Felix und Therese Dahn
Kaiser Karl und seine Paladine
Felix und Therese Dahn

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15 Erstes Kapitel.

Karls Abstammung. Die Vorgeschichte seines Hauses. Die bei seiner Thronbesteigung vorgefundenen Verhältnisse.

Karl ist geboren (höchst wahrscheinlich) am 2. April 742. Der Ort seiner Geburt ist nicht zu bestimmen: vielmehr hat die Sage gleich seinen Eintritt in das Leben mit mannigfaltigem Schlinggewächs umrankt (s. unten: »Bertha mit dem Gänsefuß«). Sein Vater war Pippin, bis November 751 Hausmeier (major domus), seit November 751 (bis 768) König der Franken, seine Mutter Bertha (oder Bertrada) war eine Tochter des Grafen Charibert von Laon.

Die Ahnen Karls lassen sich zurückverfolgen bis auf den ältesten, ersten Pippin, den man aber ohne jeden Grund Pippin »von Landen«, wie ebenso willkürlich einen andern, den mittleren Pippin »von Heristall« genannt hat: erst spät entstandene Fabeln bringen das Haus mit diesen Namen in Verbindung.

Das Geschlecht der alten merowingischen Könige der Franken war im Laufe des siebenten Jahrhunderts ganz verrottet, vermorscht und verfault: nicht mehr die Könige vermochten das Schwert zu führen und das Scepter zu schwingen: das taten an ihrer Statt schon lange die einflußreichsten Beamten am königlichen Hof, die 16 Hausmeier, majores domus. Um das Jahr 622 nun war der Hausmeier des östlichen (daher Austrasien, d. i. Ostland) Teilreichs der Franken der älteste Pippin (gest. 639), ein in Krieg und Frieden hervorragender Mann. Er vermählte (ungefähr 630) seine Tochter mit Ansigisel oder Adalgisel, dem Sohne seines Freundes, des durch Weisheit und Frömmigkeit ausgezeichneten Bischofs Arnulf von Metz (gest. 641. Bischöfe durften damals noch heiraten oder doch verheiratete Männer Bischöfe werden). Man müßte also dieses Geschlecht das der »Arnulfinge« nennen: denn schon die Vorfahren Karl Martells und Karls des Großen nach diesen beiden Karlen als »Karolinger« bezeichnen, ist gerade so verkehrt, wie wenn man die Vorfahren unsers Kaisers Wilhelm die »Wilhelminger« nennen wollte. Einige Zeit trat das Haus der Arnulfinge wieder völlig in den Hintergrund: Grimoald, Pippins Sohn, hatte den Versuch gemacht, den merowingischen Königsknaben auf dem Thron durch seinen eignen Sohn zu ersetzen, aber der Anschlag scheiterte und endete mit Grimoalds Hinrichtung (656). Erst etwa zwanzig Jahre später, ungefähr 678, erhebt sich das Geschlecht aufs neue: Pippin der Mittlere, der Sohn von Ansigisel und von Pippins des Ältern Tochter, gewann in den alten Stammlanden seines Hauses, zwischen Rhein, Mosel und Maas, eine mächtige Stellung. In den wilden innern Kämpfen, in welchen manchmal die Hausmeier der drei fränkischen Teilreiche: Austrasien, Neustrien (Neu-Westland) und Burgund gegeneinander um die Herrschaft rangen, suchte Pippin, obwohl noch nicht Hausmeier in Austrasien, den Übergriffen der neustrischen Hausmeier zu wehren. Seine erste Schlacht (bei Laon 678) verlor er zwar – ganz ähnlich wie später sein Sohn Karl der Hammer – aber die zweite bei Tertri, nahe St. Quentin (687), gewann 17 er und im Jahre 688 ward er als alleiniger Hausmeier der drei fränkischen Teilreiche, also des ganzen Frankenstaates, anerkannt. Sogleich trachtete er die Friesen (689) und die Alamannen (709–712) in Elsaß, Schweiz, Schwaben, welche sich während der Zerrüttungen im Frankenreich von dessen Verband gelöst hatten, wieder zum Gehorsam heranzuzwingen. Aber bei seinem Tod (714) drohten die alten Gefahren von allen Seiten über dem Frankenreich wieder zusammenzuschlagen und erst nach schweren Kämpfen gelang es seinem Sohne Karl, der vielen Feinde Herr zu werden. Seine Stiefmutter Plektrud hatte, um einem Enkel die Folge in die Machtstellung Pippins zu sichern, gleich bei dessen Tode Karl in den Kerker werfen lassen. Nun erhoben die Neustro-Burgunder wieder einen eignen Hausmeier, verbündeten sich mit den heidnischen Friesen, schlugen der Regentin Plektrudis Heer im Walde von Cuise und zogen gegen Köln, wo sie mit den Friesen zusammentreffen und Plektrudis belagern wollten. Karl war inzwischen aus dem Kerker entsprungen; er raffte ein Häuflein von treuen Anhängern zusammen und wollte die Friesen aus dem Lande treiben, bevor die Neustrier zu ihnen gestoßen, ward aber von dem Friesenherzog Ratbod bei Köln geschlagen (716). Jedoch der Unverzagte war ebenso zäh als kühn: ein echtes Kennmal seines Geschlechts. Sofort sammelte er neue Scharen um sich, überfiel die Neustrier auf ihrem Rückweg von Köln, wo sie Plektrudis zur Anerkennung eines neustrischen Merowingerkönigs gezwungen hatten, bei Amblève und schlug sie aufs Haupt (716). Aber erst nach zwei weiteren Siegen über die Neustro-Burgunder bei Vincy (717) und bei Soissons (719) und nachdem er seine Stiefmutter zur Übergabe von Köln genötigt (717), gelang es ihm, wie sein Vater als alleiniger Hausmeier 18 das ganze Frankenreich zu beherrschen Er wehrte nun den Übergriffen der Sachsen (718), brachte Westfriesland zum Reich (719) und die abgefallenen Herzöge der Alamannen (730) und der Bayern (725–728) zum Gehorsam zurück. Einstweilen aber, während der unermüdliche Karl auf dem rechten Rheinufer im Nordosten des Reichs beschäftigt war, drohte vom Südwesten her eine furchtbare Gefahr nicht nur der christlichen Kirche und dem Staate der Franken, nein, aller germanischen Eigenart und aller Bildung, welche von Griechen und Römern auf die Romanen in Frankreich und Italien überkommen war. Im Jahre 711 hatte der Islam, hatten die Araber das Reich der Westgoten in Spanien zerstört: gar bald fluteten ihre ungezählten Scharen über die Pyrenäen nach Südfrankreich: im Jahre 721 von dem Herzog Eudo von Aquitanien bei Toulouse abgewehrt, kamen sie doch gar bald wieder und drangen 725 bis tief in das Herz Frankreichs und Burgunds. Im Jahre 732 stieg der arabische Statthalter in Spanien, Abderrachmán, ein gewaltiger Kriegsheld, mit ungeheuren Heeresmassen über die Pyrenäen, schlug Herzog Eudo an der Dronne auf das Haupt und zog nach Nordosten weiter auf der alten Römerstraße, die von Bordeaux über Poitiers und Tours nach Orleans, Paris und Metz führte: er bedrohte so alle Hauptstädte des Reichs und die Kirchen des heiligen Hilarius zu Poitiers und des heiligen Martinus zu Tours, die gefeiertsten und zugleich schätzereichsten Weihtümer des Frankenreichs, deren Zerstörung und Plünderung Glaubenshaß und Beutegier der Saracenen gleich stark reizen mußte. Der flüchtige Herzog von Aquitanien rief die Hilfe des Einzigen an, der helfen konnte: Karls. Und Karl gewährte sie sofort, obwohl er noch im Vorjahr Eudo wegen Vertragsverletzung hatte 19 bekämpfen müssen. Allein nun stand nicht weniger auf dem Spiel als alles: es fragte sich, ob Europa künftig dem Christentum oder dem Islam, den Germanen und Romanen oder den Semiten Afrikas gehören solle. Karl muß schon vorher Rüstungen betrieben haben: sonst hätte er nicht auch die »Nordvölker«, d. h. die späteren Deutschen, den Saracenen so rasch entgegenwerfen können, daß diese auf ihrem Vordringen Tours noch nicht erreicht hatten; Karl verlegte ihnen die Römerstraße und den Übergang über die Flüsse Vienne und Clain bei 20 Cenon, nordöstlich von Alt-Poitiers, dessen Hilariuskirche von ihnen bereits verbrannt war. Hier nahm der kluge Feldherr eine feste Verteidigungsstellung, in welcher er nicht umgangen werden konnte und den Angriff der furchtbaren arabischen Übermacht abzuwehren beschloß. Die Schlacht bei Cenon (oder Poitiers) (an einem Oktobersonnabend, 4., 11., 18. oder 25. 732), an weltgeschichtlicher Bedeutung den Tagen von Marathon und von Salamis, von Zama und Châlons an der Marne, von Leipzig, Waterloo und Sedan gleichstehend, ward nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen, aber nicht etwa eines Deutschen, nein, eines spanischen Bischofs, Isidor von Beja, entschieden durch das Heldentum der Deutschen in Karls Heer: »Diese Nordvölker«, sagt er, »hochgewachsen, von überwältigender Wucht der Glieder, standen eng aneinandergeschlossen, Schild an Schild, wie eine Mauer von Eis, unbeweglich, uuerschütterlich, weder umzurennen noch zu zersprengen durch den wütenden, immer wiederholten Anprall der ungeheuren Reitermassen: mit eiserner Faust, hoch von oben herab und so recht von ganzem Herzen führten sie ihre Streiche.« Da standen und stritten sie nebeneinander: der kühne Franke, der schnelle Thüring, der zähe Sachse, der trotzige Friese, der feurige Alamanne, der kampfgrimme Bayer: gar mancher, der noch im Herzen Wotan und Donar trug, schwang hier den Eschenschaft, der an der Weser oder Isar gewachsen war, wider Mohammed. Von einem solchen deutschen Streich fiel auch der tapfere Abderrachmán, da er, selbst mitkämpfend, hier den stärksten Widerstand bezwingen wollte. Entmutigt durch den Fall ihres gefeierten Führers, durch die blutigen Verluste und den Eindruck germanischen Heldentums räumten die Saracenen in der folgenden Nacht heimlich ihr Lager und flohen in zerstreuten 21 Haufen gen Südwesten nach Hause. Wahrscheinlich sind Heldenlieder, von den Germanen im Heer zuerst auf Karl und diese Schlacht gedichtet, in vulgärlateinischer (romanischer) Übersetzung zu der Kenntnis jenes Bischofs im fernen Spanien gedrungen: einzelne Wendungen in seinem Bericht klingen ganz liedhaft. Und ohne Zweifel hat die spätere Heldensage, welche auch sonst die beiden Karle, den »Hammer« und den »Großen«, häufig miteinander verwechselt, Züge aus des Großvaters Saracenen-Kämpfen und Siegen auf den Enkel übertragen, welcher in Person nur einmal (778) mit denselben gestritten hat. Ebenso hat vermutlich die Sage jene Verfolgungen durch seine Stiefmutter und die harten, mannigfaltigen Kämpfe mit einem Stiefneffen, sowie mit andern Feinden, welche Karl Martell in seinen Anfängen zu bestehen hatte – auch später mußte er noch zwei Stiefneffen und einen entfernteren Verwandten wegen Hochverrats verhaften – übertragen auf den großen Karl, von welchem die Geschichte nichts Derartiges zu erzählen hat, abgesehen von der Feindschaft mit seinem Bruder Karlmann, welcher allerdings nur dessen Tod den Ausbruch in offenen Krieg ersparte. Auch der Umstand, daß Karl Martells Mutter Albheid mit Pippin in einer von der Kirche nicht anerkannten Ehe gelebt hat, ist vielleicht in Verwechslung mit Karl dem Großen Anlaß zu den Sagen über dessen Mutter Bertha geworden, zumal es nicht gerade ganz unmöglich wäre – doch ist es sehr zweifelig –, daß erst nachdem Karl (742 oder nach andern 747) geboren war, die Verbindung seines Vaters mit Bertha (749) kirchlich eingesegnet worden, wie ja die Sage berichtet.

In den nächsten Jahren unterwarf Karl Friesland (733, 734) und (736) die Söhne des (735) verstorbenen Eudo, vertrieb die Araber aus dem verräterisch ihnen 22 übergebenen Avignon, schlug sie nochmal in einer großen Schlacht am Flusse Berre südlich von Narbonne und warf die Fliehenden auf der Verfolgung in die Salzsümpfe und die See, daß ihrer viele Tausende ertranken. Als er 739, durch einen Feldzug gegen die Sachsen fern im Nordosten festgehalten, erfuhr, daß abermals die Saracenen in Südfrankreich eingebrochen waren, forderte er seinen Freund Liutprand, den tapfern und weisen König der Langobarden zu Pavia, auf, die gemeinsamen Feinde zu vertreiben: plünderten die Araber doch auch bereits auf langobardischem Gebiet. Sofort zog Liutprand mit seinem Heerbann zu Hilfe: seine Annäherung genügte, die Räuber zu verscheuchen. Die Freundschaft der beiden Könige war dadurch besiegelt worden, daß Liutprand Karls jungem Sohne Pippin in feierlicher symbolischer Handlung in der langobardischen Königsburg zu Pavia den ersten Bartflaum abgeschnitten hatte, wodurch ein der Wahlkindschaft ähnliches Treuepflichtverhältnis begründet ward. Daher wäre es Undank und Treuebruch gewesen, hätte Karl dem unmittelbar nach jener Waffenhilfe von 739 an ihn von Papst Gregor III. gerichteten Ansinnen Willfährde geleistet, für ihn das Schwert zu ziehen gegen Liutprand, der Rom belagerte, weil der Papst sich mit dem eidbrüchigen und rebellischen Herzog von Spoleto verbündet und demselben Zuflucht gewährt hatte. Karl lehnte ab, obwohl ihm der Papst die Schlüssel der Peterskirche übersandte und sich bereit erklärte, von seinem Staatsoberhaupte, dem Kaiser zu Byzanz abzufallen und Karl zum »Konsul« oder »Patrizius« von Rom zu machen, wozu der Papst freilich keinerlei Recht besaß: denn er war zweifellos Untertan des Kaisers, Rom eine byzantinische Stadt, der »Patrizius der Römer« ein von dem Kaiser zu ernennender Beamter, der die Rechte des Kaisers als 23 dessen Vertreter dem Senat, Volk und gerade auch dem Bischof von Rom gegenüber wahrzunehmen hatte. Auch mußte das der Papst selbst anerkennen: Gregor III. selbst und seine Nachfolger bis gegen Ende des Jahrhunderts rechneten in ihren Urkunden nach Regierungsjahren der Kaiser; im Jahre 754 noch weigerte sich ein Papst durchaus nicht, einen Befehl des Kaisers zu erfüllen und von dem Langobardenkönig die Rückgabe eroberter Gebiete an den Kaiser zu verlangen.

Um diese italischen Dinge, an welche König Pippin und Karl der Große so vielfach rühren mußten, richtig zu würdigen, müssen wir auf die damals auf der Apenninischen Halbinsel miteinander ringenden Mächte und ihre Parteistellungen einen raschen Blick werfen.

Seitdem das germanische Volk der Langobarden (568) aus Ungarn in den Nordosten Italiens eingewandert war, hatte es allmählich den Byzantinern, die, nach Vernichtung der Ostgoten (555), hier herrschten, den größten Teil des Landes entrissen. Nur die durch Gewaltangriff nicht zu brechende See-Feste Ravenna, der Sitz des kaiserlichen Statthalters oder Exarchen, und der dazu gehörige Exarchat, ferner die Südspitze der Halbinsel: Apulien, Kalabrien, das Gebiet von Neapel, endlich Rom und der »ducatus Romanus« waren den Kaiserlichen geblieben. Ravenna und auch Rom, letzteres geschützt durch seine starken, von Kaiser Aurelian angelegten, von Belisar verstärkten Mauern, waren nur durch Aushungerung zu bezwingen. Allein die Langobarden begingen den schwer begreiflichen Unterlassungsfehler, in den zwei Jahrhunderten des Bestandes ihres Reiches keine Kriegsflotte zu schaffen, welche den Hafen von Ravenna und die Tibermündung hätte sperren mögen. Gleichwohl würden ihre Könige, welche selbstverständlich 24 trachten mußten, Rom in ihre Gewalt zu bringen, die Unterbrechung der langobardischen Besitzungen durch den »ducatus Romanus« zu beseitigen, jene Stadt doch wohl erobert haben, hätte nicht eine Reihe von hervorragenden Männern auf dem römischen Stuhl – vor allen Gregor der Große – den Widerstand der Römer durch geistliche und geistige Mittel meisterhaft geleitet. Von dem Exarchen in Ravenna war nur seltene, unzureichende Waffenhilfe zu hoffen. Erleichtert ward dem Papst die Leitung des Widerstandes freilich durch die fromme Ehrfurcht, mit welcher auch die ihn mit Krieg bedrängenden Könige zu ihm emporsahen, seitdem die Langobarden aus dem ketzerischen Arianismus zum katholischen Bekenntnis übergetreten waren.

Durch diese erfolgreiche Verteidigung hatten die römischen Bischöfe in der Stadt ihre schon früher höchst angesehene, machtvolle Stellung dermaßen erhöht, daß ihnen vielmehr die Regierung zukam als dem kaiserlichen dux oder patricius Romanus, der nie über ausreichende byzantinische Krieger verfügte. So hatte der Papst wenigstens die leisen Anfänge einer weltlichen Herrschaft in der Stadt Rom gewonnen, selbstverständlich in Unterordnung unter den Kaiser. Aber der Kaiser war fern und unfähig, zu helfen: kein Wunder, daß die Römer mehr und mehr den Papst als ihren Schützer und Leiter ansahen. Dazu kam, daß in den zahlreichen über ganz Italien verstreuten Landgütern (pastrimonia) der römischen Kirche, oder »Sankt Peters«, wie man sagte, der Papst über Unfreie, Halbfreie, Freigelassene, Hintersassen mannigfaltiger Rechtsformen ohnehin eine Gewalt hatte, welche zwar privatrechtlichen Ursprungs war, aber ihn doch Gerichtsverwaltungs- und Finanzrechte üben ließ. Diese Anfänge des »Kirchenstaats« zu einer wirklichen weltlichen Herrschaft auszubilden 25 war fortab das eifrige Streben der Päpste: und man muß anerkennen, daß in jenen Zeiten eine gewisse weltliche Unabhängigkeit auch für die geistlichen Zwecke der Päpste höchst wünschenswert war.

Die langobardischen Könige zu Pavia nun aber verfügten keineswegs über die ganze Kraft ihres Volks: die mächtigen Grenzherzöge von Trient im Norden, Friaul im Nordosten, Spoleto in der Mitte und zumal Benevent im Süden waren tatsächlich fast unabhängig von Pavia – hat doch das Herzogtum Benevent, wie wir sehen werden, die Übertragung der langobardischen Königskrone auf Karl noch um viele Jahre als selbständiges Fürstentum überdauert – und gar oft in offenem Kriege mit ihrem König, wobei sie von dem Exarchen zu Ravenna und dem Papst oder dem Dux zu Rom meist unterstützt wurden.

Während aber bisher die Parteigruppierung in der Regel den Langobardenkönig auf der einen, den Exarchen, den Papst und die Herzöge auf der andern Seite gezeigt hatte, war seit etwa zwanzig Jahren eine Verschiebung eingetreten. In dem Streit über das Maß der den Bildern der Heiligen zuzuwendenden Verehrung hatten die Päpste mit Recht dem »bilderstürmenden Kaiser« Leo dem Isaurier (717–741) Widerstand geleistet und dabei die begeisterte Zustimmung der Bevölkerung Italiens gefunden. Es kam über diese Frage zum offenen Bruch zwischen Rom und Byzanz, ja gelegentlich zu blutigen Gefechten zwischen den Truppen des Kaisers und der italienischen Bevölkerung auf Seite des Papstes, wobei dann auch wohl der Langobardenkönig, etwa im Bunde mit dem Exarchen gegen den Papst und die Herzöge, das Schwert zog.

Dies war die verworrene, schwankende Lage der Dinge in Italien, in welche einzugreifen Karl der Hammer sich 26 klug enthielt: hatte er doch viel dringendere Aufgaben im eignen Reiche noch zu erfüllen. Er erwiderte also reichlich die Geschenke des Papstes, lehnte aber die geforderte Waffenhilfe ab, zumal ihm Liutprand die Augen darüber öffnete, wie der Papst sich die Kriegsbedrängnisse lediglich selbst zugezogen habe.

Karl hat übrigens seinen Beinamen der »Hammer« (lateinisch »tundites«, »tudites«, »Martellus«) nicht von seinen Siegen über die Saracenen erhalten, sondern weil er überall die zahlreichen kleinen Gewaltherren (»tyranni«) zerschmetterte, welche sich im Frankenreich während der Wirren von 711–719 erhoben hatten, geistliche und weltliche Große, die der Staatsgewalt trotzten und die kleinen Gemeinfreien unterdrückten, zur Knechtschaft oder Schutzhörigkeit herabzwangen.

Bevor er zu sterben kam, teilte er unter Zustimmung des Reichstags unter seine beiden Söhne Karlmann und Pippin, ganz wie weiland die Merowingischen Könige das Königtum, den Majordomat: die letzten vier Jahre (nach dem Tode Theuderich IV., 737) hatte er gar ohne König geherrscht, ohne doch schon den Schritt auf den Thron zu wagen. Vielleicht fand er damals keinen geeigneten Merowingen, oder vielleicht wollte er dadurch den Franken recht augenfällig zeigen, wie so ganz nichtig und schattenhaft das Königtum geworden war. Karlmann erhielt als Erbe den Majordomat über Ostfranken, Alamannien, Thüringen, Pippin über Neustrien, Burgund, Provence: Aquitanien und Bayern blieben ungeteilt, weil sie, von eignen Herzögen beherrscht, nicht unmittelbar, nur mittelbar unter dem Reiche standen. Nach des Vaters Tod (21. Okt. 741) hatten die beiden Brüder, welche rühmlichste Eintracht hielten, Aquitanier, Alamannen, Bayern, mit den Waffen zur Anerkennung 27 ihrer Herrschaft zu zwingen, Sachsen abzuwehren (741–746). Zugleich unterstützten sie das großartige Wirken des heiligen Bonifatius (des Angelsachsen Wynfrith), der als Legat des Papstes die tief gesunkene Kirchenzucht im Frankenreiche hob, den heidnischen Friesen, Hessen, Thüringen das Kreuz predigte und die Anfänge einer germanischen Kirche, unter strenger Unterordnung unter Rom gründete. (Die Bistümer Wirzburg, Eichstädt, Buraburg bei Fritzlar 741, Stiftung des Klosters Fulda 744.)

Im Jahre 747 legte Karlmann die Herrschaft nieder und trat als Mönch in das Kloster Monte Casino in Italien: solche Weltentsagung mächtiger Fürsten war damals nicht selten. Vielleicht belastete Karlmanns Gewissen eine tückische, blutige Tat, bei Bestrafung empörter Alamannen im Vorjahr (746) verübt. Pippin, nun Alleinherrscher, dämpfte neue Unruhen in Bayern, indem er Tassilo, den sechsjährigen Sohn (er war im gleichen Jahre mit Karl dem Großen [742] geboren) des eben verstorbenen Herzogs, aus dem Geschlecht der Agilolfingen, zum Herzog einsetzte, aber als Vasallen des Frankenreichs (748). Bald darauf (November 751) ward Pippin durch Beschluß des fränkischen Reichstags zu Soissons und unter Gutheißung des Papstes Zacharias zum König des Frankenreichs erhoben: der letzte Morowing, Childerich III., den die Brüder, wohl um den Vorwurf zu entkräften, sie übten als Königsbeamte ohne König eine widerrechtliche und widersinnige Gewalt, 743 auf den Thron erhoben hatten, ward als Mönch in ein Kloster gesteckt. Ohne Zweifel war die Tat eine Verletzung des formalen Rechts, allein sie war eine vollbegründete geschichtliche Notwendigkeit. Man hatte dem Papst Zacharias die Frage vorgelegt, was Gott wohlgefälliger sei, daß der 28 eine die Last, der andre die Ehre der Herrschaft trage und er hatte geantwortet, es sei besser, daß, wer die Bürde, auch die Würde des Königtums besitze. Bonifatius, seit 748 Erzbischof von Mainz, salbte den neuen König, nachdem derselbe von den Großen war gekrönt worden. Ein juristisches Recht hatte der Papst freilich nicht hierzu, aber seine Gutheißung war sittlich und religiös von höchstem Wert: den Zeitgenossen bedeutete sie die Zustimmung des Himmels. Sehr bald darauf ward der neue König aufgefordert, dem römischen Stuhl einen wichtigen Gegendienst zu leisten. Stephan II., der Nachfolger des Zacharias, ward von dem Langobardenkönig Aistulf schwer bedrängt. Er unternahm, Pippins Hilfe mündlich anzurufen, in winterlicher Zeit die gefährliche und beschwerliche Reise über die Alpen: über den großen Bernhard gelangte er nach St. Maurice. Von dort geleiteten ihn königliche Gesandte nach Ponthion (bei Bar-le-duc) zu Pippin, der ihm seinen elfjährigen Sohn entgegenschickte und ihn selbst in der ehrenvollsten Weise einholte: dreitausend Schritt ritt er mit seiner Gemahlin, mit dem jüngern Knäblein Karlmann und vielen Großen den Gästen entgegen, sprang vom Roß, wie er seiner ansichtig ward, kniete nieder und führte das Maultier des Papstes eine lange Strecke wie »ein Stallmeister« am Zügel. Pippin versprach dann zu Ponthion und nochmal feierlich zu Kiersy urkundlich, »Sankt Peter« (dem römischen Bischofsstuhl) zu allen seinen Rechten zu verhelfen und ihm die von Aistulf eroberten römischen und byzantinischen Städte und Gebiete, nachdem sie den Langobarden entrissen, zu schenken. Dieses Schenkungsversprechen ward die Grundlage der weltlichen Herrschaft des Papstes, des sogenannten »Kirchenstaates«. Als Gegenleistung salbte nun der Papst, zu Saint Denis, die Handlung des 29 Bonifatius wiederholend, Pippin und Bertha als König und Königin, dann den König und seine beiden Söhne zu »Patriziern der Römer«. Darauf ward Aistulf (754) angegriffen, zum Nachgeben genötigt und, da er die in dem Frieden von 754 übernommenen Verpflichtungen gegen den Papst nicht erfüllte, durch einen zweiten Feldzug (756) gezwungen, Sankt Peter all' sein Recht zukommen zu lassen.

Es ist fast befremdend, daß Pippin zweimal die kurze Reise von Pavia nach Rom nicht unternahm, während fromme Pilger aus dem fernsten England oder Spanien damals gar oft an das Grab der Apostelfürsten wallfahrteten: allein Pippin, eine maßvolle, nüchterne Natur, wollte nicht tiefer in die italischen Dinge sich verwickeln lassen als seine Versprechungen erheischten. Solche Verwicklungen hätten zum Kampfe mit Byzanz, zur Vernichtung des Langobardenreichs führen müssen. Pippin ging dem aus dem Weg: er beschäftigte sich die letzten Jahre seines Lebens fast ausschließend mit einer dem Frankenkönig viel näher anliegenden Aufgabe: der Wiederunterwerfung von Aquitanien und Vaskonien, d. h. der schönen, reichen Lande von dem Westufer der Loire bis an die Pyrenäen, Gebiete, welche großenteils schon Chlodovech c. 507 erworben, aber die Schwäche der Merowingen im 7. Jahrhundert wieder eingebüßt hatte. Der langjährige Kampf ward deshalb ein so schwieriger, weil die durchaus romanische Bevölkerung hier gegen die germanisch-fränkische Herrschaft sich sträubte. So war es ein echter Volkskrieg, den Herzog Waifar gegen die Franken führte. Erst mit dem Untergang dieses Volksführers in dem achten dieser Feldzüge (768) erlosch der Widerstand. Wie einen Hirsch hatten die Franken den Herzog, den zuletzt nur wenige Getreue noch begleiteten, 30 gehetzt »im Wald von Edobol«. Gar mancher Zug aus diesen Kämpfen Pippins in Aquitanien ist von der Sage auf Karl übertragen worden. Die Wiederheranziehung dieser Lande war aber die wesentliche Voraussetzung, daß aus Kelten, Römern, Basken, Goten, Burgunden und Franken das so glänzend begabte Mischvolk der »Franzosen« entstehen konnte, welches zwar uns Deutschen ein sehr schlimmer Nachbar ward, dessen hohe Verdienste um die Geistesbildung in ganz Europa wir aber doch nie vergessen wollen.

Auf einem dieser Feldzüge gegen Waifar (763) verließ plötzlich der junge Bayernherzog Tassilo, welcher vor und nach seiner (wiederholten) Huldigung als Vasall (757) die Heerzüge des Königs bisher willig mitgemacht hatte, das Lager und eilte nach Bayern zurück, weiteren Gehorsam weigernd. Wir kennen die Gründe nicht: vielleicht, weil er sich vergeblich bemüht hatte, für Waifar günstigere Bedingungen zu erwirken. Er mochte erkennen, die völlige Einverleibung Aquitaniens als bloße Provinz in das Frankenreich sei beschlossene Sache und er mochte erraten, daß dann alsbald Bayern ein ähnliches Schicksal bevorstehe: Bayern und Aquitanien hatten ja bisher dem Frankenkönig gegenüber eine gleiche staatsrechtliche Stellung eingenommen. Pippin, bis kurz vor seinem Tod mit Aquitanien beschäftigt, kam nicht mehr dazu, Bayern wieder zu unterwerfen. Es war die einzige Aufgabe, welche der wackere, tüchtige König seinen Erben ungelöst überließ, – denn auch Narbonne, das Hauptbollwerk des Islams in Südfrankreich, hatte er 759 den Arabern entrissen, – als er am 24. September 768 zu St. Denis starb, erst 54 Jahre alt. Sein Verdienst darf nicht dadurch geschmälert werden, daß sein Sohn Karl, eine viel großartigere, aber nicht so maßvolle Natur, ihn mit seinem weltgeschichtlichen 31 Ruhm, mit seinem blendenden, fast phantastischen Glanz überstrahlt hat.


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