Lena Christ
Mathias Bichler
Lena Christ

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Lieb und Tod

Die Zeit ging hin, und ich war unversehens so ein halb, dreiviertel Jahr im Haus der alten Irscherin gewesen und hatte dort vieles gesehen und auch gar manches gelernt, was mir nachmals im Leben nützlich und zur Wohlfahrt wurde; hatte auch eine innige und feste Zuneigung zur Jungfer Kathrein gefaßt und, obschon ich erst ein gut zwölfjähriges Bürschlein war, bei mir beschlossen, sie einmal zu ehelichen.

Das sagte ich ihr auch ganz frei, und sie lachte dazu und ließ mich gewähren, wenn ich sie stürmisch umschlang, ihr die roten Haare zauste oder sonst zärtliche Späße mit ihr trieb. Da hieß sie mich ihren närrischen Buben oder ein Nachtei, ein dummes, und, wenn ich es etwan gar zu unsinnig trieb, ihren tolpatscheten Ritter. Dazu gab sie mir einen zärtlichen Backenstreich und zuweilen wohl auch einen Kuß.

Meine Liebe für sie wurde immer heftiger, und ich erschrak bei dem Gedanken, daß ich nun doch bald von ihr scheiden müsse und wieder zurückkehren zur Weidhoferin.

Und da nun der Knecht meiner Ziehmutter wirklich kam und mich holen wollte, lief ich, kaum ich ihn von weitem gesehen hatte, davon und in die Kammer der Jungfer. Dort verkroch ich mich unter ihre Bettstatt und ließ mich nicht mehr blicken, bis das Kathreinl spät am Abend hineinkam und ich sie weinen hörte. Da kroch ich eilig hervor und fragte sie: »Was weinst du denn, Kathrein?«

Sie erschrak heftig und wollte davon; doch ich sprang auf sie zu, umschlang sie und bat sie flehentlich zu bleiben. Nun erst erkannte sie mich und rief »Mathiasle! O du Ludersbub, du schlechter! 's ganze Haus, alles hab ich um dich abgesucht! Die Mutter ist noch draußen im Holz und schaut und schreit nach dir, und sie meint, du bist wieder in die Klauen von dem Unhold gefallen, der dich selbigsmal in die Felsenschlucht gestoßen hat!«

Darnach seufzte sie und fuhr fort zu reden: »Ach, Bub! Jetzt ist's halt wieder vorbei! D'Weidhoferin hat geschickt, und du mußt heim! Jetzt bin ich halt wieder allein.«

Und sie begann aufs neue zu weinen und setzte sich aufs Bett und drückte die Schürze an die Augen.

Da sprang ich auf ihren Schoß, halste sie und streichelte sie und gab ihr die zärtlichsten Namen, um sie zu trösten. »Kathreinl!« bat ich; »sei doch wieder gut! Ich geh ja gar nicht fort! Ich bleib halt da bei dir und laß der Mutter sagen, daß mich du nimmer g'raten kannst!«

Und da sie mir nichts antwortete, küßte ich sie auf die Lippen, Augen und Wangen und geriet in eine solche Liebeshitze, daß ich selbst darüber verwundert war, ohne jedoch der Natur zu wehren. Vielmehr verstieß ich mich zu den tollsten Versprechungen: daß ich jeden totschlage, der mich von ihr wegbringen wolle, und daß ich, wenn es sein müßte, für sie die peinlichsten Martern leiden wolle.

Sie hörte schließlich auf zu weinen und wurde durch meine unsinnige Raserei ebenfalls munter und zärtlich und erwiderte am Ende meine Küsse und gab mir allerlei süße Namen und liebkoste mich zärtlich.

Der Kienspan, den sie aufgesteckt hatte, war abgebrannt, und sein letzter, glimmender Stumpf bog sich und sprang verlöschend ab, so daß wir im Dunkeln saßen. Da stieg ein seltsam heißes Gefühl in mir auf; ich spürte, daß meine Wangen wie mit Blut übergossen wurden, und fiebernd preßte ich meinen Mund auf den des Mädchens. Sie drückte mich fest an sich, ihre Brust hob sich stürmisch; plötzlich seufzte sie tief auf, schob mich von sich und sagte mit fremder, rauher Stimme: »Geh jetzt, Bub, geh jetzt!«

Wieder, wie damals in der Kapelle der Mutter Gottes, als mich der Bauer zurechtgewiesen, packte mich ein Gefühl, als hätte mich jemand aus einem schönen Himmel gerissen, eine große Übelkeit bemächtigte sich meiner, und ich lief ohne ein Wort hinaus aus der Kammer und vor das Haus.

Da saß die alte Irschermutter auf der Hausbank, hielt ihren Krückenstock zwischen den Händen und stieß damit von Zeit zu Zeit auf den Boden.

Ich rief sie an; da wandte sie langsam den Kopf und sagte: »Da bist du ja, du Dunnersbursch! Wo steckst denn alleweil?«

Ich tat, als überhörte ich ihre Frage, wies auf die schwarzen Wetterwolken am Himmel und sagte: »Kommt ins Bett, Mutter! Ein Wetter steigt auf!«

Dann lief ich in meine Kammer und legte mich zu Bett, ohne eine Spur von Schlaf zu fühlen. In meinem Kopf sauste und hämmerte es, und in den Gliedern empfand ich eine seltsame Schwere. Meine Gedanken weilten bei der Kathrein, und ich versuchte, mir ihr Gebaren zu erklären, daß sie mich plötzlich so rauh von sich gewiesen hatte.

Da begann es zu blitzen und zu krachen, und ein furchtbares Gewitter tobte daher. Der Sturm heulte und pfiff ums Haus vom Wald herüber, und Regen und Hagel schlug an die Fenster.

Ich hörte draußen die Irscherin den Riegel der Haustür stoßen und sah sie beim Aufleuchten eines Blitzes an den Fenstern meiner Kammer vorübergehen.

Gleich darauf öffnete sich die Tür, und das Kathreinl kam herein und sagte: »Mathiasle, laß mich zu dir kommen; es tut grauslich draußen, und ich fürcht mich.«

Ein bläulicher Blitz flammte auf, und ich sah das Mädchen im dünnen Nachtgewand und mit offenen Haaren vor mir. Ein leichtes Tuch hatte sie um die Schultern gelegt und hielt es mit beiden Händen vorn über der Brust zusammen.

»Setz dich zu mir her«, bat ich und rückte zur Seite, während das Haus erbebte von dem Donnerschlag.

»Heiligs Kreuz«, rief sie und bekreuzte sich; »jetzt hat's eingschlagen!«

Und sie lehnte sich fröstelnd an mich. »Die Mutter ist noch fort«, sagte sie dann; »sie ist so eigen; wenn es draußen am ärgsten tut, dann geht sie ums Haus und schwingt die Sichel und läßt kein verständiges Wort mit sich reden...«

Wir fuhren beide zusammen: ein grelles, blaues Leuchten ging durch die Kammer und zugleich tat es einen Krach, daß wir uns umschlangen.

Bebend kroch das Kathreinl zu mir ins Bett und drückte ihren Kopf fest an meine Schulter, daß sie nichts mehr sah, während sie flüsterte: »Gfehlt is's! Das wird's End!«

Ich bettete sie aufs Kissen, schob meinen Arm unter dasselbe und legte mich ganz nahe neben sie. Da schlang sie ihre Hände um meinen Hals, und wir hielten uns ganz still. Das Wetter entfernte sich, und der Sturm ließ nach; nur der Regen fiel noch und sammelte sich in der Dachrinne und plätscherte vor dem Fenster in das Faß nieder, das die Irschermutter aufgestellt hatte, um in dem Regenwasser die Wäsche zu waschen.

Das Kathreinl war an meinem Hals eingeschlafen und ihre Hände lösten sich langsam und fielen herab.

Ich zog leise meinen Arm unter ihrem Haupt weg, nahm ihre Hände in die meinen und schlief am End gleichfalls ein. Brummend schlug die Uhr eben vier, als ich erwachte und mich einen Augenblick besinnen mußte, ehe ich Traum und Wirklichkeit voneinander scheiden konnte; denn ich hatte im Schlaf das Kathreinl weit fortgeführt in ein hohes Haus und hatte dort Hochzeit gemacht mit ihr. Da war die Irschermutter gekommen und hatte die Sichel geschwungen und geflucht, und im selben Augenblick stürzte das ganze Haus über uns zusammen.

Nun sah ich das Mädchen schlafend neben mir, und ich besann mich auf den Abend und die Nacht. Ein ruhiges Glücksempfinden überkam mich, und ich betrachtete mit großer Lust das feine Gesicht, die halboffenen Lippen und die langsam auf- und niedergehende Brust.

Endlich rührte sie sich; ihr Kopf wühlte sich unruhig ins Kissen, ihre Hände fuhren etlichemal im Gesicht und auf der Brust herum, sie tat einen Seufzer und öffnete die Augen. Da sie mich erblickte, schloß sie dieselben wieder, rieb sich mit beiden Fäusten den Schlaf daraus und öffnete sie weit, indem sie sich aufrichtete.

»Kathreinl!« sagte ich und küßte sie.

Aber sie war ganz traurig und meinte: »Ach weh! Jetzt hab ich wohl kein Glück mehr! Ach, Mathiasl! Jetzt ist's Jungfernkrönl weg und dahin!«

Und sie weinte leise.

Da sagte ich: »Sei still und klag nicht! Mir deucht, es liegt noch in deiner Kammer drüben! Bei mir ist's nit!«

Dann suchte ich scheinbar eifrig in meinem Bett, während sie, wieder lächelnd, langsam aufstand und hinauslief.

Nun hielt es mich nimmer auf meinem Lager, und ich erhob mich und machte mich zurecht. Dann trat ich hinaus auf den Flöz und wollte den Riegel der Haustür öffnen, um hinauszugehen; doch die Tür war nicht verschlossen, und der Schlüssel steckte nicht, wie sonst, am Schloß.

Ich ging verwundert hinaus vors Haus; doch mit einem Schrei fuhr ich zurück: die Irschermutter lag tot auf der Erde – erschlagen vom Blitz.

Sie war ganz schwarz und ihre Kleider verbrannt. In den Händen hielt sie noch krampfhaft den verkohlten Sichelgriff und den Krückenstock.

Ein Schauer schüttelte mich, und ich mußte mich an den Türstock lehnen, um nicht zu wanken.

In diesem Augenblick hörte ich drinnen das Kathreinl in seiner Kammer singen, und ich wurde wieder fest und überlegte, wie ich es machen sollte, um dem Mädchen das Schwere auf eine Weise darzutun, die es am wenigsten traf.

Aber ich fand keinen rechten Ausweg; endlich dachte ich, daß es das Beste sei, wenn ich vorerst noch schwieg und alles dem Himmel überließ; der würde es schon recht machen.


 << zurück weiter >>