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Zwanzigstes Kapitel.
Auf was sie zurückblickte

Da Beatrices Vergangenheit sich aus Umständen zusammensetzte, die sie teils kannte, teils erriet, teils gar nicht ahnte, wird es besser sein, dieselben im ganzen kennen zu lernen, als den trüben Erinnerungen dieses Winternachmittags zu folgen.

Nachdem die Entscheidungsschlacht zwischen Lady Clauson und ihrer Stieftochter geschlagen worden und Sir Maingay schwach genug gewesen war, seine Tochter um des lieben Friedens willen zu Hause zu lassen, begann für Beatrice das denkbar langweiligste Leben, das ihr nur erträglich wurde, wenn sie sich auf eigene Faust zu unterhalten suchte.

Nur in einem Punkt konnte sie sich nicht beklagen: Eine kinderlose Witwe konnte nicht mehr Freiheit genießen als sie. Frau Erskine, die alte Tante, der sie anvertraut worden, hatte zu viel mit ihren eigenen Leiden zu thun und war viel zu egoistisch, um mißtrauisch zu sein. Beatrice konnte ihre Zeit verbringen, wie sie wollte, konnte kommen und gehen nach Belieben. Durch diese Einrichtung sparte sich Frau Erskine viel Mühe und Verantwortung, was beides für alte Damen von zarter Gesundheit schädlich sein soll.

Aber Beatrice, die sich der frischen Gesundheit eines achtzehnjährigen Mädchens erfreute, fand, daß sie, um das Leben bei Frau Erskine aushalten zu können, irgend eine Beschäftigung für ihre einsamen Stunden suchen müsse. Vielleicht kamen auch Zeiten, in denen ihr die Freuden einer Reise ins Ausland, die sich ein ungereifter Mensch immer ideal ausmalt, so groß erschienen, daß sie die Hast bereute, mit der sie darauf verzichtet hatte, mit dem zweiten Platz in ihres Vaters Herzen vorlieb zu nehmen. Wenn dies aber auch der Fall war, so verbot ihr jedenfalls ihr Stolz, einen Vorschlag zu machen, der einer Unterwerfung gleich gekommen wäre. Es mußte etwas geschehen, um ihr Leben erträglich zu machen. Sie machte sich wenig oder nichts aus der Gesellschaft, und wäre dies auch nicht der Fall gewesen, so hätte sie doch keinen Menschen in London gehabt, mit dem sie hätte ausgehen können.

So kam Fräulein Clauson, die nicht unbedeutend beanlagt und der modernen Ansicht war, daß, richtig geleitet, der Verstand einer Frau ebenso befähigt sei, sich Kenntnisse zu erwerben, als der eines Mannes, auf den Gedanken, es sei, um die Zeit zu töten, am besten, sie nehme ihre Studien da wieder auf, wo sie dieselben beim Verlassen der Erziehungsanstalt abgebrochen hatte.

Außerdem fühlte Beatrice auch das Bedürfnis, etwas für die leidende Menschheit zu thun, und verwandte einen großen Teil des ihr von Sir Maingay reichlich zubemessenen Taschengeldes zur Linderung der Not ihrer Nebenmenschen. Sir Maingay, der seit des alten Talberts Tod jährlich eine Summe aus dem vormundschaftlich verwalteten Vermögen seiner Tochter zu deren Erziehung und Erhaltung ausbezahlt erhielt, zeigte sich in dieser Hinsicht sehr freigebig. Nichts ist so geeignet, das Gewissen zu beruhigen, als ein Geldopfer.

Beatrice that so viel Gutes, als sie auf ihre eigene Rechnung zu thun vermochte.

Da jede mitleiderregende Erzählung ihre Börse öffnete, wurde sie oft mißbraucht und es ist leicht möglich, daß all die vielen Wohlthaten vielleicht nur in einem einzigen Fall Frucht getragen hatten.

Durch ihr Bedürfnis zu helfen, kam sie nämlich einmal in Berührung mit einer Frau, die durch allerlei Umstände von der Stelle eines höheren Dienstboten in das tiefste Elend geraten und dem Tode nahe war. Beatrice hatte ihre Geschichte erfahren, half ihrer Not ab, gab sie in ärztliche Behandlung und erhielt sie am Leben. Durch diese That hatte sie sich die Frau für ihr ganzes Leben zur Sklavin gemacht. Schließlich nahm sie Sarah Miller auch noch trotz des Brummens ihrer Großtante als Kammermädchen in ihren Dienst.

Die Studien wurden emsig ohne Hilfe von anderen fortgesetzt. Nach einiger Zeit wollte Beatrice auch das Zeichnen wieder beginnen; da hier ihr Ehrgeiz weiter ging, als daß sie sich mit der Fertigkeit eines Schulmädchens begnügt hätte, brauchte sie einen Lehrer. Eine Dame, die gelegentlich Frau Erskine besuchte, empfahl ihr einen solchen. Sie schrieb an ihn und erkundigte sich nach seinen Bedingungen; er antwortete, sie schrieb wieder, nahm seine Bedingungen an und bat ihn, an einem bestimmten Tage zu ihr zu kommen. So trat sie in Beziehungen zu Maurice Hervey.

Als sie ihn erstmals sah, war sie überrascht, daß sie sich einen so jungen Lehrer – er mochte etwa fünfundzwanzig Jahre zählen – angenommen hatte. Allein das Alter eines Zeichenlehrers erschien dem Fräulein Clauson sehr nebensächlich. Verstand er seine Sache, so war es einerlei, ob er fünfundzwanzig oder fünfundfünfzig Jahre alt war. Ebensowenig kümmerte sich Frau Erskine darum. Sie wußte, daß ihre Schutzbefohlene zwei- oder dreimal bei einem Lehrer Stunden hatte, aber sie fragte nicht einmal nach dessen Namen. Für sie war er der Zeichenlehrer, weiter nichts.

Um das, was folgt, recht zu verstehen, darf man zwei Punkte nicht außer acht lassen. Das erste ist, daß Beatrice damals noch nicht jene ruhige, anscheinend teilnahmslose junge Dame war, deren Gelassenheit und Selbstbewunderung die Freude und der Stolz ihrer Onkel und für Frank Carruthers ein so unlösbares Rätsel waren. Sie war erst achtzehn Jahre alt, stolz wenn man will, aber romantisch, nach der ersten Eingebung handelnd und voll Vertrauen zu allen Menschen. Sie war einsam, sehnte sich nach Liebe und Teilnahme und ihr Leben lag, trotz ihrer gesellschaftlichen Stellung, öde und leer vor ihr – eine lange, wüste Strecke ohne ein absehbares Ende. Endlich war sie – wie alle achtzehnjährigen jungen Leute – von der Unfehlbarkeit ihres Urteils in betreff ihres eigenen Besten fest überzeugt.

Der zweite beachtenswerte Punkt ist der, daß Maurice Hervey dem Anschein nach nicht der Verbrecher war, den Frau Miller in Portland besucht hatte, und daß er die Rolle, die er vor Beatrice spielte, so ausgezeichnet durchführte, daß seine schlechte, gemeine Natur gar nicht zum Vorschein kam. Er war entschieden hübsch zu nennen, war gut gekleidet und hatte gerade so viel ungebundenes, künstlerisches Wesen an sich, als mit seiner Stellung im Einklang war. Seine Hände – junge Mädchen pflegen sehr viel Wert darauf zu legen – waren weiß und schön geformt. Er war aufmerksam und ehrerbietig in der Erfüllung seiner Pflichten – nach einigen Stunden nahm dies sogar noch zu. Er hatte nämlich bald allerlei über seine Schülerin in Erfahrung gebracht – nicht alles, was er wissen wollte, aber ziemlich viel. Er hatte erfahren, daß sie die Tochter eines Baronets und eine reiche Erbin sei. Zwar konnte er nicht in Erfahrung bringen, wieviel Geld und woher sie es habe, aber er hielt seine Quellen für zuverlässig und handelte dementsprechend.

Er begann damit, ihr Interesse für seine eigene unwürdige Person einzuflößen: er log ihr allerlei vor über sein hartes Los; er verbreitete sich über die Trostlosigkeit des Stundengebens für einen Mann, der wisse, daß er Genie habe; er stellte das alles so klug zusammen, daß Beatrice glaubte, sie sei tief in seiner Schuld, weil er ihr überhaupt Stunden gebe. Seine Lügen waren Meisterstücke, weil er selbst nicht an sein Talent glaubte, wie andere verkannte Genies; dieser Mensch wußte ganz gut, daß seine Fähigkeiten im günstigsten Falle für einen Künstler fünften, vielleicht für einen Zeichenlehrer ersten Ranges ausreichten.

Trotz alledem flößte er Beatrice Glauben an seine hohe Bestimmung und sein Genie ein, und sobald dieser vorhanden war, schwand jeder Standesunterschied für sie.

Die Stunden wurden immer länger und länger und wurden großenteils verplaudert. Hervey war ein unterrichteter Mann oder verstand wenigstens das, was er wußte, gut zu verwerten. Der erste Vorbote von dem, was kommen sollte, bestand darin, daß Beatrice es unmöglich fand, einem solchen Manne Geld anzubieten. Dann folgten andere Symptome, die sich stets unverkennbar deutlich äußern, wenn der Kranke ein eigensinniges, achtzehnjähriges Mädchen ist.

Sobald sich Hervey auf gleicher Stufe mit seiner Schülerin sah, betrieb er seine Bewerbung lebhafter. Er hatte dringende, nur ihm bekannte Gründe, die Sache zu einem raschen Abschluß zu bringen. Vielleicht kam ihm auch seine Kühnheit zu statten; jedenfalls erhielt er von dem jungen Mädchen, als er eines schönen Tages die Arbeit heftig wegstieß und erklärte, er liebe sie und müsse sie ewig meiden, falls sie diese Liebe nicht erwidere, die günstigste Antwort, die er hatte erwarten können.

Sie wollte erst ihrem Vater schreiben, aber dies paßte ihrem Liebhaber sonderbarerweise nicht. Mit großer Bescheidenheit stellte er ihr vor, daß Sir Maingay dieser Verbindung abgeneigt sein werde, solange er noch kein berühmter Mann sei. Er war aber nicht selbstsüchtig genug, ihr für die Dauer des Berühmtwerdens eine Prüfungszeit aufzuerlegen, im Gegenteil, er schwur bei allem, was heilig war, er könne keinen Monat mehr ohne sie leben; er verdoppelte diese Schwüre, als ihm Beatrice andeutete, daß sie bei ihrer Volljährigkeit in den Besitz eines großen Vermögens gelange. Nein, sie wollten gleich heiraten; nach geschehener That war ihres Vaters Einwilligung ja viel leichter zu erlangen. Sein, Maurices, Liebling mußte sich von ihm leiten lassen. Beatrice zögerte, Hervey drängte, und schließlich willigte sie ein, sich wie andere Lieblinge von achtzehn Jahren von dem Mann ihrer Liebe leiten zu lassen.

Er leitete sie zu ihrem ersten Betrug. Sie teilte Frau Erskine mit, daß sie eine Schulfreundin in Bournemouth auf vierzehn Tage besuchen wolle. Beatrice tröstete sich damit, daß es ja nur eine Zweideutigkeit sei – ging sie ja doch nach Bournemouth, wo sie wirklich eine Freundin hatte, die sie ja gewiß auch sehen würde.

Hinsichtlich ihres Vaters meinte sie, er habe ja auch nach eigener Wahl geheiratet, da dürfe sie es ebensogut thun; außerdem würde er ihren Maurice ja auch bald kennen und, selbstverständlich, lieben lernen.

So ging sie wohl nach Bournemouth, ließ sich aber vorher in aller Stille mit Maurice Hervey trauen und verlebte ihre Flitterwochen in jenem Badeort. Manchmal dienen die Flitterwochen dazu, den Strahlenkranz wesentlich zu verdunkeln, den die Liebe der Braut um den Bräutigam gewoben hat. Auch Beatrice machte einige sonderbare Beobachtungen.

In erster Linie wollte ihr Gatte ihr auch jetzt noch nicht gestatten, Sir Maingay an ihrem Glück teilnehmen zu lassen. Sie wollte ihm in den ersten Tagen noch nicht zuwiderhandeln und willigte ein, sich noch kurze Zeit seiner überlegenen Welt- und Menschenkenntnis unterzuordnen.

Zweitens brachte der Briefbote eines Morgens einen großen Brief an Maurice. Beatrice beobachtete ihn neugierig, während er denselben öffnete; sie sah, daß er ein Dokument enthielt, dessen Umschlag jeden, der lesen konnte, davon benachrichtigte, daß es eine Abschrift des Testamentes von William Talbert Esq. sei. Hervey erklärte ihr, es sei ganz natürlich, daß er sich für seines Lieblings Angelegenheiten interessiere, und deshalb habe er, um dieselben kennen zu lernen, sich die Abschrift schicken lassen. Die Erklärung wurde genügend befunden und Beatrice setzte sich neben ihn und las mit ihm zugleich.

Hervey las mit einem Lächeln der Befriedigung, daß ein Drittel der Hinterlassenschaft, das Herbert und Horace für sie verwalten sollten, Beatrice vermacht war. Darauf folgte aber eine Klausel, welche für den Fall, daß Beatrice während ihrer Minderjährigkeit eine nicht entsprechende Heirat eingehe, mit der ihre Vormünder nicht einverstanden wären, Horace und Herbert unbeschränkte Vollmacht erteilte, über ihren Vermögensanteil zu verfügen; diese Vollmacht kam fast einer Enterbung gleich. Der alte Talbert wollte seine Söhne in den Stand setzen, Glücksjäger von seiner Enkelin fern zu halten.

Die Klausel war so deutlich abgefaßt, daß auch Beatrice sie wohl verstand; sie sah ihren Gatten an. Sein Gesicht war blaß, seine Hände bebten und seine Lippen stießen leidenschaftliche Flüche aus. Ein heftiger Schmerz zuckte durch das Herz der jungen Frau. Ohne ein Wort erhob sie sich und ging hinaus. Er folgte ihr bald und glaubte, er habe sie durch die vorgebrachten Entschuldigungen beruhigt, aber sein Benehmen hatte den Zweifel in ihr geweckt – den schmerzlichsten Zweifel für ein junges Weib – daß ihr Gatte sie um ihres Geldes, nicht um ihrer selbst willen erwählt habe.

Am anderen Tage ging Hervey in wichtigen Geschäften, wie er sagte, nach der Stadt. Beatrice blieb natürlich nicht gern allein, da sie aber noch nicht lange genug verheiratet war, um zu wissen, was sich oft hinter »Geschäften« verbirgt, so klagte sie nicht darüber. Immerhin hatte sie eine unbestimmte Ahnung, daß dieses Geschäft in Zusammenhang mit dem Testament stehe. So wurde ihr der Zweifel fast zur Gewißheit.

Von nun an hegte sie auch nicht mehr den Wunsch, ihrem Vater mitzuteilen, was geschehen war. Langsam wurde sie sich bewußt, welche Bedeutung der Schritt hatte, den sie gethan.

Es war verabredet worden, daß Beatrice zu Frau Erskine zurückkehren und Maurice in der Nähe eine Wohnung nehmen sollte, in die seine Frau als seine Schülerin kommen konnte. Ein Mißverständnis ist nicht hinreichend, um ein erst vierzehn Tage verheiratetes Ehepaar auseinander zu bringen, außerdem spielte der Schurke wieder seine alte Rolle und bemühte sich, die Erinnerung an die Testamentsscene zu verwischen.

Aber er hatte die Maske einmal fallen lassen und Beatrice war, abgesehen von ihrem Benehmen ihm gegenüber, nicht dumm. Sie kehrte mit einem tiefen Schmerz im Herzen zu ihrer Tante zurück und fühlte sich um viele Jahre älter als vor vierzehn Tagen. Frau Erskine zeigte kein Interesse für die Bournemouther Reise, sondern drückte nur die Hoffnung aus, Beatrice habe eine angenehme Zeit verlebt.

Das arme Mädchen fühlte sich sehr unglücklich; eine Ahnung von drohendem Unheil, die sie nicht verscheuchen konnte, bedrückte sie tief. Sie brauchte Mitgefühl, eine Vertraute. Die Last, die sie trug, war zu groß für einen Menschen und so schüttete sie Frau Miller, deren sklavische Ergebenheit und fast hündische Treue für ihre Verschwiegenheit bürgten, ihr ganzes Herz aus. Frau Miller, die trotz ihrer religiösen Sonderbarkeiten die Welt kannte, wußte auch, was eine solche Heirat zu bedeuten hatte, und verbarg ihren Kummer darüber. Aber, um sich zu beruhigen, begann sie Erkundigungen über Hervey einzuziehen, beobachtete sein Kommen und Gehen und folgte ihm oft ungesehen. Sie sagte Beatrice nichts davon. Hätte sie in Hervey einen Mann gefunden, der einigermaßen dem entsprach, was sie für Beatrice verlangte, so würde sie heiße Dankgebete zum Himmel emporgesandt haben.

Eines Tages, als Beatrice ihren Gatten besuchte, sagte er plötzlich: »Ich brauche Geld! Es hat keinen Sinn, erst mit der Kirche ums Dorf herumzugehen.«

»Hast du kein Geld?« fragte Beatrice.

»Ich habe noch zwanzig Pfund übrig von einer großen Summe, die ich entlehnt habe.«

Beatrice hatte etwas derartiges erwartet; das war auch ein Teil jener unbestimmten Angst gewesen; obgleich ihr Maurice oft gesagt hatte, er könne mit dem elenden Stundengeben so viel verdienen, daß für ihn das Geld beim Heiraten nicht in Betracht komme. Sein Verlangen gab ihrem Zweifel neue Nahrung. Sie zog ihre Börse hervor und leerte deren Inhalt, ohne ein Wort zu sagen, auf den Tisch. Er lachte verächtlich.

»Mit so einer Kleinigkeit ist mir nicht gedient. Ich muß bis heute in vierzehn Tagen tausend Pfund haben!«

»Warum sagst du das mir? Ich kann dir das Geld nicht geben.«

»Doch du kannst, wenn du willst! Willst du?«

Sie blickte ihm fest ins Gesicht, als sie sagte: »Du bist mein Gatte. Wenn ich kann, will ich.«

»Ich wußte es ja,« sagte er mit nervösem Lachen; »du brauchst nur zu unterschreiben, daß du in einer gewissen Reihe von Jahren das Kapital und die Zinsen aus deinem Einkommen zurückzahlen willst. Willst du dies thun?«

»Ja, ich will es thun; du bist mein Gatte.«

»Außerdem ist es nötig,« fuhr er mit einem verstohlenen Blick auf sie fort, »daß du eine Erklärung unterschreibst, nur der Form wegen. Du mußt unterschreiben, daß du einundzwanzig Jahre alt seist.«

Die Sache lag so. Er hatte bei verschiedenen Geldverleihern auf die Sicherheit, die Beatrices Vermögen gewährte, Geld aufzunehmen gesucht; die Wucherer hatten ihm ins Gesicht gelacht. Endlich geriet er an einen, der den Grundsatz hatte, stets auch auf falsche Wechsel und falsche Erklärungen Geld auszuleihen, falls die Angehörigen des Fälschers oder des Meineidigen in der Lage waren, das Geld zu bezahlen, um ein gerichtliches Vorgehen zu vermeiden.

»Ich verstehe dich nicht ganz,« sagte Beatrice. Sie wollte nicht verstehen.

»Es ist lediglich Formsache, mein liebes Kind, und bringt niemand Schaden. Du mußt nur beschwören, daß du einundzwanzig Jahre alt bist. Ich bin überzeugt, daß dies kein Mensch bezweifeln wird.«

Beatrice bedeckte ihr Gesicht mit den Händen; dicke Thränen quollen durch ihre Finger. Hervey versuchte sie zu liebkosen. Traurig, aber fest, schob sie seinen Arm zurück.

»Ich kann es nicht thun,« sagte sie. Sein Gesicht verfinsterte sich.

»Zum Henker! Du mußt!«

Sie stand auf. »Ich will nicht,« sagte sie in einem Tone, der ihm bewies, daß ihr ernst war, was sie sagte. »Ich will aber so viel thun, als ich kann. Ich will dir meinen Schmuck geben. Das einzige, um was ich dich bitte, ist, daß du das Geld darauf in einer Weise erhebst, die es mir ermöglicht, denselben später zurückzukaufen – ein Teil davon hat meiner Mutter gehört.«

Hervey wußte, daß all ihr Schmuck ihm nichts helfen konnte, so drängte er sie immer mehr, die falsche Erklärung an Eidesstatt zu geben; erst befahl, dann flehte er und zuletzt suchte er sie durch Vernunftgründe zu bestimmen. Und bei seinen flehenden, drängenden Worten entwich auch das letzte Atom der Liebe zu ihm aus ihrem Herzen. Liebe kann Mißhandlung, Treulosigkeit und Leichtfertigkeit überleben – Niedrigkeit aber tötet sie. Beatrice wandte sich und ging, ehe er sie aufhalten konnte.

Sie hielt, was sie versprochen. Am selben Abend noch brachte Frau Miller ein Paket Schmucksachen, die teilweise sehr wertvoll waren, da Sir Maingay seiner Tochter vor seiner zweiten Vermählung einige Diamanten, die ihrer Mutter gehört hatten, überlassen. So konnte Hervey auf die Schmucksachen einige hundert Pfund erheben. Zu seiner Ehre sei aber bemerkt, daß er Beatrice sofort einige geheimnisvoll aussehende Papiere schickte, durch welche sie in den Stand gesetzt wurde, die verpfändeten Gegenstände später wieder einzulösen.

Drei Tage nachher fand Sarah eine Vermutung, die sie längst gehegt, vollauf bestätigt. Sie entdeckte durch genaue Beobachtung und eingezogene Erkundigungen, daß er eine gewöhnliche Liebschaft mit einem anderen Mädchen unterhielt. Mit blitzenden Augen ging sie zu Beatrice und sagte es ihr.

Beatrice hörte sie schweigend an. Dann sprach sie ruhig und kalt; die Ereignisse machten nur allzuschnell eine gereifte Frau aus ihr. »Sarah,« sagte sie, »ich werde zu Herrn Hervey gehen, und wenn es nötig ist, auch Sie. Vergessen Sie aber nicht, daß, wenn die Anklage, die Sie gegen ihn erheben, falsch ist, Sie mich sofort verlassen werden.«

Sie nahm Sarah mit und ließ sie auf der Straße warten. Dann ging sie zu ihrem Gatten. Sie sagte ihm anscheinend kalt alles, was sie gehört, und nannte ihm Straße und Hausnummer.

Natürlich leugnete Hervey. Als jedoch Beatrice sagte, sie wolle den Verleumder herbeirufen und bestrafen, wurde er unsicher, stammelte einige Worte und fiel dann ganz und für immer aus seiner Rolle. In roher Weise hieß er sein junges Weib sich in Angelegenheiten dieser Art nicht mischen. So erfuhr Beatrice, daß Sarah die Wahrheit gesprochen hatte. Mit dieser Erkenntnis aber trat in ihrem Herzen an Stelle der schon entschwundenen Liebe zu diesem Mann ein Gefühl des Hasses und der Verachtung.

Noch ein einziges Mal sah sie ihn. Wenige Tage später schrieb er ihr und befahl ihr, zu ihm zu kommen. Sie ging hin; sie verachtete ihn zu sehr, um ihn zu fürchten.

Er erneuerte das Verlangen, sie solle die falsche Erklärung unterschreiben.

»Ich will nicht,« sagte sie.

»Willst du deinem Vater telegraphieren, du brauchest durchaus tausend Pfund? – Sage ihm, es handle sich um Leben oder Tod.«

»Ich will nicht; übrigens würde er es auch nicht schicken, wenn ich es thäte.«

Hervey fing an, den Charakter seiner Frau zu verstehen, und wußte, daß er sie seinem Willen nicht unterwerfen könne. Mit einem wilden Fluch erhob er die Hand und schlug sie. Seine ursprüngliche, rohe Natur hatte die Oberhand gewonnen. Er überschüttete sie mit Vorwürfen, sagte ihr, daß er sie nie geliebt, daß er sie nur geheiratet habe, um sich vor dem drohenden Untergang zu retten, weil er geglaubt, die kleine Summe, die er brauche, lasse sich auf ihr Vermögen leicht erheben. Er schwur, sich für ihre Widerspenstigkeit schwer zu rächen; er wollte ihr Leben zu einer Hölle machen, er wollte ihren Namen durch den Schmutz ziehen; sie sollte es bis an ihr Ende bereuen, daß sie seinen Willen nicht erfüllt hatte.

Als sie nach Hause ging, sauste es ihr in den Ohren. Kaum hatte sie die Schwelle überschritten, so brach sie bewußtlos zusammen.

Drei Tage später las sie, daß Maurice Hervey wegen Fälschung verhaftet worden sei und sich in Untersuchungsgefangenschaft befinde. Sie fand Mittel und Wege, bei ihm anzufragen, ob er Geld habe, um seine Verteidigung zu führen; er antwortete, er werde die Klage anerkennen. Er that dies auch und wurde, da die Fälschung eine schwere, vorbedachte war, von den Richtern verständigerweise zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Als seine Gattin den Urteilsspruch las, atmete sie erleichtert auf.

Nun zeigte sich die schwächste Seite ihres Charakters, die sie wohl von ihrem Vater geerbt haben mochte. Sie ließ die Dinge gehen, wie sie wollten. Einem erst achtzehnjährigen Mädchen scheinen fünf Jahre eine so lange Zeit, in der so viel geschehen kann. Ganz gewiß mußte sich vor deren Ablauf etwas ereignen!

Was aber waren ihre Gefühle, als sie zuerst entdeckte, daß sie ihr Geheimnis nicht länger verbergen, daß kein vorgeschütztes Unwohlsein ihren Zustand länger erklärlich machen könne, als sie wußte, daß sie Mutter sei; Beatrice flehte um Erlösung durch den Tod. Aber auch jetzt wollte sie nicht zu den Ihren gehen und ihnen alles anvertrauen, auch jetzt noch schienen sich ihr die fünf Jahre zu einer unabsehbaren, endlosen Länge auszudehnen. Wenn es ihr nur gelang, auch diesen neuen Jammer zu verheimlichen, wie ihre Heirat, so lag noch eine lange friedliche Zeit vor ihr. Sarah erfuhr, was sie längst ahnte, und begann, die Wünsche ihrer Herrin auszuführen, sobald sie dieselben kannte.

Das Kind wurde geboren und niemand außer der Mutter und ihrer Dienerin kannte die Wahrheit. Es war schwer, aber es gelang. Die ältere Frau besorgte alles; sie verließ ihre Herrin, wie ein anderer Dienstbote; sie bereitete an einem sicheren Ort alles vor, und als die schwere Stunde kam, fand Beatrice jede Erleichterung, die treue Liebe geben kann. Natürlich lief Betrug mit unter – der hatte sich nun einmal in ihr Leben geschlichen.

Sie stattete irgendwo einen langen Besuch ab, einen Besuch, von dem sie als der Schatten ihres früheren Selbst zurückkehrte; aber niemand kannte, niemand ahnte die wahre Ursache.

Bis zur Geburt des Kindes hatte Beatrice nur das eine Gebet, daß sie und das Kind stürben. Gibt es ein traurigeres Gebet für eine Frau? Dann konnte die Wahrheit gesagt werden; ihr früher Tod würde die Sühne ihrer Thorheit sein. Die wenigen Menschen, die sie liebten, würden sie bemitleiden und ihr verzeihen. Aber ihr Gebet wurde nicht erhört – der Tod nahte sich weder der Mutter noch dem Kinde.

Das Kind war geboren, und als es sein kleines Köpfchen an die Brust der Mutter schmiegte, erwachte allmählich ein neues, ein seliges Gefühl in ihr – die Mutterliebe. Einst hatte sie geglaubt, sie würde das Kind, falls es am Leben bliebe, hassen um des Vaters willen, nun aber fühlte sie die reinste, wärmste Liebe für das hilflose kleine Geschöpf. Weit davon entfernt, es tot zu wünschen, hätte sie es nicht einmal ungeboren gewünscht. Als sie nach Hause zurückkehren mußte, ließ sie es mit tausend Thränen in Sarahs Pflege zurück.

Jahre hindurch sah sie es nur verstohlen, sah es wachsen und gedeihen und liebte es jedesmal noch inniger und zärtlicher, wenn sie es sah, und als sie in ihres Vaters Haus zurückgekehrt war und die Besuche bei ihrem verborgenen Kleinod immer seltener wurden, erwachte ein leidenschaftliches Sehnen in ihr, das Kind immer bei sich zu haben.

Dann kam der neue Streit mit der Stiefmutter und die neue Heimat. Und dann entwarf sie den Plan, den sie mit so viel Glück und Geschick ausgeführt hatte.

Aber die fünf Jahre schwanden dahin und an ihrem Abschluß stand, was Beatrice sich nur schaudernd klar machte, der entlassene Sträfling und forderte sein Weib zurück. Beatrice war schon bei seiner Verhaftung darauf gefaßt gewesen, daß er die Heirat bekannt mache, wenn auch nur, um, wie er gedroht, ihren Namen in den Schmutz zu ziehen.

Er that es nicht; er war schlau und berechnend. Ihm schien die Zeit der Strafe keine Ewigkeit; er wußte, daß es für ihn nach Ablauf derselben vorteilhafter sei, das Geheimnis bewahrt zu haben. Bis dahin würde Beatrice längst volljährig sein und über ein großes Einkommen verfügen. Er wollte sich für die Beharrlichkeit rächen, mit der sie sich geweigert hatte, einen Meineid zu leisten, der ihm die Mittel zum Aufkaufen des gefälschten Wechsels hätte beschaffen sollen; außerdem wollte er aber auch Geld, viel Geld von ihr haben.

Dies sind die Ereignisse der letzten fünf Jahre, auf die Beatrice zurückblickte, das Bild des Mannes und des Weibes, des Gatten und der Gattin, die am nächsten Tage wie Feinde zu einem tödlichen Zweikampf zusammentreffen sollten. Und zu alledem bedrückte noch etwas anderes ihr Gemüt – ein Name drängte sich auf ihre Lippen, aber nicht im Tone des Hasses, sondern in dem der Liebe. Sie hatte wohl versucht, den Träger des Namens, nicht aber sich selbst zu täuschen. Daß sie Frank liebte, schien ihr ihre härteste Strafe zu sein. Sie hatte auch dies Geheimnis an der Brust der treuen Sarah hervorgeschluchzt und hatte manche schlaflose Nacht durchweint bei dem Gedanken an die Hoffnungslosigkeit dieser Liebe. Sein Kommen nach Oakbury hatte ihren Kummer vermehrt. Sie hatte nicht nur zu beklagen, »was gewesen war,« sie mußte auch das beweinen, »was hätte gewesen sein können.«

Tadle sie wer muß, vergebe ihr wer kann! Mitleid wird ihr wohl niemand versagen!


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