Felix und Therese Dahn
Kaiser Karl und seine Paladine
Felix und Therese Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

411 10. Kaiser Karls Kriegsfahrt nach Spanien.

Von noch gar vielen Schlachten und Siegen Kaiser Karls und seiner Paladine singen alte Lieder: Avaren, Bayern, Langobarden, Beneventaner, Burgunden, Aquitanier, Vasconen, Normannen, Bretonen, Dänen, Sachsen, Friesen – sie alle hatten des Kaisers Schwert gefühlt und nannten ihn ihren Herrn. Brach auch bald hier, bald dort ein trotziger Vasall, ein starkes Volk Frieden und Recht: flugs war Karl da und zwang zur Unterwerfung; oder er entsandte einen seiner Paladine, der nimmermüden, der stets zu Schwert und Botendienst Bereiten.

Nun hatte Karl Frieden gehabt in seinem weiten Reiche: fünf, fast sechs Jahre – geht die Sage – da, in Friesland weilte er gerade, da erschien dem Kaiser im Traum der Erzengel Gabriel und sprach: »Steh auf, großer Karl, rüste dein Heer und ziehe nach Spanien. Nicht mehr beten fromme Franken an Sankt Jakobs Grab: und schon streckt der Saracene seine Hand über die Pyrenäen und nimmt Stadt und Land der Christen. Auf nach Spanien!«

Sofort zog Karl nach Aachen, versammelte die Paladine, erzählte seinen Traum und sprach: »Nun laßt mich euren Rat vernehmen.«

»Heerfahrt!« scholl's freudig aus vieler Mund, aber Ganelon sprach: »Halte Frieden, großer Karl! Laß dir's genug sein der Eroberungen.«

Und manche nickten beifällig zu seinen Worten.

Da fuhr Roland auf: »Wie lange wollt ihr denn ruhn? Schon rosten unsre Waffen! Schon allzulange ertrugst du, Kaiser, Marsils, des Saracenen, Keckheit. 412 Bordeaux ist in der Ungläubigen Macht, Arles, Narbonne, Nobles (Grénoble) und wohl noch mehr der Städte haben sie genommen. Stets kämpfen wider sie deine Vasallen in Aquitanien: Herr Haimerich mit seinen Söhnen Arnold, Bernard und Wibelin, der Herzog Sansun und Wilhelm von Orange.«

»Zum Kampf wider die Ungläubigen!« rief mit mächtiger Stimme Herzog Naimes im grauen Bart. »Auf, Kaiser Karl! Ein Markgraf ist Held Roland, ein Königreich müssen wir ihm erobern! Auf, nach Spanien!«

»Auf nach Spanien!« sprach da Karl sich erhebend, und seine Stimme hallte wie Donner durch die Pfalz, seine blauen Augen leuchteten wie Blitze.

Zwei Jahre rüstete der Kaiser, dann brach er auf mit gewaltigem Heer. Als er an die Gironde kam, fand er nicht Brücke noch Schiff; da kniete Karl nieder, betete zu Gott und wieder sprang eine weiße Hinde auf, durchschritt den Strom und zeigte so dem Heer die Furt.

Bordeaux hatten die Saracenen genommen, Salatrap befehligte darin. Einst am frühen Morgen ritt Roland am Meeresstrand nahe der Stadt und traf mit Salatrap zusammen. Der Saracene saß auf andalusischem Hengst in Wehr und Waffen und Roland erschlug ihn im ritterlichen Kampfe. Dann legte er des Toten Kursit an, den ärmellosen, geschlitzten, mit Wappenbild verzierten, über der Brünne getragenen Seidenrock, steckte Salatraps Helmzier auf seinen Helm, nahm dessen Lederschild und ritt nach Bordeaux.

»Sei willkommen, Herr,« grüßte ihn der Torwart; denn er hielt ihn für Salatrap und ließ ihn ein. Da erkundschaftete Roland, wie die Stadt am besten zu 413 gewinnen war. Als er aber eine Schar Saracenen zum Tor hinausziehen sah, ritt er ihnen nach.

»Bist du Salatrap, mein Herr?« fragte nun der Torwart, aufmerksam das Roß betrachtend. Roland gab Veillantif den Sporn, der Hengst sprang durch die Pforte, der Reiter wandte sich und rief: »Ich bin Roland, Kaiser Karls Markgraf, Montjoie!« Und schon hatte er die Saracenen vor sich eingeholt. Ein König aus Nubien rannte mit ihm zusammen und zerbrach ihm den Schild; aber Roland zog Durendal und mit einem Hieb spaltete er dem Nubier Helm und Haupt. Zwanzig Ungläubige drangen zugleich auf ihn ein mit Speeren, Pfeilschüssen und Schwerthieben, und ihr Geschrei und Allahruf lockte neue Haufen aus der Stadt. Da ließ Roland Veillantif rennen, was er konnte, zurück zu seiner Heerschar.

Am nächsten Morgen aber hielt er mit seinen Reitern vor Bordeaux. Mit dem ersten Speerwurf traf er den Torwart auf der Zinne: die Eisenspitze fuhr dem Mann durch die Brust und spießte ihn an die Mauer.

Mit Grauen flohen seine Genossen von der Zinne, Roland erbrach das Tor, drang in die Stadt und jagte die führerlosen Saracenen hinaus. Wer sich Herrn Karl ergab, der blieb verschont, und der stolze Markgraf steckte Karls Banner auf Salatraps höchste Palastzinne.

Als Kaiser Karl bei Perigord Lager schlug, fand er neben einer Quelle einen Mann der Landschaft: er fragte ihn: »Freund, hast du Wein? und willst du mir davon geben?«

»Herr, ich habe keinen Wein, aber gutes Wasser,« antwortete der Mann, ging an den Brunnen, schöpfte seinen Becher voll und bot ihn dem Kaiser. Der nahm 414 ihn und trank; denn ihn dürstete sehr, dann reichte er den Becher zurück und sagte mit frommem Schaudern: »Freund, das ist der beste Wein, den ich je getrunken habe.«

Der Mann schritt schweigend hinweg, Karl aber in sein Zelt. Er steckte seinen Speerschaft in die Rasenerde, und als er sich am nächsten Morgen erhob, fand er den Eschenschaft grünend und blühend. Dem Himmelsherrn dankend, betrachtete er das verheißungsvolle Siegeszeichen. Später ließ er dort eine Kirche erbauen.

In Carcassonne hielt Anchises des Kalifen Banner hoch. Karl lag vor der Stadt und ließ die festen Wälle vergebens berennen: Anchises stand auf der Mauerzinne und höhnte sein. Der Kaiser lenkte Tencendur herum: er wollte zum Abzug blasen lassen. Da bewegte sich einer der vorspringenden Mauertürme vorwärts gegen Karl und verneigte sich vor ihm; von einem zweiten stürzte die Bedachung herab und fiel dicht vor Karls Hengst zur Erde, als wolle er den Hut abnehmen vor seinem Herrn. Daran erkannte Karl, daß Gott ihm Sieg verheiße. Von neuem berannten seine Sturmböcke die Stadt: wenige Tage danach öffnete Anchises die Tore, von Hunger gezwungen, und überreichte demütigen Blickes dem großen Kaiser die Schlüssel von Carcassonne.

Karl lag mit Kriegsscharen vor Montmeillant; ein dichter Wald trennte der Franken Heer von dem der Ungläubigen. Allerlei jagdbar Getier, vornehmlich Wildeber, hausten in dem Forst und Kaiser Karl ritt aus, sie zu jagen. Lange verfolgte er in wildem Ritt einen Eber, längst hatte er sein Geleite verloren, – da, endlich kam 415 er dem Wild nahe: er schoß den Jagdspeer und verendend sank der Eber um. Vergnügt stieg der Kaiser ab, blies sein Hiefhorn und harrte seiner Jäger. Statt ihrer kam Flambador, der Saracene, mit vielen Reisigen. Sie umringten Karl und nahmen ihn gefangen. Er gab sich für Karls Falkner aus. Flambador führte ihn seinem Vater Marc von Montmeillant zu. Der erstaunte über des Gefangenen Größe und Schönheit, berief Anselm, einen landverwiesenen Franken, den er angenommen hatte, und sandte ihn ins Gefängnis, ob er den Gefangenen kenne. Anselm erschrak, da er Karl erblickte, und ward gar traurig.

»Blicke heiter und sage, ich sei des Kaisers Falkner,« sprach Karl zu ihm in fränkischer Zunge. Und Anselm sprach zu Marc: »Der ist ein wackrer Edeling, des Kaisers Falkner.« Da kümmerte der Saracene sich nicht weiter um den Gefangenen; Anselm aber ritt in der Nacht ins fränkische Lager und verkündete alles Naimes und den Tischgenossen Karls. Sofort machten sie sich auf, Naimes, Roland, Oliver allen voran, schlichen auf einem Wildpfad durch den Wald nach Montmeillant und gelangten in Saracenenmänteln in die Stadt. Da zogen sie ihre Schwerter hervor, drangen in die Burg, brachen Herrn Karls Gefängnis auf und trieben alle Ungläubigen aus Montmeillant. Marc und Flambador fielen im Kampf.

Narbonne beherrschte der Emir Borel: er zog vor die Stadt gegen Karl zu Felde. Tapfer focht da Herr Haimerich, Garins Enkel, mit seinen Söhnen Arnold von Girone, Bernard von Brabant. Wibelin, der dritte, erschlug Borels kühnen Sohn, und nach wenigen Tagen erstiegen die Franken die Wälle, erbrachen die Tore: 416 Borel fiel, und Kaiser Karl belehnte Haimerich mit der Stadt: seitdem hieß er Haimerich von Narbonne.

Arles widerstand lange Zeit Karls Angriffen; die Arleser verlachten die Franken und lebten vergnügt hinter ihren Mauern: denn durch einen unterirdischen Gang erhielten sie täglich Zufuhr an Wein, Brot und allem, was ihr Lebensbedarf war. Karl entdeckte diesen Gang und ließ ihn geschickt verschütten und zerstören. Da zwang die Not die Arleser zum Kampf. Sie zogen vor die Tore ins offene Feld und stritten mit Todesmut und fielen alle in einer Schlacht.

Bei Najera trabte der Riese Ferragut vor der Christen Lagerzelten einher und rief überlaut:

»Wo ist der große Karl? Wo sind seine mutigen Recken?«

»Dir stopfen wir bald den großen Mund, du langer Gesell,« antworteten zweiundzwanzig Barone lachend und nahmen die Waffen. Aber Ferragut packte einen nach dem andern, band alle und warf sie in ein leeres Zelt. »Ich fürchte den langen Lümmel doch nicht!« rief Roland, sprang auf ein erbeutet Saracenenroß und ritt gegen ihn. Ferragut zog ihn vom Hengst und setzte ihn vor sich in den Sattel: Roland griff ihm in den Bart und zupfte so sehr daran, daß sie beide herabfielen. Sie sprangen wieder auf ihre Tiere und schlugen wie wütend mit den Schwertern. Kein Hieb Durendals wollte den Riesen verwunden, der aber schlug Rolands Hengst mit der Faust tot.

»Ein Stein taugt wohl mehr für dich als eine gute Klinge,« rief Roland und griff nach einem. Das Spiel 417 hatte schon lange gedauert und der Riese war müde geworden:

»Höre, kleiner Held, laß mich jetzt erst ein wenig schlafen,« bat er. Roland rückte ihm noch einen Stein unter den dicken Kopf, damit er besser liegen sollte. Als er wieder erwachte, fragte er ihn: »Wie kommt's denn, daß mein Schwert dich gar nicht verletzt?«

»Ei, weil ich gefeit und nur am Nabel verwundbar tun,« antwortete der dumme Riese noch schlaftrunken und streckte seine langen Gliedmaßen behaglich.

Da mahnte ihn Roland: »Nun steh' auf: bald liegst du für immer am Boden.«

Ferragut erhob sich, Roland zu packen, doch behend entwischte der ihm. Endlich hatte der Riese ihn doch, er drückte ihn nieder und wollte ihn binden, Roland aber faßte des Riesen Schwert und stach es ihm unter dem Harnisch in den Nabel hinein, zum Rücken hinaus.

»Mohammed, nimm meine Seele,« hauchte Ferragut noch und starb.

Roland befreite die Gebundenen und fröhlich gingen sie ins Lager zurück.

So nahm Karl den Saracenen Städte und Festen. Von einer wird erzählt, als er sie lange belagert hatte, rief er Gott um Hilfe an: da zertrümmerte ein Erdbeben die trotzigen Mauern und die Christen zogen siegreich in die Stadt.

Nun belagerte Karl vereint mit Roland und Oliver Nobles. Lange lagen sie davor, Tag um Tag stürmten die Franken. Der Saracenen Beg schlug jeden Sturm ab: er ließ Feuer und Steine schießen auf Karls hölzerne Sturmböcke, Widder, Mangen und Schutzdächer.

418 Da kam ein Bote geritten vom Rhein, er hielt vor des Kaisers Zelt und rief: »Herr, komm' und hilf! Die Sachsen sind aufgestanden, sie haben den Treueid gebrochen: ›erzwungen‹ schelten sie ihn; Widukind, ihr Herzog, ist zurückgekehrt aus Dänenland: er ist über den Rhein gedrungen, er hat Köln eingeäschert, er hat deinen Erzbischof erschlagen und Opfer entzündet Herrn Woden und Sassenot! Bis an und über den Strom leuchtet der Flammenschein.«

Zornig blitzte des Kaisers blaues Auge: »Die Meineidigen! Warte, Widukind! – Auf, Roland, trauter Neffe, nimm Olifant und blase deinen Scharen: du ziehst mit mir und hilfst dieser trotzigen Sachsen starken Nacken wieder ins fränkische Joch drücken.«

Aber unmutig antwortete Roland: »Widukind im Sachsenland läuft dir nicht davon: bald sind wir mit den Saracenen hier fertig, dann kommen die Sachsen dran.«

»Hörtest du nicht?« grollte Karl, »die Opferfeuer Wodens – dem Herrn ein Greuel – leuchten bis in den fränkischen Gau!«

»Laß sie brennen und ersticken in den Nebeln der sächsischen Sümpfe und Heiden! Hier leuchtet die goldene Südsonne: auch hier hallt – dem Herr ein Greuel – der Ungläubigen Allahschrei, und der Engel rief dich, hier zu kämpfen. Nein, Ohm, ich bleibe hier.«

Mit steigendem Groll hatte Karl seine Rede vernommen, er fand kein befreiendes Wort, und der heiße Zorn riß ihn hin: er hob die gepanzerte Hand und schlug dem Ungehorsamen ins Gesicht. Drei Tropfen Blutes flossen aus Rolands Nase. Er fuhr ans Schwert, da traf sein Blick Karls klares Auge: er mußte Sutris gedenken, und seiner Eltern, und wie ihn Karl in seinen Palast genommen, erzogen und allezeit geliebt hatte, mehr als seine eignen Söhne, und seine Hand zitterte an der Schwerthelze: 419 »Ohm,« sprach er, »du selbst hast mir dies Schwert gegeben, für dich, nicht gegen dich eidete ich, Durendal zu führen! Zieh' mit dem ganzen Heer nach Sachsen, laß aber mich und Oliver nur noch so lange hier zurück, bis ich Nobles genommen habe!«

»Wohlan, Neffe, das mag geschehen,« sprach der Kaiser, winkte ihm, zu gehen, und sofort gebot er Herrn Naimes: »Entsende Boten an alle Herzoge nah und fern: alle sollen sie mir folgen nach Köln gegen die Sachsen.«


 << zurück weiter >>