll vor ihm rein und klar dastehen, er mag mir dann zürnen, aber soll nicht aufhören, mich zu achten. Ich bin entschlossen, mit aller Kraft durchzuführen, was ich für eine Pflicht gegen meine Kinder halte, um aber dann selbst das Aeußerste nicht zu scheuen, muß ich die Ueberzeugung haben, daß Steinert entweder in einer Selbsttäuschung über seine wahre Lage befangen ist, oder aber, daß er in der Bitterkeit seiner Stimmung ein Wagniß unternimmt, welches er bei ruhiger Ueberlegung selber verurtheilen würde.«

»Madame, ich weiß nicht, wie weit Herr Steinert Sie von dem unterrichtet hat, was ihn bedrohlich umgiebt, ich weiß nicht, ob er sich selber im Klaren darüber ist, wie ernst die Verhältnisse sind und noch weniger weiß ich endlich ob der Schritt, den er beabsichtigt, gut oder schlecht ist, Alles das hängt ja davon ab, ob er seiner Unschuld bewußt ist oder nicht, ob die Ankläger sich täuschen, ob er die Mittel besitzt, jeden Argwohn schlagend zu widerlegen. Andrerseits ist mir das, was ich über die Verhältnisse weiß, im Vertrauen mitgetheilt worden und nur unter der Bedingung, daß Herr Steinert nichts davon erfährt. Sie sehen mich daher in der difficilen Lage, Vertrauen zu erbitten, ohne selber ganz offen sein zu können. Ich weiß, wie heilig das Band der Ehe sein soll und wie gefährlich es ist, wenn ein Dritter, sei es auch mit den Gefühlen der aufrichtigsten Freundschaft für beide Theile, sich berufen oder unberufen hineinmengt, er zerstört leicht mehr, als er nützt. Was Ihr Gatte sich scheut, Ihnen anzuvertrauen, dürfte ich Ihnen wohl nur verrathen, wenn ich dessen gewiß wäre, daß er verblendet einer unausweichlichen Gefahr entgegen geht und diese Ueberzeugung habe ich nicht, da ich eben nicht weiß, ob er sich schuldig fühlt.«

»Herr Doctor, Ihre Sprache flößt mir ein unbegrenztes Vertrauen ein, ich fühle, daß Sie es aufrichtig meinen und es wird mir genügen, wenn Sie mir sagen, was nach Ihrer besten Ueberzeugung mir zu thun obliegt.«

»Ich habe dies dadurch ausgesprochen, daß ich hier bin, Sie stellten mir in Ihrem Schreiben eine sehr bestimmte Alternative. Mein Rath ist, daß Sie, möge daraus folgen, was da wolle, unter keinen Umständen Herrn Steinert mit Ihren Kindern begleiten.«

Marianne sank erschöpft zurück; »o Gott,« schluchzte sie, »ich ahnte es, aber daß Sie also mit solcher Bestimmtheit reden könnten, das verräth mir Entsetzliches.«

»Nein, Madame, alle Hoffnung ist noch nicht verloren und ich bin gewiß nicht im Stande, sie Ihnen zu rauben. Ich kenne ja nur die Ankläger und urtheile nach dem, was ich in logischer Schlußfolgerung errathen kann. Betrachten Sie mit Ruhe und ohne Vorurtheil die Sachlage, wie sie mir erscheinen muß. Ich sehe eine Familie hier im Bade, das harmloseste Glück strahlt von den Zügen zweier schönen Mädchen, die Mutter trägt eine schwere Sorge im Herzen, die sie den Kindern verbirgt, der Vater ist von einer seltsamen Unruhe gequält, in reizbarer Stimmung. Er ist ein reicher, angesehener Mann und dennoch naht ihm ein Verdacht. Ich sehe, daß man ihn beobachtet, ich höre, daß das Gericht eine Haussuchung bei ihm vorgenommen, und schließe ganz einfach, daß man derartige Schritte nur bei einem sehr dringenden Verdacht gegen einen Mann von der Stellung Ihres Gatten wagen kann, ohne sich der schwersten Verantwortung auszusetzen. Man hat, wie es scheint, bei der Haussuchung nichts Compromittirendes gefunden und dennoch folgt derselben nicht sofort eine Entschuldigung, nicht einmal eine Erklärung, und daraus muß ich schließen, daß der Verdacht noch besteht und daß man weitere Schritte beabsichtigt. Die Ankläger können sich irren, den Unschuldigsten kann ein Verdacht treffen, aber es ist klar, daß für ihn die Unannehmlichkeiten einer solchen Untersuchung sich steigern müssen, bis seine Unschuld erwiesen ist. Mein Freund Somnitz ist Jurist und ich erwartete, Ihr Herr Gemahl werde sich ihm als einem Landsmanne und Rechtskundigen anvertrauen, seinen Rath hören – aber er schweigt und wenn dies auch keineswegs den Argwohn vermehren kann, denn er hat vielleicht einen guten Anwalt, so legt es doch auch wieder die Vermuthung nahe, daß Ihr Herr Gemahl in der Bitterkeit seiner Stimmung keinen Rath hören, sein Recht ertrotzen und es darauf ankommen lassen will, daß man ihm noch mehr Grund zur Beschwerde giebt. Dies ist die günstigste Erklärung für sein Verfahren und schon sie ist für mich genügend, Ihnen den Rath zu ertheilen, die Mitreise zu verweigern. Die Frau, die Mutter hat das Recht, dem Ausfluß einer gereizten, erbitterten Stimmung des Gatten Widerstand entgegen zu setzen, wenn sie in der Forderung ihres Mannes eine ernste Gefahr für die Ruhe ihrer Kinder sieht und er muß ihr dies später danken, wenn er erkennt, daß sie in ruhiger Besonnenheit nur seiner Laune, seiner leidenschaftlichen Erregung Trotz geboten.«

Diese ruhige, schonende, mit so viel Zartgefühl und in überzeugendem Tone gegebene Erklärung flößte Mariannen ein beruhigendes Gefühl ein und tilgte jeden Zweifel, den sie noch darüber gehegt, ob sie nicht die Pflichten der Gattin denen der Mutter zu sehr nachsetze.

»Könnte Steinert Sie hören,« sagte sie. »Ich bin dessen gewiß, Sie würden ihn überzeugen. Beurtheilen Sie ihn nicht hart, sein Benehmen gegen Sie lag außer seiner eigentlichen Natur und wurde durch eine ungewöhnliche Stimmung hervorgerufen. Mögen Ihnen meine Besorgnisse und meine Beängstigungen einen Argwohn eingeflößt haben, den Sie schonend vor mir verbergen, ich kann Ihnen so viel sagen, daß selbst, wenn er eines Verbrechens überführt und geständig wäre, ich, die ich ihn seit neunzehn Jahren kenne, ihn nicht verdammen würde. Ich bin aus den Jahren blinder Zärtlichkeit heraus und ein Verhältniß zwischen zwei Gatten, das so lange bestanden, läßt Eins den Anderen erkennen. Mißverstehen Sie mich nicht, daß ich gerade auf dieses Thema eingehe, es ist mir ein Bedürfniß, mich darüber gegen Sie auszusprechen, da Sie mir eine aufrichtige Theilnahme schenken und gewissermaßen dabei meinem Gatten gegenüber stehen. Ich kann nichts rechtfertigen, was er wirklich von dem, dessen man ihn beschuldigt, gethan, aber wäre auch das Aergste begründet, ich könnte es ihm verzeihen, denn sein Herz ist edel, und was an ihm nicht correct ist, das verschulden sehr bittere, sehr trübe Erlebnisse seiner frühsten Jugend, harte Schicksalsschläge und ein finsterer aber gerechter Groll, den er verschlossen in der Brust getragen. Umstände zwingender Natur, unlösbare Verbindungen aus alter Zeit und die eiserne Entschlossenheit seines unbeugsamen Charakters können ihn auf eine falsche Bahn getrieben haben, aber er ist ein zärtlicher, liebevoller Gatte und ein treuer Vater und wer seine Kinder so erzogen wie er, wer ihnen ein so gerechtes Gefühl eingeflößt und Alles was unrein von ihnen fern gehalten hat, der verdient wohl ein besseres Geschick als dem Argwohn der Menschen anheim zu fallen, wenn er schon sein eigener Richter geworden über das, was auf ihm lastet.«

»Sie haben gewiß Recht, Madame, und wie können Sie glauben, daß ich die Absicht dieser Worte mißverstehen könnte, ich, der ich als Arzt an manchem Sterbebett gestanden, und immer gefunden, daß der Mensch, der ausgelitten, niemals so viel Theilnahme genossen, als er verdiente. Der Arzt erkennt leichter als jeder Andere was Lessing so schön in den Worten sagt: O Gott, der Du allein den Menschen nicht nach seinen Thaten brauchst zu richten, die so selten seine Thaten sind! Der Arzt sucht die Erklärung so mancher Handlungen nicht nur in den obwaltenden Umständen, der momentanen Stimmung, der leidenschaftlichen Erregung, die den Menschen mit Wahnsinn umnachtet, nein, er weiß auch wie körperliche Uebel auf das Nervensystem wirken und eine krankhafte Gereiztheit erzeugen, in der der Mensch mit derselben Gleichgiltigkeit, Stumpfheit oder Wuth gegen den eigenen Körper wüthet und gerade das ihm Unzuträgliche und Verderbliche in wilder Zerstörungssucht ergreift, als er auch gegen Andere, selbst ihm Nahestehende, die bitterste Galle auslassen möchte.«

Noch waren Beide in vertraulichem Gespräch und Marianne sog den Trost ein, den Walter's humane Anschauungen der unglücklichen besorgten Frau als die beste Medicin reichten, da pochte Steinert an die Thür und jetzt erinnerte sich Marianne daran, daß er wohl heftig zürnen werde, Walter bei ihr zu finden. Sie war gefaßt darauf, einen leidenschaftlichen Auftritt begegnen zu müssen, und zitternd öffnete sie die Thüre, aber Steinert war nicht in der Stimmung, Gereiztheit zu zeigen.

Wir können dem Leser erst später mittheilen, welches Geschäft ihn auf mehrere Stunden von Hause entfernt, er hatte aber dabei Muße gehabt, ruhiger über sein Auftreten gegen Walter nachzudenken und er hatte gefunden, daß sein ganzes Benehmen diesem, so wie Somnitz gegenüber, geeignet war, Argwohn zu erwecken. Er hatte ferner darüber nachgedacht, daß die Begleitung seiner Familie ihm nur hinderlich sein könne und war sich dessen klar geworden, daß diese Forderung einem Argwohn der gereizten Stimmung entsprossen sei, in der er sich befunden. Er hatte seinem Weibe Mißtrauen gezeigt, als könne sie ihn verrathen, diesem Weibe, das mit so aufopfernder Hingebung an ihm hing, das mit sanfter Geduld alle seine Launen ertragen und das Geheimniß seiner unruhigen Nächte vor den Kindern verborgen. Er hatte ferner darüber nachgedacht, wie Somnitz seine auffällige Erregung, als er von seiner Theilnahme an der Schlacht bei Nachod gesprochen, sich erklären könne, daß er statt dem Argwohn zu begegnen durch Mangel an Selbstbeherrschung neuen Verdacht erweckt haben müsse und er schlug sich mit der Faust an die Stirne –

»Es geht mit Dir zu Ende,« murmelte er vor sich hin, »die Wogen brausen hoch, und Dein Schiff treibt in's Verderben, sollen Diejenigen mit Dir untergehen, die Du liebst – wäre es nicht feige, sie auch in Gefahr zu bringen, weil Du zu schwach bist, Dich von ihnen loszureißen? Bist Du ein Bettler geworden, um eine Stunde Glück und willst Du sie erkaufen mit dem Opfer des ihren? Nein, der Raum, in dem Du kreuzest, soll sie nicht berühren und begräbt er Dich in ein wogend Grab, so sollen sie das Schreckensbild nicht schauen, es sei für sie in ewige Nacht gehüllt.«

Er war in einer weichen, fast feierlichen Stimmung, als er sein Haus wieder erreichte, er wollte Abschied nehmen von den Seinen und es störte ihn anfänglich, als er Somnitz bei seinen Töchtern sah. Was in ihm vorging, während dieser die Schreckensnacht seines Lebens schilderte, wird der Leser später erfahren, für jetzt genüge es, wenn wir sagen, daß er zermalmt von schrecklichen Eindrücken, wie gebrochen der Thüre zuschwankte, die Kräfte seiner Selbstbeherrschung waren erschöpft.

Er ergriff die Hand Mariannen's und preßte sie in der seinen, da fiel sein Blick auf Walter, der ruhig vor ihm stand, wie Jemand, der mit gutem Gewissen auf Alles gefaßt ist, was da kommen kann.

»Herr Doctor!« fragte er, »Sie hier?«

»Ich bat den Herrn Doctor zu mir zu kommen,« sagte Marianne mit erzwungener Festigkeit, »und er war so freundlich meiner Bitte nachzugeben.«

»Das ist viel,« antwortete Steinert, den Blick forschend auf Walter heftend. »Ich habe Sie beleidigt und Sie kommen doch!«

»Der Arzt ist verpflichtet dem Rufe der Leidenden Folge zu leisten. Sie haben mich übrigens nicht beleidigt, Herr Steinert, das vermochten Sie in Ihrer Erregung nicht.«

»Sie urtheilen sehr ruhig, sehr nachsichtig; ich gestehe ein, daß ich unverantwortlich gehandelt und bitte Sie um Verzeihung.«

»Herr Steinert, das ist mehr als ich verlangt haben würde, Ihre Worte sind vergessen und ich darf daher unbefangen Ihnen wieder meinen Rath als Arzt und Vertrauter Ihrer Frau Gemahlin ertheilen. Sie haben Ihre Abreise beschlossen. Lassen Sie die Ihrigen hier zurück.«

»Herr Doctor, ich bin selbst zur Erkenntniß gekommen, daß es ein grausamer Egoismus wäre, um unangenehmer Dinge willen, die mich allein angehen, die Meinigen einem so schönen Aufenthalt zu entziehen. Ich reise allein und habe eben dem Wirth gesagt, daß ich die Wohnung behalte. Sie haben meiner Frau ein so eifriges Interesse bewiesen, daß ich glaube, sie keinem besseren Schutz anvertrauen zu können und derjenige, der Ihnen dieses peinlich machen könnte, entfernt sich.«

Marianne stürzten Thränen aus den Augen, sie umschlang ihren Gatten und schaute Walter an, als frage sie ihn mit dem Auge, ob sie nicht ein Recht habe, diesen Mann zu lieben, verurtheilte ihn auch die ganze Welt!

»Herr Steinert,« versetzte Walter bewegt, »ich werde es unter allen Umständen beweisen, daß das Interesse, welches Sie mir gestatten, an Ihrer Familie zu nehmen, ein ebenso aufrichtiges wie reines ist.«

Steinert warf dem Arzte einen Blick des Dankes zu, der ihm zeigte, daß er ihn verstanden und wir überlassen es dem Leser, sich die Scene des Abschiedes auszumalen, den Steinert von den Seinigen mit dem Gefühl nahm, daß er vielleicht sie niemals wiedersehen sollte, daß diejenigen, die ihn jetzt noch mit zärtlicher Liebe anschauten, bald vielleicht Grauen empfinden sollten bei dem Gedanken, daß seine Hand ihre Stirn berührt.

Walter aber, der sich mit Somnitz entfernt, schritt schweigsam neben dem Freunde her; zum ersten Male fühlte er eine Bitterkeit gegen ihn und Somnitz gestand sich ein, daß er den Vorwurf des Freundes verdient.

»Begleite mich noch,« sagte er, als Walter an der Gartenhecke sich von ihm trennen wollte, »Du sollst mich nicht härter beurtheilen, als ich es verdiene.«

»Ich will Dich begleiten, Karl, aber wozu eine peinliche Erklärung? Ich habe genug gesehen, um Alles zu errathen. Der Mensch in Dir ist einem Zauber erlegen, den er hätte fliehen sollen, wenn er nicht die Kraft und den Willen in sich fühlte, den Aristokraten und die Vorurtheile der Menge zu besiegen. Du hast ein unschuldiges, argloses Wesen mit einer barbarischen Grausamkeit behandelt, ich sah, daß Dein eisiger Ton sie in's innerste Herz getroffen und tadele Dich nur, daß Du mit dem Sonnenstrahl der Liebe einen zarten Kelch Dir geöffnet hast, ohne zu bedenken, daß der eisige Hauch nun in das Innerste ihrer Seele dringen mußte, während er sonst nur die Hülle der Knospe gestreift hätte.«

»Ich kann mich nicht rechtfertigen, Walter, aber doch Dein Urtheil mildern. Ich sah Anna ins Auge und gedachte Deiner Worte, daß das Kind nicht die Schuld des Vaters trägt und fühlte, ich könne in dem Glück ihrer Liebe den Vater vergessen und des Urtheils der Welt spotten. Ich war entschlossen, um ihr Herz und ihre Hand zu erbitten, wenn er auch seine Hand mit dem Blute des Grenzjägers befleckt. Er hatte gepascht und in der Nothwehr gemordet – es lag darin immer nichts Entehrendes. Ich sah in Anna's Augen, daß ihr Herz mir das Opfer tausendmal vergelten werde, ich war daran, ihr das zu sagen. Ich hatte in ihrer Gegenwart Steinert die Nacht im Kornfelde bei Nachod geschildert und er war ruhiger geblieben, als er es vermocht hätte, wenn er jener Elende gewesen. Ich habe ihn angesehen, als ich sagte, die Schuld der Väter räche sich an den Kindern, er zuckte wohl zusammen, aber wenn er daran gedacht hätte, daß jener Fluch des Mordes an wehrlosen Verwundeten, des Mordes aus erbärmlichster Habgier auf diesen Kindern ruhen solle – er hätte mich nicht wieder ansehen können. Genug – ich war entschlossen, da trat er mit Dir aus dem Hause, er sah, was vorging und ich las einen Ausdruck des Triumphes in seinen Mienen, der mich empörte, der meiner zu spotten schien und ich mußte ihm diesen Triumph vergällen, ich war meiner furchtbaren Bitterkeit nicht Herr!«

»Du hast deinen Zweck erreicht, aber mehr als das, Du hast ihren reinen Glauben vergiftet. Sie durfte nicht zugegen sein, als Du ihm Deine eisige Verachtung in's Antlitz geschleudert. Und hat Dein Argwohn Dich nicht selber betrogen? Wie ich den Mann vor mir gesehen, glaube ich nicht, daß er an Spott dachte, er war wie zermalmt. Und der Triumph? Wenn er nun zerknirscht und gebrochen seine Schuld büßen will und der Gedanke, daß er seine Kinder glücklich werden sieht, ihn allein tröstet, wenn diese Hoffnung ihm den Muth giebt, sie zu verlassen und allein zu tragen was ihm beschieden, mußte da sein Herz nicht aufjauchzen, als er Dich und Anna in einander versunken sah? Gestehe es Dir, Somnitz, Du kannst nicht über Dich selbst hinweg, Du bist festgewurzelt mit Deinen Vorurtheilen und in ihre Schranken gebannt, es war Selbstüberschätzung, als Du Dir die Kraft zutrautest, ihn als Deinen Schwiegervater ertragen zu können. Du siehst in ihm den störenden Fremden, den Fluch, der Dich von Deinem Glücke trennt, nicht den Menschen, dem Du Nachsicht und Theilnahme spenden mußt, wenn Du Anna's Liebe erringen willst. Dies Opfer ist Dir unmöglich, sie soll ihre Kindesliebe verleugnen um deinetwillen und Du kannst Dich nicht einmal um ihretwillen beherrschen. Du liebst sie nicht wahrhaft, sonst würdest Du nichts Unnatürliches von ihr verlangen.«

Somnitz antwortete nicht – schweigend schritten die Freunde die Promenade hinab zur Landstraße hin, die Schatten der Nacht breiteten sich schon über das Thal.

»Dies ist sein Weg,« murmelte Walter vor sich hin, »wird er entfliehen oder wird man ihn ereilen? – Somnitz, ich wollte viel darum geben, wenn die Richter ihn gesehen hätten wie ich – aber Gott wird Erbarmen haben mit ihm und den Seinen, er ist barmherziger als die Menschen.«



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