Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schluß

Als die Sommerferien begannen, weilte Bernd schon seit längerer Zeit wieder im Ruth-Dorotheen-Heim und schrieb sehr befriedigt über sein Befinden und seinen Aufenthalt. Ilse und Gertrud waren am Abend vorher in Wernigerode eingetroffen und wollten einige Tage bleiben. Dann sollte Ilse die Freundin nach Braunlage hinauf begleiten, um wenigstens für kurze Zeit mit dem Bruder zusammen zu sein. Vorerst waren die Mädchen froh, wieder in ihrem geliebten Trautheim zu weilen.

Gertrud gestand den Freundinnen, daß sie öfter an Heimweh gelitten, es aber stets durch eifriges Arbeiten besiegt habe. Sie war frisch und fröhlich, ebenso wie Ilse, und beide hatten sich unendlich viel zu erzählen aus ihrem reichen und doch recht verschiedenen Leben.

Frau Winterfeld war sehr glücklich über ihre Große und gab Anna recht, als diese einmal sagte: »Ilse ist noch hübscher und viel liebenswürdiger geworden, und was für Fortschritte sie gemacht hat! Ich begreife, daß alle an ihr hängen wie die Kletten.«

»Ja, Maus, du hast recht, und ich freue mich, daß du deiner Schwester Schönheit und Talent neidlos anerkennst.«

Anna lachte heiter. »Ja, Mutter, es muß auch untergeordnete Wesen geben, wie ich eines bin. Du sollst aber sehen, daß ich auf meinem Felde auch soviel wie irgend möglich erreichen werde. Ich will meine Zeit, wenn ich zu Michaelis nach Berlin komme, sicher gut ausnützen.«

Bild: Richard Gutschmidt

Mit frohem Jubel streckte er Lena die Hand entgegen.

»Das weiß ich, liebe Tochter. Ich habe überhaupt alle Ursache, dem lieben Gott zu danken. Unserem Klärchen schreibt ihr Talent auch den Weg vor; so sehe ich euch alle in einen sichern Beruf eintreten. Ich selbst habe eine liebe Arbeit und gute Aussichten durch neue Anmeldungen für die Zukunft. Bernds Gesundheit kräftigt sich; er ist glücklich in seiner Arbeit. Was könnte ich mir mehr wünschen? Mein Lebensweg lag dunkel vor mir, als euer lieber Vater starb; nun, nach noch nicht zwei Jahren, habe ich nur Gott zu loben und zu danken.«

Anna drückte der Mutter stumm die Hand. Die Tränen in deren Augen verrieten ihr, daß ihre Gedanken bei dem lieben Verstorbenen weilten. Ja, sie entbehrten ihn immer aufs neue, sonst aber hatte der Herr sie alle gütig beschirmt. – –

Die jungen Mädchen saßen unter der Birke auf der letzten Terrasse, machten Handarbeiten und plauderten. Am nächsten Tage erwartete Lena ihre Eltern und die drei Knaben auf längere Zeit. Darauf freuten sich alle, besonders Dodo, die sich viel Scherz mit den Jungen versprach. Hans war einmal im Frühling hier gewesen, um sich zu überzeugen, ob sein Schwesterlein schon rosige Wangen bekommen habe. Er mußte aber nicht recht zufrieden gewesen sein, denn er hatte gleich wieder einen zweiten Besuch in Aussicht gestellt. Ruth und Dodo sollten nach acht Tagen nach Braunlage kommen. Ihrer Großmutter ging es besser; die alte Dame trug jetzt selbst Verlangen nach den Enkelinnen.

Lena, die auch eingeladen war, hatte dankend ab gelehnt. Sie freute sich unbeschreiblich auf ihre Lieben; es lebte in ihrem Herzen aber noch eine andere heimliche Freude und Hoffnung, die auf des Freundes Kommen. Im Mai hatte sie den letzten kurzen Brief erhalten mit der Nachricht, daß er in Okahandja sei, aber wahrscheinlich im Laufe des Sommers heimkehren werde.

Nun wartete sie, in der letzten Zeit Tag für Tag, nicht auf eine Nachricht, sondern auf ihn selbst. Er würde sich nicht anmelden, sondern plötzlich einmal vor ihr stehen, das glaubte sie zuversichtlich. So oft hatte sie sich diesen Augenblick schon ausgemalt, daß er, würde er zur Wirklichkeit, keine Überraschung mehr bieten konnte.

Auch heute dachte sie an Erwin, während alle um sie herum fröhlich plauderten und lachten. Sie ließ die Arbeit sinken und gab den Gedanken freien Lauf. Sie begleiteten ein stattliches Schiff über den weiten Ozean nach der Heimat; sie sah deutlich einen hochgewachsenen schlanken Mann in Tropenuniform gegen die Reling gelehnt und in die Ferne schauend, das Antlitz blaß, trotzdem es von Wind und Wetter gebräunt war. Die Sonne beleuchtete hell das unbedeckte Haupt mit dem rötlichblonden Haar, das wie Gold flimmerte. In den ernsten, grauen Augen, die so unaussprechlich gut blicken konnten, lag ...

Da stutzte sie plötzlich. Jemand kam die Straße heraufgeschritten, der dem Bilde, das sie im Geiste schaute, sprechend ähnlich sah. Ihr Atem stockte und alles Blut wich aus den Wangen. Die Arbeit fiel zu Boden; Lena erhob sich und schaute dem Fremden entgegen.

»Was hast du denn?« fragte Dodo neugierig.

»Still,« flüsterte Ilse, die mit den Augen Lenas Blick gefolgt war und sogleich wußte, wer der Wanderer war.

Lautlos verschwanden die Mädchen eine nach der anderen. Lena stand allein, als der Heimkehrende die Pforte öffnete und zu ihr hinaufstieg.

»Lena,« sagte er nur mit frohem Jubel und streckte ihr die Hand entgegen. Wortlos legte sie die ihren hinein. – – –

Kaum ein Jahr war vergangen, da hatte der junge Arzt die ausgedehnte Praxis eines älteren Kollegen übernommen und durch Umsicht, Pflichterfüllung und einiges Glück sich eine aussichtsreiche Zukunft gesichert. Da säumte er nicht mehr, sich Lena in sein neubegründetes Heim zu holen. Es wurde eine gar fröhliche Hochzeit, bei der keines der Mädchen fehlte, die sich in Villa Trautheim so eng aneinandergeschlossen hatten, auch Frau Winterfeld, Ilse und Bernd nicht. Beim Festessen gab es noch eine Überraschung, eine Verlobung! Ruth und Hans, die schon längst eine stille Neigung füreinander hegten, traten vor die beiderseitigen Eltern und baten um ihren Segen. Herr Frankental war nicht wenig überrascht; aber, da es sich doch um das Glück seiner geliebten Ältesten handelte und Hans im Einverständnisse mit Ruth erklärte, daß er gern noch einige Vorlesungen an einer Handelshochschule hören wolle, um dann in das Geschäft seines Schwiegervaters einzutreten, fielen die letzten Bedenken. Sie wandelten sich in eitel Freude, hatte Herr Frankental doch alles Anrecht, zu hoffen, daß Hans sich tüchtig einarbeiten würde. So erwuchs dem Fabrikherrn das beglückende Bewußtsein, seiner Tochter den größten Herzenswunsch erfüllt zu haben, und zugleich war er der drückenden Nachfolgersorge für die Zukunft enthoben. Den Jubel des Trautheimer Bundes über diese schöne, glückliche Lösung mögen sich unsere lieben Leserinnen selbst nach Kräften ausmalen.

*

Verlagswerbung

 << zurück