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Sechszehntes Kapitel.

So laßt denn die Gläser klingen,
Und froh dazu uns singen;
Der Soldat ist ein Mann,
Das Leben nur eine Spann,
Der Soldat muß trinken und singen.

Othello.

 

Der Ort, wo das Corps der Dragoner sich lagerte, war, wie gesagt, ein Lieblingsstandquartier seines Commandanten. Ein halbes Dutzend verfallener Häuser bildete das Dorf, welches von den unter einem rechten Winkel sich schneidenden beiden Straßen den Namen der »Kreuzwege« erhalten hatte. Nach der Gewohnheit des Tages wurde eines der ansehnlichsten dieser Gebäude ein »Bewirthungshaus für Menschen und Vieh« genannt. Auf einem rauhen Brette an einem galgenähnlichen Pfosten, welcher den früheren Schild getragen hatte, stand mit Röthel angeschrieben: »Elisabeth Flanagan ihr Hotel« – ein Witz, welchen sich irgend ein müßiger Spaßvogel des Corps gemacht hatte. Die Matrone, deren Name in dieser Weise zu einer so unerwarteten Würde erhoben worden, verrichtete bei dem Corps die Dienste einer Marketenderin, einer Wäscherin und, um uns des Ausdrucks von Katy Haynes zu bedienen, eines Schürzendoctors. Sie war die Wittwe eines im Dienst gefallenen Soldaten, der, wie sie selbst, auf einer fernen Insel geboren, frühe sein Glück in den Colonien von Nordamerika versucht hatte. Sie zog überall mit den Truppen herum, und da letztere zu jener Zeit selten länger als auf ein Paar Tage Halt machten, so sah man den Karren des Weibes immer beschäftigt, ziemliche Vorräte von Artikeln, von denen sich annehmen ließ, daß sie die Anwesenheit der Wirthin stets willkommen machten, in's Lager zu führen. Betty wußte mit einer fast übernatürlichen Behendigkeit ihre Wirthschaft aufzuschlagen und ihr Geschäft zu beginnen. Bisweilen diente der Karren selbst als Bude, ein andermal zimmerten die Soldaten aus Gegenständen, wie sie gerade zu haben waren, ein Obdach zusammen; bei der gegenwärtigen Gelegenheit hatte sie jedoch von einem leeren Gebäude Besitz genommen, welches sie, indem sie die zerbrochenen Fenster mit schmutzigen Beinkleidern und der halbtrockenen Wäsche der Soldaten verstopfte, gegen die nun ziemlich nachdrücklich werdende Kälte geschützt, und zu einem »sehr illeganten Logis,« wie sie es nannte, umgewandelt hatte. Die Mannschaft war in die anliegenden Scheunen vertheilt, während die Officiere im »Hotel Flanagan« welches sie scherzweise das Hauptquartier nannten, ihre Niederlage hatten. Betty war bei jedem Reiter des Corps wohl bekannt: sie wußte jeden derselben bei seinem Tauf- oder seinem Ekelnamen, wie es ihr gerade am besten zusagte, zu nennen, und obgleich sie allen, welche nicht durch Gewohnheit mit ihren guten Eigenschaften vertraut waren, durchaus unleidlich vorkommen mochte, so war sie doch der allgemeine Liebling dieser kriegerischen Parteigänger. Ihre Mängel bestanden in einer kleinen Vorliebe für den Branntwein, einer alles Maaß überschreitenden Unreinlichkeit und einer Zunge, welche allen Anstand und alle Schicklichkeit außer Acht ließ – ihre Tugenden in einer unbegränzten Liebe zu dem adoptirten Vaterland, großer Ehrlichkeit in ihrem nach gewissen bekannten Grundsätzen geübten merkantilischen Verkehr mit den Soldaten und einer großen Guthmüthigkeit. Hiezu kommt noch, daß Betty das Verdienst hatte, die Erfinderin jenes Getränkes zu seyn, welches bis auf die gegenwärtige Stunde allen Patrioten, welche eine Winterreise zwischen den Haupt- und Handelsstädten dieses großen Staates machen, unter dem bezeichnenden Namen Cocktail (Hahnenschwanz) bekannt ist. Elisabeth Flanagan war sowohl durch ihre Erziehung, als durch andere Umstände ausgezeichnet geeignet, diese Verbesserung des Branntweins in höchster Vollkommenheit in's Werk zu setzen, denn einmal war sie buchstäblich in fleißiger Benützung des Hauptbestandtheils ihrer Erfindung aufgewachsen, und dann hatte ihre Bekanntschaft mit den Virginiern sie auf den Wohlschmack, welchen die Münze den Kühltränken verleiht, aufmerksam gemacht, wodurch sie in den Stand gesetzt wurde, durch eine weise Verbindung dieser Elemente den fraglichen Artikel erst recht zu seiner Berühmtheit zu bringen.

Dieß war also die Wirthin des Hauses, welche, ohne die kalten Nordstürme zu berücksichtigen, das rothe Gesicht ihrem ankommenden Liebling Capitän Lawton, und seinem Gefährten, ihrem Lehrer in wundärzlichen Angelegenheiten, bis zur Thüre entgegen trug.

»Ah, so wahr ich auf Beförderung hoffe, meine liebenswürdige Elisabeth – meinen schönsten Gruß!« rief der Rittmeister, als er sich aus dem Sattel schwang. »Diese verwünschte naßkalte Luft von Canada hat mir um die Knochen gepfiffen, daß ich durch und durch erkältet bin; aber der Anblick Eures glühenden Gesichtes thut einem so wohl, wie ein Feuer um Weihnachten.«

»Nun, wahrlich, Capitän Jack, Sie stecken immer voll Complimenten,« erwiederte die Marketenderin, indem sie ihrem Kunden den Zügel abnahm. »Aber geschwind hinein, Schatz, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist; das Gehäge ist hier nicht so fest wie in den Hochlanden, und es gibt d'rinnen etwas, was einem Seel und Leib erwärmen kann.«

»Ah, ich sehe, Ihr habt die Zäune in Contribution gesetzt, – nun, das mag dem Körper wohl thun,« sagte der Capitän ruhig; »aber ich habe heute einen Zug aus einer Flasche von geschliffenem Glas mit silbernem Untersatz gethan, und ich zweifle, ob ich für den nächsten Monat Eurem Whisky einen Geschmack abgewinnen kann.«

»Wenn Ihre Gedanken auf Silber und Gold gehen, so ist bei mir freilich nur wenig davon zu finden, obgleich ich ein kleines Bischen von dem Continentalgeld bei einander habe,« sagte Betty gut gelaunt; »aber was ich da drinnen habe, das darf man in einem diamantenen Geschirr auftischen.«

»Was mag sie wohl meinen, Archibald?« fragte Lawton; »die alte Hexe sieht aus, als ob mehr hinter ihren Worten stäcke!«

»Wahrscheinlich ist's eine Wanderung ihrer Geisteskräfte, hervorgebracht durch den zu häufigen Gebrauch berauschender Getränke,« bemerkte der Wundarzt, indem er bedächtlich den linken Fuß über den Sattelknopf warf und auf der rechten Seite vom Pferd herunterrutschte.

»Ohne Zweifel, mein theurer Juwel von einem Doctor: aber ich habe mir's gedacht, Sie würden auf dieser Seite herunterkommen Das ganze Corps steigt auf der linken Seite ab, nur Sie nicht« sagte Betty, indem sie dem Rittmeister zuwinkte; »aber ich habe in Ihrer Abwesenheit die Verwundeten mit dem Fette des Landes genährt.«

»Barbarische Dummheit!« schrie der Wundarzt in panischem Schrecken. »Menschen, die in der Fieberhitze daliegen, mit kräftigen Substanzen zu nähren! Weib, Weib, Ihr wärt im Stande, die Kunst eines Hippokrates zu Schanden zu machen!«

»Pah!« sagte Betty mit ungemeiner Fassung. – »Was machen Sie gleich für einen Lärm um ein Schlückchen Whisky. Es waren nur ein Paar Maas unter volle zwei Dutzende, und ich gab ihn den Jungen nur, damit sie besser einschlafen möchten – nur als Schlaftropfen.«

Lawton und sein Gefährte traten nun in das Gebäude, und die ersten Gegenstände, welche ihnen in die Augen fielen, machten den geheimen Sinn von Betty's tröstlicher Verheißung leicht begreiflich. Ein langer Tisch, aus den Brettern der Seitenwand eines Gebäudes zusammengenagelt, lief durch die Mitte der größten Stube und trug eine Reihe höchst ärmlicher Töpfergeschirre zur Schau. Der Geruch der Speisen drang aus der benachbarten Küche, aber der anziehendste Gegenstand war ein Krug von ziemlichem Umfang, welchen Betty als den beachtungswerthesten Gegenstand ganz oben hingepflanzt hatte. Lawton überzeugte sich bald, daß er den ihm wohl bekannten ambrafarbigen Saft der Rebe enthielte und erfuhr zugleich, daß er, von den Locusten aus, dem Major Dunwoodie von seinem Freunde Wharton, Capitän in der königlichen Armee, als Geschenk zugeschickt worden sey.

»Und 's ist dazu ein königliches Geschenk,« sagte der Lieutenant, der diese Erklärung gab, grinsend. »Der Major gibt uns zu Ehren des Sieges ein Gelag und den Hauptaufwand bestreitet, wie Sie selbst sehen und wie es auch in der Ordnung ist, der Feind. Alle Welt, ich denke, wenn wir mit einem solchen Stoff laden würden, könnten wir einen Sturm auf Sir Henry's Hauptquartier machen und den Ritter selbst herausholen.«

Der Dragoner-Rittmeister war keineswegs mißvergnügt bei der Aussicht, einen Tag, der so angenehm angefangen hatte, auf eine fröhliche Weise zu beendigen. Er war bald von seinen Kameraden umringt, welche ihn mit Fragen über seine Erlebnisse überhäuften, indeß der Wundarzt mit klopfendem Herzen daran ging, den Zustand seiner Verwundeten zu untersuchen. Ungeheure Feuer flackerten in den Kaminen des Hauses und machten durch den hellen Schein, welchen die lodernden Holzstöße um sich warfen, die Lichter überflüssig. Die Gruppe im Innern, etwa ein Dutzend an der Zahl, bestand aus lauter jungen Männern, aber erprobten Soldaten, und ihre Unterhaltung war ein seltsames Gemische von soldatischer Derbheit und von feinerer Weltbildung. Ihre Uniform war zierlich, aber einfach, und die Hauptgemeinplätze ihres Gespräches drehten sich um die Behandlung und die Eigenschaften ihrer Pferde. Einige versuchten auf den Bänken, welche sich an den Wänden hinzogen, zu schlafen, während Andere in den Gelassen des Hauses hin und her gingen und wieder Andere in ernster Besprechung über Gegenstände, welche mit ihrem Berufe in Verbindung standen, beisammen saßen. Hin und wieder brachte, wenn die Küchenthüre sich aufthat, der zischende Ton der Bratpfanne und der einladende Duft der Speisen eine Stockung in diese wichtigen Beschäftigungen, so daß selbst die Schläfer die Augen öffneten und den Kopf aufrichteten, um zu sehen, wie weit die Vorbereitungen gediehen seyen. Die ganze Zeit über saß Dunwoodie in sich gekehrt bei dem Feuer und hatte sich in Gedanken vertieft, worin ihn keiner der Officiere zu stören wagte. Während er sich bei Sitgreaves angelegentlich nach Singleton's Befinden erkundigte, herrschte ein tiefes und achtungsvolles Schweigen im ganzen Zimmer; als er aber mit seinen Fragen zu Ende war, trat wieder die gewöhnliche Ungezwungenheit und Freimüthigkeit ein.

Ob der Beschickung der Tafel machte sich Mistreß Flanagan nur wenig Sorge, und Cäsar würde sich schrecklich darüber vernommen haben, wenn er Zeuge der Formlosigkeit gewesen wäre, mit welcher die Gerichte, von denen jedes dem andern zum Verwundern ähnlich war, vor so vielen Herren von Stande aufgestellt wurden. Als man sich zu Tische setzte, wurde jedoch dem Vorrange die strengste Rücksicht gezollt: denn trotz aller Freimüthigkeit in dem Benehmen der Officiere wurden doch stets die Regeln der militärischen Etiquette mit einer Aufmerksamkeit, welche an eine religiöse Verehrung gränzte, beobachtet. Die meisten Gäste hatten zu lange gefastet, um bei Befriedigung ihres Appetits besonders ekel zu seyn. Dieß war jedoch bei Capitän Lawton nicht der Fall; er fühlte einen unerklärlichen Widerwillen, als Betty ihre Seltenheiten auftischte, und konnte sich nicht entbrechen, gelegentlich einige Bemerkungen über den Zustand der Messer und das wolkigte Aussehen der Teller hinzuwerfen. Betty's Gutmüthigkeit und ihre persönliche Vorliebe für den Beleidiger hielt sie eine Zeit lang ab, seine Anspielungen zu erwiedern, bis Lawton, als er es versucht hatte, ein Stückchen schwarzen Fleisches zu seinem Munde zu führen, mit dem gezierten Wesen eines verwöhnten Kindes fragte:

»Was für ein Thier mag das wohl gewesen seyn, als es noch lebte, Mistreß Flanagan?«

»Ach, Capitän, war es nicht meine alte Kuh?« erwiederte die Marketenderin mit einer Wärme, welche zum Theil in ihrem Mißvergnügen über die Neckereien dieses Lieblings, zum Theil in dem Kummer über den Verlust der Hingeschiedenen ihren Grund hatte.

»Was?« brüllte der Rittmeister, und der Bissen quoll ihm im Munde, als er eben schlucken wollte, »die alte Jenny?«

»Der Teufel,« schrie ein Anderer und ließ Messer und Gabel fallen, – »die den Feldzug in Jersey mit uns machte?«

»Die nämliche,« versetzte die Herrin des Hotels mit einer Jammermiene, »ein herrliches Thier, das im Nothfall sogar von weniger als von der Luft zu leben vermochte. Gewiß, meine Herren, es ist herzzerschneidend, eine solche alte Freundin essen zu müssen.«

»Und sie ist schon so weit zusammen gegangen?« fragte Lawton, indem er mit dem Messer nach dem auf dem Tische befindlichen Ueberreste zeigte.

»Nein, Capitän,« sagte Betty spitzig, »ich habe zwei Viertel davon an einige von Ihrem Zuge abgegeben; aber beim Teufel, ich sagte ihnen kein Wort davon, was sie für eine alte Freundin gekauft hätten, weil ich fürchtete, es möchte ihnen den Appetit verderben.«

»Donnerwetter!« schrie der Rittmeister mit verstelltem Grimme, »da werden mir meine Bursche ja so mager wie eine Bohnenstange und ducken sich vor einem Engländer, wie die Virginia-Neger vor ihrem Treiber!«

»Nein,« sagte Lieutenant Mason, indem er Messer und Gabel in einer Art von Verzweiflung fallen ließ, »meine Kinnbacken haben mehr Mitgefühl, als die Herzen mancher Menschen. Sie weigern sich durchaus, die Reste ihrer alten Bekannten zu zermalmen.«

»Probiren Sie ein Tröpfchen von dem Präsent,« sagte Betty begütigend und goß eine ziemliche Portion Wein in eine Trinkschaale, welche sie als Vorkosterin des Corps leerte. »Meiner Treu, es ist im Grunde doch nur ein läpperiges Getränke!«

Als das Eis einmal gebrochen war, wurde Dunwoodie ein Glas Wein überreicht, welcher das edle Naß mit einer Verbeugung gegen seine Kameraden, die diese Begrüßung mit tiefem Schweigen anerkannten, austrank. Bei den ersten Gläsern beobachtete die Gesellschaft einige Förmlichkeit, indem die Officiere patriotische Toaste ausbrachten und ihre freiheitsliebenden Gesinnungen pflichtschuldigst an den Tag legten. Der Wein that jedoch bald seine gewöhnliche Wirkung, und ehe die zweite Schildwache an der Thüre abgelöst wurde, war alle Erinnerung an das armselige Mahl in dem Jubel der Gegenwart verschwunden. Doctor Sitgreaves kam zu spät, um noch etwas von Jenny abzukriegen, aber doch immer zeitig genug, um Capitän Whartons Geschenk alle Ehre anzuthun.

»Ein Lied, Capitän Lawton, ein Lied!« riefen gleichzeitig zwei oder drei von der Gesellschaft, als sie bemerkten, daß der Rittmeister noch nicht ganz in seiner geselligen Laune war. »Stille, Capitän Lawton wird uns ein Lied zum Besten geben!«

»Meine Herren,« erwiederte Lawton und sein dunkles Auge blickte weinselig, obgleich sein Kopf so undurchdringlich wie ein Brett war; »ich habe nicht viel von einer Nachtigall, aber wenn Sie Nachsicht mit mir haben wollen, so will ich wohl der Aufforderung entsprechen.«

»Nun, Jack,« sagte Sitgreaves und rückte auf seinem Stuhle, »wissen Sie das Lied noch, das ich Sie gelehrt habe? – doch halt – ich habe es geschrieben in der Tasche.«

»Bewahre, bewahre, guter Doctor,« sagte der Rittmeister, indem er sein Glas mit großer Bedachtsamkeit wieder füllte; »diese harten Namen wollten mir nie eingehen. Meine Herren, 's ist mein eigenes bescheidenes Fabrikat, was ich vorzutragen gedenke.«

»Stille, Capitän Lawton singt,« brüllten fünf oder sechs auf einmal, und der Rittmeister begann mit schöner voller Stimme nachstehende Worte in der Weise eines bekannten Trinklieds zu singen, wobei einige seiner Kameraden den Chor mit einer Kraft behandelten, daß das gebrechliche Gebäude, in welchem sie sich befanden, erzitterte.

Frisch auf, Kameraden, der Becher kreist!
Frisch auf bei dem Safte der Reben!
Wer weiß, ob uns Morgen die Sonne gleißt,
Denn kurz ist das Menschenleben.
Wer dem Feinde blickt muthig in's Angesicht,
Der kennt seine letzte Stunde nicht.
Alte Mutter Flanagan,
Komm, schenk ein die leere Kann';
Du schenkst ein, wir trinken den Wein,
Gute Betty Flanagan.

Wer das arme Leben umfaßt mit Brunst,
Stets ruht auf derselbigen Stelle,
Und die Ehre tauschet um faulen Dunst,
Bleibt ewig ein feiger Geselle.
Treff' es früh oder spät, wenn Gefahr ist nah
Ist auch der furchtlose Reiter da.
Alte Mutter etc.

Wenn feindliche Schaaren bedrohen das Land,
Und Weiber und Liebchen klagen,
So halten wir kühn für die Freiheit Stand,
s gilt Sieg oder Tod da zu wagen.
Wir wollen im Vaterland Herren seyn,
Oder lieber vermehren die himmlischen Reihn.
Alte Mutter etc.

Bei dem Refrain jeder Strophe ermangelte Betty nicht, der an sie gerichteten Aufforderung Folge zu leisten und dem Geheiß der vereinten Chorusstimmen zur großen Belustigung der Sänger buchstäblich zu entsprechen, wobei sie sich nicht wenig auf die Ehre einbildete, in dem Gesange selbst zu figuriren. Die Wirthin hatte sich mit einem Getränke versehen, das ihrem an starke Würze gewöhnten Gaumen mehr zusagte, als das geschmacklose Geplemper des Capitäns Wharton, so daß sie dadurch in den Stand gesetzt war, ziemlich leicht mit der Heiterkeit ihrer Gäste gleichen Schritt zu halten. Der Beifall, welchen Capitän Lawton ärndtete, war allgemein, den Wundarzt ausgenommen, welcher schon bei dem ersten Chor von seinem Sitze aufstand und voll classischen Unwillens in der Stube auf und ab ging. Die Bravo's und Bravissimo's erstickten eine Zeit lang jeden andern Lärm; als diese jedoch allmählich nachließen, kehrte der Doctor zu dem Sänger zurück und rief mit Hitze:

»Capitän Lawton, ich wundere mich, daß ein anständiger Herr und tapferer Officier in so ernsten Zeiten keinen andern Gegenstand für seine Muse finden kann, als solche bestialische Anrufungen an das allbekannte Lageranhängsel, die schmutzige Elisabeth Flanagan. Man sollte denken, die göttliche Freiheit gäbe eine edlere Begeisterung, und die Leiden unseres Vaterlandes wären ein würdigeres Thema.«

»Heisa!« schrie die Wirthin, indem sie mit drohender Geberde auf den Doctor zuging, »wer kann mich schmutzig nennen? der Meister Laxantius, der Meister Klystierspritze –«

»Friede!« sagte Dunwoodie mit einer nicht viel stärkern Stimme, als gewöhnlich, der aber dennoch die tiefste Stille folgte. »Weib, verlaßt das Zimmer. Und Sie, Doctor Sitgreaves, nehmen Sie Ihren Sitz ein und veranlassen Sie keine Störung der Festlichkeit.«

»Fortgemacht, fortgemacht,« sagte der Wundarzt, indem er sich mit gefaßter Würde wieder niederließ. »Verlassen sie sich d'rauf, Major Dunwoodie, ich bin nicht unbekannt mit den Regeln des Decorums und weiß mich recht wohl in die Zugaben der Geselligkeit zu fügen.«

Betty zog sich eilig, aber auf einigen Umwegen, nach ihrem eigenen Territorium zurück, da sie nicht gewohnt war, den Befehlen des commandirenden Officiers zu widersprechen.

»Major Dunwoodie wird uns mit einem sentimentalen Liede beehren,« sagte Lawton, indem er sich gegen seinen Anführer mit komischem Ernste verbeugte.

Der Major zögerte einen Augenblick und sang dann mit kräftiger, schöner Stimme die folgenden Worte:

Wohl Mancher liebt der Sonne Gluth,
Wo lebenswarm in rascher Fluth
Des Blutes Welle eilet;
Doch süßer ist das milde Licht,
Das zitternd sich im Aether bricht,
Von Luna's Strahl ertheilet.

Der eine liebt der Tulpe Pracht,
Die feurig ihm entgegenlacht
In ihrem stolzen Nicken;
Doch glücklich, wem der Liebe Hand
Den Kranz aus duft'gen Rosen wand,
Des Bräut'gams Stirn zu schmücken.

Dunwoodie vergab seiner Würde nie etwas gegenüber von seinen Untergebenen, und der Beifall, welcher seinem Liede folgte, war zwar weniger stürmisch, als der, welcher Lawtons Leistung zu Theil wurde, dafür aber schmeichelhafter.

»Wenn Sie nur einige klassische Anspielungen mit Ihrer zarten Phantasie in Verbindung bringen würden, Sir,« begann der Doctor, nachdem er an den Beifallsäußerungen der Uebrigen redlichen Antheil genommen hatte, »so möchten Sie einen recht artigen erotischen Dichter abgeben.«

»Wer kritisirt, muß auch selbst etwas machen können,« sagte Dunwoodie mit einem Lächeln; »ich fordere den Doctor Sitgreaves auf, uns eine Probe des Styls zu geben, den er so sehr bewundert.«

»Doctor Sitgreaves muß singen! Doctor Sitgreaves muß singen!« hallte es von allen Seiten des Tisches lustig wieder. »Eine classische Ode von Doctor Sitgreaves!«

Der Wundarzt machte eine höfliche Verbeugung, trank sein Glas aus und ließ vorläufig einige Hms vernehmen, worüber sich drei oder vier junge Cornets am untern Ende der Tafel höchlich ergötzten. Er begann dann mit krächzender, klangloser Stimme die folgende Strophe zu singen:

Hat jemals dich durchschauert Amors Macht,
Berührten dich schon seiner Pfeile Spitzen,
Hast du den immer Nahen fern gedacht,
Der dir gelacht aus Ihres Auges Blitzen?
Dann konntest du die Flammenschmerzen fühlen,
Die selbst Galenus nicht vermag zu kühlen.

»Hurrah!« schrie Lawton; »Archibald verdunkelt die Musen selbst. Seine Worte fließen wie ein Waldstrom im Mondlicht und seine Melodie ist eine Bastardbrut von Nachtigall und Eule.«

»Capitän Lawton!« schrie der Operator gereizt, »Sie machen sich selbst durch Ihre Unwissenheit verächtlich, wenn Sie also das Licht classischer Bildung verachten.«

Ein lautes Klopfen an die Thüre des Gebäudes verwandelte den Lärm in Todtenstille, und die Dragoner griffen unwillkührlich zu den Waffen, um auf das Schlimmste gefaßt zu seyn. Die Thüre ging auf und die Schinder traten ein, den unter der Last seines Packes gebeugten Hausirer nachzerrend.

»Wer ist der Capitän Lawton?« fragte der Anführer der Bande, indem er sich mit einiger Bestürzung umsah.

»Er steht zu Diensten,« sagte der Rittmeister trocken.

»Nun, ich übergebe hier Ihren Händen einen abgeurtheilten Verräther; es ist Harvey Birch, der Krämerspion.«

Lawton erstaunte, als er seinem alten Bekannten in's Gesicht sah; dann wandte er sich mit einem verdrüßlichen Blick zu dem Sprecher und fragte:

»Und wer seyd Ihr, Herr, daß Ihr so unverhohlen von einem Nachbar sprecht? – aber« er verbeugte sich gegen Dunwoodie, – »Verzeihung, Sir; – hier ist der commandirende Officier selbst – an ihn mögt Ihr Euer Geschäft bestellen.«

»Nein,«, sagte der Mann mürrisch, »Ihnen will ich den Hausirer ausliefern, und von Ihnen spreche ich die ausgesetzte Belohnung an.«

»Seyd Ihr Harvey Birch?« sagte Dunwoodie, indem er mit einer Würde vortrat, welche den Schinder augenblicklich in eine Ecke der Stube zurücktrieb.

»Ich bin's,« sagte Harvey stolz.

»Und ein Verräther an Euerm Vaterlande;« fuhr der Major mit Ernst fort. »Wißt Ihr, daß ich das Recht habe, Euch in dieser Nacht hinrichten zu lassen?«

»Es ist nicht der Wille Gottes, eine Seele so schnell vor sein Angesicht zu rufen,« sagte der Krämer feierlich.

»Ihr habt Recht,« sagte Dunwoodie. »Ihr sollt noch einige kurze Stunden Frist für Euer Leben haben. Da aber Euer Vergehen den Soldaten zu sehr verhaßt ist, so dürft Ihr nicht hoffen, ihrer Rache zu entkommen. Ihr sollt morgen sterben!«

»Wie Gott will!«

»Ich ließ mich's manche schöne Stunde kosten, den Schelm zu erwischen,« sagte der Schinder, indem er ein wenig aus seinem Winkel hervortrat, »und ich hoffe, Sie werden mir einen Ausweis geben, der mich zu Erhebung der Belohnung berechtigt; es war versprochen, daß sie in Gold ausbezahlt werden solle.«

»Major Dunwoodie,« sagte der in's Gemach tretende Officier, welcher den Dienst des Tages hatte, »die Streifwachen melden, daß ein Haus in der Nähe des gestrigen Schlachtfeldes abgebrannt sey.«

»Es war die Hütte des Hausirers,« brummte der Anführer der Bande. »Wir haben ihm keine Schindel auf dem Dach gelassen. Wir hätten sie schon vor Monaten niedergebrannt, aber wir bedurften des Nestes als einer Falle, um den schlauen Fuchs in seinem eigenen Loche zu fangen.«

»Ihr scheint mir ein sehr umsichtiger Patriot zu seyn,« sagte Lawton. »Major Dunwoodie, ich unterstütze das Gesuch dieses würdigen Herrn, und bitte mir die Gunst aus, ihm und seinen Gesellen die Belohnung auszahlen zu dürfen.«

»Es sey so – und Ihr, unglücklicher Mann, bereitet Euch auf das Schicksal vor, welches Euch unabänderlich morgen vor dem Aufgange der Sonne treffen wird.«

»Das Leben hat nur wenig Reiz für mich,« sagte Harvey, indem er langsam die Augen aufschlug und die fremden Gesichter im Gemache mit wilden Blicken betrachtete.

»Kommt, würdige Söhne Amerika's,« sagte Lawton, »folgt mir und nehmt eure Belohnung in Empfang.«

Die Bande machte von dieser Einladung ungesäumten Gebrauch und folgte dem Capitän zu den seinem Zuge angewiesenen Quartieren. Dunwoodie hielt einen Augenblick inne, da es seiner Natur widerstrebte, über einen besiegten Feind zu triumphiren und fuhr dann fort:

»Ihr seyd bereits vor dem Kriegsgericht gestanden, Harvey Birch, und es ist eine erwiesene Wahrheit, daß Ihr ein zu gefährlicher Feind für Amerika's Freiheit seyd, als daß man Euch könnte leben lassen.«

»Erwiesene Wahrheit?« wiederholte der Krämer verwundert und richtete sich in einer Weise auf, welche dem Gewichte seines Packes zu trotzen schien.

»Ja, erwiesene Wahrheit. Es lastet der Vorwurf auf Euch, daß Ihr Euch stets in der Nähe der Continentalarmee aufhieltet, in der Absicht, ihre Bewegungen auszukundschaften, sie dem Feinde mitzutheilen und ihn dadurch in den Stand zu setzen, Washingtons Plane zu vereiteln.«

»Glauben Sie, daß Washington das Nämliche sagen wird?«

»Ohne Zweifel wird er das; gerade Washingtons Ausspruch ist es, der Euch verurteilt.«

»Nein, nein, nein,« rief der Krämer mit einer Stimme und einem Benehmen, welches Dunwoodie in Erstaunen setzte: »Washington sieht weiter, als die stumpfen Blicke dieser angeblichen Patrioten. Hat er nicht sein Alles an einen entscheidenden Wurf gewagt? Wenn ein Galgen für mich bereit ist, drohte er nicht auch ihm selbst? – Nein, nein, nein – Washington würde nimmermehr sagen, führt ihn zum Galgen.«

»Habt Ihr, unglücklicher Mann, vielleicht dem Obergeneral etwas zu entdecken, was Euch das Leben retten könnte?« sagte der Major, als er sich von der Ueberraschung über das sonderbare Benehmen des Hausirers wieder erholt hatte.

Birch zitterte und heftige Bewegungen kämpften in seiner Brust. Sein Gesicht nahm die gespensterhafte Blässe des Todes an und seine Hand zog eine kleine zinnerne Büchse aus den Falten seines Hemdes. Er öffnete sie, ließ in dem Inhalt derselben einen schmalen Streifen Papier unterscheiden, welchen er einen Augenblick mit starrem Auge betrachtete, – und schon stand er im Begriffe, das Dokument dem Major Dunwoodie hinzureichen, als er plötzlich die Hand zurückzog und ausrief:

»Nein – es sterbe mit mir; ich kenne die Bedingungen meines Dienstes und will mir das Leben nicht mit ihrem Verrathe erkaufen. Es soll mit mir sterben.«

»Gebt das Papier her, und Ihr könnt vielleicht Gnade finden;« rief Dunwoodie, indem er eine wichtige Entdeckung für die Sache, welcher er diente, erwartete.

»Es stirbt mit mir,« wiederholte Birch; seine bleichen Züge überflog ein Glutstrom und sein ganzes Gesicht leuchtete.

»Greift den Verräther,« rief der Major, »und entreißt das Geheimniß seinen Händen.«

Dem Befehle wurde augenblickliche Folge geleistet, aber die Bewegungen des Krämers waren schneller und in einem Augenblicke hatte er das Papier verschlungen. Die Officiere hielten erstaunt inne, aber der Wundarzt rief diensteifrig:

»Haltet ihn! ich will ihm ein Brechmittel geben.«

»Gott behüte!« sagte Dunwoodie abwehrend. »Sein Verbrechen ist zwar groß; aber auch seine Strafe wird schwer seyn.«

»Führt mich fort,« sagte der Hausirer, indem er den Pack von seinen Schultern herunter gleiten ließ und mit einer Würde auf die Thüre zuging, die allen unbegreiflich schien.

»Wohin?« fragte Dunwoodie verwundert.

»Zum Galgen!«

»Nein,« sagte der Major, indem er vor seinem eigenen Blutbefehle zurückschauderte; »meine Pflicht gebietet mir zwar, Euch hinrichten zu lassen; aber es hat keine solche Eile. Ihr sollt bis morgen um neun Uhr Zeit haben, Euch auf Euer schreckliches Loos vorzubereiten.«

Dunwoodie flüsterte seine Befehle einem Lieutenant ins Ohr und hieß den Hausirer sich entfernen. Die Unterbrechung, welche durch diesen Auftritt veranlaßt wurde, machte der ganzen Tafellust ein Ende und die Officiere gingen auseinander, um sich zur Ruhe zu begeben. Bald war nur noch der schwerfällige Tritt der Schildwache zu vernehmen, welche vor dem Hotel Flanagan auf dem gefrorenen Boden hin und her ging.

 


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