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VI.

Verzeihen die Herren, wenn ich störe,« sagte Hallborn, der wohl bemerkte, daß er ungelegen kam, »aber ich habe eine Depesche erhalten, die mich vielleicht veranlaßt, noch heute das hiesige Polizeiamt von meiner Sendung zu unterrichten. Ich erwarte freilich noch eine andere Nachricht, die in wenigen Stunden eintreffen kann, aber ich fürchte, sie wird meinen Verdacht nur bestätigen. Nichtsdestoweniger mache ich den Versuch, ehe ich den entscheidenden Schritt thue, Ihr Urtheil, Herr Doctor, zu hören. Sie haben die Frau gesehen, haben Steinert gesprochen.«

Walter war die Farbe aus dem Antlitz gewichen. »Ich bin als Arzt consultirt worden,« sagte er mit leise bebender Stimme, »und mir ist das Vertrauen heilig, das man mir schenkt.«

»Ich erwartete diese Antwort, ich ehre Ihre Grundsätze, aber ich bedaure, daß es sich so verhält. Ich bin dadurch gezwungen, weniger schonend zu handeln, als ich dies könnte, wenn Sie mir auf Ihr Ehrenwort die Versicherung geben wollten, daß Sie mir eine einzige Frage offen, nach bestem Willen beantworten wollen.«

»Stellen Sie die Frage, ich kann mich ja dann entschließen, ob ich antworte oder nicht. Thue ich es, so können Sie sich darauf verlassen, wie auf eine beschworne Aussage.«

»Wohlan, Herr Doctor, ich frage Sie, halten Sie Steinert für fähig, ein Verbrechen begangen zu haben und halten Sie es für möglich, daß seine Frau eine schuldige Mitwisserin oder gar Helferin dabei gewesen sein könne? Von Ihrer Antwort wird es abhängen, ob ich nur ihn verhafte und das in schonender Weise für die Familie, oder aber, ob ich der Frau Steinert ein peinliches Verhör nicht erlassen kann.«

Wie sehr auch Somnitz erregt und fast betäubt von dem Schrecken dieser Nachricht war, konnte er doch nicht die Neugierde unterdrücken, zu beobachten, wie Walter diesen Schlag ertrage und dieser bemerkte seinen Blick und der Zweifel, der in demselben lag, gab ihm die Kraft, seine Bestürzung zu überwinden und in diesem furchtbaren Augenblick klar zu denken.

»Herr Kriminalrath«, sagte er, »der Zusatz, den Sie Ihrer Frage beifügen, macht es mir zur Pflicht, Ihnen die gewünschte Auskunft zu geben, denn es gilt einer Leidenden den Schlag zu ersparen, der sie zermalmen könnte. Ich halte es für möglich«, fuhr er mit fester Stimme fort, aber der Ton derselben klang rauh, »daß Steinert ein Verbrechen auf seinem Gewissen hat, aber ich bin überzeugt, daß seine Frau nicht den leisesten Antheil an seiner Schuld in diesem Falle trägt und daß schon die Ahnung einer Gefahr, die ihrem Gatten drohen könnte, im Stande ist, ihren schwachen Kräften den Gnadenstoß zu geben. Berücksichtigen Sie daher diese Verantwortung bei Ihrer Handlungsweise und müssen Sie einschreiten, so gestatten Sie mir die Kranke vorzubereiten und ihr in dem schwerem Augenblick zur Seite zu stehen.«

»Ich bitte Sie sogar darum«, erwiderte Hallborn, »und wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen jetzt, wo der Verdacht fast zur Gewißheit geworden, die näheren Umstände mittheilen.«

»Fast zur Gewißheit!« rief Somnitz aufathmend, »reden Sie, Herr Polizeirath – das Wörtlein ›fast‹ giebt mir noch Hoffnung, daß Sie sich dennoch täuschen könnten. Welches Verbrechen legen Sie einem Manne zur Last, der allem Anscheine nach ein glücklicher und wohlsituirter Familienvater ist?«

»Ihr Urtheil ist mir von nicht geringem Interesse«, versetzte Hallborn. »Ich werde Ihnen den Fall vortragen, als ob ich Sie um Ausfertigung des Verhaftsbefehls angehen müßte. Vor etwa vier Wochen wurde an der böhmischen Grenze in der Nähe von Glatz die Leiche eines Grenzjägers gefunden. Man war seit Jahren bemüht, einer frechen und verwegenen Schmugglerbande auf die Spur zu kommen, aber vergeblich waren alle Bemühungen, man wußte nicht wo und wie dieselbe ihre Waaren paschte und erkannte ihre Thätigkeit nur aus der Beobachtung, daß die Marktpreise ausländischer Waaren sanken.

Das Kreisgericht reklamirte mich, den an dem Grenzjäger verübten Mord zu untersuchen.

Die Leiche war an einem Orte gefunden worden, der von Schmugglern bei Ausübung einer Pascherei nicht betreten sein konnte, denn er befand sich dicht an der großen Landstraße und in freier, offener Gegend. Der Grenzjäger hatte sich nicht im Dienste befunden, sondern hatte in dieser Gegend, die entfernt von seiner Station liegt, seine Braut besucht. Er hatte weder einen Nebenbuhler noch einen Feind, er war beliebt bei den Leuten, die Theilnahme war allgemein.

Es blieb daher nur die Annahme übrig, daß er auf einsamem Wege einem Mann begegnete, den er als Schmuggler erkannte, auf den er vielleicht schon einmal vergeblich Jagd gemacht, den er jetzt gestellt und der ihn ermordet. Man hatte bei der Leiche Uhr und Börse gefunden, von einem Raubmord war also nicht die Rede.«

»Der Mörder konnte gestört worden sein!« bemerkte Somnitz.

»Nein, Herr Staatsanwalt, das Weitere wird diese Annahme sogleich widerlegen. Ich untersuchte die Stelle, wo man die Leiche gefunden, nachdem ich mit dem Physikus die Leichenschau vorgenommen. Die letztere hatte festgestellt, daß eine Revolverkugel von sehr kleinem Kaliber das Herz getroffen und den augenblicklichen Tod herbeigeführt. Die Muskeln der Arme waren sehr gespannt, die Finger gebogen, als ob er die Flinte schußbereit gehalten, dieselbe war aber dem Todten aus der Hand gerissen und neben die Leiche hingeworfen worden; der Finger, der sich an den Abzugsbügel gelegt, war gewaltsam gestreckt, die linke Hand, die den Kolbenhals krampfhaft umfaßt gehalten, war unnatürlich geöffnet, man sah, daß die Flinte ihm entrissen worden, daß sie dieselbe nicht fallen gelassen, als der Schuß das Herz getroffen. Diese Umstände und die Beobachtung, daß das hintere Absatzleder der Stiefel, so wie die Rockzipfel trockene Erde an sich hatten, während sich an den Sohlen nur Staub befand, ebenso der zerknitterte Rockkragen brachten mich auf die Vermuthung, daß der Mörder die Leiche fortgezogen, damit man sie nicht an der Stelle finde, wo die That geschehen. Es war also kein Raubmörder und es lag ihm daran, daß man die Stelle nicht untersuchte, wo der Mord verübt worden.

Ich besichtigte nun«, fuhr der Kriminalist fort, »die Umgebung des Ortes, an dem man die Leiche gefunden. Es war inzwischen Regenwetter eingetreten und ich hatte wenig Hoffnung Spuren zu finden, aber ich sparte trotz dessen keine Mühe. Der Regen hatte die Blutspuren weggewaschen und die der Stiefel vertilgt, aber ich dachte mir, daß etwas Aehnliches wie ein Kampf, ein Ringen, stattgefunden haben müsse und meine Mühe ward belohnt. Ich fand einige hundert Schritte von der Straße auf einem Pfade, der durch eine Schonung geht, einen falschen Bart. Hier aber konnte das Verbrechen nicht verübt sein, denn der Mörder hätte die Leiche nicht über die Straße geschleppt, sondern an die der Schonung zugekehrten Seite liegen gelassen. Er hatte also den Bart fortgeworfen, nachdem die That geschehen, als er entfloh. In den Haaren des Bartes fand der Physikus getrocknetes Blut auf einer Seite, die andere war zerzaust, es fanden sich auch Spuren von Erde darin, als sei darauf getreten worden und nun war mir der Vorgang klar. Der Grenzjäger hatte den Mörder gestellt und ihm den Bart abgerissen, dann die rechte Hand an den Abzug der Flinte gelegt. Der Mörder kam ihm zuvor und streckte ihn mit der Revolverkugel nieder, ergriff die Leiche, schleppte sie zum Wege und eilte dann den Bart zu suchen. Als er ihn gefunden, ergriff er die Flucht und warf den Bart erst später in die Schonung, er steckte ihn nicht zu sich, weil Blut daran war, der Bart ist also in die Lache gefallen, die das Blut des Opfers gebildet. Ich wußte nun die Direktion die der Flüchtige genommen, wußte daß er sein Antlitz durch einen falschen Bart entstellt und daß er in dem Besitze eines Revolvers war, dessen Kugel wir in der Leiche gefunden. Diese Thatsachen gaben meinen Nachforschungen einen bestimmten Charakter, ich suchte den Mörder nicht in den untersten Ständen, ein Mann der sein Antlitz entstellt und einen Revolver führt, ist besser situirt, ist auf eine Gefahr vorbereitet und scheut sich in der Gegend gesehen und erkannt zu werden, in der der Mord verübt worden, es giebt also Leute daselbst, die ihn kennen.«

»Sehr richtig!« murmelte Somnitz vor sich hin, während Walter, wenn dies möglich möglich war, mit noch gespannterer Aufmerksamkeit lauschte.

»Ich begann nun«, fuhr Hallborn fort, meine Nachforschungen damit, daß ich mich bei den Bekannten und vor Allem bei der Braut des Ermordeten darnach erkundigte, ob der Grenzjäger nie einen bestimmten Verdacht geäußert, wenn er über die Schmuggler gesprochen. Das Einzige, aber sehr Wichtige, was ich erfuhr, war die Erklärung der Braut, daß er einmal, als sie ihn über seine Nachforschungen befragt, eine Antwort gegeben, die ihr Besorgnisse eingeflößt und das der unvergeßlich geblieben. Es handelt sich um meine ganze Carriere, hatte er sich geäußert, meine Vorgesetzten beschuldigen mich der Unachtsamkeit oder gar schlimmerer Dinge, wenn es mir nicht gelingt, die frechen Burschen zu fassen, aber ich werde mein Ziel erreichen, und wenn sie mich nicht todtschießen, so ist dann mein Glück gemacht.

Auf weiteres Befragen antwortete er, daß er bereits eine Ahnung habe, dieselbe sei jedoch so gewagt, daß er sich scheue, nur einen Verdacht zu äußern, ehe er Beweise habe. Trotz aller Bitten des Mädchens war er nicht zu bewegen gewesen, mehr zu sagen, aber sie gestand mir, daß sie darauf schwören wolle, der Mann, der die Schmuggelgeschäfte leite, müsse ein hochgestellter gefährlicher Mann sein, und kein Anderer als er oder seine Leute habe ihren Bräutigam erschossen.

Diese Aussage des Mädchens«, setzte Hallborn seine Erzählung fort, »bestätigte meinen Verdacht, und ich erkundigte mich nun nach den Verhältnissen aller Personen, die in der Gegend wohnten, nach welcher der Weg aus der Schonung führte, erfuhr aber nichts, was mir irgend einen Anhalt geben konnte, bis endlich der Gastwirth eines Kruges, den ich über den Verkehr in seinem Hause befragte, mir bedeutsame Mittheilungen machte, natürlich ohne daß er meinen Charakter ahnte, denn ich war als Hausirer bei ihm eingekehrt.

Er erzählte, daß ein Herr die Jagd in der Umgegend gepachtet, und der Bezirk, den er mir nannte, gehörte zu dem Revier des ermordeten Grenzjägers; daß dieser Herr einige Meilen weit herkomme, obwohl die Jagd sich nicht dieser Mühe lohne, denn sie wäre herzlich schlecht und er bringe auch selten genug etwas heim. Das aber, sagte er in vertraulichem Tone, geht Sie wenig an, wenn Sie aber klug genug sind, einen Wink zu benützen, so machen Sie vielleicht ein gutes Geschäft. Die Jagd, schloß er mit bedeutsamem Blick, geht ins Böhmische hinein, er muß drüben gute Freunde haben, denn er sendet oft Botschaften hinüber und es kommen Diener von dort mit Nachrichten für ihn, und es sollte mich nicht wundern, wenn diese flotten Jagdgehilfen einem Hausirer nicht Schmuggelwaare hinüberbringen könnten.

Ich ließ mir«, fuhr Hallborn nach kurzer Hause fort, »die Person dieses Jagdliebhabers beschreiben und fragte, wann er das letzte Mal zur Jagd gekommen und wann man ihn wieder erwarte. Die Antwort lautete, er trage einen starken schwarzen Vollbart, sei von untersetzter Statur und habe stechende schwarze Augen. Er war an dem Tage, wo der Jäger ermordet worden, von der Jagd nicht zurückgekehrt, man hatte ihn vergeblich erwartet und ein Bote hatte den Wagen geholt, den er im Kruge gelassen. Morgen, sagte der Wirth, kommt er wieder, denn am Sonnabend ist er noch nie ausgeblieben.

Ich blieb in dem Kruge, aber der besprochene Gast kam nicht. Ich erkundigte mich nach seinem Wohnort und war mein Argwohn schon rege, so vermehrte er sich, als der Wirth mir denselben nicht nennen wollte. Er mochte selbst gegen mich Verdacht geschöpft haben, da ich es versäumt hatte, meinem vorgeblichen Geschäfte nachzugehen, und aus Allem, was ich sonst zu bemerken Gelegenheit hatte, gewann ich die Ueberzeugung, daß der Wirth ein Hehler und Gehilfe der Schmuggler war. Von anderer Seite erfuhr ich nun, daß der Pächter der Jagd sich Steinert nenne, ein reicher Gutsbesitzer sei und früher Kaufherr gewesen. Ich begab mich nach seinem Wohnort, diesmal unter der Maske eines reisenden Landschaftmalers, und fand, daß die Beschreibung des Wirthes auf Herrn Steinert passe, nur fehlte der Vollbart. Mein Argwohn erschien mir thöricht, als ich hörte, wie glücklich Herr Steinert im Familienkreise lebe, daß er ein geachteter Mann sei, Wohlthaten spende und des besten Rufes genieße. Auf meine Frage, ob er Jagdliebhaber sei, antwortete man verneinend, man sagte mir, er sei Spekulant und mache Geschäftsreisen, wohin, das sei unbekannt. Auf weiteres Befragen gab man zu, daß er eine Jagd gepachtet habe, diese aber von seinem Förster versehen lasse.

Ich suchte die Gelegenheit, diesen Förster kennen zu lernen und fand einen Mann von ähnlicher Statur wie Steinert, mit schwarzen blitzenden Augen und einem schönen vollen Barte von gleicher Farbe. Der Mann hatte etwas Verschlagenes, Unheimliches in seinem Wesen, hätte er keinen natürlichen Vollbart getragen, so würde ich ihn für den Mörder gehalten haben, aber ich konnte die Annahme nicht fallen lassen, daß der Mörder sein Antlitz durch jenen von mir gefundenen falschen Bart unkenntlich gemacht haben müsse, und diese Voraussetzung, der einzige handgreifliche Beweis, war in Bezug auf den Förster widersinnig.

Ich hatte mich nahe am Ziele geglaubt und es schien, daß ich auf einen Irrweg gerathen, als ich zufällig Zeuge einer Scene ward, die bei hellem Mondschein am Parkthore Steinert's stattfand. Ich hörte einen leisen, aber heftig geführten Wortwechsel zweier Männer, von dem ich nur so viel verstand, daß der Eine drohend forderte, der Andere nicht nachgeben wollte. Der Letztere machte endlich eine Bewegung, als greife er in die Brusttasche, der Andere fiel ihm in den Arm, das Gespräch ward darauf leiser fortgesetzt und ich sah, daß der Eine dem andern seine Börse reichte.

Ich verließ meinen Versteck, erkannte in der einen Person Steinert und folgte der anderen, die sich eilig entfernte. Es lag mir alles daran, keinen Verdacht zu erregen, ich hoffte von dem Manne, der drohend Geld gefordert, durch Kreuzfragen so viel zu erfahren, daß ich ihn im Auge behalten konnte, ohne ihn zu verhaften, denn die Kunde hiervon hätte Steinert argwöhnisch gemacht.

Ich holte den Mann ein, vielleicht merkte er, daß ich ihm gefolgt, denn er ging bereitwilliger auf ein Gespräch ein, als ich dies erwartet. Er erzählte, daß er im Dienst bei Steinert gestanden, von ihm plötzlich entlassen worden sei, aber der Gutsbesitzer habe ihn jetzt befriedigt. Er nannte mir seinen Namen, den Ort wo er sich hinbegebe und versprach mir, mich dort zu erwarten, da ich ihm den Vorschlag gemacht, in meinen Dienst zu treten. Ich mußte Zeit gewinnen, um mich der Hilfe von Gendarmen zu versichern, als ich aber andern Tags den Mann aufsuchen wollte, hieß es, derselbe sei noch in der Nacht weiter über die Grenze gegangen.

Meine Erkundigungen im Wohnorte Steinert's hatten ein ebenso ungünstiges Resultat. Man erzählte mir, Steinert habe den Mann vor Kurzem in seine Dienste genommen, aber entlassen, weil er ein Taugenichts sei. Mein Verdacht war gewachsen, aber jeder Versuch, irgend einen Beweis zu finden, scheiterte.

Steinert war zu der Zeit der Ermordung des Grenzjägers verreist gewesen und war fast gleichzeitig mit dem Förster zurückgekehrt, der einen Jagdausflug gemacht. Der Gedanke ging mir durch den Kopf, daß Steinert, wenn er den falschen Bart anlege, von Jedem, der ihn oberflächlich ansah, für den Förster gehalten werden konnte, der Ausdruck seiner Züge, die geheimnißvollen Geschäftsreisen, der Umstand, daß ein entlassener Diener ihn bedrohen konnte und daß er denselben mit Geld abgefunden anstatt, als er mich sah, um Hülfe zu rufen – Alles das war verdächtig und da ich nirgend eine andere Spur fand, da so viel gewiß war, daß der Förster unter dem Namen seines Herrn in der Schmugglerherberge auftrat, ließ ich mich die Mühe nicht verdrießen, den Geschäftsverbindungen dieses Herrn Steinert nachzuspüren.

Dieser Gedanke war glücklich. Ich erfuhr auf einer Rundreise, die ich zu diesem Behuf unter der Maske eines Weinreisenden machte, daß Steinert bedeutende Geschäfte im Handel mit österreichischen Weinen mache und jedenfalls mit Schmugglern in Verbindung stehe, erfuhr ferner, und dies war das Wesentlichste, daß er am 2. Mai, dem Tage der Ermordung des Jägers, in A. gegen Abend auf einem Bauerwagen eingetroffen und angegeben habe, daß er zu Fuße von M. aufgebrochen sei, aber seine Kräfte doch überschätzt habe.

In der Mitte zwischen A. und M. liegt die Schmugglerherberge. Steinert war nach M. mit Extrapost gekommen und hatte dort einen Geschäftsfreund besucht. Der Fußweg nach A. ist sehr hübsch, der Entschluß, die Fußpartie zu machen, sehr erklärlich, wenn Jemand den Tag über gefahren ist. Der Argwohn kann aber auch hinzufügen, daß der Fußwanderer dort leicht seine Schmugglerbande treffen, ihr Anordnungen geben konnte, daß Steinert, wenn er der Mörder des Jägers geworden, sich scheute den Weg nach der Herberge fortzusetzen, wo er sonst zufällig dem Wagen seines Jägers begegnet wäre. Der Wagen wurde durch einen Boten geholt.

Dies meine Herren,« schloß der Criminalbeamte, »sind die Beweggründe, die mich veranlaßten, mich an die Ferse des Herrn Steinert zu heften, als er den plötzlichen Entschluß gefaßt, in ein ausländisches Bad zu reisen. Ich hatte kein Mittel in der Hand, auf meine Verdachtgründe hin einzuschreiten, ich hätte damit nur Alles verdorben. Es war nicht darauf zu rechnen, daß der Wirth des Kruges, der Förster oder sonst Jemand eine Steinert ungünstige Aussage machen werde, das Gewerbe ist zu fein, zu gut organisirt, als daß ich nicht annehmen müßte, auf eine bereits verabredete Aussage bei einem Verhör zu stoßen, ich mußte sie erst wieder in Sicherheit wiegen, da sie vermuthlich meine Nachfragen erfahren, ich traf aber Anordnungen, das Treiben des Försters überwacht zu wissen. Meine Herren, die Beobachtungen die ich hier gemacht, beweisen mir, daß Steinert von Gewissensbissen gequält wird. Durch meine Vermittlung hat er von einem Geschäftsfreunde die Nachricht erhalten, daß sein Förster beim Unterbringen von Schmuggelwaaren ertappt und verhaftet worden ist – ich habe den Eindruck dieser Nachricht beobachtet! Gestern aber ist auch die Nachricht gekommen, daß jener entlassene Diener aufgegriffen worden ist und heute erhielt ich eine Depesche, daß das Gericht beschlossen hat, eine Haussuchung bei Steinert vorzunehmen. Ich bin überzeugt, daß die nächste Depesche mir verkünden wird, wie man falsche Bärte gefunden, und dann muß ich ihn verhaften. Bis dahin steht er nur im Verdacht der Schmuggelei, tritt aber dieser Fall ein, so steht er im Verdacht des Mordes, und ich will den Beweis führen – was meinen Sie, Herr Staatsanwalt? auch wenn der Förster und der entlassene Diener schweigen!«

Es entstand eine Pause, die Zuhörer waren zu sehr von ihren Gefühlen überwältigt, um sogleich ein Urtheil abgeben zu können, es war ein entsetzlicher Gedanke, den Vater dieser schönen Mädchen, den Gatten dieser leidenden Frau unter der Anklage des Mordes zu sehen – ein Familienglück, das so heiter geschienen, auf so furchtbare Weise zerstört zu denken! Walter starrte sprachlos vor sich hin, in Somnitz aber stiegen noch andere, düstere Gedanken auf. War dieser Mann ein Schmuggler und gemeiner Mörder, dann hatte ihn auch seine Ahnung nicht betrogen, dann war er derselbe, den er in der schrecklichsten Nacht seines Lebens gesehen!

Somnitz schauderte zusammen und als ob dieser Gedanke jeden anderen, jeden Zweifel, jede Theilnahme für die Familie verdränge, rief er mit plötzlicher kalter, finsterer Entschlossenheit:

»Herr Criminalrath, ich erachte es für Ihre Pflicht, den Mann fest zu machen, wenn Ihre Vermuthung mit dem Auffinden von Bärten sich bestätigt, und schon jetzt Schritte zu thun, einen Fluchtversuch zu verhindern, falls er etwa auch Depeschen erhalten und diesen Versuch wagen sollte.«

Walter erbebte bei diesen Worten der Freundes; da Somnitz also urtheilte, schien ihm jede Hoffnung geschwunden.

»Ich habe Ihr Wort,« sagte er mit zitternder Stimme zu Hallborn, »daß ich die Familie vorbereiten darf. Wann erwarten Sie Ihre nächste Depesche?«

Der Polizeirath sah nach der Uhr.

»Frühstens in drei Stunden,« lautete seine Antwort. »Ihre Theilnahme für die Familie, fügte er hinzu, »wird sich hoffentlich nur auf diese beschränken! Sie dürfen Steinert selbst nicht warnen, sonst gilt mein Versprechen nicht.«

»Sie können sich auf mich verlassen; aber Herr Hallborn, wie konnten Sie auf die Idee kommen, daß die kranke Frau eine Mitschuldige sein könne, wenn er wirklich schuldig ist? Dieser Argwohn flößt mir Zweifel an allen Ihren Beobachtungen ein.«

»Herr Doctor, ich halte Zweierlei für möglich: entweder weiß die Frau seit Jahren von dem Treiben ihres Gatten und dann ist sie durch ihre Schwäche mehr oder minder die Mitschuldige desselben geworden, oder aber er hat sie erst vorgestern in seine Geheimnisse eingeweiht, als sein Schrecken längeres Schweigen unmöglich machte. In dem letzteren Falle lege ich kein Gewicht auf ein Verhör der Frau, wohl aber im ersteren. Ob sie unter dem frischen Eindruck des Gehörten und noch vom Schrecken und Entsetzen betäubt, etwas zugesteht oder Alles leugnet, das ist gleichgültig; was er selbst einem Dritten mitgetheilt hat, kann er widerrufen. Anders aber steht es, wenn die Frau seit längerer Zeit mit seinem Treiben vertraut gewesen. Alsdann hat die nahe Berührung mit ihm, die gemeinsame Scheu vor Entdeckung sie mehr oder minder zur Hehlerin seiner Verbrechen gemacht, es kann zwischen ihnen nicht jede Ausflucht verabredet sein und durch ein scharfes Verhör zwingt man die Unwahrheit, sich in Widersprüche zu verwickeln. Es war auch meine Ueberzeugung, daß die Frau erst seit Kurzem die schrecklichen Geheimnisse ihres Gatten kennt; aber diese Ueberzeugung wurzelte stark in der Theilnahme für sie und ich erbat mir daher Ihr Urtheil.«

»Herr Criminalrath, ich glaube, diese Vorsicht war überflüssig. Man braucht diese Frau nur anzusehen, um von dem Adel ihrer Seele und von ihrer Unschuld überzeugt zu sein.«

Hallborn lächelte.

»Werther Herr Doctor,« erwiderte er, »Sie sind nicht Criminalist, sonst würden Sie den glatten, sanften, unschuldigen Mienen am wenigsten trauen. Ich gebe zu, daß ein edler Ausdruck der Züge selten einem unedlen Charakter eigen ist, aber ein Criminalist darf auch diesem nicht trauen, am wenigsten bei Frauen, denn ein Weib kann sehr edel denken, von reinster Unschuld sein, und doch aus Liebe, Hingebung, im Gefühl aufopfernder Mutter- oder Gattenliebe die Hehlerin und Mitschuldige eines verbrecherischen Gatten oder Sohnes werden. Das Weib kennt nur eine Ehre, es ist die, welche die Tugend ihres Geschlechtes hütet, in tausend Fällen aber, wo das Ehrgefühl des Mannes ihn von einer unrechten Handlung zurückschreckt, wird das Weib ohne großen Gewissensskrupel darüber hinweggehen, sie ist in allen solchen Dingen dem harmlosen und leichtsinnigen Kinde zu vergleichen, und was ihr Herz berührt, wird ihr immer heiliger sein als was die Gesetze der Welt diktiren.«

Hallborn hatte sich erhoben, aber Walter hielt ihn noch zurück. Je näher der Moment kam, wo er der kranken Frau die furchtbare Eröffnung machen sollte, um so zaghafter und schwankender wurde sein Entschluß, den ihm die erste Wallung des Gefühls diktirt. Er erschrak bei dem Gedanken, daß sie argwöhnen könne, er habe Hallborn Dienste geleistet, den Schleier zu lüften, er habe ihr Vertrauen mißbraucht. Und war es nicht noch immer möglich, daß Hallborn sich irrte?

»Herr Criminalrath,« sagte er, »verzeihen Sie mir noch eine Frage und halten Sie dieselbe meiner Theilnahme für die Familie zu gut. Somnitz ist Jurist und er stimmt Ihrem Argwohn bei, ich fürchte daher, daß mein Bedenken ziemlich haltlos ist, aber es würde mich beruhigen, wenn Sie mir dasselbe widerlegten. Sie äußern fast mit Gewißheit, daß Steinert der Mörder sein müsse, wenn er es ist, der den Bart getragen und fortgeworfen. Ist es aber nicht eben so gut möglich, daß der Förster den Mord begangen haben kann und daß Steinert nur Zeuge der That gewesen?«

»Herr Doctor,« erwiderte Hallborn, »abgesehen davon, daß der Mord alsdann in seinem Interesse, auf seine Veranlassung geschehen wäre, denn der Grenzjäger hatte davon gesprochen, daß er einen vornehmen Mann beargwöhne, abgesehen davon, daß in dem falschen Barte Blutspuren und die Anzeichen davon, daß er heftig abgerissen worden, vorhanden sind, und selbst die auffällige Gemüthserregung Steinert's unberücksichtigt gelassen, zeugt für seine Schuld, wenn er oder der Förster vor Gericht stehen, die Revolverkugel. Der Förster hätte den Schuß aus seiner Büchse gethan, wer eine solche in Händen trägt, greift nicht zum Revolver und führt keinen solchen. Gesetzt aber, man nähme auch dies für möglich an, und zöge in Betracht, daß der Förster in seiner Eigenschaft als Schmuggler sich auch mit heimlichen Waffen versehen, so ist nicht anzunehmen, daß er alsdann einen Revolver von so kleinem Kaliber, wie der, dem die Kugel angehört, bei sich geführt haben sollte. Man hat diese kleinen französischen Revolver bis jetzt nur in den größeren Waffenläden der Hauptstädte, es gehören ganz bestimmte Patronen dazu, die man nur dort erhält, die Revolver sind theuer und es ist schwerlich anzunehmen, daß ein Förster, der gewöhnt ist, solide Schußwaffen zu führen, sich an Stelle eines Instruments, das sich nur für die Nothwehr im Handgemenge eignet, nicht eine Waffe angeschafft haben sollte, deren er auch auf eine gewisse Distance sicher ist. Die Kugel, die im Körper des Ermordeten gefunden wurde, bewies mir gleich bei der Leichenschau, daß der Mörder in gut situirter Lage sein und einer Klasse von Leuten angehören müsse, die häufig auf Reisen sind, und alle übrigen Verdachtsmomente haben meine Annahme unterstützt.«

Hallborn entfernte sich, es hatte ihm nicht entgehen können, daß Walter's Interesse ein lebhafteres war, als wenn nur die Theilnahme es angeregt, und da er ein warmes Gefühl besaß, so beeilte er sich, eine peinliche Scene zu beenden, da er doch nicht im Stande war, eine leise Hoffnung geben zu können.

»Willst Du mich begleiten?« fragte Walter den Freund, der noch immer tief in Gedanken versunken dasaß. »Du könntest Steinert und die Töchter fernhalten, während ich das entsetzliche Werk beginne.«

Somnitz schüttelte den Kopf.

»Fordere das nicht,« sagte er, »ich kann diesem Mann nicht mehr in's Auge sehen, ohne zu verrathen, was ich von ihm denke, und da ich sie fliehen muß, ist es besser, ich sehe auch Anna nicht wieder. Thue Du, was Du für recht befunden, ich bewundere Deine philosophische Gewalt über Vorurtheile, die jedem Andern unüberwindliche Schranken wären; möge Dein Entschluß Dich nie gereuen!«

»Wenn ich ihn zu Ende führe,« antwortete Walter, »so ist dies unmöglich, ich thue ja nichts Anderes, als daß ich meinem Gefühl folge und mich von dem leiten lasse, was ich für Recht erkenne. Ich sehe ein Mädchen von madonnenhafter Schönheit, fühle bei ihrem Anblick jene unbeschreibliche Sehnsucht, welche die wahre Liebe in ihrem Schooße trägt und gebe mich dem Gedanken hin, sie zu meiner Gefährtin zu erwählen, wenn sie mich nicht verschmäht und mir der erste Eindruck bleibt, der alle meine Gedanken gefesselt. Die Liebe erwacht im Augenblick und erfüllt das Herz mit Sehnsucht; was ich von Bertha gesehen, hat mich bezaubert und der Gedanke, daß diesem reinen, kindlich arglosen, unschuldigen Wesen ein entsetzliches Unglück droht, hat der Liebe noch die Theilnahme hinzugefügt, kann aber doch wahrlich sie nicht zurückschrecken, denn sonst wäre das Gefühl unedler Natur. Die Mutter schenkt mir ihr Vertrauen, ich sehe mich als der einzige Freund dieser Unglücklichen und ich sollte, wenn der Sturm hereinbricht, ihnen fehlen, während ich sie gesucht, ehe ich das kommende Unglück ahnte? Die Menschenpflicht und die Pflichten meines Berufes fesseln mich an die Familie und würden mich zu ihrem Freunde machen, wenn auch Bertha's Zauber mich nie berührt, und ich sollte ihn verleugnen aus Scheu vor der Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit gleichgiltiger Menschen, die mit dem Schuldigen auch das Unglück verdammen? Nein, und ich sage Dir, Somnitz, daß ich Dich höher achten würde, wenn Du Deinem Gefühl und nicht der Menschenfurcht und falschen Scham Rechnung trügest, ich begreife es, daß Du einer flüchtigen Neigung unter solchen Verhältnissen keine Nahrung geben magst, aber es scheint mir, daß Du hiergegen gewappnet bist, und Dich nicht zu scheuen brauchst, den Unglücklichen ein tröstender Freund und Rathgeber zu sein.«

Somnitz sprang auf und drückte dem Freunde die Hand.

»Gehen wir,« sagte er, »ich will Dir helfen.«



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