Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Eine hilfreiche Hand

Es ist ein anderes, zu schwören, man wolle eine spurlos verschwundene junge Dame finden – ein anderes, sie wirklich zu finden. Die Welt ist ein ziemlich großer Raum und zufällige Begegnungen sind nicht ganz so häufig, als ein vertrauensvoller Romanleser glauben mag. Diese Erfahrung machten zwei Männer, die, wenn auch aus verschiedenen Gründen, gleichermaßen bemüht waren, den Flüchtling zu entdecken. Der eine war Maurice Hervey, der andere Frank Carruthers.

Hervey, der bei einem zweiten Besuch in Oakbury auf irgend welche Weise erfahren hatte, daß Beatrice mit der Kinderfrau und dem Kinde nach London gereist sei, hatte Blacktown eiligst verlassen und sich ebenfalls nach der Hauptstadt begeben. Je mehr er seine Lage bedachte, je klarer wurde es ihm, daß er in einer Klemme steckte. Solange Beatrice sich vor ihm verbergen konnte, war er vollständig hilflos. Er konnte natürlich seiner Rache einiges opfern, aber diesmal waren die Kosten fürchterlich. Unter Umständen kann man auch etwas sehr Angenehmes zu teuer bezahlen. Es stand ihm natürlich frei, sich kühn zu Sir Maingay Clauson zu begeben und sich demselben als Schwiegersohn vorzustellen. Er konnte auch zu diesen Talberts gehen und ihnen mitteilen, daß er ihre Nichte geheiratet habe, als diese noch kaum etwas anderes als ein Schulkind gewesen war. Aber was hätte ihm dies genutzt? Sein Pfeil wäre verschossen gewesen und er hatte keinen zweiten zu versenden. Er konnte dadurch wohl Beatrice erniedrigen, aber nicht in Besitz ihres Geldes kommen. Außerdem hätte er es dann mit Männern von Welt zu thun gehabt und nicht mit einer Frau, die er durch die Angst vor einer Bloßstellung in der Gewalt hatte. Er hatte nur eine Ware zu verhandeln – Schweigen. Der einzige Kunde, an den er dieselbe absetzen konnte, war seine Frau; mit ihr hätte er einen vorteilhaften Handel schließen können; sobald er aber sein Glück mit einer anderen Ware hatte versuchen wollen, war sein Haupttrumpf so gut wie wertlos geworden.

Ferner war auch noch mit der verhängnisvollen Klausel in des alten Talberts Testament zu rechnen. Hervey konnte leicht beweisen, daß Beatrice seine Frau sei, leider aber erbrachte er mit diesem Beweis auch den, daß er sie als Minderjährige, ohne Einwilligung ihrer Vormünder geheiratet hatte, und die letzteren konnten dann über das Vermögen verfügen, wie sie wollten. Sie würden ihm vermutlich etwas wie zweihundert Pfund jährlich aussetzen, solange er sich fern hielt, aber was sind zweihundert Pfund, wenn er zehnmal so viel hätte haben können, falls er nicht darauf bestanden hätte, jemand bis in den Staub zu demütigen. Ach, hätte er doch das Geld genommen und auf die Rache verzichtet!

Beatrices Flucht war in der That ein Meisterstück, ein Zug, durch den sie ihrem Gegner Hand und Fuß gebunden hatte. Wütend sah er die Zeit kommen, in der die Umstände ihn zwingen würden, zu nehmen, was man ihm bieten würde. Er wußte ganz genau, daß er keine Macht mehr über Beatrice habe, sobald sie den Mut fasse, ihren Angehörigen ihre jugendliche Thorheit einzugestehen und die Folgen auf sich zu nehmen. Es war also unumgänglich notwendig, Beatrice wieder zu finden und die Verhandlungen auf einer für sie günstigeren Grundlage wieder aufzunehmen. Ueberlegung und die Gefahr, alles zu verlieren, machten ihn geneigt, seine Ansprüche etwas herabzustimmen; er wollte sich mit fünfzehnhundert Pfund, ja sogar mit der Hälfte der Einkünfte seiner Frau begnügen und, falls sie es wünschte, auf eine gerichtliche Trennung eingehen. Er wollte schweigen, solange das Geld bezahlt wurde. Wie wäre es, wenn er sich für tot ausgäbe und wartete, bis sie wieder verheiratet wäre? Das würde ihm unbeschränkte Gewalt über sie geben. Aber um diesen Vorteil zu erringen, war er genötigt, vielleicht für Jahre stillzuliegen, und in der Zwischenzeit mußte er sich auf irgend eine Weise zu ernähren suchen. Vielleicht würde sie nach der ersten Erfahrung, die sie gemacht, gar nicht wieder heiraten. Auf jeden Fall aber machten ihm seine Finanzverhältnisse die Verfolgung jedes Planes unmöglich, der auf Abwarten beruhte. Er erwartete keine freiwillig geleistete Hilfe von Beatrice. Er hatte kein Erbarmen gezeigt und konnte auch keines fordern. Er hatte ihr Leben zerstört, die Jahre ihrer Jugend aller Freude beraubt, er hatte aus Habgier das Ideal aus ihrem Herzen gerissen und mit Füßen getreten. Er hatte ihr gezeigt, hatte ihr sogar in dürren Worten gesagt, daß er sie nur geheiratet habe, um sich das nötige Geld zu verschaffen, das ihn vor der seinem Verbrechen gebührenden Strafe retten konnte. Er wußte, was er ihr gethan hatte, und wußte, daß es ein Duell auf Leben und Tod zwischen ihnen galt. Er mußte sie finden! Die Zeit enteilte und er hatte, gleich einem Spieler, der jeden Augenblick einen glücklichen Zug erwartet, üppig gelebt, so daß sein Geld zur Neige ging. Er sah nur drei Möglichkeiten vor sich: Beatrice finden, Geld verdienen oder Hungers sterben. Die erstere, die natürlich die angenehmste gewesen wäre, schien fast unmöglich, denn alle in Sir Maingays Hause und bei den Talberts in Oakbury direkt und indirekt eingezogenen Erkundigungen waren fruchtlos gewesen. So war also auf Numero eins in der Not nicht zu rechnen. Da der Ausweg Numero drei zwar der einfachste, aber auch der unangenehmste zu sein schien, blieb nur noch der Weg Numero zwei, den er wenigstens vorläufig einzuschlagen gezwungen war. Vor Verbüßung seiner entehrenden Strafe hatte Hervey gelegentlich für verschiedene illustrierte Blätter gezeichnet. Da dieser Zweig seines früheren Berufes der einträglichere war, besuchte er zwei oder drei Herren, die ihn früher gekannt hatten und also mit dem Grunde seiner unfreiwilligen Abwesenheit vertraut waren. Er sagte einfach, er wolle die Vergangenheit wieder gut machen und bitte, ihm dabei hilfreiche Hand zu bieten. So selbstsüchtig die Welt auch sein mag, so gibt es doch stets viele Menschen, die bereit sind, einem gefallenen Mann wieder aufzuhelfen; Hervey erhielt zwei oder drei Versprechungen, die ihm möglicherweise zu einträglicher Arbeit verhelfen konnten.

Auch für den zweiten Suchenden, für Frank Carruthers, waren die letzten Monate trübselig verlaufen. Er wußte nicht, wohin er sich wenden, wo er Beatrice suchen sollte. Immerhin war er besser daran, als Hervey, denn er hatte direkte Nachrichten von ihr. Einmal im Monat schrieb sie an ihre Onkel, aber ihre Briefe gaben keinen Aufschluß, sie trugen keine Adresse und waren in London zur Post gegeben. In den Briefen erwähnte sie kein Land und keine Stadt; sie schrieb, sie führe ein außerordentlich stilles, ruhiges Leben, sie sehne sich nach dem lieben, alten Oakbury zurück und möchte wissen, ob es ihr beschieden sei, noch einmal dahin zu kommen. In jedem Briefe beklagte sie die Notwendigkeit, die sie gezwungen, diesen Schritt zu thun, und sprach die Hoffnung aus, daß ihre Onkel, wenn ihnen der wahre Beweggrund ihrer Handlungsweise bekannt wäre, ihr vergeben würden; sie wünschte aber trotzdem, daß sie denselben nie erfahren möchten. Die einzigen Winke über ihren Aufenthaltsort konnte man in Bemerkungen über die bittere Kälte und über Kunststudien finden, mit denen sie sich beschäftigte; sie lernte auch in Oel malen.

Diese Briefe sandte Herbert, der Mitleid mit seinem Vetter empfand, stets Frank zu und dieser las sie wieder und wieder und lernte schließlich zwischen den Zeilen zu lesen. Und je mehr er las, je unklarer wurde er. Wenn das wahr war, was Frau Rawlings ihm erzählt hatte, so war es etwas, das Horace und Herbert nie vergeben konnten und wollten, und doch schrieb Beatrice, als ob deren Verzeihung nicht unerreichbar sei; sie schien auch nicht zu wissen, ob ihre Onkel den Grund ihrer Flucht erfahren hatten oder nicht. Wann würde er sie endlich finden? Wann würde er die ganze Wahrheit erfahren?

Vergeblich suchte er in ihren Briefen nach seinem Namen, nach irgend einer Botschaft an ihn. Die Unterlassung schmerzte ihn; nicht als ob er gedacht hätte, sie habe ihn vergessen, aber er ersah daraus, daß Beatrice überzeugt sei, das Verhängnis, das sie trenne, sei unüberwindlich. So schöpfte er keinen Trost aus ihren Briefen.

Wäre er müßig gewesen, so hätte Frank Carruthers diese endlos langen Monate nicht ertragen können; glücklicherweise war er mit einem zweiten Buch angestrengt beschäftigt. Ein Mann schreibt nicht am schlechtesten, wenn sein Herz schwer ist, und Frank sorgte, während er auf das etwas verzögerte Erscheinen seines ersten Buches wartete, schon für einen Nachfolger.

Um jenes erste Buch, einen satirischen, halbpolitischen Roman, der übrigens großen Erfolg hatte, war Frank, wie jeder angehende Schriftsteller, aufs zärtlichste besorgt. Eines Tages kam er auf den Gedanken, das große Werk könne einen bedeutenderen Erfolg erzielen, wenn es illustriert werde. Er teilte diesen Einfall dem Verleger mit, der sich mit demselben einverstanden erklärte, falls Carruthers die dadurch entstehenden Kosten tragen wolle. Frank wollte sich erkundigen, um welchen Preis er die Illustrationen herstellen lassen könne. Zu diesem Zweck begab er sich zu einem Freund, Herrn Field, der in diesen Dingen Bescheid wußte und zufällig einer der Herren war, die Hervey um Hilfe gebeten hatte.

»Neulich besuchte mich ein Mensch, der sich in Geldverlegenheiten befindet. Er könnte für deinen Zweck geeignet sein.«

»Kannst du ihn empfehlen? Wie heißt er?«

»Ich will ihn nicht gerade empfehlen, aber du könntest ihn einen Versuch machen lassen. Er heißt Henry Morris, es geht ihm wie gesagt schlecht.«

»Schreibe ihm eine Zeile und bitte ihn, mich zu besuchen,« sagte Carruthers, der anderen gerne half, wenn er konnte. »Ist er geschickt?«

»Er hat lange nichts gearbeitet, deshalb weiß ich das nicht. Laß ihn eine Zeichnung auf Probe machen und gib ihm keinen Vorschuß.«

»Schicke ihn zu mir, dann will ich mit ihm reden.« Carruthers wollte gerade das Zimmer verlassen, als ihn sein Freund zurückrief.

»Ich will es dir doch lieber sagen, Carruthers, dann kannst du mir nachher keinen Vorwurf machen. Der Bursche hat fünf Jahre gesessen, wegen Fälschung. Er ist kürzlich wieder frei geworden und sagt, er wolle sich in Zukunft ehrlich halten. Nun weißt du's und kannst thun, was du willst.«

Die Folge dieser Mitteilung war, daß Carruthers den Mann sehen und thun wollte, als ob er nichts von seiner Vergangenheit wüßte; er half gerne einem Nebenmenschen auf den rechten Weg zurück.

Carruthers, dem es zu lästig war, einen eigenen Haushalt zu führen, lebte noch immer im Gasthof; er hatte sich aber in einer ruhigen Straße ein Büreau gemietet, in dem er den größten Teil des Tages mit Schreiben und Korrigieren von Druckbogen beschäftigt war. Dieses Arbeitszimmer lag im ersten Stock des Hauses, zu dem eine steile Treppe hinaufführte.

Eines Morgens vernahm er Fußtritte auf der Treppe; es stand jemand still auf dem schmalen Absatz vor seiner Thüre; man klopfte, er rief herein. Zu seinem namenlosen Staunen trat der unbekannte Mann herein, der nach Beatrice gefragt und den alten Whittaker so tief gekränkt hatte.

»Was wollen Sie?« fragte Frank barsch.

Hervey erklärte, daß Herr Field ihn hierher bestellt habe, und so wußte Carruthers also sofort, daß der Mann, der sich so angelegentlich bemühte, Beatrice zu finden, ein Fälscher und Sträfling war. Er musterte seinen Besuch mit scharfen Blicken.

Hervey erkannte ihn erst in diesem Augenblick, sah aber sofort, daß das Erkennen ein gegenseitiges war. Jeder Gedanke an den ursprünglichen Zweck dieser Zusammenkunft war bei beiden verschwunden – ein jeder dachte nur noch an Beatrice.

»Wollen Sie mir die Adresse mitteilen, nach der ich fragte, als wir uns zuletzt sahen?« fragte Hervey lebhaft.

»Nein, ich will nicht,« antwortete Carruthers kurz. Er sagte diesmal nicht, daß er die Adresse selbst nicht kenne, weil er diesem Mann nicht zugestehen wollte, daß Beatrice auch vor ihren Freunden ihren Aufenthalt geheim halte. Im übrigen schwur er sich, nicht eine einzige Frage an den Ex-Sträfling zu richten; es hätte das Weib seiner Liebe entwürdigt, wenn er versucht hätte, mit solcher Hilfe die Wahrheit zu erfahren.

Hervey vermerkte die barsche Abweisung sehr übel. Sein Temperament und seine Herrschaft über dasselbe hatten sich unter dem fortgesetzten Einfluß von Cigarren und Whiskey nicht gerade verbessert. Frank Carruthers hatte außerdem etwas in seinem Wesen, was jeden, der das Mißgeschick hatte, mit ihm in Streit zu geraten, furchtbar reizen mußte. Schon bei ihrer früheren Begegnung hatte es Hervey schwer gefunden, Franks Art und Weise ruhig zu ertragen. Trotzdem beherrschte sich Hervey für den Augenblick so weit, daß er nur mit der Hand auf den Tisch schlug und sagte: »Ich muß darauf bestehen, daß Sie mir die Adresse sagen, denn ich habe Fräulein Clauson eine wichtige geschäftliche Mitteilung zu machen.«

Carruthers lächelte verächtlich. »Ihre Vormünder, die Herren Talbert in Oakbury, besorgen Fräulein Clausons Geschäfte, soviel ich weiß. Sonst können Sie auch zu dem Anwalt der Familie gehen, dessen Adresse ich Ihnen geben will.«

»Mein Geschäft ist ganz privater Natur. Ich verlange die Adresse; ich habe ein Recht, sie zu verlangen.«

Wieder lächelte Carruthers herausfordernd, zog die Augenbrauen in die Höhe und entgegnete mit Achselzucken: »Mein guter Herr, begreifen Sie denn nicht, daß ich durchaus abgeneigt bin, Ihrem Verlangen zu entsprechen, daß ein Mann von Ehre nicht berechtigt ist, die Adresse einer Dame dem ersten besten mitzuteilen? Was nun Ihr Recht anbelangt, so bin ich sicher mehr in dem meinen, wenn ich Sie ersuche, dies Zimmer zu verlassen. Sie werden einsehen, daß das Geschäft, das mir das Vergnügen Ihres Besuches verschafft hat, nicht zustande kommen kann.«

Hervey bebte vor Wut, zögerte einen Augenblick, verließ aber dann das Zimmer, was sehr klug von ihm war, denn er hätte sich sonst leicht vom Zorn können hinreißen lassen, mehr zu sagen, als gut war – eine voreilige Enthüllung des Geheimnisses bedeutete ja die Zerstörung aller seiner Aussichten. War es nun Mangel an Höflichkeit oder Verdruß über seine Niederlage – er schloß die Thür nicht fest und ließ sie angelehnt. Carruthers erhob sich und ging durch das Zimmer, um die Thür zu schließen; in demselben Augenblick wurde diese ganz geöffnet und die beiden Männer standen sich auf der Schwelle gegenüber.

»Wollen Sie Fräulein Clauson eine Bestellung von mir ausrichten, wenn Sie an sie schreiben?« fragte Hervey mit gezwungener Höflichkeit.

»Das hängt von der Art des Auftrages ab.«

»Wollen Sie ihr schreiben, ich sei bei Ihnen gewesen und habe gesagt, die Sache lasse sich jetzt leicht beilegen? Das ist doch harmlos genug!«

»Es scheint wenigstens so. Ich werde es bestellen, wenn ich schreibe.«

»Vielleicht hätten Sie dann besser meinen wahren Namen genannt. Ich heiße nämlich nicht Henry Morris, sondern –«

»Bemühen Sie sich nicht! – Ich kenne Ihren wahren Namen ganz genau,« sagte Frank mit größter Ruhe.

Hervey wurde sehr zornig. »Ich möchte doch eigentlich wissen, wer Sie sind,« sagte er, »daß Sie ihr schreiben. Vielleicht liebt ihr einander und hofft auf eine glückliche Ehe?« Es war eine unvorsichtige Bemerkung, aber er konnte sich nicht enthalten, Frank diesen Stich zu versetzen und sein Gesicht dabei zu beobachten. So groß auch die Anstrengung war, verlor Carruthers doch seine Selbstbeherrschung nicht. Unbekümmert entgegnete er:

»Wohl möglich! Doch sehe ich ganz und gar nicht ein, wie dies Sie auch nur im geringsten interessieren kann.«

Der verächtliche Nachdruck, den er auf das »Sie« legte, traf Hervey wie ein Peitschenschlag.

»Wohl möglich!« höhnte er lachend. »Haha, denken Sie denn, ich sei ein Narr und lasse mich durch Ihre angenommene Gleichgültigkeit täuschen? Meinen Sie, ich wüßte nicht, wie Sie darauf brennen, zu wissen, wer und was ich bin?«

»Ich weiß schon ziemlich viel,« sagte Frank, »und wenn ich begierig wäre, mehr zu erfahren, so würde ich in Scotland Yard oder wo sonst das betreffende Polizeibüreau sich befinden mag, Erkundigungen einziehen.«

Dies war mehr, als auch der liebenswürdigste entlassene Sträfling ruhig hingenommen hätte. Bei Hervey war es der letzte Tropfen, der das Gefäß zum Ueberlaufen brachte. Er schlug nach dem Sprecher, der indes den Schlag parierte, und mit so viel Geschicklichkeit, als er besaß, seinen rechten Arm ausstreckte und seine ganze Kraft in den Schlag legte, den er nun seinem Gegner versetzte.

Dies waren die beiden einzigen Schläge, die fielen. Hervey stand auf dem schmalen Treppenabsatz, als er Franks Schlag empfing; er taumelte zurück und stürzte kopfüber die Treppe hinab. Trotz des schweren Falles raffte er sich, vor Schmerz stöhnend, auf, schüttelte drohend die Faust nach dem Sieger und entfernte sich fluchend. Carruthers kehrte zu seiner Arbeit zurück, die er jedoch an jenem Tage nicht mehr wesentlich förderte.

Zwei Tage später kam sein Freund Field zu Carruthers. »Du, hör einmal, Carruthers, du bist wirklich ein Original von einem jungen Mann! Ich schicke dir einen armen Kerl, dem du eine hilfreiche Hand reichen sollst, und du hilfst ihm weiter als er wollte, aber du hilfst ihm nicht hinauf, sondern hinunter!«

»Er ist also bei dir gewesen?«

»Ja, er kam heute – in Schienen; er sagte, du habest ihn beleidigt und dann die Treppe hinuntergeworfen; ich kann gar nicht begreifen, wie du dazu kamst. Es sieht dir gar nicht gleich.«

»Ich hatte die besten Gründe.«

»Das habe ich ihm auch gesagt, aber er wollte es nicht glauben; du hast ihm irgend etwas gebrochen, ich glaube, sein Bein.«

»Sein Bein? Ich sah den Spitzbuben fortgehen!«

»Dann wird es wohl der Arm gewesen sein. Er will Entschädigung haben, klagen und so weiter.«

»Das wird er wohl bleiben lassen,« sagte Frank bedeutungsvoll.

»Wohl möglich, wenn deine Gründe gut waren. Aber sieh, alter Bursche; er hat kein Geld und ist in der nächsten Zeit unfähig, etwas zu verdienen. Meinst du nicht, du seiest verpflichtet, etwas für ihn zu thun?«

»Keineswegs; aber ich will es trotzdem thun. Halte mir aber den Kerl vom Leibe! Zahle seine Doktorrechnung und gib ihm ein oder zwei Pfund die Woche, bis er wieder ganz in Ordnung ist.«

Field lachte. »Du wirst finden, daß es ein ziemlich kostspieliges Vergnügen ist, den Leuten mir nichts dir nichts Arm und Bein zu brechen.«

»Mein lieber Field,« antwortete Frank, »wenn du alles wüßtest, würdest du einsehen, daß es in diesem Fall sogar noch recht billig ist.«

So geschah es, daß durch eine seltsame Ironie des Schicksals Maurice Hervey einige Wochen lang auf Kosten Frank Carruthers' gepflegt und ernährt wurde.


 << zurück weiter >>