Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundzwanzigstes Kapitel.
Die »Madonna di Tempi«

Wie alle ihre früheren Briefe wurde auch der letzte Brief Beatrices, nachdem ihn die Talberts gelesen und in allen Einzelheiten besprochen hatten, von Herbert an Frank abgeschickt. Ein Briefchen von Herbert war beigeschlossen. Er schrieb: »Du wirst auch finden, daß dieser Brief von Beatrice ebenso unbefriedigend ist, wie seine Vorgänger. Er gibt uns lediglich keinen Aufschluß darüber, wo sie weilt oder warum sie uns verlassen hat. Jetzt, da wir versichert sein können, daß es ihr gut geht und sie gesund und wohlbehalten ist, verwandelt sich das Gefühl des Bedauerns, das wir bisher über ihre unerklärliche und so sehr verlängerte Abwesenheit empfanden, in ernstliches Mißfallen. Es wird uns nachgerade sehr schwer, Fragen nach ihr zu beantworten, ohne uns zu widersprechen.«

Natürlich öffnete Carruthers den Brief, der Herberts Handschrift zeigte, vor allen anderen, und ebenso natürlich ist es, daß er Beatrices Brief vor dem Herberts las. Vergeblich suchte er auch diesmal in dem ersteren nach einem Gruß, nach einer Erwähnung, und ahnte nicht, welchen Kampf die Schreiberin mit ihrem Herzen zu bestehen hatte, ehe sie es über sich vermochte, den Brief ohne eine Zeile für ihn zu schließen. Er träumte eine Weile vor sich hin, ihren Brief fest in der Hand haltend – dann preßte er ihn an seine Lippen – sie hatte ja dies Blatt berührt! Offenbar nahm Carruthers' Krankheit noch immer mehr überhand.

Nach einiger Zeit entschloß er sich, nachzusehen, was ihm das Schicksal vermittelst des Postboten noch mehr gesandt habe. Er griff zuerst nach einem Briefe, der noch nach Oxford adressiert und ihm von dort nachgeschickt worden war; er öffnete ihn sorglos und fand einen halben Bogen Briefpapier, der die Worte enthielt: »Denken Sie an Ihr Versprechen. Warten Sie, ach, warten Sie in Geduld!«

Carruthers lächelte bitter. Er kannte die Schreiberin wohl. Warten! Auf was sollte er denn warten? Trotzdem riefen ihm diese Zeilen die Gestalt der sonderbaren Frau ins Gedächtnis zurück und erinnerten ihn an den nächtlichen Besuch, bei dem sie ihn so ernst und eindringlich gebeten hatte: »Warten Sie fünfzehn, zwanzig Jahre auf die Frau, die Sie lieben.« Warum schrieb sie ihm jetzt und wiederholte dies Verlangen? Wie konnte gerade sie dies thun, die doch alles wußte, die Beatrice begleitet hatte und vermutlich auch jetzt bei ihr weilte?

Die Worte jener Frau hatten damals wie heute mehr Eindruck auf ihn gemacht, als er sich selbst gestehen mochte; er hatte aus ihrem festen, unerschütterlichen Glauben an sein und Beatrices Glück nicht nur deshalb Hoffnung geschöpft, weil er wußte, daß sie das Vertrauen ihrer Herrin genoß, sondern auch, weil ihre leidenschaftliche, prophetische Begeisterung etwas Ueberzeugendes hatte. Aberglauben ist etwas, das in heutiger Zeit kein Mensch haben will, und doch sind unter zehn Menschen neun abergläubisch.

Carruthers nahm das Blatt Papier, das er zerknittert und weggeschleudert hatte, noch einmal zur Hand, glättete es und las die Worte noch einmal; er fand, daß dieselben auf das nämliche Papier geschrieben waren, das auch Beatrice im Gebrauch hatte, und entdeckte im Umwenden einige offenbar von Beatrice hingeworfene Worte: »Madonna di Tempi«.

Was bedeuteten diese Worte und inwieweit konnten sie ihm helfen, die Schreiberin aufzufinden? Er war bald darüber im klaren, daß die Madonna di Tempi ein Gemälde sein müsse. Aber was für eines? Wo war es zu finden?

Natürlich hatte er mit dem Bilde, das ebensogut ein altberühmtes, wie ein ganz unbekanntes sein konnte, Beatrice noch lange nicht gefunden, aber es war doch immerhin ein Fingerzeig, den er befolgen wollte. Er hätte auch einen schwächeren Faden bis ans Ende der Welt verfolgt in der Hoffnung, er könne ihn zu Beatrice leiten. So machte er sich sofort an das Werk, über ein die »Madonna di Tempi« genanntes Bild alle Erkundigungen einzuziehen, die zu erlangen waren – vorausgesetzt, daß er überhaupt etwas darüber ermitteln konnte. Er hoffte, aber seine Hoffnungen waren schwach. Er konnte nicht umhin, seine Lage mit der jener schönen Sarazenin zu vergleichen, die ihren Geliebten mit Hilfe zweier Worte wieder gefunden hat. Und doch war sie noch besser daran als er! Eines ihrer beiden Zauberworte war doch der Name eines Ortes. Er hatte nur einen Namen, den er, vielleicht mit Unrecht, für den eines Bildes hielt.

Frank Carruthers hatte nie in Kunstbegeisterung gemacht; er hatte nie unverstandenen Göttern geopfert. Er liebte die Kunst um ihrer selbst willen, war aber kühn genug, ein eigenes Urteil zu haben und zu sagen, was ihm gefiel und nicht gefiel, weshalb seine Meinung auch nur für ihn selbst von Belang war. Leider vermochte er auch nicht, wie viele andere Leute, die Hauptwerke aller alten Meister an den Fingern herzuzählen und anzugeben, auf welchem Fleck der Erde jedes gefunden werden könne; bis heute hatte er diese Kenntnisse auch nicht vermißt. Aber wie jener Mann, der, zum Kämpfen herausgefordert, antwortete: »Ich kann selbst nicht fechten, aber ich habe einen kleinen Freund, der es kann,« und den Herausforderer sofort mit einem schweren, kurzen Schüreisen niederschlug, so tröstete sich Carruthers damit, daß er einen Freund habe, der das wisse, was ihm abgehe, und beschloß, denselben sofort aufzusuchen und von ihm alles in Erfahrung zu bringen, was man von der »Madonna di Tempi« überhaupt erfahren könne.

Dieser Freund war ein Herr Burnett, eine allgemein anerkannte Autorität in Kunstsachen. Bekanntlich wird eine derartige Autorität nicht gemacht, sondern geboren, wenigstens hat bis jetzt noch niemand die Art der Fabrikation entdecken können. Eine solche Autorität erscheint plötzlich in ihrer ganzen Größe, ein Erklärer der großen Mutter Kunst. Sie wird anerkannt, sie ist gütig, wohlwollend, nimmt uns bei der Hand, führt und leitet uns und belehrt uns darüber, was uns gefallen und mißfallen muß, was wir zu loben oder zu tadeln haben. Wir sind dankbar, und wenn wir außerdem auch reich sind, richten wir uns in unseren Einkäufen nach dem Rate einer solchen Autorität.

Frank fand Herrn Burnett zu Hause und mit dem Schreiben einer Kritik über die kürzlich eröffnete Kunstausstellung beschäftigt.

Burnett war ein großer Mann – er maß mindestens sechs Fuß; er war ziemlich stark und füllte die ausgerundete Lehne seines Schreibstuhles vollkommen aus. Sein Gesicht war voll und glatt rasiert. Seine Haare begannen sich zu lichten. Seine Augen waren blau und ihr Ausdruck verriet, daß Burnett Humor hatte. Alles in allem genommen, war er der letzte, den man, nach seinen Schriften und seinem Rufe zu urteilen, für Herrn Burnett gehalten hätte, und ein Künstler, der einige seiner Ansichten bekämpfte und ihn einen ausgetrockneten Apostel der Aesthetik nannte, konnte sich unmöglich seiner persönlichen Bekanntschaft erfreut haben.

»Was, Carruthers,« rief er mit einer weichen, tiefen Stimme, »ich habe dich ja eine Ewigkeit nicht gesehen! Nimm Platz, lieber Kerl, und steck dir eine Cigarre an.« Er schob ihm ein Cigarrenkistchen hin. Die Cigarrenkiste, oder als ihre Stellvertreterin das Cigarettenetui, tritt im gesellschaftlichen Verkehr des modernen Lebens schnell an die Stelle, die einstens die Schnupftabaksdose unserer Ahnen ausgefüllt hat.

»Dein Buch kommt bald heraus,« fuhr er fort, »dein Verleger sprach mir davon. Man erwartet viel davon; glaube aber nicht, daß du Häuser darauf bauen kannst. Oh ja, gewiß, lieber Carruthers,« – Frank hatte etwas sagen wollen – »gewiß, ich werde für dich thun, was ich kann! Fürchte nur, es wird nicht viel sein.«

Hier gelang es Carruthers, ein Wort einzuwerfen.

»Ich wüßte nicht, daß ich dich gebeten hätte, etwas für mich zu thun.«

»Aber du wolltest mich darum bitten! Ein Mann, der nach langer Abwesenheit plötzlich wieder auftaucht, kommt immer, um einen um etwas zu bitten. Ich bin deinem Ersuchen nur zuvorgekommen. Ich willige immer im voraus ein, wenn ich kann. Jedermann muß einwilligen, das zu thun, um was man ihn bittet; es verrät aber ein größeres Zartgefühl, der Bitte zuvorzukommen.«

»Jedenfalls bin ich nicht gekommen, um mit dir über mein Buch zu sprechen,« unterbrach Carruthers endlich seinen Freund.

»Unmöglich, liebster Carruthers! Ein erstes Buch und du willst nicht darüber reden! Sprich darüber – es wäre unnatürlich, wenn du es nicht thätest!«

»Zum Kuckuck! Kannst du denn nicht einen Augenblick zuhören? Ich wollte dich fragen …«

»Ich wußte gewiß, daß du mich etwas fragen wolltest, ich bedaure, daß ich nicht erriet, was.«

»Nicht wahr, du verstehst viel von Gemälden?« fragte Carruthers, ohne die Unterbrechung zu beachten.

Burnett drehte sich rasch auf seinem Stuhle um und blinzelte mit den Augen.

»Ach, lieber Carruthers, das ist eine Frage, die ich mir selbst Tag und Nacht vorlege. Verstehe ich viel von Bildern? Im Vertrauen gesagt, mein Leben wäre entschieden glücklicher, wenn ich diese Frage beantworten könnte. Mein lieber Freund, das Schreckgespenst, das mich beharrlich verfolgt, ist die Angst, ich könne eines schönen Tages ein Gemälde bis in die Wolken erheben und zu spät erfahren, daß es nur eine schlechte Kopie sei. Diese Angst, Carruthers, wird dir immer erspart bleiben. Beantworte deine Frage selbst und du hast einen Glücklichen gemacht.«

Frank lachte.

»Jedenfalls nimmt man an, du wissest und verstehest viel.«

»Das ist schon besser ausgedrückt. Ich kann diese Frage beantworten, ohne der Bescheidenheit zu nahe zu treten. Vorausgesetzt also, daß man voraussetzt, ich wisse etwas, was folgt daraus?«

»Ich möchte –«

»Mein lieber Carruthers, meine Frage war nur einer jener Sätze, die ein Redner einschiebt, um sie selbst zu beantworten. Ich weiß ganz genau, was du willst. Du hast in irgend einem Laden, in irgend einem Hinterzimmer oder vielleicht auch bei einer Versteigerung ein Stück alte Leinwand gekauft, das mit gewissen Farbstoffen bedeckt ist. Du hast es für eine Kleinigkeit erstanden; du hast es heimgetragen und in die verschiedensten Beleuchtungen gesetzt; du hast deine Finger angefeuchtet und bist damit über die verschiedensten Stellen des Bildes gefahren und hast verborgene Schönheiten entdeckt; du hast es durch ein Vergrößerungsglas betrachtet und einen Namenszug gesucht. Nein, unterbrich mich nicht, mein lieber Kerl, ich kenne das ganze Verfahren. Obgleich der Glaube an den unermeßlichen Wert deines Einkaufes mächtig bei dir überhand genommen hat, bist du doch nicht ganz zufrieden; so bist du zu mir gekommen, um ihn mir zu zeigen, und in diesem Augenblick steht ein Wagen vor meiner Thür, und in diesem Wagen befindet sich das Bild. Bemühe dich nicht damit, es heraufzutragen. Wenn du darauf bestehst, daß ich es ansehe, so gehe geschwind hinunter und halte es in die Höhe; ich will aus dem Fenster sehen.«

»Ich bin nicht in einem Wagen gekommen,« sagte Carruthers.

»Ist es so, dann ist es zu groß, um es zu mir zu bringen. Um so schlimmer für dich, Carruthers. Es befindet sich natürlich in deiner Wohnung, wo es in heller Beleuchtung auf einem Stuhle steht. O ja, ich will gelegentlich einmal vorbeikommen. Du rauchst im allgemeinen gute Cigarren und hast, wie ich vermute, auch etwas zu trinken bei der Hand. Entschuldige dich nicht, daß du mich bemühst. Es macht mir keine Mühe. Was aber das Bild betrifft, so stelle es in deinem Schlafzimmer umgekehrt an die Wand. Ich brauche es nicht anzusehen. Ich kann dir meine Ansicht sagen, auch ohne daß ich es sehe. Ich versichere dich, es ist nicht echt, mein lieber Carruthers – sie sind es nie.«

»Aber ich habe kein Bild gekauft –« begann Carruthers.

»Oh, es ist also eines, das du erst kaufen willst? Weißt du, lieber Carruthers, ich wäre an deiner Stelle vorsichtig. Ich würde nicht über fünf Pfund hinausgehen, falls es nicht ein Tizian, ein Guido, ein Rafael oder ein Murillo wäre. Dann könntest du bis zu sieben gehen. Sieben Pfund ist eine ganz nette Grenze für einen Bilderkäufer. Ich kenne einen Mann, der nach und nach eine ganz hübsche Galerie alter Meister innerhalb der Sieben-Pfundgrenze zusammenbekam. Merkwürdigerweise hatte er wirklich einige echte Werke darunter.«

»Glücklicher Mann!« sagte Frank, der einzusehen begann, daß er seinen Freund den angefangenen Faden müsse zu Ende spinnen lassen. Herr Burnett sprach nicht rasch, aber beharrlich und ununterbrochen; seine Worte quollen so weich und ausdrucksvoll und wohlklingend hervor, daß es Sünde schien, ihn zu unterbrechen.

»Ich kann kein Glück darin sehen, lieber Carruthers. Seine Gemälde kosten ihn sieben Pfund pro Stück und werden sich ohne Zweifel auch wieder zu sieben Pfund pro Stück verkaufen lassen. Natürlich ist es dir nie in den Sinn gekommen, daß ein Gemälde, das Geld einbringen soll, mehr braucht, als Echtheit. Es muß einen Stammbaum haben. Ein Bild ohne Stammbaum ist so wertlos wie eine Prinzessin, die eines solchen entbehrt. Ein Gemälde mit einem Stammbaum verkauft sich Gott weiß wie hoch, auch wenn es nicht echt ist. Lieber Freund, ich kenne einen Mann, der zweiundzwanzigtausend Pfund für ein paar Bilder bezahlt hat. Sie waren im Ausland um sechstausend Pfund gekauft und in einem besonderen Dampfschiff herübergeschafft worden. Mein Freund hörte von ihnen und aus Angst, ein anderer könne ihm zuvorkommen, fuhr er ihnen nach Dover entgegen. Er stellt die Anweisung auf das Geld aus, ohne auch nur die Kisten aufschrauben zu lassen. Was denkst du von diesem Fall?«

»Vermutlich hat der Händler für die Bilder garantiert?«

»Garantiert! Wie einfältig du bist, Carruthers! Wer kann für ein Bild garantieren außer dem Künstler, der es gemalt hat? Nein, er garantierte nur dafür, daß die Kisten zwei Bilder enthielten, die in der Wohnung eines Edelmannes an einem gewissen Platze gehangen hatten und die sich vorher an einem anderen Orte befunden und Herrn Soundso gehört hatten, und daß sie die nämlichen beiden Bilder seien, die Horace Walpole oder sonst jemand als die zwei schönsten Bilder eines gewissen Malers erwähnt hatte, und so immer weiter zurück und zurück. Das war ein ununterbrochener Stammbaum. Nun, lieber Carruthers, ich war dabei, als mein Freund die Kisten öffnete. Das geschah, weil ich die Bilder kannte und ihm sagen sollte, ob er die rechten hatte. Ich hatte sie natürlich schon früher gesehen, und als ich sie zum erstenmal sah, hatte ich einen Vorteil vor dem berühmten Künstler voraus – er hat sie nie gesehen.«

»Du sagtest dies natürlich deinem Freunde.«

»Ganz gewiß nicht. Wer bin ich, daß ich das Urteil derer anfechten sollte, die vor mir waren? Der Ruhm der Gemälde war schon fest begründet. Außerdem hat mein Freund einen sehr guten Handel gemacht. Wenn heute seine Sammlung verkauft wird, bringen diese beiden Bilder dreißigtausend Pfund ein. Aber wenn ich du wäre, würde ich an der Sieben-Pfundgrenze festhalten. Und nun, wie steht es mit dem Bilde, das du kaufen willst?«

»Ich habe nicht die leiseste Absicht, ein Bild zu kaufen.«

»Mein lieber Carruthers! Ich hoffe, ich habe dich nicht abgeschreckt. Ich hoffe, ich habe die Keime der Liebe zur Kunst nicht schon im Entstehen zerstört.«

»Wenn du mich nur anhören wolltest, Burnett,« rief Carruthers ungeduldig.

»Anhören! Hörte ich denn nicht jedes Wort, das du sprachst? Habe ich nicht versucht, dir zu raten, so gut ich kann? Aber laß hören, was du noch zu sagen hast!«

»Kennst du ein Gemälde, die ›Madonna di Tempi‹ genannt?« fragte Carruthers hastig; er war froh, die Frage endlich stellen zu können.

»Ein Gemälde, die ›Madonna di Tempi‹ genannt,« wiederholte Burnett. »Von wem mag das Bild wohl sein? Der Name des Künstlers könnte meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.«

»Wenn ich den Namen des Künstlers wüßte, wäre ich nicht zu dir gekommen, sondern hätte gleich in Pilkingtons Lexikon nachgeschlagen.«

»Das hättest du gekonnt; jedermann kann erfahren, was er wissen will, wenn er nur erst weiß, wo er zu suchen hat. Auf dem Bücherbrett dort liegt ein Stoß Kataloge von allen europäischen Bildergalerien; nimm sie mit und sieh sie nach; in einer Woche kannst du damit fertig sein.«

»Ich habe keine Zeit zu verlieren,« sagte Frank, »wenn du es mir nicht sagen kannst, gehe ich und frage einen anderen. Ich habe nur geglaubt, du kennest jedes Bild in Europa.«

Burnett zwinkerte mit den Augen; er legte seine Hand auf Franks Arm. »Mein lieber Carruthers,« sagte er, »ich möchte dich in deinem eigenen Interesse bitten, deine schreckliche Unwissenheit in Beziehung auf die Kunst nicht selbst an die große Glocke zu hängen. Bei mir soll dies Geheimnis sicher ruhen, ich werde es treu bewahren.«

»Sage mir, wo das Bild ist,« sagte Frank.

Burnett streckte den Arm aus, nahm ein Buch von einem Regal und schlug es auf. »Es ist in der alten Pinakothek.«

»In was?«

»Mein lieber Carruthers, deine Unwissenheit übersteigt alle Begriffe. Ich glaubte, du habest in Oxford Griechisch studiert! – Pinakothek wird abgeleitet von dem griechischen Worte –«

»Aber, um Gottes willen, das weiß ich ja alles! Sage doch nur wo es ist?«

»Mein lieber Carruthers, ich habe deine Frage genau beantwortet; du hast gefragt ›was‹, nicht ›wo‹.«

»Aber wo ist es?«

»Du weißt aber auch wirklich gar nichts. Die alte Pinakothek ist in München, und München ist die Hauptstadt von –«

Frank sprang auf, er hatte sich lange genug quälen lassen. »Danke schön,« sagte er, »ich bin dir sehr verbunden.«

»Noch nicht gehen, Carruthers! Bleib noch ein wenig sitzen und laß uns plaudern. Erzähle mir von deinem Buch! Du mußt ja vergehen vor Sehnsucht, mit mir darüber zu reden.«

»Nein, durchaus nicht. Ich muß jetzt gehen. Lebe wohl.«

»Aber wohin gehst du denn?«

»Ich gehe nach München, um die ›Madonna di Tempi‹ zu sehen.« Und damit war er fort.

Der kleinste Umstand zerstört oft die bestangelegten Pläne; der in der Zerstreuung von Beatrice mit Bleistift niedergeschriebene Name eines Bildes, das tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte, führte Carruthers in brennender Eile an ihren so sorgsam verheimlichten Wohnort.


 << zurück weiter >>