Lena Christ
Mathias Bichler
Lena Christ

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Alle Herrlichkeit des Menschen ist wie Staub

In einem Augenblick
Kommt gählings aus ein Schrick,
Der eim die Seel gar tief durchdringet.

Die Zächer übers Gsicht abgehn,
Das Herz wöllt eim schier stille stehn,
Kein Glächter eim nit mehr gelinget.

Wann ich schon auch daheimt
Das Elend hab beweint,
Muß annoch in meim Leid verbleiben.

Wer wollt doch alls genugsam sagen!
Die Not kunnt zur Genüg mit Klagen
Mein Feder nit beschreiben!

Ach, wohl dem Mann, der ein harts Herz hat, daß ihn nicht betrübt ein solches Leid und Unglück! Denn da der frühe Tag mit grauem Nebel anbrach, hatt ich nicht Vater noch Mutter mehr, nicht Heimat noch Liegerstatt.

Saß stumpfsinnig und frierend mit meinem Ziehbruder, dem Fritz, auf den Stufen vor der Gottsackertür, und wir hielten uns bei den Händen und hatten kein Wort mehr und keine Zähre. Drüben stieg ein feiner, bläulicher Rauch aus den Trümmern auf; drei rußige, geborstene Mauern ragten aus dem Schutthaufen, und daneben standen die verkohlten Stümpf der beiden mächtigen Birnbäume, die der alte Bichlervater, Gott hab ihn selig, bei seiner Hochzeit gepflanzt hatte.

Leut kamen und gingen, beschauten und bejammerten das Unglück; und die Knecht und Mägd, die Kostbuben und Freund des Weidhofs standen herum und stierten trübselig ins Leere.

Der Pfarrer war schon in der Nacht zum Brandplatz gekommen, hatte mit lauter Stimme allen die Generalabsolution erteilt und für meine lieben toten Zieheltern auf den Knien das De profundis gebetet. Hatte auch Befehl gegeben, daß man die Kirch gut in Acht nahm und die Funken, so auf ihr Dach flogen, sogleich verlöschte, und, nachdem die Brunst vorüber, meine Kostmutter in den Pfarrhof tragen und dorten aufbahren lassen.

Nun es ganz hell wurd, kamen auch die jungen Ehleut wieder auf den Platz. Waren halt doch heimgegangen in der Nacht, da sie sahen, daß nichts mehr zu retten war.

Hatten ja ohnedies keine glückhafte Brautnacht mehr gehabt und gewißlich auch keine Freud an dem Narrenzeug, das ihnen am Hochzeitstag von den Freunden in der Schlafkammer aufgericht worden war nach altem Brauch und Herkommen.

Indes hatte man begonnen, meines Ziehvaters Leichnam zu suchen und aus den Trümmern zu schaffen. Wurd also viel Wasser auf die heißen, dampfenden Überrest gegossen und darnach mit vieler Müh das Mauerwerk beiseit gehoben, bis man endlich auf den steinernen Futterbarren stieß.

Immer mehr Leut hatten sich währenddessen zusammengefunden; immer lauter und lärmender ging es zu. Jeder Stein, der gehoben wurde, jeder Spatenstich wurd beredet und durch die Reihen fortberichtet.

Da scholl es zu uns herüber: »Ach Gott! der Weidhofer! Und so zugrund gricht!«

Ein Jammern und Klagen ging durch die Menge, und auch wir standen auf und seufzten und konnten uns vor Leid kaum fassen.

Etliche brachten eine Leiter – ein Tuch; man legte den verbrannten und verstümmelten Leichnam darauf und gedacht, ihn nach dem Kirchhof zu tragen.

Da kam ein Hauf von Kindern die Gasse dahergestürmt, laut rufend und schreiend: »Sie haben ihn! – Man bringt ihn! – Den Ambros haben s'!«

Ja, sie brachten ihn. Inmitten zweier Schürgen oder Landjäger kam er daher, schlotternd und wankend, von den Kindern mit Steinen beworfen, von den Männern und Weibern verwunschen und verflucht.

Vor der Brandstatt hielten sie an; der Tote ward vor den Schelmen hingetragen, und der wurde gefragt im Namen Gottes und im Angesicht des Toten und der Feuerstatt: ob er sich schuldig bekennen wollt!

Und er stand da mit grauem Gesicht und verhetztem Blick, konnte kaum das Wort aus dem Maul bringen vor Zähnklappern und sagte dennoch: »Nein, nein!«

Da brach ich mir einen Weg durch die Menge; stand bebend vor ihn hin und schrie: »Beim dreieinigen Herrgott, er hat's tan! – Ich hab ihn sehen davonschleichen! – Hund! Du hast's tan!«

Ich konnt nimmer. Es wurde mir todübel und ich mußt mich einhalten.

Doch schreckenvoll war die Wirkung meiner Worte: der Teufel – kaum daß er mich ersehen und meine Red vernommen, begann er gottslästerlich auf mich zu fluchen, gestand unter wildem Rasen die Tat und schäumte vor Wut, daß er mich immer noch lebend sah.

In diesem Augenblick aber stürzten sich die Bauern auf ihn; – vergebens wollten ihm die Schürgen Deckung geben, – sie wurden gleich mir aus dem Knäuel gerissen und der Schelm darnach grausam ums Leben gebracht durch Steinwürfe, Faustschläge und Messerstiche. Sein Heulen hallte grausig durch das Dorf, und sein Blut floß wohl aus hundert Wunden, bis er endlich tot hinfiel.

Hatten ihm also Gerechtigkeit widerfahren lassen; ich aber kann mein Lebenlang nimmer froh werden, daß ich solches mit meiner Red verschuldet, obgleich man mich im Ort deshalben groß belobt hatte.

Da nun die Bauern den Meßmer aufgebahrt, den Frevel genug beschaut und auch gesühnt hatten mit harter Feme, gingen sie wieder heim und die Weiber und Kinder mit ihnen.

Die Schürgen aber nahmen den Leichnam des Gerichteten und trugen ihn auf den Schindanger, wo sie ihn verscharrten.

Mein Ziehbruder, der Fritz, und ich begaben uns darnach zur jungen Häuslerin, der Nandl, und fanden dort auch die andern Kostbuben des Weidhofs; denn es wußt keiner was er nun sollt anfangen oder ausrichten. Die älteren, der Hausl und der Hans, hatten, zu ihrem guten Glück noch etliche Gulden Zehrgeld und gaben der Nandl willig davon, daß sie ihnen ein Essends gab und ein Lager; wir beide aber waren ohne jeden Kreuzer und mußten zuschauen, was nun würd mit uns.

Da war es denn gar traurig, daß die junge Hausfrau, ehedem meine seelensgute Schwaigerin, mit uns gar leidig tat und sagte, daß sie nicht kunnt jeden Bettelbuben herfüttern; wer was wollt, müss' allenthalben zahlen.

Also daß wir uns wieder davonmachten und zu fremden Bauern gingen, da wir dann um Gottswillen etliche Tag bleiben konnten, bis unsere liebsten Zieheltern zur Erden gegraben waren mit großem Gepräng und starkem Zulauf. Muß nun leider gedenken einer gar betrüblichen Zeit, da sich das Sprichwort an mir zum Wahrwort machte:

Freund in der Not gehn hundert auf ein Lot.


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