Lena Christ
Mathias Bichler
Lena Christ

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Lehrjahre und glückhafte Zeit

Ich war also nun wieder frei und ledig, brauchte nimmer einen Bauernbuben und Viehhüter, auch nimmer einen Malergesellen zu machen, sondern zog ein in das Haus des Chirurgus Waltermair als der Gehilf, Schüler und Jünger des würdigen und herzlieben Meisters Eberhard.

Bin leichtlich an die zehn Jahr bei ihm gewesen in der dämpfigen, niedern Dachwohnung, daselbst mir wohler zumut war denn im schönsten Palast.

Wir hatten vier Stuben samt einer Rumpelkammer, darin männiglich beieinanderlag und stand: Männer, Weiber und Kinder; der heilige Michael neben der Aphrodite, der Churfürst Carl Theodor zwischen zwei Meerweibern; gipserne Engel neben hölzernen Heiligen und nackte Musen zwischen geharnischten Rittern.

Eine leichte Staubschicht lag auf allen Gestalten, und Spinnen hatten ihre feinen Netze und Fänge von einem zum andern gezogen.

In dem Schuppenhelm eines Ritters aber hatten die Spatzen ihre Heimstatt genommen und flogen eifrig durch eine zerbrochene Dachluke ab und zu.

Zu ebener Erden war die Werkstatt, darin mein Meister tagaus, tagein schaffte und schuf, meißelte und schliff, Neues entwarf und Altes vollendete.

Hier wies er mir, den Stift zu führen und das, was mir vorschwebte, im Bilde festzuhalten; hier wuchsen aus ungefügen Holzstöcken und harten Marmorblöcken edle, feine Gestalten und gaben mir in ihrer reinen Schönheit und Vollkommenheit stets neuen Ansporn und neue Kraft zum Wirken und Schaffen.

Dabei drückte mich keine Sorg ums Tägliche; denn die liebwerte und vornehme Gemahlin meines Meisters hielt mich gleich einem Sohn und schaffte sich viel Plag um meinetwillen.

Sie war eine zarte Frau von schlankem Wuchs und hatte eine milchweiße Haut und den Kopf voll kohlschwarzer Locken. Ihre Gewandung war nicht in der üblichen Tracht der Bürgerinnen Münchens, sie trug vielmehr lange, schleppende Kleider aus feiner Seide und in lichten Farben und liebte keine Ketten oder ein Geschmeide. Ihr alleiniger Schmuck war eine aus Elfenbein kunstvoll geschnittene Rose, die sie an einer seidenen Schnur um den Hals trug.

Mein Meister hatte eine tiefe Lieb zu dieser Frau und sah es gern, wenn sie zuweilen in die Werkstatt kam, sich in einen alten Armstuhl setzte und schweigend unserm Schaffen zusah, indes ihr einziger Sohn, ein etwan siebenjährigs Bürschlein, als ich ihn erstmals sah, sich in eine Ecke hockte und aus den Bruchstücken des Marmors Grotten und Höhlen baute und allerhand Käfer und Fliegen darein verschloß.

Also lebte ich fröhlich in diesem Hause, und mein guter Meister verfolgte mit wahrer Freud und Teilnahm meine Arbeit, bald anerkennend, bald verbessernd, wie es grad vonnöten war.

Und noch einer war mir ist diesen glückhaften Tagen meines Werdens ein treuer Berater und väterlicher Freund; – der alte Professor Boos, dessen Name um jene Zeit einen guten Klang hatte.

Er war schon ein hochbetagter, greiser Mann, mußt sich beim Gehen auf den Arm seiner Tochter stützen und wohl auch die leitende Hand seines Jüngers Eberhard dulden, wenn er einmal die zwei steilen Himmelsteigen zu unserer Wohnstatt hinaufklettern wollte.

Dieser würdige Meister hatte der Münchnerstadt und dem Lustschloß Nymphenburg manches große Werk geschaffen, hatte den Marmor Tirols und den von Salzburg in herrliche Götter und Nymphen verwandelt und in großmächtigen Holzblöcken die Taten des griechischen Halbgotts Herkules verkörpert.

Und also saßen wir beieinander in unserer Werkstatt und hatten nur Aug und Ohr für die edle und herrliche Kunst, indes die Straßen widerhallten vom Kriegsgeschrei und der Weltbezwinger Napoleon seinen Einzug in die Stadt hielt und in großmütiger Freigebigkeit dem Churfürsten die Königskrone samt dem Gottesgnadentum überreichte.

Hab annoch, Gott sei Dank, nicht brauchen mitzuschreien und ihm Salut zu geben; denn man kunnt mich wegen meines armseligen Körpers nicht gebrauchen zu einem Soldaten.

Doch hat es auch in meiner Hand gezuckt und ist mirs durchs Herz gefahren, da man nachmals die gefangenen Landsleute meines besten Freundes, des Bildlthomas, zu München schmähte und mit Kot und Steinen bewarf, dafür, daß sie um ihr Tirolerland, um ihre angestammte Heimat stritten.

Mag nicht daran denken, an die Schmach, da man den tapfern Andreas Hofer im ganzen Bayerland verfluchte und über sein traurigs End frohlockte, solang jener korsische Herrgott die Bayern samt ihrem König am Gängelband führte, bis endlich nach jenem furchtbaren Feldzug dreißigtausend Bayern in Rußland blieben, Max Joseph plötzlich umsattelte und zu Österreich hielt und die Macht dieses Despoten bei Leipzig gebrochen ward.

Da begann man allenthalben jenes überaus klägliche Lied vom Andreas Hofer zu singen und zu plärren, darin vom heilgen Land Tirol und vom treuen Hofer gar viel geschmalkt und geredet wird; und mag wohl in dieser Zeit, da ich schon betagt bin, kein Wirtshaus sein, daselbst nicht Bänkelsänger und Saufbrüder dies Lied im Maul haben und mit Hafendeckeln und blinden Patronen den Todesschuß markieren.

Doch genug von solcherlei Geschichten! Mag nimmer daran denken und red lieber von jener glückhaften Zeit, da ich den Endzweck meines Schaffens, jene persönliche Kraft fand, die ich an den alten Vorbildern und Meisterwerken so sehr wertschätzte und liebte.

 

Will einer die Werke unserer heutigen Bildschnitzer und Herrgottschneider recht betrachten, so mag er nur den Christmarkt und die Dult besuchen oder den Korb eines jener von Haus zu Haus ziehenden Burschen ausräumen: er wird bald finden, daß jene Lauterkeit und Größe der Lebensführung, so man gemeiniglich Kultur nennt, bei dem gebildeten Städter auch in seiner Vorliebe für religiöse Bildwerke von Tag zu Tag niedriger wird, verweichlicht und verflacht.

Wo sind jene einfachen, natürlichen Linien, die so sehr die Kraft des Schöpfenden erwiesen, wo jene Unmittelbarkeit, jene Wucht, mit der die Werke früherer Tage den Beschauer packen und zur Andacht zwingen?

Weichlich und ohne Halt, kalt lassend in ihrer Glätte, oder aber durch süßliche Verlogenheit zu falscher Gefühlsheuchelei führend, so stehen und hängen sie zu Dutzenden um uns in Schulen und Wohnstätten, in den Wirtsstuben und Verkaufsläden, ja selbst in den Kirchen und Klöstern.

Fade Öldrucke wechseln mit schablonenhaften Gipsfiguren, geschmacklose Madonnenstatuetten mit sinnlich-sentimentalischen Wandkreuzen, deren Anblick niemals einen Menschen aus der gleichgültigen Lauheit des Alltags reißen kann, wie uns annoch die allgemein übliche Betätigung der täglichen und häuslichen Andachtsübungen gar trefflich zeigt.

Immer seltener werden jene ergreifenden Darstellungen aus dem Leben und Leiden unseres Herrn, die gerade durch die harte und scheinbar kunstlose Führung der Linien, durch die Anspruchlosigkeit und Einfachheit der Gebärde ergreifen und zum Göttlichen weisen.

Sogar die Krippe der Weihnacht mit ihren holzgeschnitzten Figuren wird von Jahr zu Jahr mehr aus dem bürgerlichen Haus verbannt und dafür süßfarbige papierene Bilder auf den Hausaltar gestellt; denn unserer bürgerlichen Zeit ist alles Lebenswahre zu roh, zu kraß und nicht selten – zu unsittlich.

Wie himmelhoch stehen dagegen die Werke einfacher Bauernschnitzer, insonders der Tiroler, vor uns: ein einschichtigs Feldkreuz, – ein armselige Bildwerk einer Votivkapelle, – der anspruchlose Wandherrgott in einer Sennhütten kann uns zur wortlosen Andacht, zum Nachdenken und zu ernster Betrachtung zwingen.

Die Art, wie dieser Gekreuzigte das Haupt senkt –, jener die Finger einkrallt oder die Glieder im Schmerz renkt oder im Tode streckt, – die unmittelbare Auffassung der biblischen Legende und ihre lebenswahre Verkörperung ist es, die uns armselige Erdenwandler ergreift und erschüttert.

Und diese Vorbilder waren es, an denen ich mich erbaute und sie mir zunutze machte; die lebendige Wiedergabe des wirklichen Lebens wollte ich von ihnen lernen.

 

Unter solcher Arbeit gingen die Tage hin, und die Zeit brachte in zwanzig Jahren ihres Laufs mannigfache Veränderungen – dem Land, der Stadt, den Leuten und auch mir; denn da man zählte 1826, da stand ich als schier vierzigjähriger Herrgottschneider einsam in der Werkstatt des Meisters Roman Boos, der seiner Hausmutter und Ehefrau schon im Jahr 1810 nachgefolgt war in die kühle Grabeserden und niemand hinterließ als seine Tochter Anna. Diese wurde Besitzerin seines Hauses; was noch an Bildwerken und Steinblöcken da war, erhielt Breitenauer, der treffliche Schüler des Meisters.

Mir aber hatte der Dahingegangene das Recht gesichert, sobald ich alt genug wär, in seiner Werkstatt gleich wie in einer eigenen zu werken und zu hausen, bis ich das Glück und die Mittel hätt, mir selber eine Heimstatt zu schaffen. Also nahm ich Besitz von dem Raum als ein reifer Gsell und bezog eine stille Kammer in dem ehrwürdigen Haus des toten Gönners.

Mein guter Meister Eberhard aber zog sich immer mehr von den Menschen zurück und lebte nur noch für seinen einzigen Sohn und dessen Mutter. Er war mit der Zeit bitter und still, schier wunderlich worden, fand sich in der sich Jahr um Jahr immer mehr verändernden Stadt und unter den neumodisch gesinnten Vertretern der Künste nimmer zurecht und sah mit Wehmut ein Stück ums ander von dem alten, barocken München fallen. Dazu war die Stadt mit Fremden überschwemmt, die trefflichen Meister seiner Zeit wurden allgemach heimgeholt und neue, von einem andern Geist beseelte, traten an ihre Stelle.

Er sah mich ungern aus seiner Dachwohnung scheiden und ließ mich nachmals noch oft durch seinen Sohn holen, wenn ihn die selbstgewollte Einsamkeit plötzlich drückte und beklemmte.

Noch einer fand sich alsdann in der einfachen, heimlichen Stube ein, ein gar fürtrefflicher und liebwerter Mann, ein geistlicher Herr, dem die Priesterwürde nicht gleich tausend anderen jeden Freimut und jede Duldsamkeit ertötet hatte; es war der würdige, ehemalige Hofprediger Grail.

Diesen Priester habe ich geliebt wie einen Vater; ja – er war der einzige unter allen Menschen, so mir in meinen Tagen begegneten, der meinem Herzen so nahe kam, daß ich mein ganzes Inneres, die geheimsten und verborgensten Triebe meiner Seele vor ihm eröffnete, in dem gläubigen Vertrauen, daß er mich verstünd.

Hab annoch nicht umsonst vertraut; denn er wußte Rat und Hilf, Trost und rechte Wort bei allem, was mich je bedrückte.

Auch er hätt billig Ursach gehabt, zu grollen und den neuen Geist der Zeit zu beklagen; denn auch er war einer jener Männer, die um ihres Freimuts und ihrer Ehrlichkeit willen daran glauben mußten; doch er klagte nicht.

Seine Geschichte war aber die: Als Hofprediger hatte er während der Fasten des Jahres 1810 in einem Vortrag gesagt, daß Christus, der Herr, seine göttliche Lehre ohne allen Lärm und ohne jegliche Absicht, zu glänzen, verkündigt hätte, als eine Lehre, die jedermann lieben müßt, der sie hörte und verstünd. So sei auch bekannt, daß große, wahre Gelehrte, wahre Künstler ihre Werke ohne alles Geräusch, ohne jede Bemühung, zu gefallen, an das Licht stellen.

Wenige Tage nach dieser Predigt ließ ihn der Obrist-Kammerer, Baron von Rechberg, zu sich befehlen und eröffnete ihm dieses: »Seine Majestät haben uns den allerhöchsten Befehl erteilt, den Herrn Hofprediger zu verwarnen, daß, wenn er noch einmal in solcher Weis wider den Zeitgeist predigen würd, er ohne weiters abgedankt sein sollt!«

Und da er in seiner nächsten Predigt abermals wider die Eitelkeit und Ruhmessucht sprach, wurde es mit der Drohung Ernst – Grail mußte gehen.

Aber er trug den Schlag tapfer und ohne ein Wort zu verlieren, schloß sich fester an seine Freunde, den Professor Westenrieder, den Pfarrer Darchinger von der Hofkirch und den Meister Birchmayer an und führte ein einfachs, beschauliche Leben von den paar Groschen, die er sich erspart hatte.

Auch der alte Boos war ehedem sein guter Kamerad gewesen, bis sie leider der Tod voneinander schied und er dem edlen Meister die Augen zudrücken mußt.

Zu meiner Zeit aber hatte er nur noch den guten Eberhard; denn der alte Westenrieder war gemach zu einem Sonderling worden, und für den Hof- und Leibpfarrer Darchinger war es auf die Dauer doch nicht schicklich, mit dem Abgedankten noch freundschaftlich zu verkehren.

Man hatte Beispiele genug dafür, wie zu dieser Zeit solche Dinge geahndet wurden!

Da brauchte man bloß an den Pfarrer zu Heilig Geist denken und an die drei Benefiziaten von Sankt Peter; oder an den Kaplan bei der Pfarr zu Unserer lieben Frau: eine mißliebige Kameradschaft, – der gesellige Verkehr mit Leuten, die an allerhöchster Stelle nicht sehr beliebt waren, – so was genügte in diesen Tagen schon, einen Mann von Amt und Würden zu bringen.

Und also blieben wir abgesondert von aller Welt unter uns und sahen nur von fern dem Wirken und Weben, dem Wandel und Treiben der Kräfte und Mächte jener Tage zu.

Es war nicht viel, was uns zum Anteilnehmen zwang; es sei denn, daß ich jenen Schreckenstag, den dreizehnten Septembris des Jahres 1813, benenne, da wohl an die hundert Menschen in den Wassern der reißenden Isar umkamen, als diese mit wilder Gewalt die Ludwigsbrücken beim Prater in Trümmer zerbrach und mit ihren Wogen fortspülte.

Oder daß ich jener Zeit der bittern Not und Teuerung gedenke, da man schrieb 1816 und 17, in denen Tagen das Schäffel Weizen achzig bis neunzig Gulden gekostet hatte und viele Hundert Arme Hungers starben, indes in den Palästen getanzt und geschwelgt wurde.

Oder daß ich rede von den Tagen meiner höchsten Freude, da mir die ersten Verdingungen zukamen aus der Umgebung von München; bald auf Feldkreuze oder Wandherrgotte, bald auf ein Kirchenkreuz oder einen heiligen Leib für die Feier der Grablegung.

Gemach mehrten sich die Aufträge; man wollte bald diesen, bald jenen Heiligen, – bald die schmerzhafte, bald die glorreiche Madonna für Kapellen oder Kirchen; auch Werke zum Schmuck der Häuser und Treppen, geschnitzte Türen und Geländer, Rahmen und Armleuchter gab es zu entwerfen und zu fertigen.

Nicht lange, da brauchte ich einen Gehilfen, und wieder nicht lang, – deren zwei.

Und also kam langsam der Segen der Arbeit in meine Werkstatt, und die Wünsche meiner liebsten Freunde und Gönner wurden zur Wahrheit: ich setzte mich durch, hatte bald einen guten Ruf als Schnitzer und kam gemach zu einem bescheidenen Wohlstand.

Und da nach einer Zeit und Weil die ehrwürdige Jungfer Anna Boos ihr Sterbhemd aus dem Schrein holte und sich auf den Weg zum Jenseits schickte, vermachte sie mir für Zeit meines Lebens das liebe alte Haus ihres Vaters, mit der Bestimmung, daß es, falls ich ohne Erben bliebe, nachmals in den Besitz der Stadt übergehen sollt.

Der würdige Vater Grail gab auch ihr den letzten Trost und das Grabgeleit und zog alsdann auf mein dringliches Bitten als mein alleiniger Hort ein in die Stube seines seligen Freundes.


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