Felix und Therese Dahn
Kaiser Karl und seine Paladine
Felix und Therese Dahn

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Siebentes Kapitel.

Karl und der Papst; Karl und Italien; Karl und Byzanz von 774–800; die Kaiserkrönung (800).

Wir sahen (S. 41), wie Karl (im Jahre 774) sich zum König des Langobardenreichs gemacht hatte: nur Benevent, wo des Desiderius Eidam, Herzog Arichis, herrschte, blieb damals noch ein unabhängiges Fürstentum. 115 Der Aufstand des Herzogs Hrodgaud von Friaul (776) ward rasch erstickt: windschnell erschien Karl mitten im Winter in Italien und schlug die Erhebung nieder, der Herzog fiel im Gefecht, der Herzog von Spoleto erschien selbst vor Karl in Frankreich und huldigte (779). Da im folgenden Jahre (780) ein Angriff des Beneventaners im Bunde mit Byzanz – sein Schwäher Adelchis schürte daselbst unablässig zum Kriege – zu drohen schien, zog Karl wieder nach Italien: er ließ (781) in Rom vom Papst Hadrian seinen vierjährigen Sohn Pippin zum König von Italien (des Langobardenreichs), den dreijährigen Ludwig zum König von Aquitanien salben (oben S. 41).

Die von Byzanz her drohende Gefahr war schon vorher durch den Tod des Kaisers Leo IV. (September 780) beseitigt, dessen Witwe Irene nun die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn Constantin VI. übernahm und, vielfach von Feinden bedrängt, vielmehr eine Stütze an dem mächtigen Frankenkönig suchte: damals ward wohl auf ihr Betreiben ihr Sohn mit Karls Tochter Hrothrud verlobt. Jedoch aus unbekannten Gründen verschlechterte sich das Verhältnis zu Byzanz wieder und als Karl 785 abermals nach Italien zog und Arichis von Benevent ohne Schwertstreich zur Unterwerfung brachte, ward jene Verlobung wieder aufgelöst, vermutlich, weil man sich über die Bedingungen, zumal über die Verteilung der Besitzverhältnisse in Süditalien nicht einigen konnte. Als nun Arichis 788 starb, setzte Karl dessen Sohn Grimoald zum Herzog von Benevent ein, der auch zunächst die versprochene Treue so wacker hielt, daß, als nun der lang gedrohte byzantinische Angriff unter Führung des Adelchis wirklich erfolgte, Grimoald gegen diesen seinen Mutterbruder selbst mit fränkischen Scharen zu Felde zog und 116 die Feinde aufs Haupt schlug. Adelchis floh nach Byzanz zurück, er brachte keinen weiteren Angriff mehr zu stande und starb daselbst in hohen Würden.

Karl aber zog damals das bisher byzantinische Istrien, das seine italischen Besitzungen abrundete und für Bedrohung der Avaren von Süden her recht günstig gelegen war, in den Verband seines Reiches (788). In den nächsten Jahren konnte Karl selbst an die italischen Dinge nicht rühren. Die Regierung Pippins allein führte Feldzüge (792) gegen Grimoald von Benevent, welcher nun die übernommenen Verpflichtungen doch nicht nach Wunsch erfüllte. Erst im Jahre 800 erschien Karl wieder in Italien aus wichtigstem Anlaß. Im Jahre 795 war Papst Hadrian gestorben, aufrichtig betrauert von seinem Freunde Karl. Sein Nachfolger Leo (795–816) ward im Jahre 799 von erbitterten Feinden bei einem Aufzug in den Straßen der Stadt schwer mißhandelt – nach der Legende sogar geblendet, worauf ein Wunder ihm die Augen und die ebenfalls ausgerissene Zunge sollte wiedergegeben haben – und gefangen. Mit Mühe entkam er, von treuen Männern geflüchtet, an einem Seil über die Stadtmauer nach Spoleto und rief nun Karls Hilfe an; ja er machte sich selbst auf den Weg, zog über die Alpen und suchte Karl mitten im Winter im Feldlager im Sachsenlande auf bei Paderborn.

Karl empfing ihn auf das ehrenreichste und befahl nach längerem Aufenthalt im Lager, ihn durch auserlesene geistliche und weltliche Große vor allem nach Rom zurückzuführen und in seinen Stuhl wieder einzusetzen, indem er sich vorbehielt, die wider Leo erhobenen Anklagen, – Meineid, unordentlicher Lebenswandel – an Ort und Stelle selbst zu prüfen. Das geschah gegen Ende des Jahres 800, da der König mit großem Gefolge in Rom 117 erschien. Die Ankläger des Papstes konnten ihre Beschuldigungen nicht erweisen: sie wurden wegen Majestätsverbrechen gegen ihren weltlichen Fürsten, den Papst, zum Tode verurteilt, aber auf Fürbitte Leos von Karl zur Einbannung außerhalb Italiens verurteilt. Wenige Tage darauf – am Weihnachtsabend des Jahres 800 – setzte der Papst, während Karl im Gebet versunken, am Grabe St. Peters kniete, ihm plötzlich überraschend eine goldene Kaiserkrone aus und warf sich ihm zu Füßen – wie es gegenüber römischen Imperatoren Sitte war, – indes alle im St. Peter anwesenden Römer in lateinischer Sprache in den Zuruf ausbrachen: »Heil dem großen von Gott gekrönten, Friede bringenden Kaiser der Römer.«

Die Vorgeschichte und die Bedeutung des großen weltgeschichtlichen Ereignisses ist anderwärts dargestellt wordenIn meinen beiden Werken: Urgeschichte der germanisch-romanischen Völker III. Berlin 1887 und Deutsche Geschichte Ib. Gotha 1887, auf welche ich ein für allemal diejenigen Leser verweise, die mehr Einzelheiten kennen lernen wollen..

Die Idee, daß Karl tatsächlich eine mehr als königliche Machtstellung einnahm, eine über dem Rahmen des bloß fränkischen Volks-Königtums hinausreichende, lag nahe genug. Aber nicht Karl hat dies zuerst erfaßt, sondern jene gelehrten, ganz in den Überlieferungen des römischen Altertums (und natürlich der christlichen Kirche) lebenden Geistlichen, welche Karl allmählich, zumal seit 786, an seinem Hof um sich versammelt hatte, und die man nicht unfüglich seine »Akademie« genannt hat: zumal der hochgelehrte Angelsachse Alkuin.

In dessen Briefen habe ich bereits in den Jahren 118 797 und 798 Andeutungen gefunden, welche Karl »viel mehr als königliche Würde, welche kaiserliche Majestät« ihm zusprechen. Eine gleichzeitige Quelle sagt schlicht und richtig: »weil Karl Rom selbst, Italien und alle Lande und Städte besaß, welche dereinst die Kaiser beherrscht hatten, schien es gerecht, ihm auch den Namen des Kaisers zu geben«. Fehlten nun auch an dem ehemaligen 476 erloschenen weströmischen Kaiserreiche Spanien, das römische England und einzelne Stücke im Süden und Südosten Europas, so beherrschte Karl dafür östlich und nördlich vom Rheine weite Gebiete, in welche der goldene Adler der Legionen niemals den Flug gewagt: – weit über die Elbe nach Osten und Norden.

Was aber den frommen Sinn Karls gewiß am feurigsten für den Kaisergedanken begeisterte, das waren – und das ist das Großartige dieser echt germanischen Heldengestalt – nicht die damit verbundenen Ehren und Rechte, sondern die Pflichten. Schon als König hat Karl wiederholt sich den »Beschirmer des rechten Glaubens allüberall« genannt, also nicht nur in den Marken des vorgefundenen Frankenreichs, sondern »allüberall«, soweit sein Arm und Schwert reichte.

Er glaubte sich von Gott berufen, soweit er greifen konnte, das Heidentum auszurotten – das war für sein Gewissen die sehr angenehme Rechtfertigung seiner blutigen Taten wider Sachsen, Friesen, Avaren, Slaven: er wähnte in aufrichtig frommer Überzeugung, seinem Gott zu dienen, während er seinen Lieblingsleidenschaften: der Machtgier, Kampfesfreude und auch dem klug erwogenen Vorteil seines Frankenstaates diente. Zugleich aber auch für die reine Lehre, für die Einhaltung der Kirchengebote im Innern seines Reiches unablässig zu sorgen, hielt er sich für verpflichtet: deshalb leitete er in Person mehrere 119 Kirchenversammlungen, zu Regensburg 792, zu Frankfurt am Main 794, welche die Irrlehren spanischer Bischöfe verwarfen, die zum Teil gar nicht seine, sondern der Araber Untertanen waren. Ja sogar mit dem Papst setzt er sich einmal in Widerstreit und verwirft mit einem fränkischen Reichskonzil Sätze über die Bilderverehrung, welche der Papst gebilligt hatte, wie er auch über den Ausgang des heiligen Geistes nicht nur von Gott dem Vater, auch von Gott dem Sohne seine und seiner Hauskapelle Lehrmeinung gegen fremden Widerspruch aufrecht hält.

Diese Ausgaben waren nun nicht mehr bloß fränkische, königliche, sie waren allgemein – christliche, kaiserliche und lange bevor Karl den Namen eines Kaisers annahm, hatte er die Pflichten eines solchen erfüllt. Ja, er beschränkte sich dabei nicht einmal auf das Abendland, auf Europa: schon als König hatte er, wie wir sahen (S. 57–61) mit mohammedanischen Beherrschern des Morgenlandes Verbindungen angeknüpft, welche vor allem bezweckten, die christlichen Kirchen und Gemeinden im Gelobten Lande, zumal aber auch die zahlreichen christlichen Pilger aus allen Staaten des Abendlandes, welche die heiligen Stätten aufsuchten, zu schützen.

Seit 798 etwa war die Annahme der Kaiserwürde beschlossene Sache; der Papst erfuhr den feststehenden Plan wohl bei seinem Besuch in Paderborn. Er hat gewiß keine Freude daran gehabt. Ein römischer Kaiser von der Machtherrlichkeit Karls, der etwa zu Rom seinen Herrschersitz aufschlug, konnte der kaum mit soviel Mühe erkämpften weltlichen Herrschaft des römischen Bischofs in Rom und dem werdenden Kirchenstaat für immer ein Ende machen: hatten doch die Päpste schon bisher bei weitem nicht alle Gebiete und nicht alle Hoheitsrechte 120 erlangt, welche sie anstrebten, und welche Pippin und Karl ihnen zuzuwenden allerdings versprochen hatten (S. 28, 40).

Der Papst beschloß nun mit jener echt römischen Staatskunst, die selten in aller Geschichte übertroffen worden ist, der nicht mehr abzuwendenden Tatsache wenigstens eine Form zu geben, welche für den römischen Stuhl so günstig wie möglich war. Karl hatte die Kaiserkrone Kraft des guten Rechts der Eroberung sich nehmen wollen, etwa nach vorgängigem Beschluß des römischen Volkes: nachträglich hätte er dann gewiß auch vom Papste sich salben lassen, wie Pippin 751 und 754, wie Karl bei seinen Knaben 781 das veranlaßte. Der Papst aber kam ihm überraschend zuvor: er setzte ihm die Krone als ein von ihm verliehenes Geschenk auf, nachdem er vorher mit vertrauten Römern den gleichzeitigen Zuruf verabredet hatte. Deshalb war Karl über diese Art der Krönung so entrüstet, daß er nach Zeugnis seines vollglaubhaften Lebensbeschreibers Einhard äußerte, mit keinem Fuß würde er, trotz des hohen Feiertages, an jenem Abend die Peterskirche betreten haben, hätte er das Vorhaben des Papstes voraus wissen können. Und geradezu geflissentlich haben in den nächsten Fällen Karl selbst, dessen Sohn Ludwig, dessen Sohn Lothar es vermieden, bei Verleihung der Kaiserkrone irgendwie den Papst mitwirken zu lassen: lediglich der Kaiser Karl und der fränkische Reichstag bestellen 813 Ludwig den Frommen, 847 Ludwig der Fromme Lothar, 850 Lothar Ludwig den Deutschen zum Kaiser: dem Papste wird nur die vollendete Tatsache mitgeteilt und später – gelegentlich – die Salbung von ihm verlangt. Dem gewaltigen Karl gegenüber konnte keine Folgerung aus dieser Verleihung der Krone von dem Papst gezogen 121 werden, der zu dieser Verleihung keinerlei Recht hatte, da er nach dem Recht noch immer Untertan des byzantinischen Kaisers war, welcher einen nicht von ihm selbst eingesetzten weströmischen Kaiser auch keineswegs anerkannte: erst zwölf Jahre später hat Karl nach langen Verhandlungen, nach schroffer Hoffart, ja offener Kriegführung der Byzantiner, und nur gegen erhebliche Gegenleistungen es durchgesetzt, daß sein bis dahin rechtsbrecherisches Kaisertum von den Byzantinern anerkannt wurde. Später aber, in den Kämpfen der römisch-deutschen Kaiser mit den Päpsten, ward der Vorgang dieser Weihnachtsnacht von 800 eine furchtbare Waffe in den Händen eines Gregor VII., Innocenz III., Alexander III.: konnten sie sich doch scheinbar mit Recht darauf berufen, daß damals vom Bischof von Rom dem König der Franken, dem Vorgänger des deutschen Königs Otto I. (962), die Kaiserkrone als ein Geschenk war verliehen worden, als ein beneficium, wie das doppelsinnige Wort lautete, d. h. zugleich »Wohltat« und »Lehen«, so daß also, während der Papst nur Gottes Vasall, der Kaiser seine Krone nicht unmittelbar von Gott, sondern vom Papst als dessen Vasall empfangen habe, der sie ihm daher auch wegen Ungehorsams wieder entziehen könne wie jeder Lehnsherr jedem Vasallen jedes Lehen. Daß der Papst gar kein Recht gehabt hatte, diese Krone zu verleihen, daß er dadurch selbst das Recht seines Souveräns, des Kaisers zu Byzanz brach: – das einzuwenden hatte jene Zeit nicht die erforderlichen geschichtlichen und staatsrechtlichen Kenntnisse.

Um jener Überlistung oder doch unerfreulichen Überraschung willen mit dem Papste brechen – das konnte Karl nicht. Das würde seinem frommen Sinn das ihm vorschwebende ideale Bild des Kaisertums zerstört haben: 122 die innigste Eintracht zwischen dem weltlichen Schirmvogt mit dem geistlichen Oberhaupt der Kirche.

Hat er um der Versöhnung aller Oberhäupter der Christenheit willen doch sogar auch mit starker Selbstverleugnung jahrelang um die Anerkennung des byzantinischen Kaisers sich bemüht: ja, sogar den fast phantastischen Plan hat er eine Zeitlang (802) erwogen, durch Vermählung mit der Kaiserin Irene zu Byzanz sich zum Kaiser auch des oströmischen Reichs, also der ganzen Christenheit zu machen. (Die Hofschranzen zu Byzanz, die den Plan vereitelten, hatten freilich allen Grund, sich zu wehren, um Karl nicht zum Herrn zu erhalten!) – Irgendwelche Gefahr konnte ja auch ihm aus der unerwünschten Form der Krönung nicht erwachsen: der Papst war ja völlig abhängig von den fränkischen Speeren, die ihn gegen seine eignen Römer hatten schützen müssen. So ordnete er denn, die vorübergehende Entrüstung niederkämpfend, den Winter über mit dem Papst die Verhältnisse von Staat und Kirche, ohne doch damals oder auch später dem Papst, der ihn 804 in »Francien« besuchte, alle Wünsche bezüglich des Kirchenstaates zu erfüllen, in welchem der römische Bischof zwar der Untersouverän, Karl aber zweifellos der Obersouverän war, der z. B. in Berufungen gegen die Urteile der päpstlichen Gerichte entschied, aber auch, wie wir sahen, über den Papst selbst richtete usw.

Damals häuften sich in zufälligem Zusammentreffen alle Ehren auf dem Haupte Karls: er übernahm in jenen Tagen die Schutzpflicht, wie über Rom, so auch über Jerusalem (s. oben S. 57).


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