Lena Christ
Mathias Bichler
Lena Christ

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Johannes Schröckh

Mit zitternden Fingern und großer Kümmernis und Angst im Herzen schnallte ich mein Ränzl ab und holte umständlich die Kundschaft und das Wanderbuch heraus, unsere liebe Frau wieder einmal brünstig um Hilf angehend und den Magister, der grad anstandslos als Karl Ludwig Harold, Geheimschreiber aus Darmstadt, das Tor passierte, in alle Höllen und Verdammnisse verfluchend.

Eben gab der Bäcker seine Papiere hin, sagte, daß er Philipp Leber heiße und in München Arbeit suche, und folgte darauf ebenfalls ohne Hindernis dem Magister; darnach kam mein Ziehbruder, der Fritz. Der Beamte las laut: »Friedrich Glotz, Stallknecht aus Sonnenreuth, – Ihr sucht Arbeit? – Wird schon was geben. – Könnt passieren.«

Nun war also die Reih an mir, und ich stand allein und verlassen von der ganzen Welt vor dem gestrengen Gendarm, darauf gefaßt, daß er im nächsten Augenblick die Häscher rufe, mich in Fesseln lege und in den nächstbesten Turm sperre als gemeinen Betrüger.

Aber er sagte bloß: »Stimmt. – Könnt passieren.«

Und gab mir den üblichen Gegenschein für meinen Reisepaß.

Noch umständlicher, als ich meine Judasfetzen ehvor ausgepackt, tat ich den empfangenen Wisch jetzt hinein in den Ranzen, sagte dem Alten mit bebender Stimm Pfüa Gott und ging mit schlotternden Knien hinein durchs Tor in die Stadt und ins Tal Mariä.

Lachend standen meine Gefährten vor dem Haus eines Bäckers und empfingen mich mit üblem Spott, darüber ich mich so stark erzürnte, daß ich von ihnen weglief.

Der Magister aber eilte mir nach und redete mir zu, bis ich wieder umkehrte und also mit ihnen beriet, was wir nun anheben wollten.

»Ich weiß schon mein Teil!« sagte der Bäck; »ich geh jetzt zu dem Wecklmeister da hinein, – vielleicht hab ich Glück!«

Und trat also ins Haus, über dessen Tür ein fein geschmiedeter Kranz mit dem Zunftzeichen der Bäcker hing und ein Schild: »Zum Dirnbäcken«.

Indessen er drin verhandelte, gingen wir heraußen langsam auf und ab und lugten dabei verstohlen durch die Scheibe des Schiebfensters, dahinter der feiste, mehlbestäubte Meister neben seiner himmellangen Hausfrau stand und dem Philipp seine Kundschaften abverlangte.

Es dauerte eine geraume Weil, eh der Kamerad wieder aus dem Haus trat; da er aber endlich erschien, lachte er voll Freuden und nahm von uns Abschied.

»Bin schon gedungen!« sagte er. »Ist ein guter Herr, der Meister. – Drei Tag Prob ums Essen, – darnach fix auf drei Jahr, wann ich mich gut halt. – Herrgott, bin ich froh drüber! – Ich wünsch euch das gleiche Glück! – Und...«

Er langte in den Sack und zog alle seine zusammengefochtenen Groschen und Kreuzer hervor: »Da – teilts es fröhlich miteinander! – Und jetzt bhüt euch der Himmel!«

Wir wünschten ihm alles Glück und nahmen sein Geschenk gern an. Dann versprachen wir ihm, zum nächsten Sonntag vor dem Haus zu stehen und auf ihn zu warten.

Und also gingen wir, indes er seine Ballonhaube schwenkte und wieder ins Haus trat.

Im Tal Mariä war schon lautes Leben und Treiben, da wir so durchmarschierten. Schwerbeladene und mit feisten Ochsen bespannte Bierwägen kamen aus einem Bräuhaus, aus der Hufschmiede daneben drang beißender Rauch und das Fluchen der Gesellen. Vor der Werkstatt eines Sattlers hielt eine Staatskarosse, während daneben aus der Hochbruckenmühl die weißen Mahlburschen mit schweren Säcken aus dem Tor keuchten und einen Wagen beluden. Kraxenweiber und feine Kochmamsellen, alte Bauern und junge Gecken liefen durch die Gassen; prunkvoll in Samt und Seide gekleidete Bürgersfrauen und silberstrotzende Männer kamen aus einer Kirchen. Ein Tändler stand unter seiner Ladentür, hatte eine endsgroße Brille auf der Nase und stäubte und blies an einem alten Ministerrock und schimpfte nebenzu grimmig auf den Gestank, welchen der Weißgerber mit seinen Häuten und Fellen um sich verbreitete, da er sie vom Karren hob und ins Haus trug. Ein Fuhrwerk mit feinem weißen Sand zum Fegen der Böden und Bänk stand vor dem Wirtshaus zum Löffelwirt, und der Lenker des alten, hinkenden Schimmels schrie in langgezogenen Tönen: »Weiß Saand!« Dabei er aber von einer buntgewandeten Jungfer, die zwo Fäßlein in einer Kraxe am Rucken trug, überschrien wurde; denn sie lockte die Frauen und Kochdirnen ringsum aus den Häusern mit ihrem Ruf: »Rührmilli und Butter!«

Ein alter, zusammengeschrumpfter Salzstößler mit erfrornen Backen und tröpfelnder Nase stand hinter der trüben Scheibe seines Ladenfensters und sah neidig auf die schweren Kisten und Ballen, die daneben vor dem Tor des reichen Handelsmannes und Seidenhändlers abgeladen wurden, indes ein Gendarm dabei Wache hielt, daß nichts gestohlen wurde. Zwei Diener liefen mit einer Sänfte, darin ein steinalts Männlein mit langstieligem Spekulierglas und gepuderter Perücke saß, dem Ratstor zu und stießen dabei schier einem Burschen seine zwei großmächtigen Käsräder vom Kopf, die er eben aus einem Gewölb trug.

Vor dem Haus eines Branntweinbrenners hielt der Magister an und sagte: »Jetzt gehn wir einmal zuerst da hinein auf ein Glas Bittern. Und dann reden wir weiter!«

Also traten wir ins Haus, das man den Heiliggeistbranntweiner hieß, und darin schon männiglich Leut beieinander saßen und standen: Alte und Junge, Bauern, Händler, Handwerker und Bürger, ihr Stamperl tranken oder etliche Krüg füllen ließen und daneben sich mit jedermann anließen und unterhielten.

Und da wir also unsere himmelblauen und grünen, gepreßten Gläslein nahmen und auf gut Glück anstießen, trat einer zu uns, ein aufgeblähter, rotkopfichter Mensch mit schweren Silberknöpfen an seinem braunen Rock, und fragte leutselig, wo wir herkämen.

Sagten wir: »Von den Bergen – Arbeit suchen.«

Darauf er unser Gewerb wissen wollt und jeden drum fragte.

Der Magister aber nannte ihm willig statt unser alles: »Der ist ein guter Stallknecht für Ochsen und Küh, Rindvieh und Roß«, sagte er vom Fritz; »der da ist ein Maler oder Anstreichritter – zwar nicht groß, aber ein firmer Gsell«, rühmte er von mir und meinte dann von sich selber: »und ich bin ein alter Schreiber, Sekretär und Stiefelzreißer.«

Der ander betrachtete uns eine Weile prüfend; dann fragte er meinen Ziehbruder: »Kann er melchen?«

»Freilich!« sagte der Fritz; »melken und buttern, füttern und stallräumen. Und in der Feldarbeit da fehlt sich auch nix.«

Worauf sich der Alt noch ein Glas Schnaps einschänken ließ und die Papiere des Bruders zum Durchschauen verlangte.

»I bin Millihandler«, sagte er darnach; »i kunnt di schon ganz gut brauchen; – was verlangst denn?«

»Was halt der Brauch ist«, erwiderte der Fritz; »ich mach mein Sach richtig und laß nix über mein Vieh kommen. – Was zahlts denn?«

»No ja«, meinte der Milchhändler bedächtig und trank; »no ja. I gib dir, was recht is: vierazwanzg Gulden im Jahr und ein Paar Schuh. Nach zwo Jahr vier Gulden mehr, und den Drangulden extra.«

»Jawohl«, sagte der Fritz; »so, wies halt der Brauch ist. Um das möcht ich schon anfangen bei Euch!«

»No ja, nachher is ja alles recht und richti!« erwiderte der Alt und zog einen gestrickten Geldbeutel aus der Hose. »Nachher gib i dir also glei dein Drangeld, und du gehst auf der Stell mit.«

Also war auch der Fritz gut unter Dach. Der Magister aber sagte: »Kann man vielleicht inne werden, wo Euer Sach ist, Herr? – Er bekümmert mich, der junge Kampel!«

»Dees kinnts scho inne werden«, erwiderte ihm der Alt. »I bin in der Salzgassen und hab a schöns Sacherl. Bei mir hoaßt mans zum Fischer Simmerl; könnts schon amal kommen zu eahm auf d' Nacht nachn Feierabend.«

Ach Gott, wie war mir in dieser Stund elend in meinem Gewissen! Denn ich gedacht mit Angst und Grausen des Augenblicks, da auch an mich die Frage käm: »Wer und was – woher und wohin?«

Er kam leider nur zu schnell, dieser Augenblick! Denn der Milchhändler wandte sich an einen hageren, weißhaarigen Mann, der hinter dem Schanktisch beim Branntweiner stand und ein gemaltes Schild in Händen hielt, mit den Worten: »Behringer! – He, Behringer! – Geh amal her! – Hast nit du gsagt, daß dir a Junggsell mangelt in deiner Werkstatt?«

Der Angeredete ging auf uns zu und fragte: »Warum? Hast leicht oan?«

»Jawohl, Euer Gnaden!« rief da geschwind der Magister und nahm mich bei den Schultern: »Wenn Euer Gnaden geruhen wollten, den Burschen auf eine Probe zu dingen! – Er ist ein Vetter von mir, – versteht sein Sach von Grund aus, – kann bloß mit den Leuten nicht recht umspringen. – War ja auch sein Lebtag immer bei der eigenen Freundschaft; – gewöhnt sich aber schon noch an die fremden Leut. – Welchen Zweig der edlen Malerei pflegen Euer Gnaden, wenn man fragen darf?«

»Mir tean vergolden und Figuren von die Herrn Bildschnitzer bemaln«, erwiderte der Meister; »der Dreßler in der Hackenstraß und i – mir san die oanzign von dem Fach. I hab halt zwoa Altgselln und vier Junggselln in der Werkstatt, ohne die Lehrbubn. – Wie heißt er denn, der Krowat? – Hat er Kundschaft?«

»Schröckh, Euer Gnaden!« beeilte sich der Magister statt meiner, der ich dastand wie Sankt Sebastian mit den fünfzig Pfeilen im Leib; »Johannes Schröckh. – Hallo – geschwind deine Flebben, Bursch! – Nur nicht so verdattert mein Lieber! – Der Meister wird bald genug Respekt vor dir kriegen!«

Langsam, als tät ich mein Halstüchl ab, damit mir der Scharfrichter den Kopf leichter abhauen kunnt, holte ich die verfluchten Hadern heraus und gab sie dem Magister hin, denkend, es wär wohl das Best, wenn mir unser lieber Herr in dem Augenblick geschwind einen sanften Tod schenkte.

Aber ich blieb lebend und gesund und hatte eine Weil darnach einen brennenden Dinggulden in der Hand.

Der Magister aber bedankte sich mit geschraubter Red bei dem Meister und fragte, ob er mich einmal aufsuchen dürft mit Verlaub Seiner Gnaden.

»Aber gwiß!« sagte dieser. »Kommts nur, wenns Euch beliebt! – Ich habs gar nit ungern, wann hie und da eins von der Freundschaft ein bißl dahinter steht mit der Fuchtel! – Sie schlagn dann nit so leicht über d' Sträng, find ich!«

»So ists!« sagte der Erzgauner, der scheinheilige. »Und wo sind Euer Gnaden zu finden, wenn man fragen darf?«

»Ja so«, erwiderte ihm mein Meister; »also, wenn Ihr Euch merken wollt: Christian Behringer is mein Nam; Mal- und Vergolderwerkstatt, – glei da drüben im Hackenviertel; – Brunngassen. 's erste Haus linker Hand, wenn man von der Hundskugel rein kommt. – Unser liebe Frau steht groß über der Haustür in der Nischen.«

Da bedankte er sich noch einmal, der Magister, gab mir gute Lehren und schöne Wort und versprach, mich am Sonntag nach dem Essen zu besuchen, mit Verlaub.

Ich aber wußt nicht Red noch Antwort, fühlte nicht Schmerz noch Lust und stand auf meinem Fleck, indes in meinem Hirn der eine Gedanke umging: »Gfehlt ists! Aus ists! – Du bist ein Lump!«

Mittlerweil hatte sich der Milchbauer mit dem Fritz auf den Weg gemacht, und der Magister nahm nun ebenfalls von uns Abschied, trank sein Glas aus und ging.

Da gab ich mir einen Ruck und dachte, wenn ich erst einmal eine Weil bei dem Meister wär und er keine Klag über mich hätt, dann kunnt ich ihm ja leichtlich alles erzählen.

Und bis dahin würd es schon gehen mit der Hilf Gottes.

Ging also mit ihm und trat hinaus in die sonnbeschienenen Gassen und folgte meinem Meister durch das feinbemalte Ratstor über den Marktplatz mit der lieben Frau auf der Säulen, vorbei an den Ständen der Händler und hinein in schmale Gassen und enge Winkel, bis wir endlich zu dem Haus mit der großen Madonna kamen.

Aufrecht ging ich durchs Tor und hinein in die Werkstatt, da der Meister mir meinen Platz neben einem Altgesellen anwies und sagte: »Also, Hans, probiern wir's halt in Gottsnam.«

Nun hatte ich also eine Arbeit, einen Meister, einen Platz beim Altgesellen – aber kein Gewand, wie es die zünftigen Maler gemeiniglich bei ihrem Schaffen tragen.

Sagte also deshalben zum Meister: »Es wär mir lieb, Meister, wann ich gleich meine Kluft ablegen kunnt und ein anders Gwand anlegen. Auch hab ich mir noch um kein Logis gschaut.«

»Das kannst im Haus haben«, erwiderte der Meister; »bei mir loschiern alle im Haus, die bei mir werken! – Habs nit mit den Auswärtsschlafern! – Hängt sich leicht allerhand an! Und – was ich sagen will, – Kittel und Schawer findst da hint, in dem Kasten, was d' brauchst.«

Also suchte ich mir meinen Habit aus und folgte darnach dem Meister hinauf unters Dach, da drei niedere Kammern für die Gesellen gerichtet waren mit sauberen Betten, blechernen Waschschüsseln und steinernen Wasserkrügen.

Vor jedem Bett stand ein blank gescheuerter Hocker und eine niedere Truhe, und an der Wand hing ein einfacher Herrgott, mit Palmbüscheln und Antlaskränzlein geschmückt. In den geblümten Zeugvorhängen steckten allerhand Zunftzeichen und Anhängsel, Blumensträußlein und bunte Bänder, und auf einem Fensterbrett stand einschichtig ein magerer Rosmarinstock.

Der Meister hatte derweil seine Ehefrau gerufen; und die lächelnde, rundliche Meisterin mit ihrem blonden Haarschopf, darin ein großmächtiger, geschnitzter Hornkamm steckte, rief mit heller Stimm, indem sie eilig ihre blumenbestickte Leinenschürze zurückschlug und glättend über die Kissen eines Bettes strich: »Ja, was is dees, Vater! – Ham ma scho wieder oan! – So so! – Na, dees is recht. – Wie heißt er denn? – Is er auch brav und ordentlich? – Und gsund? – Kennt er unsern Herrgott noch? – Geht er schön in d' Kirch? – Er hat doch hoffentlich kein Schatz? – Gwiß nit? – Also – dann ists recht. – – Acht gebn aufs Bett! – Kein unnützen Dreck machen! – 's Bettgwand nit zreißen! – Öfters beichten gehen! – Den Boden nit vollspaizen und 's Waschwasser nit in d' Dachrinn gießen! – Und nit streiten! – Und im Haus Filztapperln tragen! – Also.«

Und sie nickte mir freundlich zu, ließ die Schürze wieder fallen und lief die Stiegen hinab, daß ihr Schlüsselbund rasselte.

Da zog ich mich eilig um, tat einen Stoßseufzer und folgte darnach dem Meister wieder in die große, lichte Werkstatt, in der überall Engel und Heilige, Madonnen und Wandherrgotte umeinanderlagen und standen; bald aus Holz bald aus Gips, alabasterne und steinerne, bemalte und vergoldete.

Hier strich einer frisch an dem lichtblauen Mantel der Himmelskönigin, dort malte einer die Schuhriemen des heiligen Florian; der rieb auf einer gläsernen Platte emsig die Farbe an, und jener setzte eben goldene Sterne auf das Gewand eines Cherubs.

Der Altgesell aber, dem ich zur Hilf zugeteilt ward, malte kunstvoll das Antlitz eines Herrgotts am Kreuz; bleich, mit bläulichem Unterton, die halboffenen Augen voll Schmerz und Leid im Ausdruck.

Etliche Lehrlinge liefen geschäftig mit Farbtöpfen und Goldlackhäfen herum, wuschen Pinsel, trugen den Gesellen Öle oder Paletten, Töpfe oder Näpfe zu und machten dabei ihre Späße und Umtriebe.

Der Meister holte derweil einen Pack leerer Wandkreuze, legte sie für mich hin und sagte: »So, die müssen sauber schwarz gstrichen werdn. – Der Benno soll dir's Farbhaferl bringen und Pinsel! – Gregori, schaugst ihm halt hie und da auf d' Finger, daß ers recht macht, sein Sach!«

Mein Altgesell nickte, und ein Lehrbub brachte mir alles, was ich brauchte.

Also begann ich meine Arbeit, die ich wohl begriff; denn ich hatte schon beim Bildlthomas viele Rahmen bemalt, gestrichen und vergoldet.

Der Gregori brauchte kein Wort zu reden und war mit dem Anfang so wohl zufrieden, daß er am Mittag zum Meister sagte: »Schafft gar nit schlecht, der Binkel! – I denk, mir lassen ihn morgen bei den Birchmayer-Aposteln 's Grundiern anfangen.«

Was mir einen wohlgefälligen Blick vom Meister eintrug.


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