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Einunddreißigstes Kapitel.
Eine Frau mit einer höheren Sendung

Begeisterung pflegt sich stets über die kleinlichen Einzelheiten des Lebens zu erheben, am höchsten aber schwebt die religiöse Begeisterung über aller Vorsicht und allem Herkömmlichen, sie ist überzeugt, daß einem Menschen, der auf Erden zur Erfüllung einer besonderen Aufgabe berufen ist, alle Hindernisse aus dem Wege geräumt werden, falls er nur das heilige Ziel unverrückt im Auge behält.

Sarah Miller war eine Frau, die eine Sendung zu erfüllen hatte, und zwar eine Sendung nicht von allgemeiner, sondern von rein persönlicher Natur. Ihre Sendung, wie sie dieselbe ansah, bestand darin, das irdische Glück ihrer Herrin zu sichern, und sie glaubte so fest an ihre Aufgabe, daß sie auch überzeugt war, sie würde dieselbe glücklich lösen.

In dem Leben dieser Frau bezog sich alles auf ihre Ergebenheit für Beatrice. Ihr Geist glich einer dunklen, verfallenen Ruine, in deren Mitte sich nur eine rein erhaltene weiße Marmorsäule erhebt, und diese Säule war ihre Liebe zu ihrer Herrin. Die leidenschaftlichen Worte, die sie einst gegen Frank geäußert, erreichten noch nicht einmal die Höhe ihrer Gefühle.

Es wäre albern, vorauszusetzen, daß irgend einer von uns einer solchen Vergötterung von seinen Nebenmenschen würdig sei. Höchst wahrscheinlich verdiente selbst David die unvergleichliche Ergebenheit seines Jonathan nicht mehr als Beatrice die der Frau Miller. Würde die Zuneigung der Menschen lediglich nach dem persönlichen Verdienst abgewogen, so würde es den meisten von uns in dieser Welt übel ergehen. Unverfälschte Gerechtigkeit nimmt sich, wie reiner Republikanismus und viele andere, unanfechtbar richtige Dinge, besser in der Theorie als in der Praxis aus. Der Grund für Frau Millers Empfindungen war weder in ihrer Verehrung und Dankbarkeit, noch in Beatrices Vorzügen zu suchen.

Dieses Gefühl war der Ausfluß einer leidenschaftlichen Natur, die durch die unüberwindliche Schranke des Glaubens an die Vorbestimmung von ihrer eigentlichen Bahn abgelenkt wurde. Es lag etwas in ihr, das sich mächtig himmelan geschwungen hätte, wenn es nicht durch den traurigen Calvinismus zur Erde hinabgedrückt worden wäre. Hätte Sarah Miller einem heiteren Glauben angehört, so wäre sie als eine fromme Christin mit nach oben gerichteten Blicken durch das Leben gegangen, wie alle diejenigen, für die das Leben nichts weiter ist, als ein Komma in dem unendlichen Buch der Ewigkeit. Doch leider war ihr ein so glücklicher Zustand unerreichbar fern gerückt.

Der Glaube, daß die Stelle, die sie in dieser und jener Welt auszufüllen habe, ihr schon Aeonen vor ihrer Geburt vorherbestimmt worden sei, stand unerschütterlich fest bei ihr. Die fürchterliche Ueberzeugung, daß sie eines der Geschöpfe sei, die lediglich durch einen Willensakt Gottes zu ewiger Qual verdammt sind, von der sie sich weder durch Gebete noch durch den Lebenswandel eines Heiligen erretten können, umgab sie wie die unübersteigliche Mauer eines Gefängnisses. Wie hätte sie sich in einem solchen Gemütszustand mit Gefühlen der Liebe und Anbetung jenem erhabenen Wesen nahen können, das sie zu so unendlicher Qual verdammte? Nein, diesen Gott konnte sie wohl fürchten, sie konnte sich in leidenschaftlichem, hoffnungslosem Gebet zu seinen Füßen krümmen, aber ihren Ueberschuß an Liebe mußte sie einem irdischen Gegenstand zuwenden und dieser Gegenstand war Beatrice, welche sie aus großer Not gerettet hatte.

Es ist bei diesem Glauben gewiß kein Wunder, daß Sarah Miller sich nicht in dem gleichmäßigen, ruhigen Gemütszustand befand wie andere Leute, die sich mit dem sicheren Erfolg einer Bekehrung in der elften Stunde trösten können. Es ist vielmehr ein Wunder, daß es Männer und Frauen gibt, die Sarahs Glauben teilen und dem Wahnsinn verfallen. Aber je mehr man die religiöse Seite der Menschheit studiert, je mehr wird man irre geführt.

So also war der Bote beschaffen, den Beatrice zu Hervey gesandt hatte. Immerhin besaß aber Sarah einige Eigenschaften, die sie zu ihrem Amt geeignet erscheinen ließen; in erster Linie war sie der Sache, die sie vertrat, leidenschaftlich ergeben und haßte den Feind; in zweiter Linie lebte sie der Ueberzeugung, daß sie dazu auserlesen sei, ihre Sache zu einem guten Ende zu führen. Beatrice hatte Sarah eine Menge klarer und deutlicher Ratschläge und Vorschriften gegeben, auf welche diese kaum gehört hatte. Sie glaubte in diesem Falle dazu berufen zu sein, die Rolle eines Anführers und nicht die eines blindlings gehorchenden Werkzeugs zu spielen. Das einzige, über was Sarah vorher nachgedacht und worüber sie ihre Herrin beruhigt hatte, war die Art und Weise, in welcher sie Herveys Aufenthalt erfahren konnte. Da derselbe noch unter Polizeiaufsicht stand, brauchte sie sich nur auf der betreffenden Polizeistelle nach ihm zu erkundigen. Auf diese Weise ermittelte Sarah auch wirklich am Tage nach ihrer Ankunft, nachdem sie der Obrigkeit die Versicherung gegeben hatte, daß sie den Mann nicht in irgend einer bösen Absicht suche, die gewünschte Adresse. Sarah hatte auf Beatrices Rat, die glaubte, sie reise via Paris bequemer, den Blitzzug benutzt, der von Konstantinopel nach Paris fährt und in jedem Lande, das er durcheilt, nur zwei oder dreimal hält. In London war sie bei der Freundin abgestiegen, die Beatrices Briefe besorgt hatte. Sobald Sarah den Aufenthalt Herveys auf der Polizei in Erfahrung gebracht hatte, nahm sie einen Wagen und fuhr nach seiner Wohnung. Diese Wohnung bestand in nicht viel mehr als in einem Dachstübchen, denn Hervey war von allen Geldmitteln entblößt und nur das, was ihm Herr Field im Namen Carruthers' ausbezahlte, stand zwischen ihm und der grimmigsten Not. Er hatte sich schon von seinen Ringen und anderen Wertstücken trennen müssen. Alles, was er noch sein nennen konnte, war ein guter Anzug. Diesen hatte er so zäh festgehalten, weil er wußte, daß, wenn es einmal zum Betteln kommt, ein gut gekleideter Mann mehr Aussicht hat, Mitleid zu erwecken, als einer, der in Fetzen und Lumpen einhergeht. Der Gegensatz zwischen gutem Tuch und leeren Taschen ist so peinlich, daß man, wenn man darum angegangen wird, fühlt, man müsse etwas thun, um ihn zu mildern. Hervey saß in seinem kalten Zimmerchen, rauchte seine kurze Pfeife und schmiedete Rachepläne, wie einst in der Abgeschiedenheit seiner Zelle in Portland. Seine Dummheit und Kurzsichtigkeit, die ihn in diese unangenehme Lage gebracht hatte, verwünschte er wohl hundertmal des Tages. Er war stets ungewaschen und ungekämmt und trug seinen rechten Arm, obwohl derselbe beinahe geheilt war, noch immer in einer schäbigen schwarzen Binde. Alles in allem befand er sich weder körperlich noch geistig in einem beneidenswerten Zustande.

Stundenlang hatte er über der Rache, die er an Beatrice nehmen wollte, gebrütet und sich das herrliche Leben ausgemalt, das er führen wollte, sobald er den Aufenthalt seines Weibes ermittelt hätte. Es war also kein Wunder, daß er einen Freudenschrei ausstieß, als nach kurzem Klopfen seine Thür aufging und Frau Miller auf der Schwelle erschien; war sie doch diejenige, die er nach Beatrice am meisten herbeigesehnt hatte. Nun, da diese hier war, mußte auch Beatrice zu finden sein. Seine Wangen glühten, seine Augen glänzten vor Freude. Hatte er sich auch während der Entbehrungen, die er erduldet, hundertmal gelobt, künftig weniger schroff und anspruchsvoll zu sein, falls sein gutes Glück seine Frau noch einmal in seinen Bereich bringen würde, so war dieser Vorsatz doch beim Anblick Sarahs sofort wieder verflogen. Nun war seine Zeit gekommen und er hatte nur den einen Gedanken, ihr, die jugendliche Thorheit an ihn gefesselt hatte, so viel abzupressen als irgend möglich war. Er verachtete sie um der Schwäche willen, mit der sie ihm nun selbst die Gelegenheit bot, deren er so dringend bedurfte.

Sarah mit dem schmalen, bleichen Gesicht, das wie gewöhnlich durch den Gegensatz zu ihren dunklen Kleidern noch mehr hervorgehoben wurde, trat auf Hervey zu, blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn mit einem eigentümlichen, verzückten Gesichtsausdruck, der ab und zu an ihr zu bemerken war.

Sobald er sich von der Freude und der Verwunderung über den unverhofften Besuch erholt hatte, faßte auch er die Frau aufmerksam ins Auge und eine Zeitlang schwiegen beide. Noch immer blickte sie den Mann an, aber nicht mit Zorn und nicht mit Furcht, sondern sie betrachtete ihn, als ob Neugierde sie dazu treibe. Es war eine Art von Blick, den wohl niemand hätte lange ertragen können, ohne Zeichen von Ungeduld an den Tag zu legen.

»Was zum Teufel starren Sie mich denn so an?« fragte Hervey. Seine rauhe Stimme brachte Sarah wieder zu sich selbst; sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Es ist da; da steht es geschrieben,« murmelte sie.

»Was steht geschrieben, alte Närrin?« fragte Hervey.

Sie antwortete nicht, aber wieder nahmen ihre Augen denselben sonderbaren, wilden Blick an.

»Setzen Sie sich,« sagte Hervey scharf, »und versuchen Sie Ihre fünf Sinne beisammen zu halten und vernünftig zu reden!«

Er schob ihr einen Stuhl hin; sie setzte sich und schien darauf zu warten, daß er weiter spreche.

»Nun, was wollen Sie?« fragte er. »Sie sind wohl von ihr geschickt worden?«

»Ja, meine Herrin hat mich gesandt.«

»Warum? Hat sie mir Geld geschickt oder will sie versuchen, mich auszuhungern? Sie soll sich hüten, ich werde sie schon einmal wiederfinden.«

»Ja,« sagte Sarah in eigentümlich mechanischer Weise, »ja, sie hat Ihnen Geld geschickt.«

»Wieviel? Rücken Sie heraus damit!«

Sie zog eine kleine Börse hervor. Hervey griff gierig danach. »Es sind fünfzig Pfund,« sprach sie in derselben mechanischen Weise wie vorher.

»Fünfzig Pfund!« schrie er wütend. »Was denkt sie denn, daß sie mir eine so schäbige Summe schickt? Fünfzig Pfund, während meine Frau Tausende hat!«

»Sie können's nehmen oder nicht, wie Sie wollen,« sagte Sarah.

»Gewiß werde ich's nehmen – seien Sie ohne Sorge! Lassen Sie mich jetzt aber hören, was Sie zu sagen haben; Sie sind wohl nicht nur gekommen, um mir diese lumpige Summe zu bringen?«

Frau Miller erhob sich von ihrem Stuhl und blickte auf ihn herab, während sie mit einer Stimme, in der die Leidenschaft bebte, ausrief: »Ja, Maurice Hervey, ich bin gekommen, um dir den einzigen Ausweg zu zeigen, der dir noch bleibt. Vielleicht ist es schon zu spät, ihn einzuschlagen, aber ich sage dir: Sei barmherzig und du wirst Barmherzigkeit finden. Hüte dich! Laß jenes arme Mädchen in Frieden! Sie ist eine der Erwählten des Herrn, Maurice Hervey! Hüte dich, dich gegen seinen Willen aufzulehnen. Sein Zorn ist gleich einem zweischneidigen Schwert –«

»Behalten Sie Ihre Verrücktheiten bei sich und sagen Sie mir, was Sie wollen.«

»Nehmen Sie das Geld, das man Ihnen bietet, gehen Sie fort und belästigen Sie sie nicht mehr.«

Hervey lachte höhnisch. »Liebe Sarah, Sie vergessen in Ihrem Eifer, daß mir niemand Geld angeboten hat.«

»Aber Fräulein Beatrice will Ihnen Geld geben,« sagte die Frau lebhaft. »Ach, nehmen Sie es, nehmen Sie es! Gehen Sie fort und suchen Sie sie nicht mehr auf!«

»So, jetzt kommen Sie endlich zum Geschäft. Wieviel will sie zahlen?«

»Fünfhundert Pfund jährlich.«

Herveys Gesicht verfinsterte sich; er unterdrückte gewaltsam einen Fluch, den er schon auf den Lippen hatte.

»Sind Sie überzeugt, Sarah, daß dies das höchste Gebot ist?«

»Sie gibt nicht mehr.«

»Und wenn ich mich weigere, was dann?«

Sarah warf einen flüchtigen Blick auf das Zimmer, der bewies, daß sie Herveys gegenwärtige Lage richtig erfaßt hatte.

»Wenn Sie sich weigern, gehe ich zu ihr zurück und sage, ich hätte Sie nicht gefunden. Dann bleiben Sie Ihrem Schicksal überlassen. Das Verhungern, Maurice Hervey, ist ein qualvoller, langsamer Tod.«

»Alte Hexe,« schrie Hervey, »Sie wollen sie belügen!«

»Ich würde um meiner Herrin willen noch viel mehr thun als lügen,« sagte Frau Miller. »Wollen Sie das Geld oder nicht?«

Hervey zuckte die Achseln. »In der Not frißt der Teufel Fliegen,« sagte er leichthin. »Ich weiß mir nicht anders zu helfen, Sarah, ich muß das großmütige Anerbieten annehmen. Nun lassen Sie mich aber auch hören, wo ich mein treues Weib finde, damit ich ihr die Nachricht von meiner Unterwerfung verkünden kann.«

»Sie wollen es annehmen?« sagte Sarah atemlos.

»Muß ich nicht?«

»Gott sei gedankt!« Sie faltete ihre Hände und flüsterte Worte des Dankes vor sich hin. Hervey beobachtete sie mit einem eigentümlichen Ausdruck im Gesicht. Sie bemerkte denselben und erschrak. »Wollen Sie die nötigen Papiere unterschreiben?« fragte sie.

»O ja. Ich will alles unterschreiben. Sagen Sie mir aber jetzt, wo sie ist.«

»Nein, nein. Sie können sie nicht sehen. Es wird alles in Ordnung gebracht werden; der Anwalt wird die Papiere vorbereiten, und sobald Sie dieselben unterzeichnet haben, wird Ihnen das Geld ausbezahlt werden.«

»Ganz recht,« antwortete Hervey unbekümmert, »dann ist die Sache erledigt.«

Die Bereitwilligkeit, mit der er auf ihre Vorschläge einging, erregte Frau Millers Mißtrauen. »Spielen Sie kein falsches Spiel? Wollen Sie mir auf die Bibel schwören, Ihr Versprechen zu halten?«

»Mit tausend Freuden! Nur fürchte ich – wird im ganzen Hause keine Bibel zu finden sein – ein trauriger Uebelstand, dem aber abgeholfen sein soll, bis Sie wiederkommen.«

Frau Miller antwortete nicht auf diesen Hohn. Sie zog ruhig eine abgenutzte Bibel aus einer Handtasche, die sie bei sich hatte. Hervey lächelte verächtlich. »Legen Sie Ihre Finger hier zwischen die Blätter,« sagte sie feierlich, »dann küssen Sie das heilige Buch und schwören Sie, Ihr Wort zu halten, so wahr Ihnen Gott helfe.«

»Das gibt einen Eid zur linken Hand,« sagte er, als er ihrer Weisung nachkam. Sie legte ihre Hand auf die seine, und als er mit Hohn auf den Lippen den gewünschten Eid geleistet hatte, öffnete sie die Bibel und zeigte ihm die Stelle, auf der sein Finger gelegen hatte. Hervey las: »So soll der Herr dich für immer vernichten.«

Ohne ein Wort weiter schloß sie das Buch und verließ die Stube. Sobald sie das Haus verlassen hatte, ging Hervey höhnisch lachend die Treppe hinunter, betrat eine Kneipe, die sich unten im Hause befand, und rief einen etwa siebzehnjährigen Jungen heraus.

»Soeben verließ eine schwarz gekleidete Frau das Haus; laufe ihr nach, und wenn du herausbringst, wo sie hingeht, bekommst du ein Goldstück von mir.«

Der Knabe, der in die Verhältnisse des Mietsherrn eingeweiht war, lachte spöttisch und rührte sich nicht von der Stelle. »Mach voran, Dummkopf,« schrie Hervey, »hier wartet das Geld auf dich.«

Der Anblick eines wirklichen Goldstücks machte dem Jungen Füße und Beatrices ahnungslose Gesandtin wurde bis in ihre Wohnung verfolgt.

Unterdessen ging Hervey wohlgemut in seine Dachstube zurück. Mochte sich die Sache wenden, wie sie wollte, jedenfalls hatten seine Verhältnisse eine angenehme Veränderung erfahren. Das schlimmste, was sich ereignen konnte, mußte ihm doch noch ein hübsches Einkommen verschaffen, aber was er dazu thun konnte, um das schlimmste zu vermeiden, sollte geschehen; er gedachte, Beatrice zu finden und sie vermittelst der Macht, die er über sie hatte, zu zwingen, ihm bis auf das für sie unentbehrlichste alles auszufolgen. Sie sollte ihm nur noch einmal in die Hände fallen, er wollte dann schon sorgen, daß sie ihm nicht wieder entwische. Zähneknirschend dachte er an alles, was er wegen einer einzigen unüberlegten That schon hatte leiden müssen. Bald freute er sich schon auf den Schrecken, den seine Frau an den Tag legen würde bei seinem unerwarteten Erscheinen in ihrem verborgenen Aufenthalt. Bald lachte er fröhlich bei dem Gedanken an die väterlichen Rechte, die eine so scharfe Waffe waren und durch welche er Beatrice zu allem zwingen konnte. Ja, Geld und Rache waren nochmals in seinen Bereich gerückt.

Sein Spion kam zurück und hatte das Goldstück redlich verdient, denn er hatte die Straße und die Nummer des Hauses ermittelt, in das Sarah gegangen war. Nun zog sich Hervey an, ging zum Rasierer und bezog dann die Wache vor Sarahs Zufluchtsort.

Er hielt sich vor dem Hause auf bis in die sinkende Nacht, und der frühe Morgen fand ihn schon wieder auf seinem Posten; auch den Nachmittag verbrachte er dort und erst der Abend belohnte ihn für seine Geduld. Ein Wagen fuhr vor, ein Koffer wurde aufgeladen und eine dunkel gekleidete Gestalt stieg ein; der Schlag wurde zugemacht und der Wagen fuhr fort.

Derselbe war noch nicht außer Sehweite, als Hervey vor dem betreffenden Hause stand und läutete; er fragte, ob Frau Miller zu Hause sei. Nein, sie war eben abgereist. Das war ein rechtes Mißgeschick, er hatte über eine wichtige Angelegenheit mit ihr zu reden. Wo konnte er sie wohl aufsuchen?

»Da müssen Sie weit gehen, wenn Sie sie finden wollen,« sagte die Besitzerin des Hauses lachend, »sie ist eben ins Ausland abgereist.«

»Ins Ausland! Wohin geht sie denn?«

»Weit fort, nach München. Gott weiß, wo das ist!«

Nun wußte er doch auf jeden Fall, wo er seine Beute erjagen mußte. »München!« rief er aus. »Ich will versuchen, ob ich sie nicht noch treffen kann, ehe sie abreist. Auf welchen Bahnhof ist sie gegangen?«

»Nach Charing Croß. Ich hörte, wie sie's dem Kutscher sagte.«

Er verabschiedete sich von der Frau, nahm den ersten Wagen, den er traf, und fuhr nach dem angegebenen Bahnhof. Obgleich er nicht wußte, um welche Zeit der Zug abging, war er doch ganz ruhig darüber, daß er ihn noch erreiche. Er wußte, daß eine Frau sich immer noch eine Gnadenfrist gewährt, wenn es sich um den Abgang von Eisenbahnzügen handelt. Er hatte richtig vermutet, denn das erste, was er bei seinem Eintritt in den Bahnhof erblickte, war Frau Miller, die gerade ihren Koffer aufgab. Er stahl sich ganz in ihre Nähe und hörte, wie sie mit ängstlicher Pünktlichkeit zweimal sagte, daß sie über Paris nach München reise. Daraufhin schlich sich Hervey weg, nahm sein Billet, beobachtete Sarah, bis sie eingestiegen war, und nahm dann in einem anderen Waggon Platz. Als Beatrices Bevollmächtigte glücklich und befriedigt von dem scheinbaren Erfolg ihrer Sendung den Rückweg antrat, ahnte sie nicht, daß sie ihrer geliebten Herrin selbst das Unglück zuführe.


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