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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Die Eule liebt den Graus der Nacht,
Die Lerche nur des Tages Pracht;
Das Täubchen girret dir zur Seite,
Der kühne Falke sucht das Weite.

Lied aus Duo.

 

In einem Lande, das, wie die vereinigten Staaten, von Menschen bevölkert ist, welche ihren theuren heimatlichen Heerd als Opfer ihres Gewissens und ihres Glaubenseifers verlassen mußten, wird keine der Rücksichten und Feierlichkeiten, die man zu einem christlichen Tode für nöthig erachtet, umgangen, sobald die Möglichkeit ihrer Anwendung durch die Umstände gegeben ist. Die gute Frau vom Hause hielt streng auf die Formen der Kirche, welcher sie angehörte, und da sie selbst zu dem Bewußtseyn ihrer Sündhaftigkeit durch den Beistand eines Geistlichen in dem benachbarten Pfarrorte erweckt worden war, so glaubte sie, daß nur seine Ermahnungen Heil in die ihrem Ende nahen Hoffnungen Heinrich Wharton's bringen könnten. Die theilnehmende Matrone kannte zwar die Lehren der Religion, zu welchen sie sich bekannte, hinreichend, um zu wissen, daß der Theorie nach das Wohl der Seele nicht von sterblichem Beistand abhänge; aber sie war, wie sie sich selbst ausdrückte, »so lang unter der Predigt des guten Herrn gesessen«, daß sie unwillkührlich dazu gekommen war, die innern Gnadengaben, welche sie ihrem Glauben zufolge allein der Gottheit zu danken hatte, auf Rechnung des Priesters zu schreiben.

Der Gedanke an den Tod hatte für sie immer etwas Schreckliches gehabt, und sobald das Urtheil des Gefangenen veröffentlicht war, sandte sie Cäsarn mit dem besten Pferde ihres Mannes ab, um ihren geistlichen Tröster herbeizuholen. Dieses war geschehen, ohne daß weder Heinrich noch seine Verwandten darum befragt wurden, und erst als man Cäsar zu einem häuslichen Geschäft verwenden wollte, gab sie den Grund seiner Abwesenheit an. Der junge Mann hörte ihr anfänglich mit einem unüberwindlichen Widerwillen gegen die Zulassung eines solchen geistlichen Führers zu; wenn aber die Rücksichten auf zeitliche Dinge in den Hintergrund treten, so verlieren auch Vorurtheile und Gewohnheiten ihren Einfluß, und so wurde endlich die theilnehmende Sorgfalt der wohlmeinenden Frau mit einer höflichen Verbeugung dankbarer Anerkennung erwiedert.

Der Schwarze kam bald wieder von seiner Sendung zurück, und so viel sich aus seiner etwas unzusammenhängenden Erzählung entnehmen ließ, durfte man der Ankunft des Dieners Gottes im Laufe des Tages entgegen sehen. Die im vorigen Kapitel erwähnte Unterbrechung wurde durch den Eintritt der Hausfrau veranlaßt. Aus Dunwoodie's Verwendung hatte die Schildwache vor Heinrichs Zimmer Befehl erhalten, den Gliedern der Wharton'schen Familie jeder Zeit freien Zutritt zu gestatten, und Cäsar war unter dieser Vergünstigung des Officiers Schicklichkeits halber mit eingeschlossen. Dagegen wurde bei jeder andern Person genaue Nachfrage über den Zweck ihres beabsichtigten Besuches angestellt. Der Major hatte sich selbst unter den Verwandten des englischen Officiers aufgeführt und zugleich im Namen Aller die Versicherung gegeben, daß kein Versuch zur Befreiung des Gefangenen gemacht werden solle. Eine kurze Unterredung fand zwischen der Frau des Hauses und dem Corporal der Wache vor der Thüre statt, welche die Schildwache bereits geöffnet und somit der Entscheidung des ihm vorgesetzten Unterofficiers vorgegriffen hatte.

»Wollt Ihr einem Nebenmenschen, der den Tod erleiden soll, die Tröstungen der Religion versagen?« rief die Matrone in ihrem Diensteifer. »Wollt Ihr eine Seele in den feurigen Schlund fahren lassen, wenn ein Geistlicher zur Hand ist, sie auf den rechten und engen Pfad zu weisen?«

»Ich will Euch etwas sagen, gute Frau,« erwiederte der Corporal, indem er sie sachte bei Seite schob; »mein Rücken ist mir zu lieb, als daß ich ihn zu einer solchen Himmelfahrt hergebe. Das ginge mir noch ab, für den Ungehorsam gegen die Ordre eine Rolle vor den Piqueten unter dem Stock zu spielen. Geht hinab und fragt den Lieutenant Mason, dann könnt Ihr meinetwegen die ganze Versammlung der Gläubigen mitbringen. Es ist noch keine Stunde, daß wir die Wache von der Infanterie übernommen haben, und wir wollen uns nicht nachsagen lassen, daß wir den Dienst weniger verstehen, als die Miliz.«

»Laßt das Weib herein,« sagte Dunwoodie, welcher jetzt zum erstenmale bemerkte, daß einer von seinem eigenen Corps auf dem Posten stand.

Der Corporal fuhr mit der Hand an die Mütze und zog sich schweigend zurück; die Schildwache präsentirte und das Weib trat ein.

»Da unten ist ein ehrwürdiger Herr, der Eurer scheidenden Seele Trost bringen will; er kommt statt unseres eigenen Geistlichen, der durch ein unaufschiebbares Geschäft verhindert ist – er muß nämlich den alten Herrn R. begraben.«

»Weist ihn herauf,« sagte Heinrich mit fieberhafter Ungeduld.

»Wird ihn aber die Schildwache herein lassen? Ich möchte nicht, daß ein Freund des ehrwürdigen Herrn, – der noch obendrein ein Fremder ist, an der Thürschwelle hart angelassen würde.«

Aller Augen waren nun auf Dunwoodie gerichtet, welcher auf seine Uhr sah, mit Heinrich leise einige Worte wechselte und von Franciska begleitet das Zimmer verließ. Der Gegenstand ihres Gesprächs war der Wunsch des Gefangenen, durch einen Geistlichen seines eigenen Bekenntnisses vorbereitet zu werden, worauf der Major einen von Fishkill herzusenden versprach, da er auf seinem Wege nach der Fähre, wo er Harper's Zurückkunft abzuwarten gedachte, durch diese Stadt kommen mußte. Bald darauf erschien Mason an der Thüre, machte seine Verbeugung und entsprach bereitwillig den Wünschen der Hausfrau, worauf der Geistliche eingeladen wurde, heraufzukommen.

Der Mann, welchem Cäsar beim Eintritt in's Zimmer voranging und die Matrone nachfolgte, war schon ziemlich über die Mitte des Lebens hinaus und von ungewöhnlicher Größe, obgleich seine außerordentliche Magerkeit dazu beitragen mochte, ihn noch höher erscheinen zu lassen. Der Schnitt seines Gesichtes war scharf und unbeweglich, und jede Muskel trug den Ausdruck einer starren Spannung. Weder Freude noch Heiterkeit schien je auf Zügen gewohnt zu haben, deren tiefe Furchen nur den Abscheu vor den Sünden des menschlichen Geschlechtes auszudrücken schienen. Die buschigen, schwarzen, abschreckenden Augenbraunen überwölbten Augen, welche keinen minder zurückstoßenden Ausdruck erwarten ließen, obgleich dieselben hinter zwei ungeheuern grünen Brillengläsern verborgen waren, durch welche sie mit einer Strenge blickten, welche den kommenden Tag des Zornes verkündigte. Fanatismus, Lieblosigkeit und Verketzerungseifer sprach sich allenthalben aus. Sein langes schlichtes, aus Grau und Schwarz gemischtes Haar fiel ihm über den Nacken herab, beschattete einigermaßen die Seiten des Gesichtes, und zog sich von dem Scheitel aus nach allen Richtungen als struppigter Busch hin. Auf dem Haupte dieser nicht besonders zierlichen Erscheinung saß ein großer dreieckiger Hut, der sich vorwärts senkte und die Züge des Mannes noch mehr in Schatten stellte. Der Rock, wie auch die Beinkleider und Strümpfe hatten eine schwarze, in ein schmutziges Roth schießende Farbe und die glanzlosen Schuhe waren zur Hälfte von mächtigen plattirten Schnallen bedeckt.

Er stampfte in das Zimmer, nickte steif mit dem Kopfe und setzte sich mit würdevollem Schweigen auf den Stuhl, welchen ihm der Schwarze anbot. Einige Minuten lang wagte es Niemand, die bedeutungsvoll seyn sollende Pause zu unterbrechen. Heinrich fühlte gegen seinen Gast einen Widerwillen, welchen er vergebens niederzukämpfen bemüht war, und der Fremde ließ hin und wieder einen Seufzer oder ein Stöhnen vernehmen, welches ein Lösen der ungleichen Verbindung seiner durch alle Räume dringenden Seele mit ihrer unbehülflichen Behausung befürchten ließ. Während dieser peinlichen Vorbereitung führte Herr Wharton, auf welchen diese Erscheinung fast eben so wie auf Heinrich gewirkt hatte, Sara aus dem Zimmer. Seine Entfernung wurde von dem Geistlichen mit einer Art verächtlichen Unwillens aufgenommen, und nun begann er die Melodie eines bekannten Psalmen in einer Weise zu summen, in welcher sich die näselnde Intonation des Kirchenlieds, wie sie im Osten Unter »Osten« werden die Staaten von Neu-England verstanden, welche ursprünglich von Puritanern bewohnt waren und auch gegenwärtig noch manche Eigenheiten dieser ersten Ansiedler erkennen lassen. gebräuchlich war – auf's unverkennbarste aussprach.

»Cäsar,« sagte Miß Peyton, »reiche dem Herrn eine Erfrischung: er scheint ihrer nach seinem Ritte zu bedürfen.«

»Ich suche keine Stärkung in den Dingen dieser Welt,« entgegnete der Geistliche in hohlen Grabestönen. »Ich habe dreimal an diesem Tage im Dienste meines Meisters ausgehalten, ohne schwach zu werden; indessen ist es doch gut, dieser gebrechlichen irdischen Hütte aufzuhelfen, denn in der That, der Arbeiter ist seines Lohnes werth.«

Er öffnete seine ungeheuern Kinnladen und nahm eine kräftige Portion des ihm angebotenen Branntweins zu sich, der ihm mit derselben Leichtigkeit durch die Kehle glitt, mit welcher sich der Mensch zur Sünde kehrt.

»Dann fürchte ich, Sir, daß es Ihnen die Ermüdung unmöglich machen wird, das Amt, zu dessen Uebernahme Sie Ihre Güte veranlaßt hat, auszuüben.«

»Weib!« rief der Fremde mit Pathos, »wer hat mich je in meiner Pflicht erliegen sehen? aber richtet nicht, damit Ihr nicht gerichtet werdet, und glaubt nicht, daß es dem sterblichen Auge gegeben ist, die Wege Gottes zu ergründen.«

»Nein,« erwiederte die Jungfrau demüthig, aber doch etwas ärgerlich über dieses Kauderwälsch, »ich getraue mir nicht einmal über die Zustände und Absichten meiner Mitmenschen ein Urtheil zu fällen, geschweige denn über die Zwecke der Allmacht.«

»Recht so, Frau – das ist wohlgethan,« rief der Mann Gottes, indem er mit hochmüthiger Geringschätzung den Kopf wiegte; »Demuth ziemt Deinem Geschlechte und Deiner verderbten Natur; Deine Schwäche treibt Dich ohnehin unaufhaltsam gleichsam unter den Besen der Zerstörung.«

Miß Peyton war von diesem sonderbaren Benehmen nicht wenig überrascht; doch die Macht der Gewohnheit zwingt uns, von heiligen Dingen mit Verehrung zu sprechen, selbst da, wo wir besser thun würden, zu schweigen, und so fuhr sie fort:

»Es ist eine Macht über uns, welche unsere schwachen Kräfte unterstützen kann und unterstützen will, wenn wir ihren Beistand in gläubiger Demuth anflehen.«

Der Fremde warf einen finstern Blick auf die Sprecherin, nahm dann eine Miene der Zerknirschung an, und erwiederte im Tone des Vorwurfes:

»Nicht jeder wird erhört, der um Gnade schreit. Die Wege der Vorsehung sind den Blicken der Menschen ein Buch mit sieben Siegeln. Viele sind berufen, aber wenige auserwählt. Es ist leichter, von Demuth zu sprechen, als sie zu üben. Bist du so demüthig, elender Wurm, daß du Gott in deiner eigenen Verdammniß zu preisen wünschest? Wenn das nicht ist, so weiche von hinnen, du Zöllner und Pharisäer!«

Ein so grasser Fanatismus war in Amerika nicht gewöhnlich, und Miß Peyton fing an zu vermuthen, daß es mit den Geisteskräften ihres Gastes nicht richtig seyn möchte. Da sie sich aber erinnerte, daß er von einem bekannten achtbaren Geistlichen geschickt war, so verwarf sie diesen Gedanken wieder und entgegnete mit Milde:

»Ich bin vielleicht im Irrthum, wenn ich glaube, daß die Gnade allen Menschen zugänglich ist; aber es liegt so viel Beruhigendes in dieser Lehre, daß ich mich ungern enttäuschen ließe.«

»Gnade gibt es nur für die Auserwählten,« rief der Fremde mit einer unerklärlichen Heftigkeit, »und Du bist in dem Thale der Schatten des Todes. Bist Du nicht eine Anhängerin der eiteln Zeremonien jener falschen Kirche, die unsere Tyrannen so gerne nebst ihren Stempeltaxen und Theesteuern einführen möchten? Antworte mir, Weib, und erinnere Dich, daß der Himmel Deine Antwort hört! Bist Du nicht eine aus dieser götzendienerischen Gemeinde?«

»Ich verehre die Altäre meiner Väter,« sagte Miß Peyton, indem sie Heinrich, welcher eben ausbrechen wollte, einen Wink gab, »und kenne keine andern Götzen, als meine eigene Gebrechlichkeit.«

»Ja, ja, ich kenne dieses selbstgerechte und papistische Wesen, diesen Formendienst und dieses Hören auf eine Bücherpredigt. Glaubst Du, Weib, daß der heilige Paulus etwas Schriftliches in der Hand hatte, als er den Gläubigen das Wort Gottes verkündigte?«

»Meine Anwesenheit stört Euch,« sagte Miß Peyton aufstehend. »Ich will Euch mit meinem Neffen allein lassen, und für mich die Gebete zum Himmel schicken, die ich so gerne mit den seinigen vereint hätte.«

Mit diesen Worten entfernte sie sich, und die Frau des Hauses folgte, nicht wenig erschüttert und dabei überrascht von dem gewaltigen Eifer dieses neuen Bekannten; denn obgleich das gute Weib glaubte, daß Miß Peyton und ihre ganze Kirche die breite Straße des Verderbens zögen, so war sie doch keineswegs gewohnt, eine so unverholene und lieblose Verdammung über sie aussprechen zu hören.

Heinrich hatte nur mit Mühe seinen Unwillen über diesen unberufenen Angriff auf seine sanfte und duldsame Tante unterdrückt; als sich aber die Thüre hinter ihr schloß, gab er seinen Gefühlen Raum.

»Ich muß bekennen, Sir,« rief er mit Heftigkeit, »daß ich, als ich den Diener Gottes vor mich ließ, einen Christen zu finden hoffte – einen Menschen, der im Gefühl seiner eigenen Schwäche Geduld mit den Gebrechen Anderer zu tragen weiß. Ihr habt das zarte Herz einer herrlichen Frau verwundet, und ich gestehe, daß ich wenig Neigung fühle, meine Gebete mit denen eines so unduldsamen Geistes zu vereinigen.«

Der Geistliche richtete sich in ernster Haltung auf, folgte den sich entfernenden Frauen mit einem Blicke mitleidiger Verachtung und nahm den Vorwurf des jungen Mannes hin, als ob er keiner Beachtung werth sey. Auf einmal ließ sich aber eine andere Stimme vernehmen:

»Ein solcher Ausfall hätte bei vielen Weibern Krämpfe hervorbringen können; doch er hat seinem Zwecke gehörig entsprochen.«

»Wer ist das?« rief der Gefangene, indem er sich verwundert im Zimmer nach dem Sprecher umsah.

»Ich bin's, Capitän Wharton,« sagte Harvey Birch, indem er die Brille entfernte und seine durchdringenden Augen unter einem Paar falscher Augenbraunen zum Vorschein kamen.

»Guter Gott! – Harvey!«

»Stille!« sagte der Hausirer feierlich; »dieser Name darf nicht laut werden – am allerwenigsten hier, in dem Herzen der Amerikanischen Armee.« Birch hielt inne und sah sich einen Augenblick mit einem Ausdrucke, der nichts von der niedrigen Leidenschaft der Furcht verrieth, im Zimmer um; dann fuhr er mit düsterem Tone fort: »Es hängen tausend Stricke an diesem Namen, und ich dürfte nicht zu entkommen hoffen, wenn ich wieder ergriffen würde. Ich habe ein schreckliches Wagestück unternommen; aber der Gedanke, einen unschuldigen Menschen den Tod eines Hundes sterben zu sehen, wenn ich ihn nicht retten könnte, ließ mich weder rasten noch ruhen.«

»Nein,« sagte Heinrich, und die Gluth eines edeln Gefühls färbte seine Wangen; »wenn das Wagniß für Euch so groß ist, so geht wieder zurück, wie Ihr gekommen seyd und überlaßt mich meinem Schicksale. Dunwoodie bietet gegenwärtig Allem zu meiner Rettung auf, und wenn er im Laufe der Nacht mit Herrn Harper zusammentrifft, so ist meine Befreiung gewiß.«

»Harper?« wiederholte der Hausirer, welcher eben die Brille wieder aufsetzen wollte, aber bei dem Laute dieses Namens sein Geschäft unterbrach und mit erhobenen Händen verwundert stehen blieb. »Was wissen Sie von Harper? Und warum bauen Sie auf seine Unterstützung?«

»Ich habe sein Versprechen. – Ihr erinnert Euch unseres Zusammentreffens in meines Vaters Hause, und er verhieß mir unaufgefordert seinen Beistand.«

»Ja – aber kennen Sie ihn? das heißt – warum glauben Sie, daß er die Macht dazu hat? und aus welchem Grunde schließen Sie, daß er sich seines Wortes erinnern werde?«

»Wenn sich je der Stempel der Redlichkeit und eines ehrlichen, aufrichtigen Wohlwollens in dem Gesichte eines Mannes abdrückte, so war es hier der Fall,« sagte Heinrich; »außerdem hat Dunwoodie gewichtige Freunde in der Rebellenarmee, und ich denke, es ist besser, zu bleiben wo ich bin, als daß ich Euch, wenn Ihr entdeckt würdet, einem sicheren Tode aussetze.«

»Capitän Wharton,« sagte Birch, indem er sich vorsichtig umsah und einen ernsten Nachdruck in seine Worte legte; »wenn ich Sie verlasse, verläßt Sie Alles. Weder Harper noch Dunwoodie kann Ihr Leben retten. Wenn Sie sich nicht mit mir flüchten, und zwar innerhalb einer Stunde, so sterben Sie morgen wie ein Dieb am Galgen. Ja, so sind ihre Gesetze; der Mann, welcher kämpft, mordet, raubt, wird geachtet; aber wer dem Lande als Spion dient, wäre es auch noch so treu und noch so ehrlich, führt ein entehrendes Leben und stirbt wie der elendeste Verbrecher!«

»Ihr vergeßt, Meister Birch,« sagte der Jüngling etwas unwillig, »daß ich kein tückischer, schleichender Spion bin, der nur auf Betrug und Verrath sinnt, daß ich keinen Theil an dem mir aufgebürdeten Verbrechen habe.«

Ein Blutstrom schoß nach dem bleichen hageren Gesichte des Hausirers, so daß es in feuriger Gluth leuchtete; diese verflog jedoch schnell wieder und er fuhr fort:

»Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt. Ich traf auf Cäsar, als er diesen Morgen seine Botschaft ausrichten wollte, und habe mit ihm die Mittel besprochen, deren Benützung Sie retten wird. Wollen Sie keinen Gebrauch davon machen, so sind Sie verloren. Ich betheure Ihnen nochmal, daß dann keine Macht auf Erden, selbst Washington nicht, Sie zu retten vermag.«

»Ich füge mich,« sagte der Gefangene, indem er dem Ernste des Krämers und den durch dessen Worte neu erweckten Befürchtungen nachgab.

Der Hausirer winkte ihm, zu schweigen, ging auf die Thüre zu und öffnete sie mit derselben steifen Förmlichkeit, mit welcher er in's Zimmer getreten war.

»Freund, laß Niemand herein,« sagte er zur Schildwache; »wir wollen uns im Gebete ergehen und wünschen allein zu seyn.«

»Ich glaube nicht, daß Euch Jemand zu unterbrechen wünscht,« erwiederte der Soldat mit einem schalkhaften Seitenblicke; »wenn aber die Verwandten des Gefangenen Lust dazu hätten, so habe ich nicht das Recht, sie abzuweisen. Ich habe meine Befehle und muß ihnen Folge leisten, mag nun der Engländer in den Himmel kommen oder nicht.«

»Verwegener Sünder!« sagte der angebliche Priester, »hast Du nicht die Furcht Gottes vor Augen? Ich sage Dir, wenn Du anders die Strafen des letzten Gerichtes fürchtest, laß Niemand von dieser götzendienerischen Gemeinde eintreten, damit sie nicht ihre Gebete mit denen der Rechtgläubigen vermische.«

»Hu – hu, welch' ehrenhaften Befehlshaber würdet Ihr für den Sergeanten Hollister abgeben; was wären da seine Erbauungsstunden, welche er nach dem Verlesen hält, gegen Eure Predigt! Hört, ich will es Euch Dank wissen, wenn Ihr mit Euerm Lärmen nicht so fort macht, und unsere Hörner nicht überschreit; Ihr könntet sonst einem armen Burschen den Grog versalzen, wenn er heute Abend das Paradesignal überhörte. Wenn Ihr ja allein seyn müßt, habt Ihr nicht ein Messer, um es unter die Thürschnalle zu stecken? – braucht Ihr etwa einen ganzen Reiterzug, um Euren Conventikel zu hüten?«

Der Hausirer faßte den Wink auf und verwahrte die Thüre nach der von dem Dragoner ertheilten Angabe.

»Ihr übertreibt Eure Rolle,« sagte der junge Wharton in beständiger Furcht einer Entdeckung; »Euer Eifer ist zu ungezügelt.«

»Bei einem Infanteristen und bei den östlichen Milizen möchte es der Fall seyn,« sagte Harvey, indem er ein Bündel auspackte, welches ihm Cäsar einhändigte; »aber diese Dragoner sind Burschen, die man niederwindbeuteln muß. Ein verzagtes Herz würde hier nicht viel ausrichten; doch kommen Sie, – da ist ein schwarzer Deckel für Ihr hübsches Gesicht,« er brachte eine Pergamentmaske zum Vorscheine und band sie Heinrich vor. »Der Herr und der Knecht müssen für eine Weile die Plätze wechseln.«

»Ich nicht denk, er aussehen auch nur ein bischen wie ich,« sagte Cäsar verdrießlich, als er seinen jungen Gebieter so verändert sah.

»Nur einen Augenblick Geduld, Cäsar,« sagte der Hausirer mit der drolligen Laune, welche er hin und wieder kund gab, »bis wir an die Wolle kommen.«

»Er nun schlimmer, als vorher,« rief der unzufriedene Afrikaner; »farbig Mann nie aussehen wie Schaaf! Ich nie sehen solche Lipp', Harvey, die so dick seyn wie Wurst!«

Es hatte viele Mühe gekostet, die zu Heinrich Wharton's Verkleidung erforderlichen Gegenstände zusammen zu bringen, und unter Harvey's gewandten Händen brachten sie in dem Aeußern des jungen Officiers eine Verwandlung zu Wege, die wohl einen gewöhnlichen Beobachter zu täuschen und eine Entdeckung zu verhüten im Stande war.

Die Maske war so gut angefertigt, daß sie den ganzen eigenthümlichen Ausdruck in dem Gesichte und der Farbe des Afrikaners treu nachbildete, und die kunstvoll aus schwarzer und weißer Wolle zusammengesetzte Perücke ahmte die Pfeffer- und Salzfarbe von Cäsar's Kopf so täuschend nach, daß selbst der Schwarze, der sie bis auf den Stoff für ein ausgezeichnetes Conterfey erklärte, seinen Beifall nicht versagen konnte.

»Es gibt nur einen Menschen in der amerikanischen Armee, der den Betrug zu entdecken im Stande wäre, Capitän Wharton;« sagte der Hausirer, indem er sein Werk mit Zufriedenheit betrachtete, »und zum Glück ist dieser uns gegenwärtig nicht im Wege.«

»Und wer ist der?«

»Der Mann, welcher Sie zum Gefangenen machte. Er würde Ihre weiße Haut durch ein Brett hindurch erkennen. – Aber zieht euch jetzt beide aus; die Kleider müssen vom Kopf bis zum Fuß gewechselt werden.«

Cäsar, der bereits am Morgen von dem Krämer die ausführlichsten Weisungen erhalten hatte, begann sogleich seine groben Kleider abzulegen, in welche sich der junge Mann, nicht ohne einige Zeichen des Widerwillens zu verrathen, zu hüllen anfing.

In dem Benehmen des Hausirers lag ein wunderliches Gemisch von Besorgniß und Laune; erstere war das Ergebniß einer vollkommenen Vertrautheit mit der ganzen Größe der Gefahr, wie auch der Kenntniß derjenigen Mittel, durch welche sie vermieden werden konnte; letztere entsprang aus der unvermeidlichen Lächerlichkeit der Umstände, verbunden mit jener Gleichgültigkeit, welche die Frucht der Erfahrung und einer vielfältigen Bekanntschaft mit derartigen Scenen war.

»Da, Capitän,« sagte er, indem er einige Hände voll Wolle zum Vorschein brachte, und Cäsars Strümpfe, welche sich bereits an den Beinen des Gefangenen befanden, auszustopfen begann. »Es gehört Umsicht dazu, um diesem Gliede die gehörige Form zu geben. Sie werden Gelegenheit haben, es auf dem Pferde sehen zu lassen, und diese Dragoner aus dem Süden sind an die Säbelbeine zu gewöhnt, um nicht gleich aus Ihrer wohlgeformten Wade merken zu können, daß sie nie dem Leibe eines Schwarzen angehörte.«

»Prächtig!« sagte Cäsar mit einem, von einem Ohre bis zum andern grinsenden Munde, »Massa Harry's Hosen mir gut sitzen.«

»Bis auf das Bein,« versetzte der Hausirer und machte ruhig in der Beschickung der Toilette fort. »Ziehen Sie jetzt den Rock darüber an. Auf mein Wort, Sie würden sich ganz artig auf einem Maskenball ausnehmen. Nun kömmt die Reihe an Dich, Cäsar. Setze diese wohlgepuderte Perücke auf und nimm Dich in Acht. Sieh zum Fenster hinaus, wenn die Thüre aufgeht, und sprich nicht, um keinen Preis, sonst verräthst Du alles.«

»Harvey nicht brauchen zu denken, ein farbig Mann nicht haben Zunge wie andere Menschen,« brummte der Schwarze und nahm die ihm angewiesene Stellung ein.

Alles war nun zum Handeln vorbereitet, und der Hausirer schärfte den beiden Mitspielern noch einmal ernstlich ihre Rollen ein. Er beschwor den Capitän, seine aufrechte militärische Haltung zu verleugnen und vor der Hand sich zu dem demüthigen Gang von seines Vaters Neger zu bequemen: Cäsarn dagegen empfahl er angelegentlichst, zu schweigen, und seine Verkleidung, so lange es nur immer möglich sey, beizubehalten. Nach diesen Vorkehrungen öffnete er die Thüre und rief mit lauter Stimme nach der Schildwache, welche sich an das entfernteste Ende des Ganges zurückgezogen hatte, um ja keinen Theil von den salbungsvollen Tröstungen wegzukriegen, welche seiner Meinung nach das ausschließliche Eigenthum eines Andern waren.

»Laß die Frau des Hauses herbeirufen,« sagte Harvey in dem feierlichen Tone seines angenommenen Charakters; »sie soll aber allein kommen. Der Gefangene ist jetzt in einem heilsamen Zuge erbaulicher Gedanken und darf nicht in seiner Andacht gestört werden.«

Cäsar hatte das Gesicht auf seine Hände sinken lassen, und als der Soldat in's Zimmer sah, kam es ihm vor, als ob der ihm anvertraute Gefangene in ernste Selbstbetrachtung vertieft sey.

Er warf einen Blick stolzer Verachtung auf den Geistlichen, und rief laut nach der dienstfertigen Besitzerin des Hauses.

Diese beeilte sich, der Aufforderung im größten Eifer Folge zu leisten, da sie die geheime Hoffnung nährte, Zeugin der salbungsvollen Worte an einen sich zum Tode vorbereitenden reuigen Sünder seyn zu dürfen.

»Schwester,« sagte der Mann Gottes mit dem würdevollen Tone des Lehrers, »hast Du das Buch im Hause des christlichen Verbrechers letzte Augenblicke, oder Gedanken an die Ewigkeit für solche, die eines gewaltsamen Todes sterben?«

»Ich habe nie etwas von diesem Buche gehört!« sagte die Matrone verwundert.

»Wohl möglich; es gibt noch viele Bücher, von denen Du nichts gehört hast. Aber der arme Reuige bedarf unumgänglich der in diesem Werke enthaltenen Tröstungen, um im Frieden heimfahren zu können. Eine Stunde darin zu lesen, ist mehr werth, als die Predigten eines ganzen Menschenlebens.«

»Guter Gott! wer einen solchen Schatz besäße! – Wann kam es heraus?«

»Es wurde zuerst in Genf in griechischer Sprache herausgegeben, und erschien dann zu Boston in einer Uebersetzung. Es ist ein Buch, Weib, das in den Händen eines jeden Christen seyn sollte, besonders in den Händen solcher, deren Bestimmung ist, an dem Galgen zu sterben. Man lasse sogleich ein Pferd für diesen Schwarzen da zurüsten, daß er mich zu meinem Bruder begleiten kann – und ich will die Schrift noch in guter Zeit herschicken. – Bruder, sammle Deinen Geist; Du bist nun auf dem schmalen Pfade zur ewigen Glorie.«

Cäsar bewegte sich ein wenig aus seinem Stuhle, blieb jedoch soweit in seiner Rolle, daß er das Gesicht mit den Händen, die mit Handschuhen versehen waren, bedeckt hielt. Die Frau des Hauses entfernte sich, um dieser höchst billigen Aufforderung zu entsprechen, und die Gruppe der Verschworenen blieb wieder allein.

»Nun, das ging gut,« sagte der Hausirer; »aber die Hauptsache ist, den Officier, der die Wache commandirt, zu überlisten. Er ist Lawton's Lieutenant und hat Einiges von der Schlauheit seines Rittmeisters in solchen Angelegenheiten gelernt. Bedenken Sie, Capitän Wharton,« fuhr er mit einem gewissen Stolze fort, »daß jetzt der Zeitpunkt da ist, wo Alles von unserer Besonnenheit abhängt.«

»Mein Schicksal kann sich nicht um viel verschlimmern, mein würdiger Gefährte,« sagte Heinrich, »aber um Euretwillen will ich allem aufbieten, was in meinen Kräften liegt.«

»Und was könnte meine verlassene und verfolgte Lage elender machen?« sagte der Hausirer in der wilden und unzusammenhängenden Weise, welche hin und wieder an ihm bemerkt werden konnte. »Aber ich habe es Einem versprochen, Sie zu retten, und diesem habe ich noch nie mein Wort gebrochen.«

»Und wer wäre dieß?« fragte Heinrich mit erweckter Neugierde.

»Niemand.«

Nach einer kleinen Weile erschien ein Mann mit der Nachricht, daß die Pferde an der Thüre bereit seyen. Harvey winkte dem Capitän mit den Augen und ging voran, die Treppe hinab, nachdem er vorher der Hausfrau eingeschärft hatte, den Gefangenen allein zu lassen, damit er die heilsame Nahrung, welche er eben empfangen hätte, gehörig verdauen könne.

Das Gerücht von dem seltsamen Charakter des Geistlichen hatte sich durch die Schildwache an der Thüre von Heinrichs Zimmer unter den übrigen Dragonern verbreitet; und als Harvey und der Capitän den Vorplatz des Hauses erreichten, trafen sie auf ein Dutzend müßiger Soldaten, welche die löbliche Absicht hegten, den Eiferer zu necken, und zu diesem Ende sich um die Pferde versammelt hatten, als ob sie die Eigenschaften dieser Thiere bewunderten.

»Ein schöner Gaul!« sagte der Erfinder dieses unseligen Planes; »nur ein wenig leibarm: ich denke, das kommt von der harten Arbeit in Euerm Beruf.«

»Mein Beruf ist allerdings beschwerlich, sowohl für mich, als für dieses treue Thier; doch wird seiner Zeit auch der Tag der Ruhe kommen, der mich für alle meine sauern Gänge belohnen wird,« sagte Birch, indem er den Fuß in den Steigbügel setzte und sich zum Aufsitzen anschickte.

»So arbeitet Ihr also auch um Lohn, wie wir darum fechten?« rief ein anderer von der Truppe.

»Natürlich – ist nicht der Arbeiter seines Lohnes Werth?«

»Kommt und thut, als ob Ihr uns ein bischen predigtet; wir haben gerade freie Zeit, und man kann nicht wissen, wie viel Gutes ein Paar Worte bei einem Haufen Verworfener, wie wir sind, auszurichten vermögen. Da, steigt auf diesen Block hinauf, und wählt den Text, woher Ihr wollt.«

Die Soldaten sammelten sich nun in lustigem Getümmel um den Krämer; welcher, mit einem nachdrücklichen Augenwinke zu dem bereits auf dem Pferde sitzenden Capitän, erwiederte:

»Gerne; denn es gehört zu meinen Dienstpflichten. Cäsar; Du kannst einstweilen vorausreiten und das Schreiben abgeben – der unglückliche Gefangene ist des Buches benöthigt und seine Stunden sind gezählt.«

»Ja, ja, geh' nur, Cäsar und hole das Buch,« rief ein halbes Dutzend Stimmen und die Dragoner drängten sich ungeduldig um den vorgeblichen Priester, von dem sie sich eines köstlichen Spaßes versahen.

Der Hausirer fürchtete im Geheim, daß durch das nicht allzuhöfliche Verfahren mit ihm und seinen Kleidern der Hut und die Perücke verschoben werden möchten, wodurch nothwendig eine Entdeckung herbeigeführt werden mußte, und bequemte sich deßhalb nur ungern, ihrer Aufforderung zu entsprechen. Er bestieg den Block, räusperte sich ein paarmal, warf einen Blick auf den Capitän, der sich noch immer nicht von der Stelle bewegte, und begann folgendermaaßen:

»Ich muß, meine lieben Brüder, Eure Aufmerksamkeit an die Stelle der Schrift verweisen, welche Ihr im zweiten Buche Samuelis finden werdet, und die in folgenden Worten dort geschrieben steht: – ›Und der König klagte um Abner und sprach: Abner ist nicht gestorben wie ein Thor stirbt; deine Hände sind nicht gebunden, deine Füße sind nicht in Fesseln gesetzt; du bist gefallen, wie man vor bösen Buben fällt. Da beweinete ihn alles Volk noch mehr. Cäsar, reite zu, sage ich, und bringe das Buch, wie Dir befohlen ist, denn die Seele Deines Herrn schmachtet nach der Himmelskost, welche es ihm bietet.«

»Ein herrlicher Text!« riefen die Dragoner, »macht fort – macht fort – laßt den Schneemann dableiben, er kann eben so gut Erbauung brauchen, als ein anderer.«

»Was macht Ihr da, Ihr Schlingel?« rief Lieutenant Mason, der von einem Spaziergange zurückkam, den er gemacht hatte, um sich durch die Abendparade des Milizenregiments belustigen zu lassen; »fort mit Euch; Marsch in Eure Quartiere – ich hoffe, daß jedes Pferd sauber ist und seine gehörige Streu hat, wenn ich die Runde mache.«

Der Ton der Stimme des Officiers wirkte wie ein Zauber, und kein Priester hätte eine ruhigere Versammlung finden können, obgleich er vielleicht eine zahlreichere gewünscht hätte, denn bei Mason's Worten war im Augenblick alles bis auf Cäsars Abbild verstoben. Der Hausirer benützte diese Gelegenheit, um auf's Pferd zu steigen, wobei er jedoch in seinen Bewegungen immer noch die nöthige Würde behaupten mußte; denn die Bemerkungen der Soldaten über den Zustand ihrer Pferde waren nur zu richtig, und es standen ein Dutzend Dragonerpferde gesattelt und gezäumt bereit, bei dem leichtesten Verdacht ihre Reiter aufzunehmen.

»Nun, alter Herr,« sagte Mason, »habt Ihr den armen Burschen da drinnen aufgezäumt, daß er seinen letzten Ritt unter geistlichem Zügel machen kann?«

»Deine Rede ist vom Uebel, unheiliger Mann,« rief der Priester mit erhobenen Händen, indem er die Augen voll heiligen Entsetzens gen Himmel richtete; »und so will ich jetzt unbeschädigt von Dir ziehen, wie Daniel vor den Zähnen der Löwen bewahrt blieb.«

»Fort mit Dir, Du heuchlerischer, psalmodirender, plärrender Schuft in Pfaffentracht,« erwiedert Mason verächtlich. »Bei Washington's Leben! es liegt einem ehrlichen Burschen schwer im Magen, wenn er sehen muß, daß solche gefräßige Bestien ein Land verheeren, für das er sein Blut vergießt. Wenn ich Dich nur eine Viertelstunde in einer Virginischen Pflanzung hätte, so wollte ich Dich lehren, mit den Truthühnern die Würmer vom Tabak zu lesen.«

»Ich verlasse Dich und schüttle den Staub von meinen Schuhen, damit kein Ueberbleibsel von dieser Höhle der Gottlosigkeit das Gewand des Gerechten verunreinige.«

»Mache, daß Du fortkömmst, oder ich will Dir den Staub aus dem Wamse klopfen, Du heuchlerischer Schuft! Solch ein Kerl will meinen Leuten predigen! Der Hollister setzt ihnen schon genug Flöhe in's Ohr mit seinen Ermahnungen; die Schurken werden mir nach gerade so gewissenhaft, daß sie mir keinen Hieb mehr führen wollen, der nur die Haut ritzt. Doch halt! wo willst denn Du hin, Meister Schwarzhaut in so heiliger Gesellschaft?«

»Er ist ausgeschickt,« erwiederte der Geistliche, indem er hastig für seinen Begleiter das Wort nahm, – »um ein Buch zu holen, in welchem der sündige junge Mensch da droben viel Trost und Erbauung finden kann, und das seine Seele in kurzer Zeit so weiß machen wird, als seine Außenseite schwarz und unscheinbar ist. Willst Du einem Sterbenden die Tröstungen der Religion entziehen?«

»Nein, nein, das Loos des armen Burschen ist ohnehin schlimm genug. – Seine gezierte Tante hat uns mit einem prächtigen Frühstück bewirthet. Aber höre, Meister Mysticus, wenn der Junge secundum artem sterben soll, so überlasse ihn der Leitung eines ehrlichen Mannes, und ich rathe Dir, daß Du nie wieder Dein schlotterndes Gerippe unter uns blicken läßt, oder ich lasse Dir den Ueberzug abstreifen und schicke Dich nackend in's Weite.«

»Fluch über Dich, Du Spötter und Verächter der Gnade!« rief Birch und ritt langsam unter gehöriger Beobachtung des priesterlichen Anstandes seiner Wege, wobei der angebliche Cäsar ihm folgte; »doch ich gehe fort von Dir, und hinter mir wird Deine Verdammniß liegen. Ich freue mich von ganzem Herzen, von Dir befreit zu seyn.«

»Gott verdamme ihn,« brummte der Reiter, »der Kerl sitzt auf der Mähre wie ein Pfahl und streckt die Beine hinaus, wie die Ecken seines Huts. Ich wollte, ich hätte ihn im Thal drunten, wo man's mit dem Gesetz nicht so genau nimmt; er sollte mir –«

»Corporal von der Wache! – Corporal von der Wache!« schrie die Schildwache in der Hausflur; »Corporal von der Wache! – Corporal von der Wache!«

Der Lieutenant flog die schmale Treppe hinan, welche zu dem Zimmer des Gefangenen führte und fragte, was das Rufen zu bedeuten habe.

Der Soldat stand an der offenen Thüre des Zimmers und blickte argwöhnisch nach dem angeblichen brittischen Officiere. Als er seinen Vorgesetzten bemerkte, trat er salutirend zurück und erwiederte in einiger Verwirrung:

»Ich weiß nicht, Sir, aber der Gefangene sah eben gar wunderlich aus. Seit ihn der Prediger verlassen hat, kommt er mir nicht mehr wie sonst vor – aber« – er blickte dabei über die Schulter des Lieutenants – »er muß es am Ende doch seyn! Es ist derselbe gepuderte Kopf, und der gestopfte Riß im Rock, wo er an dem Tage des letzten Gefechts mit dem Feinde einen Hieb bekam.«

»Und Du machst einen solchen Lärm, Kerl, weil Du zweifelst, ob der arme Mann Dein Gefangener sey oder nicht? Wer, zum Teufel, sollte es denn sonst seyn?«

»Das weiß ich freilich nicht,« erwiederte der Soldat verdrießlich, »aber wenn er es ist, so ist er kürzer und dicker geworden, und sehen Sie nur selbst, Sir – er klappert am ganzen Leibe zusammen, als ob er das kalte Fieber hätte.«

Das Letztere war nur zu wahr. Cäsar hörte dieser kurzen Besprechung mit einer wahren Todesangst zu, und obgleich er über das glückliche Entrinnen seines jungen Herrn höchlich erfreut war, so richteten sich doch natürlicher Weise seine gegenwärtigen Gedanken auf die Folgen dieser Flucht für seine eigene Person. Die Pause, welche auf die letzte Bemerkung der Schildwache folgte, trug keineswegs dazu bei, ihn wieder zu ermuthigen. Lieutenant Mason war beschäftigt, sich mit eigenen Augen von diesen verdächtigen Erscheinungen zu überzeugen, was Cäsar durch eine Oeffnung, die er unter einem seiner Arme ausdrücklich zum Zwecke des Recognoscirens gebildet hatte, gewahr werden konnte. Capitän Lawton würde die Täuschung im Augenblicke entdeckt haben, aber Mason besaß nicht das geübte Auge seines Oberen. Er wandte sich verächtlich zu dem Soldaten und bemerkte mit leiser Stimme:

»Der Wiedertäufer, der Methodist, der Quäcker, der psalmodirende Schuft hat den Jungen mit seinem Flammen- und Schwefelpfuhl eingeängstigt. Ich will ein wenig hineingehen und ihn durch ein vernünftiges Gespräch erheitern.«

»Ich habe wohl sagen hören, daß die Furcht einen weiß machen könne,« sagte der Soldat, indem er sich scheu zurückzog und nach dem Gefangenen hinstierte, als ob ihm die Augen aus den Höhlen springen wollten; »aber den königlichen Capitän hat sie zu einem Schwarzen gemacht!«

Das Wahre an der Sache war, daß Cäsar, welcher die leisen Worte Masons nicht verstehen konnte und durch die übrigen Umstände schon zur Genüge abgeängstigt war, unvorsichtiger Weise, um besser hören zu können, die Perücke vom Ohr schob, ohne im mindesten zu bedenken, daß die schwarze Farbe desselben nothwendig eine Entdeckung der Verkappung herbeiführen mußte. Die Schildwache hatte kein Auge von dem Gefangenen verwendet und war sogleich dieses verrätherischen Organs ansichtig geworden. Mason richtete seine Aufmerksamkeit gleichfalls augenblicklich auf diese Erscheinung, und alle Rücksichten für einen unglücklichen Kameraden vergessend, oder vielmehr an nichts als an die Rüge denkend, welche sein Corps treffen konnte, sprang er vorwärts und packte den erschreckten Afrikaner an der Kehle; denn Cäsar hatte kaum seine Farbe nennen hören, als ihm auch schon die Entdeckung wie entschieden vorkam, und bei dem ersten Tone von Masons schweren Stiefeln auf dem Boden erhob er sich von seinem Stuhle, um sich in aller Hast in irgend einen Winkel des Zimmers zu verkriechen.

»Wer bist, Du?« schrie Mason und stieß den Kopf des alten Mannes bei jeder Frage gegen die Wandecke, »wer Teufels bist Du, und wo ist der Engländer? Sprich, Du Donnerwetterskerl! Antworte mir, Du Dohlengesicht, oder ich lasse Dich an den Galgen des Spions hängen.«

Cäsar blieb standhaft. Weder die Drohungen noch die Stöße waren im Stande, eine Antwort aus ihm herauszupressen, bis der Lieutenant eine sehr nahe liegende Veränderung des Angriffs vornahm und seinem schweren Stiefel eine Richtung gab, welche denselben in eine sehr genaue Berührung mit dem empfindlichsten Theile des Negers, nämlich seinem Schienbeine, brachte. Das verstockteste Herz hätte eine solche Bearbeitung nicht länger in Geduld hingenommen, und auch Cäsar gab jetzt weich. Die ersten Worte, welche er vernehmen ließ, lauteten:

»Ach, Massa, Ihr denken, ich haben kein Gefühl!«

»Beim Himmel!« brüllte der Lieutenant, »es ist der Neger selbst! Spitzbube, wo ist Dein Herr, und wer war der Pfaffe?«

Bei diesen Worten machte er eine Bewegung, als ob er den Angriff erneuen wolle; aber Cäsar schrie laut um Gnade und versprach, Alles zu erzählen, was er wisse.

»Wer war der Pfaffe?« wiederholte der Dragoner, indem er mit dem schrecklichen Stiefel ausholte und ihn in drohender Schwebe erhielt.

»Harvey, Harvey!« schrie Cäsar und hüpfte von einem Beine auf's andere, je nachdem er eines oder das andere dieser Glieder dem Angriffe bloß gestellt erachtete.

»Was für ein Harvey, Du schwarzer Hallunke?« rief der ungeduldige Lieutenant, indem er mit tüchtigen Stiefelstößen in vollem Maße Rache nahm.

»Birch!« winselte Cäsar und sank in die Beine, wobei die Thränen in großen Tropfen über sein glänzendes Gesicht rannen.

»Harvey Birch!« wiederholte der Reiter, indem er den Schwarzen an die Wand fliegen ließ und aus dem Zimmer rannte. »Zu den Waffen! zu den Waffen! fünfzig Guineen für den Kopf des Krämerspions! – Gebt keinen Pardon! Aufgesessen, aufgesessen! Zu den Waffen! Zu Pferde!«

Während des Lärmens, der durch das Zusammeneilen der Dragoner und das Rennen nach den Pferden veranlaßt wurde, erhob sich Cäsar wieder von dem Boden und fing an, seine Beschädigungen zu untersuchen. Zu seinem Glücke hatte er den Kopf geduckt und daher keinen wesentlichen Schaden genommen.

 


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