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Drittes Kapitel.

Die Stoppelfelder deckte herbstlich Wetter
Die Winde sausten durch die fahlen Blätter,
Und hinter Lawmons Hügel taucht' hinab
Der bleiche Mond, der jüngst noch Leuchte gab –
Als aus der Stadt Gewühl den öden Pfad
Der hagre Krämer trauervoll betrat.

Wilson.

 

Wenn ein Sturm unterhalb der Hochebenen des Hudson durch den Ostwind eingeführt wird, so dauert er selten kürzer als zwei Tage. Als daher die Bewohner der Locusten sich am andern Morgen zum zeitigen Frühstück versammelten, schlug der Regen fast unter einem rechten Winkel gegen die Fenster des Gebäudes, und man durfte nicht daran denken, auch nur ein Thier, geschweige einen Menschen dem Sturm auszusetzen. Harper erschien zuletzt und entschuldigte sich, nachdem er zuvor den Zustand des Wetters untersucht hatte, gegen Wharton, daß er sich genöthigt sähe, seine Güte noch für länger in Anspruch zu nehmen. Die Erwiederung war dem Anscheine nach so artig, als die Entschuldigung, und Harper fügte sich der Nothwendigkeit mit einer Resignation, welche sehr verschieden von den Gefühlen war, die den alten Vater beängstigten. Dem Befehle des letztern gehorsam hatte Heinrich Wharton mit einer Abneigung, welche an Ekel gränzte, seine Maske wieder vorgenommen. Nach den ersten gegenseitigen Morgenbegrüßungen, an welchen die ganze Familie Theil nahm, fanden übrigens keine Berührungen zwischen dem Sohne des Hauses und dem Fremden mehr Statt. Es war zwar allerdings Franciska vorgekommen, ein leichtes Lächeln habe die Züge des Reisenden überflogen, als er in's Zimmer trat und ihrem Bruder erstmals begegnete; doch beschränkte sich dieses nur auf das Auge und schien nicht kräftig genug, die übrigen Muskeln des Gesichts zur Theilnahme zu veranlassen; auch verlor es sich schnell wieder in dem fast unveränderlichen, ruhigen, wohlwollenden Ausdruck, welcher in seinem Antlitze lagerte. Die Augen der zärtlichen Schwester flogen einen Moment ängstlich auf ihren Bruder und dann wieder auf den unbekannten Gast, dessen Blick sie traf, als er ihr eben mit besonderer Aufmerksamkeit eine der kleinen bei Tische gewöhnlichen Artigkeiten erweisen wollte, und das Herz des Mädchens, welches mit Ungestüm pochte, gewann bald wieder all die Ruhe, die mit der Jugend, Gesundheit und Lebhaftigkeit des lieblichen Wesens verträglich war. Sie saßen noch an der Tafel, als Cäsar eintrat, schweigend ein kleines Päckchen an die Seite seines Herrn legte und sich bescheiden hinter seinen Stuhl stellte, wo er, die Hand aus die Lehne desselben legend, in halb vertraulicher, halb respektvoller Stellung der weiteren Aufträge harrte.

»Was ist das, Cäsar?« fragte Herr Wharton, indem er das Paquet umdrehte, um den Umschlag zu untersuchen, welchen er mit einigem Argwohn betrachtete.

»Der 'bak, Herr; Harvey Birch kommen heim, und er bringen Euch ein wenig gut 'bak aus York.«

»Harvey Birch?« erwiederte der Hausherr bedächtlich, indem er einen verstohlenen Blick auf seinen Gast warf. »Ich kann mich nicht erinnern, daß ich ihm den Auftrag gab, für mich Tabak zu kaufen; doch da er ihn einmal gebracht hat, muß er auch für seine Mühe bezahlt werden.«

Nur einen Augenblick unterbrach Harper während der Mittheilung des Negers sein schweigendes Mahl; sein Auge bewegte sich langsam von dem Diener auf den Herrn und sank alsbald wieder in seine frühere Verschlossenheit zurück.

Sara Wharton war über diese Nachricht ungemein erfreut. Sie verließ ungeduldig ihren Sitz und befahl dem Neger, Harvey in das Zimmer zu führen; aber plötzlich besann sie sich wieder, wandte sich mit einem abbittenden Blicke an den Fremden, und fügte bei: »wenn Herr Harper die Gegenwart eines Hausirers entschuldigen will.«

Das nachsichtige Wohlwollen, welches sich in den Zügen des Fremden aussprach, als er mit schweigender Verbeugung seine Zustimmung ausdrückte, sprach beredter, als die zierlichst gesetzte Phrase, und die junge Dame wiederholte ihren Befehl mit einer Unbefangenheit, welche jede weitere Verlegenheit verbannte.

In den tiefen Fensternischen des Gebäudes befanden sich gepolsterte Sitze; und die reichen Damastvorhänge, eine Zierde des Besuchszimmers in der Königin-Straße Die Amerikaner veränderten, wie ehedem die Franzosen, in der Revolution die Namen vieler Städte und Straßen. So wurde in Neu-York die Kronenstraße zur Freiheitsstraße, die Königsstraße zur Fichtenstraße, und die Königin-Straße (damals einer der modernsten Stadttheile) zur Perlstraße. Die Perlstraße wird gegenwärtig hauptsächlich von Auktionären und der Gesammtheit guter trockener Großhändler zu Waaren-Niederlagen und Bureaus benützt. welche nach den Locusten verpflanzt worden war, liehen dem Gemach jenen unbeschreiblichen Eindruck von Behaglichkeit, welchen man bei der Annäherung des Winters so gern in den Häusern empfindet. Capitän Wharton zog sich in eine von diesen Nischen zurück, und ließ den Vorhang herunterfallen, wodurch er seine Person fast ganz der Beobachtung entzog; indeß seine jüngere Schwester, deren natürliche Freimüthigkeit einem mehr erzwungenen Wesen gewichen war, schweigend von einer zweiten Besitz ergriff.

Harvey Birch war, wie er wenigstens häufig versicherte, von Jugend auf ein Hausirer gewesen, und die Gewandtheit, mit der er sein Gewerbe betrieb, war nicht geeignet, seine Behauptung Lügen zu strafen. Er stammte aus einer der östlichen Colonieen, und aus der höhern Bildung, welche bei seinem Vater bemerkt wurde, schloß man, daß beide in ihrer Heimath glücklichere Tage gesehen hätten. Harvey zeigte jedoch nur die gewöhnlichen Sitten des Landes und unterschied sich in nichts von Leuten seiner Classe, als durch seine Schlauheit und ein gewisses geheimnißvolles Wesen, welches sein Treiben umschleierte. Beide waren vor zehn Jahren in das Thal gekommen, hatten die armselige Hütte, bei welcher Harper seinen ersten erfolglosen Versuch gemacht hatte, gekauft und wohnten seitdem dort in Frieden, ohne daß man sie gerade besonders beachtete oder kannte. Der Vater widmete sich, bis Alter und Gebrechlichkeit ihn unfähig machten, der Kultur des Bodens, der zu seiner Wohnung gehörte, während der Sohn mit Eifer seinem kleinen Handel nachging. Ihr eingezogenes Leben hatte ihnen in der Nachbarschaft einen so guten Ruf erworben, daß sich ein Mädchen von fünfunddreißig Jahren veranlassen ließ, die Bedenklichkeiten ihres Geschlechts zu vergessen und die Stelle einer Wirthschafterin in dem kleinen Haushalt zu übernehmen. Katy Haynes' Rosen waren schon lange verblichen, und sie hatte bereits alle männlichen und weiblichen Bekannten den von ihrem Geschlecht so heiß ersehnten Bund schließen sehen, ohne für sich selbst viel von demselben hoffen zu dürfen, als sie, nicht ohne ihre besonderen Absichten, in die Familie der Birch's eintrat. Die Noth zwingt zu Manchem, und Vater und Sohn sahen sich veranlaßt, in Ermangelung eines Besseren, ihre Dienste anzunehmen, obgleich Katy manche Eigenschaften besaß, welche sie zu einer ganz erträglichen Haushälterin stempelten. Auf der einen Seite war sie reinlich, thätig, ehrlich und im Hauswesen erfahren. Andererseits aber war sie geschwätzig, eigennützig, abergläubisch und neugierig. In Folge der äußerst treulichen Anwendung dieser letzteren Eigenschaft hatte sie es, nach nicht ganz fünf Jahren ihres Aufenthalts bei dieser Familie, so weit gebracht, daß sie triumphirend erklären konnte, sie habe genug gehört, oder besser – erhorcht, um sie in den Stand zu sehen, über die frühern Verhältnisse ihrer Hausgenossen Auskunft zu geben. Hätte Katy genug prophetischen Geist gehabt, um das künftige Loos derselben vorauszusehen, so wäre wohl ihr Bestreben erreicht gewesen. Aus den geheimen Unterredungen des Vaters mit seinem Sohne hatte sie entnommen, daß eine Feuersbrunst ihren nothdürftigen Besitz verzehrt und sie der Armuth preisgegeben habe, und daß zu derselben Zeit die Zahl ihrer Familienglieder auf zwei zusammengeschmolzen sey. Es lag ein Beben in der Stimme des Vaters, wenn er auf jenes Ereigniß anspielte, daß sogar Katy's Herz ergriffen wurde; doch eine gemeine Neugierde ist durch keine Schranken im Zaum zu halten. Sie beharrte auf ihrem Spionirsystem, bis ihr eine sehr unumwundene Erklärung von Seiten Harvey's, welcher ihren Platz mit einer um einige Jahre jüngeren Weibsperson zu ersetzen drohte, die ernste Lehre gab, daß Gränzen vorhanden seyen, welche sie nicht überschreiten dürfe. Von dieser Zeit war der Neugierde der Haushälterin ein so heilsamer Zügel angelegt, daß sie, obgleich sie keine Gelegenheit zum Horchen verabsäumte, den Vorrath ihrer Kenntniß nur um wenig zu bereichern vermochte. Denumgeachtet hatte sie sich aber einen Umstand erlauscht, der für sie von nicht geringem Interesse war, und von der Zeit an, wo sie sich von demselben Kenntnisse verschafft hatte, bot sie Allem auf, einen Plan durchzusetzen, bei welchem ein doppeltes Anregungsmittel, Liebe und Habsucht, sie unterstützte.

Harvey pflegte nämlich oft mitten in der Nacht dem Herde des Gemachs, welches zugleich als Küche und Wohnzimmer diente, geheimnißvolle Besuche abzustatten. Bei einer solchen Gelegenheit hatte ihn Katy beobachtet, und als er einstmal abwesend und der Vater anderweitig beschäftigt war, machte sie sich diesen Umstand zu Nutze, um einen der Herdsteine auszuheben, und entdeckte unter demselben einen eisernen Topf, aus welchem ihr ein Metall entgegenstrahlte, das auch das härteste Herz zu erweichen im Stande ist. Es gelang ihr, den Stein wieder an seine Stelle zu bringen, ohne daß die unwillkommene Nachforschung bemerkt worden wäre, und später erlaubte sie sich nie wieder einen zweiten Besuch. Aber von diesem Augenblick an hatte das Herz der Jungfrau seine Sprödigkeit verloren, und es lag nichts zwischen Harvey und seinem Glück, als seine eigene schlechte Beobachtungsgabe.

Der Krieg that dem Gewerbe des Hausirers keinen Eintrag. Er ergriff im Gegentheil die kostbare Gelegenheit, welche die Unterbrechung des regelmäßigen Handels darbot, und schien ganz von der wichtigen Aufgabe, Geld aufzuhäufen, in Anspruch genommen zu seyn. Ein oder zwei Jahre trieb er seinen Handel ununterbrochen und mit verhältnißmäßigem Gewinn; endlich aber begannen dunkle und besorgliche Andeutungen einen Verdacht auf sein Treiben zu lenken, und die bürgerliche Behörde erachtete es für nöthig, seine Lebensweise genauer zu untersuchen. Er wurde verschiedenemale, jedoch nicht auf lange, festgenommen, da es ihm, im Vergleich mit dem, was er von der Verfolgung der Armeen zu erdulden hatte, ein Leichtes war, sich den Hütern des Gesetzes zu entziehen. Kurz, man konnte Birch nichts anhaben, und er setzte seinen Handel fort, obgleich er genöthigt wurde, sich sehr in Acht zu nehmen, besonders wenn er sich der nördlichen Gränze der Grafschaft, oder, mit andern Worten, den amerikanischen Linien näherte. Seine Besuche in den Locusten waren seltener geworden, und man sah ihn in seinem eigenen Hause so wenig, daß die in ihren Erwartungen getäuschte Katy bei Gelegenheit der Erwiederung, welche sie Harpern gab, ihrem überfüllten Herzen auf die oben erwähnte Weise Luft machte. Nichts schien jedoch die Thätigkeit des unermüdlichen Handelsmannes zu stören, und in der Hoffnung, einige Artikel abzusetzen, für welche er nur unter den reichsten Familien der Grafschaft Käufer finden konnte, hatte er es gewagt, muthig in der vollen Wuth des Sturmes die halbe Meile von seiner Wohnung zu Whartons Hause zurückzulegen.

Einige Minuten, nachdem Cäsar die Befehle seiner jungen Gebieterin erhalten hatte, kam er wieder zurück und führte den Gegenstand der kleinen Abschweifung, welche wir uns eben erlaubt haben, in's Zimmer. Die Gestalt des Hausirers war ziemlich hoch, sogar von kräftiger Musculatur und starkem Knochenbau. Im ersten Augenblick mochte es zwar scheinen, als ob seine Kräfte der unbehülflichen Last des Sackes nicht gewachsen seyen, doch wußte er ihn mit großer Gewandtheit und Leichtigkeit zu handhaben, als wäre er blos mit Federn gefüllt. Seine unruhigen grauen Augen lagen tief in ihren Höhlen, und in den flüchtigen Momenten, während welcher sie auf den Zügen der mit ihm verkehrenden Personen weilten, schienen sie bis in die Tiefen der Seele zu dringen. Auch war in denselben ein doppelter Ausdruck zu erkennen, welcher für das Ganze des Mannes nicht wenig charakteristisch war. Wenn er mit fernem Handel beschäftigt war, erschien sein Gesicht lebhaft, thätig, gewandt und in ungewöhnlichem Grade schlau; wendete sich das Gespräch auf die gewöhnlichen Ereignisse des Lebens, so wurde der Ausdruck desselben zerstreut und unruhig; war aber zufälliger Weise die Revolution und das Vaterland, der Gegenstand der Unterhaltung, so schien sein ganzes Wesen eine Veränderung zu erleiden und alle seine Geisteskräfte sich in einem Punkte zu concentriren. So konnte er lange, ohne einen Laut vernehmen zu lassen, zuhören und unterbrach dann vielleicht sein Schweigen durch eine leichte, scherzende Bemerkung, welche zu sehr mit seinem vorigen Wesen im Widerspruch stand, um nicht erkünstelt zu seyn. Vom Kriege aber und von seinem Vater sprach er selten, und dann immer nur, wenn er es auf keine Weise umgehen konnte.

Einem oberflächlichen Beobachter mochte wohl der Geiz als die Haupttriebfeder der Lebensweise dieses Mannes erscheinen – und, genau erwogen, paßte Harvey allerdings für die Plane der Jungfrau Katy Haynes so wenig als nur immer möglich. Als der Hausirer in das Zimmer trat, entledigte er sich seiner Last, die, wenn sie auf dem Boden stand, ihm fast bis zur Schulter reichte, und grüßte die Familie mit bescheidener Höflichkeit. Gegen Harper machte er, ohne die Augen aufzuschlagen, eine schweigende Verbeugung, da der herabgelassene Vorhang ihm die Gegenwart des Capitäns Wharton verbarg. Sara ließ ihm nur wenig Zeit zu den gewöhnlichen Begrüßungen, begann den Inhalt des Packes zu untersuchen und war zugleich mit dem Handelsmann geschäftig, die verschiedenen Waaren an's Licht zu fördern. Tische, Stühle und Boden waren bald mit Seidenstoffen, Flor, Handschuhen, Mousselin und dem ganzen Vorrathe eines fahrenden Handelsmannes überlegt. Cäsar hatte die Aufgabe, den Sack offen zu halten, so lange die Schätze desselben ausgekramt wurden, und ermangelte dabei nicht, seiner jungen Gebieterin beizustehen, indem er ihre Aufmerksamkeit auf einige Gegenstände des Putzes zu lenken suchte, welche ihm der schreienden Farben wegen besonderer Beachtung würdig schienen. Endlich hatte sich Sara mehrere Artikel ausgelesen, und nachdem die Preise zur Zufriedenheit abgehandelt waren, bemerkte sie in heiterem Tone: »Aber, Harvey, Ihr habt uns noch nichts Neues erzählt! Hat Lord Cornwallis die Rebellen wieder geschlagen?«

Die Frage mußte überhört worden seyn, denn der Hausirer begrub sich fast ganz in seinen Pack, brachte eine Partie Spitzen von äußerster Schönheit zum Vorschein, und hielt sie der Dame vor die Augen, um sie von ihr bewundern zu lassen. Miß Peyton ließ die Tasse, welche sie eben abtrocknete, aus der Hand fallen, und Franciska, welche bisher nur eines ihrer schelmischen Augen hatte sehen lassen, ließ nun das ganze liebliche Antlitz zum Vorschein kommen, das von einer Gluth strahlte, welche den Purpur der Damastvorhänge beschämte, von denen es bisher neidisch verhüllt gewesen war.

Die Tante verließ ihr Geschäft und bald hatte Birch einen großen Theil dieses werthvollen Artikels abgesetzt. Die Lobsprüche der Dame hatten endlich auch die ganze Gestalt der jüngern Schwester sichtbar werden lassen, und Franciska stand eben langsam vom Fenster auf, als Sara ihre Frage mit einer Lebhaftigkeit der Stimme wiederholte, welche mehr in dem Vergnügen über ihren Kauf, als in der Tiefe der politischen Gefühle ihren Grund haben mochte. Die jüngere Schwester nahm ihren Sitz wieder ein, und schien sich mit dem Zuge der Wolken zu beschäftigen, indeß der Krämer, als er bemerkte, daß eine Antwort erwartet werde, langsam erwiederte:

»Man spricht unten ein wenig davon, Tarleton habe den General Sumpter am Tigerflusse geschlagen.«

Capitän Wharton streckte jetzt unwillkührlich seinen Kopf hinter dem Vorhang hervor in's Zimmer, und Franciska horchte mit athemlosen Schweigen, wobei sie zugleich bemerkte, daß Harper die ruhigen Augen über dem Buche weg, welches er zu lesen schien, auf den Krämer heftete, und dabei einen Antheil verrieth, der in ihm keinen gleichgültigen Zuhörer vermuthen ließ.

»In der That!« rief Sara frohlockend; »Sumpter – Sumpter – wer ist das? Ich will Euch keine Stecknadel abkaufen, bis Ihr mir alle Neuigkeiten erzählt habt,« fuhr sie fort, indem sie lachend den Mousselin, welchen sie in der Hand hielt, wieder in den Pack warf.

Der Hausirer zögerte einen Augenblick und warf einen verstohlenen Blick auf Harper, dessen Auge noch ruhig und bedeutsam auf ihm haftete; Birchs ganzes Wesen schien umgewandelt. Er näherte sich dem Feuer, nahm eine ordentliche Portion des beliebten virginischen Krauts aus seinem Munde, warf sie mit der Ueberfülle des Saftes, ohne Miß Peytons blanke Feuerböcke zu berücksichtigen, auf die Gluth und kehrte zu seinen Waaren zurück.

»Er lebt irgendwo unter den Negern des Südens,« antwortete der Hausirer abgebrochen.

»Nicht mehr Neger, als Ihr selbst seyn, Mister Birch,« unterbrach ihn Cäsar spitzig, indem er zugleich in großem Unwillen die Enden des Waarensackes fallen ließ.

»Still, Cäsar – still – kümmere Dich nichts darum,« sagte Sara Wharton besänftigend, voll Ungeduld, weiter zu vernehmen.

»Ein schwarz Mann so gut, als weiß, Miß Sally,« fuhr der beleidigte Neger fort, »so lange er sich gut aufführen.«

»Und oft viel besser« erwiederte seine Herrin; »aber Harvey, wer ist dieser Sumpter?«

Ein leichter Anflug von Laune zeigte sich vorübergehend auf dem Gesichte des Hausirers, der seine Rede wieder aufnahm, als ob er durch die Empfindlichkeit des Sclaven gar nicht unterbrochen worden sey:

»Wie ich sagte, er lebt unter den farbigen Leuten des Südens« – Cäsar nahm die Enden des Packes wieder auf – »und hat kürzlich ein Gefecht mit dem Obersten Tarleton gehabt –«

»In welchem er natürlich den Kürzern zog,« rief Sara zuversichtlich.

»So sagen die Truppen in Morrisania.«

»Aber was sagt Ihr?« wagte Herr Wharton in gedämpfter Stimme zu fragen.

»Ich wiederhole, was ich gehört habe,« sagte Birch, indem er Sara ein Stück Tuch zur Einsicht vorlegte, welches sie jedoch schweigend zurückwies, augenscheinlich entschlossen, noch mehr hören zu wollen, ehe sie einen weiteren Kauf machte.

»Je nun, sie sagen, in den Ebenen,« fuhr der Hausirer fort, indem er zuvor seinen Blick durch das Zimmer gleiten und einen Augenblick auf Harper ruhen ließ, »daß Sumpter mit Einem oder Zweien die einzigen Verwundeten seyen und daß die Regulären in Stücke gehauen wurden, denn die Miliz sey recht hübsch hinter einem Verhau verschanzt gewesen.«

»Nicht sehr wahrscheinlich,« sagte Sara wegwerfend, »obgleich ich nicht daran zweifle, daß die Rebellen hinter Verhaue gekrochen sind.«

»Ich denke,« sagte der Hausirer, indem er wieder einen Seidenstoff zum Vorschein brachte, »es ist besser, man habe einen Verhau zwischen sich und dem Geschütz, als wenn man zwischen die Kanonen und den Verhau zu stehen kömmt.«

Die Augen Harpers sanken wieder ruhig auf die Blätter des Buches, welches er in der Hand hatte, indeß Franciska sich erhob, mit lächelndem Antlitz vorwärts trat, und mit einer Vertraulichkeit, welche der Hausirer früher nie an der jüngern Schwester bemerkt hatte, die Frage stellte:

»Habt Ihr noch mehr von diesen Spitzen, Meister Birch?«

Der fragliche Artikel wurde sogleich vorgelegt, und Franciska machte gleichfalls ihren Einkauf. Dann ließ sie dem Krämer ein Glas Branntwein reichen, welches mit Dank angenommen und auf die Gesundheit des Hausherrn und der Damen geleert wurde.

»Man meint also, der Obrist Tarleton habe den General Sumpter geschlagen?« fragte Herr Wharton, indem er anscheinend damit beschäftigt war, die Tasse, welche durch die Eile seiner Schwägerin zerbrochen wurde, wieder zusammen zu passen.

»Ich glaube, das ist in Morrisania die Ansicht von der Sache,« erwiederte Birch trocken.

»Habt Ihr noch andere Neuigkeiten, Freund?« fragte Capitän Wharton, indem er es wieder wagte, den Kopf hinter dem Vorhang hervorzustecken.

»Haben Sie gehört, daß Major André gehangen wurde?«

Capitän Wharton fuhr zusammen; dann wurden für einen Moment bedeutungsvolle Blicke zwischen ihm und dem Krämer gewechselt, worauf er mit scheinbarer Gleichgültigkeit erwiederte:

»Das muß schon vor einigen Wochen geschehen seyn.«

»Macht seine Hinrichtung viel Aufsehen?« fragte der Vater, und wiederholte den Versuch, das zerbrochene Porcellän wieder zu vereinigen.

»Sie wissen wohl, daß die Leute gern schwatzen, Squire?«

»Sollte es vielleicht unten Bewegungen geben, welche das Reisen gefährlich machen, mein Freund?« fragte Harper, indem er in der Erwartung einer Antwort einen festen Blick auf den Krämer heftete.

Einige Rollen Band entfielen Birchs Händen, und seine Züge verloren plötzlich ihren kühnen Ausdruck, als er langsam erwiederte:

»Die reguläre Cavallerie ist schon seit einiger Zeit ausgezogen, und ich sah einige von de Lancey's Leuten ihre Waffen putzen, als ich an ihren Quartieren vorbeikam. Es würde mich nicht Wunder nehmen, wenn man ihnen bald auf die Spur käme, denn die Virginische Reiterei ist schon weit unten in der Grafschaft.«

»Ist sie stark,« fragte Wharton, indem er in der Angst des Herzens seine Beschäftigung vergaß.

»Ich habe sie nicht gezählt.«

Franciska war die einzige, welcher die Veränderung in Birchs Wesen nicht entgangen war, und als sie sich wieder gegen Harper wendete, hatte dieser stillschweigend sein Buch wieder aufgenommen. Sie nahm einige von den Bändern, legte sie wieder weg und bemerkte, indem sie sich über die Waaren beugte, so daß ihr Haar in reichen Ringeln über ihr Gesicht herabfiel und das bis in den Nacken erröthende Gesicht beschattete –

»Ich glaubte, die südliche Reiterei habe sich gegen den Delaware hingezogen?«

»Möglich,«, versetzte Birch. »Ich kam in der Entfernung an den Truppen vorbei.«

Cäsar hatte sich nun gleichfalls ein Stück Cattun ausgesucht, auf welchem die schrillen Farben von Roth und Gelb mit dem weißen Grunde einen lebhaften Contrast bildeten, und nachdem er es einige Minuten bewundert hatte, legte er es wieder mit einem Seufzer nieder und ließ den Ausruf vernehmen:

»Sehr schöner Cattun!«

»Das gäbe wohl ein recht hübsches Kleid für dein Weib, Cäsar!« sagte Sara.

»Ja, Miß Sally,« antwortete der vergnügte Schwarze, »er machen alt Dinas Herz hüpfen vor Freude – so gar schön.«

»Ja,« fügte der Hausirer listig bei, »Dina braucht nichts als dieses, um wie ein Regenbogen auszusehen.«

Cäsar blickte seine Gebieterin sehnsüchtig an, bis sie Harvey nach dem Preise fragte.

»Je nun, das kommt ganz auf die Kunden an,« antwortete der Handelsmann.

»Wie?« versetzte Sara überrascht.

»Je nachdem ich Käufer finde. Für meine Freundin Dina sollen Sie den Zeug zu vier Schilling haben.«

»Das ist zu viel,« erwiederte Sara, indem sie sich nach weiteren Artikeln für sich selbst umsah.

»Schrecklicher Preis für groben Cattun, Mister Birch,« brummte Cäsar und ließ die Oeffnung des Packes wieder fallen.

»So wollen wir drei sagen,« fügte der Hausirer bei, – »wenn Ihr das besser findet.«

»Gewiß, er es finden besser,« sagte Cäsar mit gutgelauntem Lächeln, und nahm die Sack-Enden wieder auf. »Miß Sally lieben drei Schilling, wenn Sie geben, und vier Schilling, wenn Sie nehmen.«

Der Kauf wurde abgeschlossen; doch fehlte beim Messen des Tuches etwas an den wohlbekannten zehn Ellen, welche Dinas Umfang erforderte. Durch Beihülfe eines starken Armes und erfahrenen Auges von Seite des Krämers erhielt es jedoch gerade die nöthige Länge, wozu Birch gewissenhaft noch ein Band legte, welches den prächtigen Farben des Cattuns entsprach. Cäsar zog sich nun eilig zurück, um seiner bejahrten Gefährtin die erfreuliche Kunde mitzutheilen.

Während dieser Kaufsverhandlungen hatte es Capitän Wharton gewagt, den Vorhang auf die Seite zu schieben, so daß er ganz sichtbar wurde, und fragte nun den Trödler, der seine zerstreute Waaren sammelte, um welche Zeit er die Stadt verlassen hätte.

»In der Morgendämmerung,« war die Antwort.

»So spät,« rief der andere überrascht; dann verbesserte er seinen Mißgriff und fuhr mit mehr Vorsicht fort: »Konntet Ihr so spät an den Vorposten vorbeikommen?«

»Ja!« war die laconische Antwort.

»Ihr müßt gegenwärtig mit den Officieren der britischen Armee sehr bekannt seyn, Harvey,« versetzte Sara, indem sie dem Hausirer listig zulächelte.

»Ich kenne einige vom Ansehen,« sagte Birch, indem er sich im Zimmer umsah, den Capitän Wharton etwas stärker fixirte und seine Blicke endlich einen Moment auf Harper ruhen ließ.

Herr Wharton hatte der Reihe nach jedem der Sprecher aufmerksam zugehört und seine angenommene Gleichgültigkeit so weit außer Acht gelassen, daß die Porcellänstückchen, mit deren Zusammenfügung er sich so viele Mühe gegeben hatte, in seinen Händen zerbrachen; und als er bemerkte, daß der Hausirer im Begriffe war, den letzten Knoten seines Bündels zuzuschnüren, fragte er plötzlich: »Werden wir wohl von dem Feinde wieder eine Störung zu erleiden haben?«

»Wen nennen Sie Feind?« fragte Birch, indem er sich aufrichtete und dem Frager einen Blick zuwarf, vor dem die Augen des Herrn Wharton sich in Verwirrung niederschlugen.

»Alle sind unsere Feinde, die unsere Ruhe stören,« sagte Miß Peyton, als sie bemerkte, daß ihr Schwager unfähig sey, etwas zu erwiedern. »Aber sind die königlichen Truppen drunten ausgerückt?«

»Wahrscheinlich werden sie das bald thun,« antwortete Birch, erhob seinen Pack vom Boden und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.

»Und die Truppen des Continents,« fuhr Miß Peyton mit sanfter Stimme fort, »sind die Truppen des Kontinents in der Grafschaft?«

Harvey war im Begriff, etwas zu erwiedern, als sich die Thüre öffnete, und Cäsar, von seinem entzückten Weibe begleitet, hereintrat.

Die Art der Schwarzen, von welcher Cäsar ein so ausgezeichnetes Probestück war, wird immer seltener. Der alte Haussclave, der, im Hause seines Herrn geboren und erzogen, den innigsten Antheil an dem Schicksale derer nahm, welchen zu dienen sein Loos war, macht nach jeder Richtung der unsteten Klasse Platz, welche das Erzeugniß der letzten vierzig Jahre ist, und deren Glieder das Land durchstreifen, ohne sich durch Grundsätze leiten oder durch Zuneigung fesseln zu lassen; denn es gehört mit zu dem Fluche der Leibeigenschaft, daß ihre Opfer sich selten die Eigenschaften eines freien Mannes anzueignen fähig sind. Das Alter hatte Cäsars kurzes krauses Haar gebleicht und sein Aeußeres noch ehrwürdiger gemacht. Ein langer und unausgesetzter Gebrauch des Kammes hatte den dichten Locken seines Vorderhaupts eine Richtung gegeben, daß sie wie eine steife Bürste in die Höhe standen und den Mann um einige Zolle höher erscheinen ließen. Das glänzende Schwarz des Jünglings war verschwunden und in ein schmutziges Braun übergegangen. Seine Augen, welche schrecklich weit von einander abstanden, waren klein und trugen einen Ausdruck von Gutmüthigkeit, der nur hin und wieder durch die Anmaßung eines verwöhnten alten Dieners unterbrochen wurde, und glänzten gerade in dem gegenwärtigen Augenblicke von innerem Vergnügen. Die Nase besaß in einem ausgezeichneten Grade alle Erfordernisse zum Riechen, aber in der bescheidensten Verträglichkeit, da von den sehr umfangreichen Nasenlöchern keines dem andern zu nahe kam. Der häßlich weite Mund wurde nur durch die doppelte Perlenreihe, welche er enthielt, erträglich. Dazu war Cäsar von Person klein und, wir würden sagen, viereckig, hätten nicht die Winkel und krummen Linien seiner Figur jedem mathematischen Ebenmaaß Trotz geboten. Seine Arme waren lang und muskulös und endigten in zwei knöcherne Hände, welche auf der einen Fläche eine grauschwarze Farbe, auf der andern ein welkes Gelb zeigten. An seinen Beinen hatte jedoch die Natur ihre wunderlichste Laune ausgelassen. Es fehlte zwar nicht an der Masse, wohl aber an gehöriger Vertheilung derselben. Die Waden befanden sich weder vorn noch hinten, sondern an der äußern Seite des Glieds, mehr in der Richtung nach vornen, und so dicht unter dem Knie, daß der freie Gebrauch dieses Gelenkes zweifelhaft erscheinen mochte. Ueber den Unterfuß, als die Grundlage, auf welchem der Körper ruhen sollte, hatte Cäsar in der That keine Ursache, sich zu beklagen, wenn es nicht wegen des Umstandes geschah, daß das Bein sich so nahe an dessen Mittelpunkt befand, um es hin und wieder zweifelhaft erscheinen zu lassen, ob er nicht rückwärts gehe. Was aber auch die Fehler seyn mochten, die ein Bildhauer an Cäsar Thompsons Aeußerem hätte entdecken können – sein Herz war an der rechten Stelle und hatte auch zweifelsohne seine richtigen Dimensionen.

Dieser Ehrenmann erschien nun in Begleitung seiner alten Gefährtin, um die Gefühle seines Dankes in Worten auszudrücken. Sara nahm dieses mit großem Wohlgefallen auf, lobte den guten Geschmack des Mannes und meinte, der Anzug würde wahrscheinlich dem Weibe gut stehen. Franciska bot mit einem Antliz, das von einem Vergnügen strahlte, welches mit den erfreuten Gesichtern der Schwarzen zusammenstimmte, den Dienst ihrer Nadel an, um den bewunderten Kattun zu seinem künftigen Zwecke geeignet zu machen, was auch mit demüthigem Danke angenommen wurde.

Als Cäsar hinter seinem Weibe und dem Krämer das Zimmer verließ und im Begriffe war, die Thüre zu schließen, konnte er sich nicht enthalten, in ein dankbares Selbstgespräch auszubrechen und laut zu sagen:

»Gute kleine Lady – Miß Fanny – tragen Sorge für ihren Vater – machen auch gern ein Kleid für alte Dina.« Zu welchen Aeußerungen ihn sonst noch seine Gefühle veranlaßten, wissen wir nicht, aber man hörte noch immer den Ton seiner Stimme, als die Entfernung bereits die Worte unverständlich machte.

Harper hatte in stiller Bewunderung des Auftritts sein Buch weggelegt, und Franciska's innere Zufriedenheit wurde noch erhöht, als sie das beifällige Lächeln auf einem Antlitz gewahrte, welches unter den Zügen tiefen Nachdenkens und schwerer Sorge jenen wohlwollenden Ausdruck verbarg, der das Kennzeichen der schönsten Gefühle des menschlichen Herzens ist.

 


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