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Zwanzigstes Kapitel

Vergrößert ihren Reiz durch Schmeichelei'n,
Nennt einen Engel sie, mag noch so schwarz sie seyn.
Der Mann, der eine Zung' hat, ist kein Mann,
Wenn er mit ihr kein Weib gewinnen kann.

Edelleute von Verona.

 

Dunwoodie hatte nicht nur den Befehl in Obrist Singleton's Schreiben, sondern auch den Zustand seines verwundeten Freundes im Auge, als er die Anordnung traf, den Capitän Lawton mit Wachtmeister Hollister und zwölf Dragonern zum Schutze der Verwundeten und der schweren Bagage des Corps zurückzulassen. Umsonst wendete Lawton ein, daß er für den activen Dienst geeigneter sey, und das seine Leute dem Tom Mason nicht mit der freudigen Zuversicht zum Angriff folgen würden, welche sie unter seiner Führung an den Tag zu legen pflegten; – der Major blieb fest, und der Rittmeister sah sich wider seinen Willen genöthigt, zu dem mißliebigen Auftrage die möglichst gute Miene zu machen.

Ehe Dunwoodie schied, schärfte er ihm nochmals ein, ein wachsames Auge auf die Bewohner des Landhauses zu haben, mit dem besonderen Beisatze, daß er, so bald irgend eine verdächtige Bewegung in der Nachbarschaft bemerklich würde, seine gegenwärtigen Quartiere verlassen und dieselben auf Herrn Wharton's Besitzungen verlegen solle. Die Worte des Krämers hatten in der Brust des Majors eine unbestimmte Ahnung von Gefahren, welche der Familie in den Locusten drohten, erweckt, obschon er sich nicht denken konnte, woher sie wohl kommen und welcher Art sie seyn mochten.

Einige Zeit nach dem Abmarsch des Corps ging der Rittmeister vor der Thüre des Hotels auf und ab und verwünschte innerlich sein Schicksal, das ihn in einem Augenblicke, wo ein Zusammentreffen mit dem Feinde zu erwarten stand, zu einer ruhmlosen Unthätigkeit verdammte. Nebenzu antwortete er auf Betty's Fragen, welche hin und wieder aus dem Innern des Gebäudes heraus mit ihrer schrillen Stimme eine nähere Erklärung der mit der Flucht des Hausirers in Verbindung stehenden Vorfälle verlangte, die ihr immer noch nicht klar werden wollten. Während dieser Unterhaltung kam auch der Wundarzt von einem der entfernter stehenden Gebäude her, wo er sich bis jetzt mit seinen Patienten beschäftigt hatte, so daß ihm von allen Ereignissen des Morgens, selbst den Aufbruch des Corps nicht ausgenommen, nicht das Mindeste zu Ohren gekommen war.

»Wo sind denn alle die Schildwachen hingekommen, John?« fragte er, während er sich verwundert umsah, »und warum treffe ich Sie hier so allein?«

»Fort – Alles fort, mit Dunwoodie dem Flusse zu. Sie und mich hat man da gelassen, um für ein paar Blessirte und etliche Weiber Sorge zu tragen.«

»Nun, es ist mir lieb,« sagte der Wundarzt, »daß Major Dunwoodie so viel Einsicht hat, die Verwundeten nicht weiter schaffen zu lassen. Frau Elisabeth Flanagan, macht, daß ich etwas unter die Zähne kriege, um meinen Appetit beschwichtigen zu können. Ich muß eine Leiche seciren und habe Eile.«

»Hier bin ich, Herr Doctor Archibald Sitgreaves,« tönte es aus Betty's Munde wieder, die ihr rothes Gesicht durch ein zerbrochenes Küchenfenster zeigte; »Sie kommen immer zu spät. Es ist nichts mehr zu essen da, als Jenny's Haut und die Leiche, von der Sie gesprochen haben.«

»Weib,« sagte der Wundarzt unmuthig, »haltet Ihr mich für einen Kannibalen, daß Ihr mir mit solch ungewaschenem Geschwätze kommt? – Ich befehle Euch, mir geschwind eine Nahrung zuzurichten, wie sie für einen hungrigen Magen paßt.«

»Ich kümmere mich um Ihren Befehl nicht so viel, denn er gleicht mehr dem leeren Knall der Schlüsselbüchse, als einer Kanonenkugel,« versetzte Betty mit einem Winke gegen den Rittmeister; »und ich sage Ihnen, daß Ihr Magen hungrig bleiben soll, wenn ich Ihnen nicht ein Stück von Jenny's Haut kochen darf. Die Jungen haben mich ganz aufgezehrt.«

Lawton legte sich nun in's Mittel, um den Frieden zu erhalten und versicherte den Wundarzt, er habe bereits die geeigneten Leute ausgeschickt, um neuen Vorrath herbeizuschaffen. Der Operateur vergaß, durch diese Erklärung etwas ermuthigt, bald seinen Hunger und gab seine Absicht, schnell an das Geschäft zu gehen, zu erkennen.

»Und wo haben Sie denn Ihr Subject?« fragte Lawton.

»Je nun, der Hausirer,« sagte der Andere und warf einen Blick nach dem Schildpfosten. »Ich sagte Hollistern, er solle das Gerüst ziemlich hoch machen, damit beim Falle die Halswirbel nicht zu sehr dislocirt würden, denn ich möchte ein Skelet aus ihm machen, so schön als irgend eines in den Staaten Nordamerika's. Der Bursche sieht nicht übel aus und hat ein prächtiges Knochenwerk; es läßt sich etwas ausgezeichnet Schönes aus ihm machen! Ich habe mir schon lange etwas der Art gewünscht, um damit meiner alten Tante in Virginien, die mir als Knabe so manches Gute erwiesen, ein Geschenk zu machen.«

»Zum Teufel,« rief Lawton, »Sie wollen doch der alten Frau nicht die Knochen eines todten Mannes schicken?«

»Warum nicht?« versetzte der Wundarzt. »Was gibt es Edleres in der ganzen Schöpfung, als die Gestalt des Menschen? und das Skelet bildet so zu sagen ihre Elementartheile. Aber wo ist denn der Körper hingekommen?«

»Auch fort.«

»Fort? Und wer hat sich erkühnt, mir bei meinen Accidenzien in's Gehäge zu kommen?«

»Sicherlich der Teufel,« sagte Betty, »und er wird seiner Zeit auch Sie abführen, ohne viel nach Ihrer Erlaubniß zu fragen.«

»Still, Hexe!« sagte Lawton, der nur mit Mühe sein Lachen zu unterdrücken vermochte; »spricht man so mit einem Officier?«

»Was braucht er mich die schmutzige Elisabeth Flanagan zu nennen?« schrie die Waschfrau, indem sie verächtlich mit den Fingern schnippte. »Ich kann mich einer freundlichen Behandlung ein Jahr lang erinnern, aber einem Feinde muß ich wenigstens einen Monat aufsitzen.«

Frau Flanagan's Freundschaft und Feindschaft war jedoch dem Wundarzt ganz gleichgültig, da er an Nichts als seinen Verlust dachte; und Lawton hielt sich für verpflichtet, seinem Freunde die wahrscheinliche Weise, wie diese Beeinträchtigung vor sich gegangen seyn mochte, auseinander zu setzen.

»Es war ein wahres Glück, Sie Juwel von einem Doctor, daß er ihren Händen entkommen ist,« rief Betty, als der Rittmeister geendet hatte. »Sergeant Hollister sah ihn so zu sagen von Angesicht zu Angesicht und sagte, es sey nicht der Hausirer, sondern Beelzebub selber gewesen, obgleich er sich dießmal etwas weniger lügenhaft, diebisch und verworfen aufgeführt hat. Sie möchten mir wohl eine saubere Figur gemacht haben, wenn Sie so in Beelzebub hineingeschnitten hätten, wäre er von dem Major gehangen worden. Ich glaube nicht, daß er unter ihrem Messer besonders ruhig geblieben wäre.«

So in doppelter Weise – um seine Mahlzeit und um sein Geschäft – betrogen, erklärte Sitgreaves plötzlich, daß er nach den Locusten zu gehen beabsichtige, um sich nach Capitän Singleton's Befinden zu erkundigen. Lawton bot ihm seine Begleitung an, und bald saßen sie auf ihren Pferden, wobei jedoch der Wundarzt sich noch manchen derben Witz von der Waschfrau gefallen lassen mußte, bis er aus dem Bereiche ihrer Kehle war. Sie ritten eine Weile schweigend neben einander her, da Lawton bemerkte, daß sein Freund sowohl um seiner getäuschten Erwartung willen als auch wegen Betty's Ausfällen nicht in der besten Stimmung war. Endlich versuchte er es, die Gefühle desselben wieder zu beruhigen.

»Das war ein herrliches Lied, Archibald, was Sie gestern Abend angefangen hatten, als wir durch die Rotte, welche den Hausirer brachte, unterbrochen wurden,« sagte er. »Die Anspielung auf den Galen war ungemein passend.«

»Ich wußte wohl, daß es Ihnen gefallen müsse, Jack, wenn sich die Weindünste in ihrem Kopf verloren hätten. Die Poesie ist eine achtbare Kunst, obgleich ihr die Präcision einer wahren Wissenschaft und der wohlthätige Einfluß auf den lebenden Organismus abgeht, welcher die Arzneikunst auszeichnet. Man könnte eigentlich ihre Einwirkung auf das Leben eher eine herabstimmende als eine kräftigende nennen.«

»Und doch war ihre Ode eine wahre Kraftbrühe des Witzes.«

»Ode ist keineswegs die richtige Bezeichnung für das Gedicht. Ich möchte es eher eine klassische Ballade nennen.«

»Wohl möglich,« versetzte der Dragoner; »da ich aber nur den ersten Vers gehört habe, so war es schwer, das Gedicht zu classificiren.«

Der Wundarzt räusperte sich unwillkührlich und begann seine Kehle zu klären, obgleich er kaum wußte, auf was diese Einleitung hinauslaufen solle. Aber der Rittmeister heftete das schwarze rollende Auge auf seinen Gefährten, und als er bemerkte, daß sich dieser in großer Unbehaglichkeit im Sattel hin und her schob, fuhr er fort:

»Die Luft ist ruhig und der Weg einsam; wollen Sie mich nicht auch den Rest hören lassen? Es ist nie zu spät, einen Verlust nachzuholen.«

»Mein lieber John, nichts würde mir ein größeres Vergnügen machen, wenn ich nur glauben dürfte, es trüge etwas dazu bei, die Irrthümer, welche Sie aus Gewohnheit und Nachlässigkeit eingesogen haben, zu verbessern.«

»Wir nähern uns jetzt einigen Felsen, links, da drinnen; das Echo wird den Genuß verdoppeln.«

Auf diese Ermuthigung, und zugleich durch die Meinung angespornt, daß er eben so geschmackvoll singe als dichte, zeigte sich der Wundarzt bereit, der Bitte mit aller Würde zu entsprechen. Es verging einige Zeit mit Räuspern und dem Aufsuchen des rechten Tones, und Lawton hatte, als diese beiden Punkte im Reinen waren, die geheime Freude, seinen Freund beginnen zu hören.

»Hat jemals dich« –

»Horch!« unterbrach ihn der Dragoner, »was ist das für ein Geräusch in den Felsen?«

»Wahrscheinlich der Wiederhall der Melodie. Eine kräftige Stimme gleicht dem Athem der Winde.«

»Hat jemals dich« –

»So hören Sie doch!« sagte Lawton, indem er sein Pferd anhielt. Aber er hatte kaum ausgesprochen, als ein Stein vor ihm niederfiel und harmlos über den Weg hinrollte.

»Ein unschuldiger Schuß!« rief der Reiter. »Weder die Waffe, noch die Kraft, die sie in Bewegung setzte, verräth eine besonders schlimme Absicht.«

»Steinwürfe veranlassen selten mehr als Quetschungen,« sagte der Operateur und sah umsonst nach allen Richtungen hin, um die Hand, welche dieses Geschoß geschleudert hatte, zu entdecken. »Es muß ein Meteor seyn, denn es ist weit und breit außer uns kein lebendes Wesen.«

»Hinter diesen Felsen dürfte sich leicht ein ganzes Regiment verstecken lassen,« erwiederte der Rittmeister, indem er abstieg und den Stein aufhob. »Ach, hier ist ja die ganze Erklärung des Geheimnisses.«

An dem so seltsam niedergefallenen Steine war ein Stückchen Papier auf eine sinnreiche Weise angeheftet. Der Rittmeister riß es ab, öffnete es und las die folgenden mit einer nicht sehr leserlichen Hand geschriebenen Worte:

»Eine Musketenkugel reicht weiter als ein Stein, und gefährlichere Dinge, als Kräuter für Verwundete sind in den Felsen von West-Chester verborgen. Ihr Pferd mag gut seyn, aber kann es Sie einen schroffen Felsen hinan tragen?«

»Du hast Recht, seltsamer Mensch,« sagte Lawton; »Muth und Gewandtheit vermögen wenig gegen schleichende Mörder in diesen verwünschten Pässen.« Er bestieg sein Pferd wieder und rief mit lauter Stimme: »Habe Dank, unbekannter Freund; ich will deiner Warnung gedenken.«

Eine hagere Hand hob sich einen Augenblick über einem Felsen in die Luft, und nachher wurde von den Beiden in dieser Richtung nichts mehr gesehen oder gehört.

»Eine ganz außerordentliche Unterbrechung,« sagte Sitgreaves bestürzt, »und ein Brief von sehr geheimnißvollem Inhalt!«

»O, es ist nichts, als der Witz irgend eines Tölpels, der einem Paar Virginier durch diesen plumpen Kunstgriff Furcht einjagen wollte,« sagte der Rittmeister, indem er den Zettel in die Tasche steckte. »Aber auf mein Wort, Herr Archibald Sitgreaves, ein verdammt ehrlicher Bursche ist diesen Morgen Ihrem Sectionstische entgangen.«

»Der Hausirer? Dieser berüchtigtste aller im Dienste des Feindes stehende Spione? Ich meine, es hätte dem Kerl eine Ehre seyn sollen, mit seiner Leiche eine so nützliche Wissenschaft fördern zu helfen.«

»Er mag ein Spion seyn – er muß wohl einer seyn,« sagte Lawton nachdenkend; »aber er hat ein Herz, über den Haß erhaben, und eine Seele, die einem Soldaten Ehre machen würde.«

Der Wundarzt stierte bei diesem Selbstgespräche seinen Gefährten an, indeß die scharfen Blicke des Rittmeisters auf einer andern Felsengruppe ruhten, die überhängend fast die Straße versperrte, welche sich um ihren Fuß herumwand.

»Was das Pferd nicht ersteigen kann, mag dem Fuße des Mannes erreichbar seyn,« rief der vorsichtige Partheigänger.

Er schwang sich aus dem Sattel, sprang über einen Steinhaufen weg und begann den Berg an einer Stelle zu ersteigen, welche ihm bald eine Vogelperspective über die fraglichen Felsen sammt allen ihren Schluchten erwarten ließ. Diese Bewegung war kaum ausgeführt, als Lawton die Gestalt eines Mannes erblickte, der sich bei seinem Näherkommen eilig weiter schlich und an der entgegengesetzten Seite des Felsenabsprunges verschwand.

»Geschwind, Sitgreaves, – geschwind,« schrie der Rittmeister, indem er über jedes Hinderniß wegsetzte, um den Flüchtling zu verfolgen; »bringt den Schurken um, wenn er nicht halten will.«

Dem ersten Theile dieser Aufforderung wurde pünktliche Folge geleistet, und in wenigen Augenblicken sah der Wundarzt einen mit einer Muskete bewaffneten Mann über den Weg eilen, der augenscheinlich den Schutz des aus der andern Seite liegenden dicken Waldes aufsuchte.

»Halt, mein Freund! halt, wenn's beliebt, bis Capitän Lawton da ist!« rief der Chirurg, als er den Menschen mit einer Schnelligkeit dahinfliehen sah, welche seiner ganzen Reitkunst Hohn sprach. Diese Einladung schien aber dem Fußgänger neuen Schreck einzujagen. Er verdoppelte seine Anstrengungen und hielt nicht einmal an, um zu athmen, bis er das Ziel seiner Rennbahn erreicht hatte. Nun erst drehte er sich um, feuerte seine Muskete auf den Wundarzt ab und war im Augenblicke verschwunden. Lawton hatte schnell die Landstraße wieder gewonnen, warf sich in den Sattel und war an der Seite seines Kameraden, als die Gestalt eben unsichtbar geworden war.

»In welcher Richtung ist er entflohen?« rief der Rittmeister.

»John,« sagte der Wundarzt, »gehöre ich etwa zu der kämpfenden Mannschaft?«

»Wohin ist der Schuft geflohen?« versetzte Lawton ungeduldig.

»Wohin Sie ihm nicht folgen können – in den Wald. Aber ich wiederhole es, John – gehöre ich etwa zu der kämpfenden Mannschaft?«

Als der getäuschte Reiter sah, daß ihm sein Feind entwischt sey, richtete er die vor Unmuth glühenden Augen auf seinen Kameraden; aber allmählich verloren die Muskeln seines Gesichtes den finstern Ausdruck, die Brauen wurden freier und die wilden Blicke gingen in das verstohlene Lachen über, welches so oft seine Züge überflog. Der Wundarzt saß in würdevoller Fassung auf seinem Pferde; sein schmaler Leib streckte sich und warf sich mit dem vollen Unwillen des Bewußtseyns einer unbilligen Behandlung in die Brust.

»Warum ließen Sie diesen Spitzbuben entkommen?« fragte der Rittmeister. »Einmal im Bereich meines Säbels hätte ich ihn zu einem geeigneten Gegenstand für Ihren Sectionstisch machen wollen.«

»Ich konnte ihn unmöglich hindern,« sagte der Wundarzt indem er auf die Schranken deutete, vor welchen er sein Pferd hatte Halt machen lassen. »Der Schelm schwang sich über die Verzäunung weg und ließ mich auf der andern Seite stehen. Auch nahm er nicht die mindeste Rücksicht auf meine Vorstellungen, obgleich ich ihm sagte, daß Sie mit ihm zu sprechen wünschten.«

»Das war in der That ein recht unhöflicher Schlingel. Aber warum setzten Sie nicht über die Verzäunung, um ihn zum Stehen zu zwingen? Sie sehen doch, daß da nur drei Balken sind, durch die Betty Flanagan mit ihrer Kuh hätte kommen können.«

Zum erstenmale wandte jetzt der Wundarzt seine Augen von der Stelle ab, wo der Flüchtling verschwunden war, und richtete den Blick auf seinen Gefährten. Sein Kopf senkte sich jedoch nicht im mindesten, während er erwiederte:

»Es ist meine demüthige Meinung, Capitän Lawton, daß weder Elisabeth Flanagan noch ihre Kuh nachahmungswerthe Beispiele für den Doctor Archibald Sitgreaves sind. Es wäre ein sauberes Compliment für die Wissenschaft, wenn es hieße, ein Doctor der Medicin hätte beide Beine gebrochen, weil er sie ungeschickterweise gegen ein paar Balken anrennen ließ.«

Bei diesen Worten brachte der Wundarzt die fraglichen Glieder beinahe in horizontale Richtung, eine Stellung, welche in der That jedem Eintreten in irgend etwas, was einem Engpaß glich, Trotz zu bieten schien. Aber der Rittmeister rief hastig, ohne diesen augenscheinlichen Unmöglichkeitsbeweis einer solchen Bewegung zu beachten:

»Hier ist gar nichts, Mann, was Sie Halt zu machen genöthigt hätte, denn eine ganze Reihe könnte in vollem Laufe mit Stiefeln und Schenkeln durchkommen, ohne einen Sporn einzulegen. Pah, ich bin oft gegen die Bajonete der Infanterie über größere Hindernisse, als dieses hier, angesprengt.«

»Wollen Sie sich gefälligst erinnern, Capitän John Lawton, daß ich weder der Bereiter des Regiments, noch der Exerciermeister, weder ein schwächlicher Cornet, noch – mit aller schuldigen Achtung vor der Bestallung des Continental-Congresses sey es gesagt – ein tollköpfiger Rittmeister bin, der sein Leben so wenig als das seiner Feinde achtet. Ich bin nur ein armer demüthiger Gelehrter, Sir, ein einfacher Doctor der Medicin, ein unwürdiger Promotus von Edinburgh und derzeit Wundarzt bei den Dragonern – nichts weiter, wie ich Ihnen versichern kann, John Lawton.«

Mit diesen Worten drehte er den Kopf seines Pferdes nach dem Landhause und nahm seinen Ritt wieder auf.

»Ach, er hat Recht,« brummte der Dragoner; »hätte ich aber den schlechtesten Reiter in meinem Zug bei mir gehabt, ich würde den Schuft aufgegriffen und dem Gesetze doch wenigstens ein Opfer überliefert haben. Aber, Archibald, Niemand kann gut reiten, wenn er die Beine, wie der Koloß zu Rhodus, auseinanderspreizt. Sie sollten sich weniger in den Steigbügel stämmen und sich mehr durch das Knie festhalten.«

»Ich habe den gehörigen Respect vor Ihrer Erfahrung, Capitän Lawton,« erwiderte der Wundarzt, »aber meine Meinung ist, daß ich nichts weniger, als ein incompetenter Richter hinsichtlich der Muskelbewegung bin, betreffe sie nun das Knie oder irgend einen andern Theil des menschlichen Körpers. Wenn ich auch nur dürftig meine Schule durchmachte, so brauche ich doch nicht jetzt erst zu lernen, daß das Gebäude um so fester ruht, je weiter die Basis ist.«

»Wollen Sie aber mit ihren paar Beinen die ganze Landstraße einnehmen, wo doch ein halbes Dutzend ganz behaglich neben einander herreiten kann, wenn Sie die Füße ausstrecken, wie die Sensen an den Streitwagen der Alten?«

Die Anspielung auf die Sitten der Alten besänftigte einigermaßen den Unwillen des Wundarztes und er versetzte mit etwas weniger Hochmuth:

»Sie sollten mit Achtung von den Gebräuchen derer sprechen, welche vor uns gelebt haben, und wenn sie auch in manchen Zweigen des Wissens, zumal in der edeln Wundarzneikunst, weit zurück waren, so haben sie uns doch manche herrliche Winke zu unserer Veredelung hinterlassen. Außerdem zweifle ich nicht, Sir, daß Galen bereits Wunden, die durch die erwähnten Sensen geschlagen wurden, behandelte, obgleich kein gleichzeitiger Schriftsteller dieser Thatsache Erwähnung thut. Ach, das müssen schreckliche Beschädigungen gewesen seyn und sicherlich den Aerzten jener Zeit große Unlust bereitet haben!«

»Gelegenheitlich mag wohl ein Körper mitten entzweigeschnitten worden seyn, dessen Wiedervereinigung den Scharfsinn dieser Herren freilich auf eine schwere Probe setzen mußte. Und da sie so achtbare und gelehrte Männer waren, so zweifle ich nicht, daß es ihnen auch gelang.«

»Was? zwei Stücke eines menschlichen Körpers, die durch ein schneidendes Instrument getrennt wurden, wieder zu den Functionen des thierischen Lebens zu vereinigen?«

»Ja, Leute, die durch eine derartige Sense auseinander geschnitten wurden, wieder zusammen zu flicken, um sie auf's Neue für den Kriegsdienst brauchbar zu machen!«

»Das ist unmöglich, – ganz und gar unmöglich,« schrie der Wundarzt. »Vergebens versucht es der menschliche Geist, Capitän Lawton, die Kräfte der Natur zu überbieten. Denken Sie sich nur, mein Bester, in einem solchen Falle werden alle Arterien getrennt – alle Eingeweide zerrissen – alle Nerven und Sehnen zerschnitten, und was noch wichtiger ist, Sir –«

»Sie haben genug gesagt, Doctor Sitgreaves, um den Zögling einer kunstverwandten Schule zu überzeugen. Nichts soll mich veranlassen, je gutwillig eine solche unwiederbringliche Theilung an mir vornehmen zu lassen.«

»Gewiß, man hat wenig Vergnügen an einer Wunde, welche ihrer Natur nach unheilbar ist.«

»Das meine ich auch,« sagte Lawton trocken.

»Was halten Sie wohl für das größte Vergnügen im menschlichen Leben?« fragte der Wundarzt plötzlich.

»Hm, das ist Geschmacksache.«

»Ganz und gar nicht!« rief der Wundarzt. »Es liegt in dem Mitansehen oder? vielmehr in dem Gefühl, wie sich die Verheerungen einer Krankheit durch das Licht der Wissenschaft unter Beihülfe der Natur wieder ausgleichen. Ich zerbrach mir einmal absichtlich meinen kleinen Finger, um den Knochenbruch wieder einrichten und auf die Vorgänge der Heilung Acht geben zu können. Das war freilich nur ein kleiner Maaßstab, wie Sie einsehen werden, lieber John. Aber das durchdringende Gefühl bei dem Zusammenwachsen der Knochen, verbunden mit der Betrachtung, was die menschliche Kunst Hand in Hand mit dem Walten der Natur vermag, übertraf jede Lust, die ich je in meinem Leben gefühlt habe. Um wie viel größer hätte das Vergnügen seyn müssen, wenn es sich um ein wichtigeres Glied, etwa um einen Arm oder ein Bein gehandelt hätte?«

»Oder gar um den Hals –,« versetzte der Rittmeister.

Mittlerweile waren die beiden Reiter an Herrn Whartons Landhause angelangt. Da Niemand erschien, um sie einzuführen, ging der Rittmeister nach dem Zimmer, wo gewöhnlich die Besuche empfangen wurden. Als er öffnete, blieb er einen Augenblick stehen, verwundert über die Scene, welche sich ihm darbot. Die erste Person, welche ihm in's Auge fiel, war der Obrist Wellmere, der sich mit einer Innigkeit über Sara's erröthende Gestalt beugte, welche das durch Lawtons Eintreten veranlaßte Geräusch von beiden Theilen überhört werden ließ. Gewisse bedeutungsvolle Merkmale, welche dem scharfen Blicke des Dragoners nicht entgingen, weihten ihn auf einmal in das hier obwaltende Geheimniß ein, und er war im Begriffe, sich so leise, als er eingetreten war, wieder zurückziehen, als ihm auf einmal sein Gefährte, der ohne Umstände in's Zimmer stürmte, den Weg vertrat. Er ging sogleich auf Wellmere's Stuhl los, ergriff instinktartig den Arm des Obristen und rief:

»Ach du mein Gott! – schneller, unregelmäßiger Puls – glühende Wange, – feuriges Auge – starke Anzeichen von Fieber, die alle sorgfältig beachtet werden müssen.«

Bei diesen Worten hatte der Doctor, seiner summarischen Behandlungsweise gemäß (eine Schwäche, welche die meisten Militärärzte mit ihm gemein haben), das Lanzet hervorgeholt und traf einige andere Vorkehrungen, welche seine Absicht, gleich an's Werk zu gehen, an den Tag legten. Aber der Obrist, welcher sich inzwischen von seiner Ueberraschung erholt hatte, stand stolz von seinem Stuhle auf und sprach:

»Mein Herr, diese Röthe hat nur in der Wärme des Zimmers ihren Grund und ich bin Ihnen bereits zu sehr für Ihre Geschicklichkeit verpflichtet, um Ihnen noch weitere Mühe zu machen. Miß Wharton weiß, daß ich vollkommen gesund bin, und ich versichere Sie, daß ich mich in meinem Leben nie wohler und glücklicher fühlte.«

Diese letzteren Worte wurden mit einem besondern Nachdruck ausgesprochen und brachten, so angenehm sie auch in Sara's Ohr klingen mochten, eine neue Glut auf ihre Wangen, – ein Umstand, der von Doctor Sitgreaves, welcher der Richtung von seines Patienten Auge folgte, nicht übersehen wurde.

»Ihren Arm, mein Fräulein, wenn's gefällig ist,« sagte der Wundarzt und trat mit einer Verbeugung auf sie zu. »Angst und Nachtwachen haben auf Ihren zarten Körper übel gewirkt, und ich bemerke Symptome an Ihnen, welche nicht vernachlässigt werden dürfen.«

»Entschuldigen Sie, Sir,« sagte Sara, indem sie sich mit weiblichem Stolze aufraffte; »die Hitze ist erdrückend und ich gehe, um Miß Peyton von Ihrer Anwesenheit in Kenntniß zu setzen.«

Es war nicht schwer, mit der Einfalt des Wundarztes in's Reine zu kommen. Nun aber mußte Sara ihr Auge erheben, um den Gruß Lawtons zu erwiedern, der den Kopf fast bis zu der Hand herabneigte, mit welcher er der Dame die Thüre öffnete. Ein einziger Blick war hinreichend. Sie blieb ihrer selbst so weit mächtig, um sich mit Würde zurückzuziehen; aber kaum fühlte sie sich von ihren Beobachtern befreit, als sie in einen Sessel sank und sich dem gemischten Gefühl von Scham und Wonne überließ.

Sitgreaves bot dem britischen Obristen auf's Neue seine Dienste an, ohne daß sie günstiger aufgenommen worden wären, und zog sich dann, durch diese herabwürdigende Behandlung ein wenig gekränkt, nach dem Zimmer des jungen Singleton zurück, wohin ihm Lawton bereits vorangegangen war.

 


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