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Vierzehntes Kapitel.

Nie seh' ich wieder um die Schläfen flocken
Des theuren Hauptes dünne Silberlocken:
Der Demuthsblick in des Gebetes Stunden,
Voll Glaubensmuth, voll Stärke, ist verschwunden.
Doch er ist selig! klage nicht mehr, Herz,
Und trag' in stiller Armuth deinen Schmerz.

Crabbe.

 

Wir haben bereits gesagt, daß die Sitten der Amerikaner nur einen kurzen Aufenthalt in dem Trauerhause gestatten, und die Nothwendigkeit, für seine Sicherheit zu sorgen, hatte den Krämer genöthigt, sogar diese kleine Frist noch abzukürzen. In der Verwirrung und Aufregung der in den früheren Kapiteln beschriebenen Ereignisse war der Tod des alten Birch unbeachtet geblieben; demungeachtet wurde aber eine hinreichende Anzahl der nächsten Nachbarn zusammengebracht, um den Hingeschiedenen mit den üblichen Feierlichkeiten zur letzten Ruhestätte zu bringen. Die Annäherung dieses kleinen Leichenzugs hatte die Bewegung des Rittmeisters und seines Kameraden angehalten. Vier Männer trugen den rohgearbeiteten Sarg, und vier andere gingen voraus, um gelegentlich ihre Freunde abzulösen. Der Hausirer kam unmittelbar hinter der Bahre, und ihm zur Seite ging Katy Haynes in tiefster Betrübniß. Den Leidtragenden folgte Herr Wharton und der englische Capitän. Zwei oder drei alte Männer und Frauen mit etlichen nachzügelnden Knaben schloßen den Zug. Capitän Lawton saß mit dumpfem Schweigen im Sattel, bis die Träger an ihm vorbei waren. Da erhob Harvey zum erstenmal den zur Erde gesenkten Blick und sah den gefürchteten Feind in seiner unmittelbaren Nähe. Der erste Eindruck des Krämers war der der Flucht; aber schnell sammelte er sich wieder, richtete das Auge auf den Sarg seines Vaters und ging mit festen Schritten, aber mit klopfendem Herzen an dem Dragoner vorbei. Der Rittmeister nahm langsam den Hut ab und blieb mit unbedecktem Haupte, bis Herr Wharton und sein Sohn vorüber waren, worauf er, von dem Wundarzt begleitet, in tiefem Schweigen gemächlich hinter dem Zuge herritt.

Cäsar kam aus der Kellerküche des Landhauses und schloß sich mit einem ernsten und feierlichen Gesichte dem Leichenbegängnisse an, obgleich er sich dabei in respektvoller Entfernung von den Reitern hielt, die er mit scheuen Blicken maß. Der alte Neger hatte sich um den Arm, ein wenig über dem Ellenbogen, ein blendend weißes Tellertuch gebunden, denn es war das erstemal seit der Abreise aus der Stadt, daß er Gelegenheit hatte, sich in dem Traueraufzuge eines Sclaven zu zeigen. Er war ein großer Verehrer des Anstandes und mochte zu seinem gegenwärtigen Gepränge theilweise wohl durch den Wunsch veranlaßt worden seyn, den schwarzen Freund aus Georgien mit allen Förmlichkeiten eines Leichenbegängnisses von New-York bekannt zu machen. Die Entfaltung seines Eifers ließ sich gut an und hatte bei seiner Rückkehr nichts Weiteres, als eine milde Zurechtweisung über das Ungeeignete seines Benehmens von Seite der Miß Peyton zur Folge. Gegen die Begleitung des Leichenzugs ließ sich zwar nichts einwenden, aber das Umbinden des Tellertuchs erschien als eine überflüssige Zeremonie bei der Bestattung eines Mannes, der während seines Lebens keines Dieners bedurft und sich die Verrichtungen eines solchen immer selbst geleistet hatte.

Der Kirchhof lag auf dem Besitzthume des Herrn Wharton, und war von diesem Herrn einige Jahre vorher zu diesem Zwecke ausgezeichnet und mit Steinwällen umgeben worden. Er war jedoch nicht zum Begräbnißplatze für seine eigene Familie bestimmt. Ehe die Feuersbrunst, welche ausbrach, als die brittischen Truppen von New-York Besitz ergriffen – Trinity in Asche legte, verkündigte dort ein gut vergoldetes Täfelchen in der Mauer die Tugenden seiner hingeschiedenen Eltern, und in einem Flügel der Kirche moderten unter marmornen Denkmalen ihre Gebeine in aristokratischer Ruhe. Capitän Lawton machte, als der Leichenzug von der Straße gegen die Ruhestätte der Todten einlenkte, eine Bewegung, als ob er ihm folgen wolle; ein Wink von seinem Gefährten machte ihn jedoch aufmerksam, daß er einen falschen Weg einschlage.

»Welcher von den verschiedenen üblichen Methoden, die sterblichen Reste eines Menschen zur Ruhe zu bringen, geben Sie den Vorzug, Capitän Lawton,« sagte der Wundarzt, als sie sich von der kleinen Procession trennten. »In einigen Ländern gibt man sie den Thieren preis, in andern hängt man sie in der Luft auf, um sie auf dem Wege der luftigen Zersetzung in ihre Urelemente aufzulösen; dort schichtet man Holzhaufen auf, um den Leichnam im Feuer zu verzehren, und da gräbt man ihn in den Schooß der Erde; jedes Volk hat seine eigentümliche Weise. Welcher geben Sie nun den Vorzug?«

»Es kömmt wohl bei allen auf Eines heraus,« sagte der Reiter, indem er dem Zuge mit den Augen folgte, »obwohl schleunige Beerdigung wohl das reinste Feld macht. Welche sagt Ihnen am meisten zu?«

»Diejenige, welche bei uns üblich ist, denn die andern drei lassen keine Section zu. Bei dieser kann der Sarg in anständiger Ruhe liegen bleiben, während die Ueberreste der Wissenschaft zu nützlichen Zwecken dienen. Ach, Capitän Lawton, ich dachte mir's nicht, als ich zur Armee kam, daß ich beziehungsweise nur so wenige Gelegenheit zu einem derartigen Geschäft finden würde.«

»Wie oft im Jahre mag Ihnen dieses Vergnügen wohl zu Theil werden?« sagte der Capitän, indem er den Blick von dem Kirchhof abwandte.

»Etwa ein Dutzendmal, auf Ehre! Meine beste Lese ist, wenn das Corps abgesondert operirt; denn wenn wir bei der Hauptarmee sind, müssen so viele junge Bursche befriedigt werden, daß selten ein gutes Subject an mich kommt. Diese Neulinge schneiden schrecklich verschwenderisch d'rauf los und sind so gierig wie die Geier.«

»Ein Dutzendmal?« wiederholte der Reiter erstaunt, »so viel erhalten Sie ja nur von meinen Händen.«

»Ach, Jack!« erwiederte der Doctor, indem er den Gegenstand mit zarter Umsicht näher zu rücken suchte, »ich kann selten etwas mit Ihren Patienten anfangen; Sie verunstalten sie auf eine fürchterliche Weise. Glauben Sie mir, John, ich sage es Ihnen als Freund, Ihr System taugt durchaus nichts. Sie zerstören das Leben auf eine unnöthige Weise und verstümmeln den Körper so, daß er zu dem einzigen Gebrauch, den man von einem Todten noch machen kann, verdorben ist.«

Der Reiter schwieg, weil er dieß für das sicherste Mittel hielt, den gegenseitigen Frieden aufrecht zu erhalten, und der Wundarzt, welcher noch einen Blick nach dem Begräbnißplatze zurückwarf, ehe sie um den Hügel hinumritten, der die Aussicht nach dem Thale schloß, fuhr mit einem unterdrückten Seufzer fort:

»Nächtlicher Weile ließe sich wohl die Leiche eines natürlich Verstorbenen von jenem Kirchhofe wegholen, wenn man nur Zeit und Gelegenheit dazu hätte. Der Patient war wohl der Vater der Frau, welche wir diesen Morgen sahen?«

»Sie meinen den Schürzen-Doctor – die Dame mit dem Gesicht der Aurora borealis?« sagte der Reiter mit einem Lächeln, das seinem Gefährten einiges Unbehagen zu verursachen begann. »Nein, das Frauenzimmer war nicht die Tochter des Verstorbenen, sondern nur seine schürzendocternde Wärterin; und Harvey, dessen Name den beharrlichen Refrain ihres Liedes ausmachte, ist niemand anders, als der berüchtigte Krämerspion.«

»Was? derselbe, der Sie aus dem Sattel hob?«

»Niemand hat mich je aus dem Sattel gehoben, Doctor Sitgreaves,« sagte der Dragoner ernst. »Ich fiel durch einen Fehltritt meines Rothschimmels, und Reiter und Roß küßten mit einander die Erde.«

»Eine brünstige Umarmung, denn Sie tragen die Liebesmale noch auf Ihrer Haut. Aber's ist doch Jammerschade, daß Sie nicht ausfindig machen können, wo der ausplaudernde Schuft verborgen liegt.«

»Er ging hinter der Leiche seines Vaters her.«

»Und Sie haben ihn passiren lassen?« rief der Wundarzt, indem er sein Pferd anhielt. »Laßt uns Augenblicks umkehren und ihn fest nehmen! Morgen können Sie ihn hängen sehen, und dann, Gott verdamme ihn – dann will ich ihn seciren.«

»Sachte, sachte, mein lieber Archibald! Wollen Sie einen Mann anhalten, während er seinem Vater die letzte Liebespflicht erweist? Ueberlassen Sie ihn mir und ich setze meinen Kopf zum Pfand, es soll ihm sein Recht werden.«

Der Doctor murrte unzufrieden über den Aufschub der Vergeltung, doch mußte er aus Achtung für den Anstand sich beruhigen. Sie setzten ihren Ritt nach den Quartieren des Korps fort, wobei sie sich noch in verschiedenen Streitfragen über die geeignetste Behandlung eines menschlichen Leichnams ergingen.

Birch behielt das ernste und gefaßte Benehmen bei, welches einem männlichen Leidtragenden bei solchen Gelegenheiten ziemt, und Katy blieb es überlassen, die zärtlichere Trauer ihres Geschlechtes an den Tag zu legen. Es gibt Menschen, deren Gefühle so beschaffen sind, daß sie nur in geeigneter Gesellschaft weinen können, und der Jungfrau war ein großer Antheil von dieser geselligen Tugend zugemessen. Sie warf ihre Blicke rund auf die kleine Versammlung, und als sie bemerkte, daß sich alle Gesichter der wenigen anwesenden Weiber in feierlicher Erwartung auf sie richteten, war auch im Augenblick die entsprechende Wirkung da. Die Jungfer begann allen Ernstes zu weinen und erregte dadurch bei den Zuschauern eine nicht unbeträchtliche Theilnahme und große Achtung gegen die Zartheit ihres Herzens. Man sah die Muskeln des Hausirers sich bewegen, und als die erste Schaufel Erde mit dem dumpfen hohlen Tone, welcher so beredt die Sterblichkeit des Menschen verkündet, auf die letzte Behausung seines Vaters fiel, wurde sein ganzer Körper einen Augenblick von convulsivischen Zuckungen ergriffen. Er beugte sich, vom Schmerz zerrissen nieder: die Finger arbeiteten, während die Arme leblos herunterhingen und in seinem Gesichte lag ein Ausdruck, der das Ringen seiner Seele verkündete. Bald hatte er jedoch die vorübergehende Empfindung bewältigt. Er erhob sich wieder, schöpfte tief Athem, blickte mit erhobenem Antlitz um sich und schien in dem Bewußtseyn, sich selbst bezwungen zu haben, zu lächeln. Das Grab ward bald zugeworfen. Ein roher Stein wurde an beiden Enden aufgerichtet, um die Stelle zu bezeichnen, und der Rasen, dessen welke Vegetation ein Bild der Erdenschicksale des Verblichenen gab, deckte bald den kleinen Hügel – der letzte Dienst der Liebe! Als alles vorbei war, zogen die Nachbarn, welche sich theilnehmend der Uebung dieser ernsten Pflicht unterzogen hatten, ihre Hüte und blickten auf den trauernden Sohn, welcher sich jetzt wirklich ganz einsam auf der Welt fühlte. Der Krämer entblößte gleichfalls sein Haupt, zögerte einen Augenblick, um sich zu sammeln, und begann dann zu sprechen.

»Freunde und Nachbarn,« sagte er, »Ich danke Euch für Euren Beistand bei dem Begräbnisse eines theuren Todten, der jetzt für immer meinen Augen entrückt ist.«

Eine feierliche Pause folgte dieser üblichen Anrede. Die Gruppe zerstreute sich schweigend, und nur wenige begleiteten die Leidtragenden bis zum Trauerhause, an dessen Schwelle sie sich achtungsvoll verabschiedeten. Nur ein Mann folgte Katy und dem Krämer ins Innere der Wohnung – er war in der ganzen Gegend unter dem bezeichnenden Namen »der Speculant,« bekannt. Katy sah ihn mit klopfendem Herzen und unter bangen Ahnungen in's Haus treten, aber Harvey bot ihm höflich einen Stuhl und schien auf diesen Besuch vorbereitet zu seyn.

Der Hausirer ging zu der Thüre, sah sich vorsichtig im Thale um, kehrte dann schnell zurück, und begann das folgende Gespräch:

»Die Sonne senkt sich bereits zum Untergange. Meine Zeit ist drängend. Hier ist die Verschreibung über Haus und Hof; alles ist in der gesetzlichen Form abgemacht.«

Der Andere nahm das Papier und studirte den Inhalt desselben mit einer Bedächtlichkeit, welche zum Theil in seiner Vorsicht und zum Theil in dem unglücklichen Umstande ihren Grund hatte, daß seine Jugenderziehung sehr vernachlässigt worden war. Die Zeit dieser langweiligen Prüfung benützte Harvey, um einige Gegenstände zusammenzuraffen, welche er nebst anderen Vorräthen aus der Hütte mit sich nehmen wollte. Katy hatte bereits den Hausirer gefragt, ob der Todte ein Testament hinterlassen habe, und betrachtete daher die Bibel, die zu unterst in einem neuen Pack lag, welchen sie zu seiner Bequemlichkeit zugerichtet hatte, mit der rücksichtsvollsten Gleichgültigkeit; als aber nun die sechs silbernen Löffel sorgfältig beigepackt wurden, erwachte in ihr das Gefühl, sich einer so handgreiflichen Nichtachtung ihrer Ansprüche entgegenzustellen, und sie brach ihr Schweigen.

»Wenn Ihr heirathet, Harvey, so könnt Ihr diese Löffel wohl entbehren.«

»Ich werde nie heirathen.«

»Nun wenn Ihr das gegenwärtig auch nicht im Sinne habt, so ist doch jetzt keine Zeit, nicht einmal für Euch, solche rasche Gelübde zu thun. Man kann nicht wissen, was selbst in Eurer Lage noch geschehen kann. Aber ich möchte doch wissen, was einem einzelnen Mann so viele Löffel nützen können. Ich für meinen Theil halte es für die Pflicht eines jeden Mannes, der sein gutes Auskommen hat, daß er ein Weib und eine Familie ernähre.«

Zu der Zeit, als Katy in solcher Weise ihren Gefühlen Luft machte, bestand das Vermögen von Weibern ihrer Klasse in einer Kuh, einem Bette, den Arbeiten ihrer Hände in der Form verschiedener Kissenüberzüge, Bettüberwürfe, Leintücher, und wenn's recht gut ging, in dem Besitz von einem halben Dutzend silberner Löffel. Die Haushälterin hatte sich durch Fleiß und Klugheit die ersteren Erfordernisse angeeignet, und man kann sich leicht vorstellen, daß sie Gegenstände, die sie so lange schon als ihr Eigenthum betrachtet hatte, in dem ungeheuern Packe mit einer Unzufriedenheit verschwinden sah, welche durch die dem Handgriffe vorangehende Erklärung keineswegs gemindert wurde. Harvey nahm jedoch keine Rücksicht auf ihre Meinungen und Gefühle, sondern fuhr fort, den Sack zu füllen, bis er fast wieder zu der Größe seiner gewöhnlichen Last angewachsen war.

»Ich bin doch ein wenig ängstlich wegen dieser Uebertragung,« sagte der Käufer, nachdem er sich endlich durch die Artikel des Vertrages durchgearbeitet hatte.

»Warum das?«

»Ich fürchte, sie möchte vor dem Gerichte nicht gelten. Ich weiß, daß morgen zwei aus der Nachbarschaft hingehen, um auf Confiscation anzutragen, und wenn ich vierzig Pfund für das Anwesen gäbe, und alles verlieren müßte – es wäre ein Todesstoß für mich.«

»Sie können nur nehmen, was mein ist,« sagte der Hausirer. »Zahlt mir zweihundert Dollars, und das Haus ist Euer. Ihr seyd zu gut als Whig bekannt, als daß Ihr nur die mindeste Beunruhigung zu fürchten haben könntet.«

Während Harvey diese Worte sprach, drückte sich eine ungewöhnliche Bitterkeit, gemischt mit der schlauen Sorge für den Verkauf seines Eigenthums, in seinem Benehmen aus.

»Sagt hundert, und der Handel ist geschlossen,« erwiderte der Mann mit einem Grinsen, das für ein gutmüthiges Lächeln gelten sollte.

»Der Handel geschlossen?« wiederholte der Krämer erstaunt, »ich dächte, das sey schon vorher geschehen.«

»Ein Kauf gilt erst dann,« erwiederte der Andere kichernd, »wenn die Papiere ausgeliefert sind und der Kaufschilling auf dem Tisch liegt.«

»Ihr habt die Abtretung.«

»Ja, und ich will sie behalten, wenn Ihr mit dem Geld zufrieden seyn wollt. – Kommt, ich will nicht hart seyn – macht hundert und fünfzig. Hier – hier – ich habe gerade die Summe bei mir.«

Der Hausirer blickte durch das Fenster und bemerkte mit Schrecken, daß die Nacht immer näher rückte, denn er wußte wohl, wie sehr durch sein Verweilen im Hause nach Einbruch der Dunkelheit sein Leben gefährdet wurde. Doch konnte er den Gedanken nicht ertragen, in einem bereits abgeschlossenen Handel auf diese Weise betrogen zu werden. Er zögerte.

»Nun,« sagte der Käufer aufstehend, »vielleicht findet Ihr zwischen jetzt und Morgen einen andern Mann, der auf den Kauf eingeht. Wenn das aber nicht der Fall ist, so wird später Euer Anwesen nicht mehr viel werth seyn.«

»Nehmt das Geld, Harvey,« sagte Katy, welcher es unmöglich war, einer Versuchung, wie die vor ihr liegende, zu widerstehen, denn die Kaufsumme blinkte ihr in schönen englischen Guineen entgegen. Ihre Stimme weckte den Krämer und ein neuer Gedanke schien in ihm aufzutauchen.

»Ich will mir den Preis gefallen lassen,« sagte er. Dann wandte er sich gegen die Haushälterin, drückte ihr einen Theil des Geldes in die Hand und fuhr fort: »Hätte ich andere Mittel, Euch zu bezahlen, so würde ich lieber Alles verloren haben, ehe ich mich hätte um einen Theil meines Eigenthums betrügen lassen.«

»Du wirst doch Alles verlieren,« brummte der Fremde mit einem höhnischen Lachen vor sich hin, als er aufstand und das Gebäude verließ.

»Ja,« sagte Katy, indem sie ihm mit den Augen folgte; »er kennt Eure Schwäche, Harvey; er denkt mit mir, daß Euch nun, da der alte Herr todt ist, eine sorgsame Hand fehlen wird, die auf Eure Sachen Acht gibt.«

Der Hausirer traf immer noch Vorkehrungen zu seiner Abreise und achtete nicht auf die Anspielungen der Jungfrau, durch die sie wieder auf ihren Angriff zurückkam. Sie hatte so viele Jahre in der Erwartung gelebt, Hoffnungen erfüllt zu sehen, die nun einen ganz andern Gang zu nehmen schienen, daß der Gedanke an eine Trennung sie mehr zu beunruhigen anfing, als sie selbst, einem zu Grunde gerichteten, freundlosen Mann gegenüber, für möglich gehalten hätte.

»Habt Ihr noch ein anderes Haus, wo Ihr hinziehen könnt?« fragte Katy.

»Die Vorsehung wird auch mir für eine Heimath sorgen.«

»Ja,« sagte die Haushälterin, »aber vielleicht wird sie nicht nach Eurem Geschmacke seyn.«

»Der Arme muß mit Allem zufrieden seyn.«

»Gewiß; – ich bin auch leicht zufrieden« rief Katy schnell, »aber ich habe Alles gern anständig und in der Ordnung; es würde übrigens nicht schwer werden mich zu bereden, diese Gegend zu verlassen, denn ich kann nicht gerade sagen, daß mir die Weise der Leute hier herum besonders gefällt.«

»Das Thal ist lieblich,« sagte der Krämer mit Wärme, »und die Leute sind, wie anderswo auch. Doch, alles das hat keinen Werth für mich. Jetzt ist mir ein Ort wie der andere, und jedes Gesicht ist mir ein fremdes.«

Als er dieses sprach, ließ er das, was er eben einpacken wollte, aus der Hand fallen und setzte sich mit dem Blick des trostlosesten Elends auf eine Truhe.

»Nicht doch, nicht doch,« sagte Katy, indem sie ihren Stuhl der Stelle, wo der Krämer saß, näher rückte; »nicht doch, Harvey! Ihr solltet doch wenigstens mich noch kennen. Mein Gesicht kann Euch gewiß nicht fremd seyn.«

Birch wandte die Augen langsam nach ihrem Antlitz, welches in dem gegenwärtigen Augenblicke mehr Gefühl und weniger Selbstsucht zeigte, als er je vorher an ihr bemerkt hatte; dann ergriff er ihre Hand freundlich, wobei seine eigenen Züge etwas von ihrem schmerzlichen Ausdruck verloren, und sprach:

»Ja, gutes Weib – Ihr wenigstens seyd mir keine Fremde; Ihr werdet mir Gerechtigkeit widerfahren lassen und wenn es auch nur eine parteiische wäre; wenn Andere mich schmähen, so werdet Ihr vielleicht aus innerem Antriebe etwas zu meiner Verteidigung sagen.«

»Das will ich; das würde ich!« rief Katy lebhaft. »Ich will Euch die Stange halten bis auf den letzten Blutstropfen. Sie sollen nur kommen und Euch etwas anhaben wollen! Ihr habt Recht, Harvey, ich bin parteiisch und gerecht gegen Euch. Was ist's' auch, wenn Ihr den König liebt? Ich habe oft sagen hören, daß er im Grunde ein guter Mann sey. Aber es ist keine Religion in dem alten Lande, denn alle Welt sagt, daß die Minister verzweifelte Spitzbuben seyen.«

Der Hausirer ging in augenscheinlichem Seelenharme in der Stube auf und nieder; sein Auge trug einen Ausdruck von Wildheit, den Katy früher nie an ihm bemerkt hatte, und er trat mit einer Würde auf, welche die Haushälterin erschreckte.

»So lange mein Vater lebte,« sprach Harvey, unfähig, seine Gefühle zu unterdrücken, vor sich hin, »gab es doch Eine Seele, welche in meinem Herzen lesen konnte. Ach, welch ein Trost war es für mich, wenn ich von meinen gefahrvollen geheimen Wegen, wo mich nur Nachstellungen und Leiden geleiteten, heim kehrte und seinen Segen, sein Lob vernehmen durfte. Doch er ist dahin,« fuhr er fort, indem er seine Schritte anhielt und einen wilden Blick nach der Ecke warf, wo sein Vater zu sitzen pflegte, »und wo ist Jemand, der mir Gerechtigkeit widerfahren ließe?«

»Ach, Harvey! Harvey!«

»Ja, noch Einer lebt, der mich kennen wird, der mich kennen muß, ehe ich sterbe. O, es ist schrecklich, zu sterben und einen solchen Namen zurückzulassen.«

»Sprecht nicht vom Sterben,« sagte die Jungfrau, indem sie ihre Blicke ängstlich im Zimmer herumgleiten ließ und etwas Holz zum Feuer legte, um ein helleres Licht zu erhalten.

Die Aufwallung des Krämers war vorüber. Sie war durch die Ereignisse des vergangenen Tages und durch das lebhafte Gefühl seiner Noth erregt worden. Leidenschaftlichkeit behielt jedoch nie lange die Oberhand über die Vernunft dieses seltsamen Mannes, und als er bemerkte, daß die Nacht mit ihren Schatten bereits die benachbarten Gegenstände verdunkelte, warf er hastig seinen Pack über die Schulter, nahm Katy freundlich bei der Hand und sagte ihr Lebewohl.

»Es thut mir wehe, mich von Euch trennen zu müssen, gute Frau,« sagte er; »aber die Stunde ist da, und ich muß scheiden. Alles, was ich im Hause zurücklasse, ist Euer; mir kann es nichts nützen und Euch mag es vielleicht gute Dienste thun. Lebt wohl! Wir sehen uns später wieder.«

»Ja, in dem Reiche der Finsterniß!« schrie eine Stimme, welche den verzweiflungsvollen Krämer auf die Truhe zurückwarf, von der er eben aufgestanden war.

»Was? noch ein anderer Pack, Meister Birch, und in der Geschwindigkeit so gut ausgestopft?«

»Habt Ihr mir noch nicht genug Uebles zugefügt?« rief der Hausirer, als er seine Festigkeit wiedergewonnen hatte und mit Energie aufspringend. »Ist es nicht genug, daß Ihr die letzten Stunden eines Sterbenden verbittert und mich zu einem armen Manne gemacht habt? Was wollt Ihr weiter?«

»Dein Blut!« sagte der Schinder mit hämischer Kälte.

»Und für Geld?« schrie Harvey; »wie der alte Judas wollt Ihr Euch mit dem Blutsolde bereichern?«

»Ja, und 's ist dazu ein schöner Sold, mein ehrenwerther Herr – fünfzig Guineen, fast so viel, als diese Deine Vogelscheuche da in Gold wiegt.«

»Hier,« sagte Katy schnell, »hier sind fünfzehn Guineen – und diese Commoden, dieses Bett, es ist alle meine Habe. Wenn Ihr Harvey nur eine Stunde Vorsprung lassen wollt, so soll es Euch gehören.«

»Eine Stunde?« sagte der Schinder, die Zähne fletschend und gierige Blicke auf das Geld werfend.

»Nur eine einzige Stunde; da – da habt Ihr das Geld!«

»Halt!« rief Harvey, – »traue diesen Bösewichtern nicht!«

»Sie kann trauen, wem sie will,« versetzte der Schinder mit boshaftem Lachen. »Das Geld ist in guten Händen, und Dir, Meister Harvey, wollen wir die Unverschämtheit um der fünfzig Guineen willen hingehen lassen, die man uns für die Auslieferung eines solchen Galgenvogels auszahlen wird.«

»Nun, so geht,« sagte der Hausirer stolz; »bringt mich zu Major Dunwoodie; er wird wenigstens menschlich seyn, wenn er auch streng ist.«

»Ich kann etwas Besseres thun, als in einer so sauberen Gesellschaft so weit zu gehen. Dieser Major Dunwoodie hat schon einen oder zwei Torie's laufen lassen; aber Capitän Lawton's Zug ist eine halbe Meile näher einquartiert, und des Rittmeisters Empfangschein wird uns unsere Belohnung so gut sichern, als der des Majors. Wie behagt Dir der Gedanke, diesen Abend mit Capitän Lawton Deine Suppe zu essen, Meister Birch?«

»Gebt mir mein Geld, oder setzt Harvey in Freiheit,« schrie die Haushälterin empört.

»Die Bestechung ist zu gering, gute Frau, wenn nicht vielleicht noch Geld in diesem Bette verborgen ist; –« er stach dabei mit dem Bajonet in das Bettzeug und machte sich das schadenfrohe Vergnügen, es zu zerreißen und den Inhalt desselben in dem Zimmer auszustreuen.

»Wenn es noch ein Gesetz im Lande gibt, so muß mir mein Recht werden,« schrie die Haushälterin, die im Eifer für ihr neu erworbenes Eigenthum ihre persönliche Gefahr nicht mehr berücksichtigte.

»Auf dem neutralen Grunde gilt nur das Recht des Stärkern; aber Eure Zunge ist nicht so lang, als mein Bajonet, und es wird das Beste seyn, Ihr laßt es nicht auf einen Streit zwischen beiden ankommen, sonst möchtet Ihr den Kürzeren ziehen.«

In dem Schatten der Thüre stand eine Gestalt, welche ängstlich vermied, sich unter der Bande der Schinder sehen zu lassen; aber eine hell auflodernde Flamme, welche durch einige von den Räubern in's Feuer geworfene Gegenstände erzeugt wurde, ließ den Krämer das Gesicht des Käufers seines kleinen Besitztums erkennen. Gelegentlich bemerkte Harvey ein Flüstern zwischen diesem Manne und einem nahestehenden Schinder, wodurch die Vermuthung in ihm rege wurde, daß er das Opfer einer Uebereinkunft sey, an welcher jener Elende Theil genommen habe. Aber Reue war jetzt zu spät, und der Krämer folgte der Rotte mit festen und ruhigen Schritten, als ob es zum Siege und nicht zum Galgen ginge. Als sie durch den Hof zogen, fiel der Führer der Bande über einen Holzblock und wurde dadurch ein wenig beschädigt. Der Kerl sprang wieder auf und erfüllte, erbittert über diesen Unfall, die Luft mit Flüchen.

»Das Donnerwetter soll in diesen Block fahren!« rief er. »Man kann sich in einer solchen pechfinstern Nacht nicht einmal rühren. Werft einen Feuerbrand in jenen Werghaufen dort, daß es auch hell in der Gegend werde.«

»Halt!« brüllte der Speculant; »Ihr werdet mir das Haus anzünden!«

»Und dafür um so besser sehen,« sagte der Andere und warf den Brand mitten in das brennbare Material. In einem Augenblick stand das ganze Gebäude in Flammen. »Kommt, laßt uns nach den Höhen ziehen, so lange wir noch Licht für unsern Weg haben.«

»Spitzbuben!« schrie der aufgebrachte Käufer; »ist das Eure Freundschaft, das der Dank, daß ich Euch den Hausirer an's Messer lieferte?«

»Du wirst gut thun, aus dem Lichte zu gehen, wenn Du uns mit Schimpfen zu unterhalten gedenkst; wir möchten sonst zu gut sehen, um das Ziel zu verfehlen,« rief der Führer des Zugs. Im nächsten Augenblick ging die Drohung auch in Erfüllung, obgleich glücklicherweise weder der erschreckte Speculant, noch die nicht weniger entsetzte Jungfrau, die sich durch diesen Handstreich aus einem verhältnißmäßigen Wohlstand wieder in Armuth versetzt sah, getroffen wurde. Die Klugheit rieth Beiden zu einem schleunigen Rückzuge und am kommenden Morgen stand von der Wohnung des Hausirers nichts mehr, als der bereits erwähnte ungeheure Schornstein.

 


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