Lena Christ
Mathias Bichler
Lena Christ

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Das Tiroler Katherl

Mocht also ein guts Jahr bei dem Bildlmacher gewesen sein, als mir auf einmal das Rahmerlschneiden und Geißlmelken nimmer gefiel; konnt auch die ewig Fastenkost nicht mehr recht vertragen und bekam allerhand Beschwernis, wenn ich bloß an die Geißmilch dachte.

Wollt auch meinen Leib ein bißl besser sich ausgehen lassen; denn des Wegs von der Hütte zum Wald oder nach Bayrischzell war ich gemach überdrüssig worden.

Faßte mir also am End ein Herz und sagte dem alten Thomas, daß ich ein G'lusten hätt, mir die Welt anzuschauen und was zu werden.

Nun mochte mich der alt Vater wohl für einen Dummerl halten, der übernacht allen Verstand verloren hatte; denn er schaute mich so erschrocken an und schüttelte so ohne alle Fassung den Kopf, daß er mir ganz erbarmte. Dann aber schrie er mich scharf an: »Nix da! – D' Welt sehgn! – Du brauchst no nit so viel z'wissen von der Welt! – Wirst's wohl aushalten können bei mir!«

War also für diesmal die Sach umsonst.

Doch ich ließ nicht mehr luck und fing alle Tag von neuem damit an, daß ich halt einmal wieder hinaus möcht und ein bißl wandern.

Und zum End mußt er doch nachgeben, der Alt. Versprach mir also, daß ich zur nächsten Jahrmarktreis mittappen dürft auf Kufstein zum Lichtmeßmarkt. Sollt aber zuvor noch auf Bayrischzell hineingehen zum alten Tiroler Katherl und sie bitten, daß sie dem Bildlthomas wieder möcht das Haus versorgen, bis er zurückkäm, wie sie es sonsten immer getan hatte, ehedem ich zu ihm gekommen war.

Froh dieser Botschaft machte ich mich also etwan ein Woch vor Lichtmeß auf den Weg, das alte Weiblein heimzusuchen.

Sie hatte ein armselige Logis im Häusl der Totenpackerin von Bayrischzell, dafür sie dieser die Kindswindeln wusch, den Geißenstall versorgt und etwan auch bei dem einen oder dem andern Abgeschiedenen die Totenwacht hielt, wenn die Packerin nicht der Weil hatte dazu.

Ihr winzige Kammerloch, das man ihr zur ebenen Erd angewiesen hatte, lag neben dem Stall und glich ehender einer alten Rumpelkammer denn einer Altleutstuben.

Außer etlichen alten, wurmstichigen Hockern und Bänklein, einem wackligen Tisch und einer niedern Truhe sah man nichts als Gerümpel, zerbrochenes Geschirr und zerrissene Hadern in der Kammer. Im Eck aber stand eine großmächtige Himmelbettstatt, darin statt der flaumigen Federbetten ein Haufen Haderlumpen und ein Geißenfell lag; auf dem Dach des Betthimmels standen allerhand Schachteln, Körb und Gläser, ein zerbrochene Spinnrad und eine mit verblichenen Bändern gezierte Strohkirm oder Kraxe, darin das Katherl in seinen rüstigen Jahren allerlei nützliche und kostbarliche Dinge durch die Land getragen und an gutwillige Bäuerinnen, deren Töchter und Ehhalten verkauft hatte: Haarpomaden, schmeckende Seifen, allerhand Mixturen gegen Leberfleck und Hexenmal, feine Fläschlein mit Wasser, das nach Rosmarin oder Lilien, nach Purpurrosen oder Märzveigerlein roch; zierliche Kettlein an Hals und Mieder, seidene Barben und steife Schmisettlein, und dazu viel kurzweilige Späß, Neuigkeiten, Wundermären und sonst gefällige Reden und Weisen.

Ihre Mutter, eine Marketenderin, welche als eine stattliche, handfeste Dirn mit den Tirolern in alle Kämpfe zog, als es galt, dem österreichischen Kaiser und Herrn Leopold seinem Sohn den Thronsessel und die Kron von Spanien zu gewinnen, hatte als getreue Liebste eines Fahnenträgers ausgehalten an seiner Seiten, magere Kost und elendigs Quartier mit ihm geteilt und ihm endlich, grad als er, von einer Kugel zerschossen, im Sterben lag, das Katherl in den Arm gelegt; hatte ihm nach seinem Abscheiden den kaiserlichen Rock ausgezogen und das arm Wuzerl dareingewickelt, den kaiserlichen Fahn in die Hand genommen und war als ein rechts und riegelsams Soldatenweib, das Kind gleich einem Schleppsack auf den Buckel gehängt, den Mannern vorangezogen, bis auch sie, vom Blei getroffen, liegen blieb und ihren Kaiserfahn samt dem zwei Jahr alten Kindl den Tirolern überließ.

Da ward also das armselig Maidlein bald von dem einen, bald von dem andern Siechen oder Verwundeten eine Weil gewartet, bis sich endlich ein christlich Weib im Schwabenland des vater- und mutterlosen Zwacks annahm und etliche Jahr um Gottswillen dafür sorgte.

Aber schon rührte sich auch in dem jungen Blut das unstete und wanderlustige Wesen der Mutter; und da eines Tags ein Karrner durch das Nest gezogen kam und auch im Haus der alten Pflegmutter vorsprach um Schmalz und Eier und sich in liebreicher Weis mit dem kleinen Katherl unterhielt, da hing sich das Kind plötzlich an seinen Hals und bettelte ihn, daß er es doch mitnähm auf seinem Karren. Hörte auch nicht ehender auf zu bitten und betteln, bis es ihr der gut Mann versprach.

Gab sie also die Pflegmutter hin und band ihr ein Hemd, ein Röcklein und ein Paar feuerrote Strümpf in ein Tuch, hing ihr ein Kräglein um mit einer Kapuzen und setzte sie auf den Karren zu den Eierkörben und Schmalzhäfen.

Da lachte das Maidlein und schrie hü hott! und fuhr dahin.

Also wanderte der gut Karrner wohl etliche Jahr mit ihr durchs Schwabenland, durch Bayern und bis gegen die Berge, da es dem nunmehr zehnjährigen Jungferlein dann so wohl gefiel, daß es alle Lieb für den guten Karrner vergaß.

Verkroch sich also etliche Tag in Streuschupfen und Holzlegen, bis der trostlose Alte endlich nach hartem Suchen ohne sie weiterfuhr.

Da fand man sie halb verhungert und ganz ohnmächtig in einem Schupfen und übergab sie der Gemeindemutter, die sie nach langem Sträuben endlich aufnahm und eine kleine Zeit behielt, bis das Maidl wieder wohlauf war; alsdann verdingte man den Balg, den fremden, zu einem Bauern als Gänsdirndl, dabei sich das Kind eine Weil ganz wohl fühlte, bis wieder der Laufteufel über sie kam und sie eines Tags mitten vom Gänshüten davonlief und sich weit ins Gebirge hineinwandte, hungernd und bettelnd und doch munter singend.

Wurde auch bald da, bald dort aufgehalten und zur Arbeit eingespannt, blieb aber nirgends länger denn etliche Wochen und kam endlich bis ins Tirolerland, da sie dann einen Kraxentrager fand, der sie mitnahm, erst als ein Pflegkind, bald aber als sein Lieb und Gespons.

Nun war das Katherl ein gar wilds und ungebändigts Ding, konnt nicht lesen und nicht schreiben und hatte sein Lebtag keinen andern Unterricht gehabt, denn jenen bei dem rauhen, alten Karrner und der guten Pflegmutter; welches Weistum aber mit ein wenig Rechnen und ein paar frommen Bibelsprüchen sein Bewenden hatte.

Mußt also dieser Gesell manchen alten Strauß mit der wilden Katz ausfechten und großen Fleiß brauchen, sie ein wenigs handlicher und manierlicher zu schaffen für das Gewerb, dem er oblag.

Bracht sie also dieser Kraxentrager nach vieler Müh am End dahin, daß sie gleich ihm die Kirm auf den Buckel nahm und den Weibsleuten dies und jenes aufschwatzte.

Und da sie bald einen guten Begriff von solcher Handelschaft bekam, wußte sie dies Geschäft schließlich zu einem ganz einträglichen zu machen, gab den Weibern allerhand Ratschläge in geheimen Anliegen und spielte nicht selten um klingende Münz die Kupplerin und Vermittlerin in Ehe- und Liebessachen.

Am End trennte sie sich von ihrem langjährigen Genossen und zog nun, abenteuerlich gekleidet und herausgeputzt, mit ihrer Kirm durch die Berg, hatte bald diesen, bald jenen Liebhaber, kam wohl auch zu den Schlössern reicher Adliger, bei denen sie als ein fremds Wunder viel beschaut, als bildschöns und kurzweiligs Frauenzimmer wohl auch daselbst etliche Zeit aufgehalten und gar fein gewartet und bedient wurde.

Zog endlich als Tiroler Katherl von Schloß zu Schloß, ging auch in Städte und führte ein abenteuerlichs Leben, bis sie schließlich in die Jahr kam, da aus der Buhlerin gemeiniglich eine Beterin wird.

Hatte sich im Lauf der Zeit ein schöns Häuflein Gulden erspart und fing also an, dieselben wohl einzuteilen, daß sie, wie sie vermeinte, so ein zwanzig Jährlein davon kunnt zehren, bis sie der Gvatter Sichelmann auf die Totenschragen brächt. Zog also in das bayrische Zell und führte da ein beschaulichs Leben.

Nun aber war sie längst ihre hundert Jahr alt; die Gulden hatten sie alle verlassen, und der Gvatter wollt immer noch keine Freundschaft mit ihr halten; da suchte sie eine andere, schloß sich an die Totenpackerin von Bayrischzell an und nahm bei dem bleichen, kinderreichen Weib, dessen Ehewirt ein Flickschneider und Säufer war, das armselige Logis, in dem ich sie nun fand.

Sie bot mir einen wackligen Hocker an und setzte sich auf das Bänklein neben dem Himmelbett, wickelte den groben, hölzernen Rosenkranz, den sie grad in der Hand hielt, um die Finger und begann, mich des langen und breiten um mein Herkommen, meine Heimat, meine Eltern zu befragen, schwatzte viel über sich und über den Bildlthomas, den sie vor vielen Jahren schon kennen gelernt hatte, als er noch ein gar sauberer Bursch gewesen war, und sagte zu guter Letzt, daß sie gern und mit Freuden den Tag vor Lichtmeß kommen wollt, worauf ich eilig zurücklief und dem alten Vater diesen fröhlichen Bericht gab.

Der verwunderte sich zwar immer noch über mein narrets Getue und sagte: »Daß dir nur dein Gaul nit durchbrennt, wennst 'n gar so aufs Rennen schickst! Hätt nit vermeint, daß d' dir so schnell 'n Übermacht an meiner Suppen gessen hättst; aber i will di nit aufhalten, wann's di nimmer gfreut bei mir!«

Darnach nahm er ein Stricklein und begann, an mir zu messen; »denn«, meinte er, »mit so einem einsichtigen Klüftl in d' Fremd zu gehen, das taugt nit.«

Worauf ich ihm erwiderte: »Habs doch gar nit im Sinn, in d' Fremd z' gehen! Bloß so ein etliche Ortschaften möcht i sehgn, andere Leut möcht i kennen lernen und eine Weil fortwandern möcht i. Darnach geh i ja wieder gern zruck zu Enk!«

Der Alte aber schüttelte immerfort den Kopf, und am End sagte er: »Glaub nix mehr! – Dös Eichkatzl, was mir selbigsmal auskommen ist, hab i nimmermehr gsehgn; habs aa schon über fünf Jahr ghabt!«

Ich meinte: »Das ist doch was ganz anderes! Da wird halt ein Raubvogel drüberkommen sein, oder es hat nimmer heimgfunden aus'm Holz!«

»Ja, ja«, sagte da der alte Vater seufzend; »kann scho sein; dahin is dahin.«

Damit nahm er seine Pelzhaube und den Stecken, holte etliche Gulden aus der Truhe, hing den Schafpelz um und ging, mir eine Kluft zu bestellen.

Kam also auf den Abend heim und brachte ein schöns Tuch mit, ein oder zwei Ellen, auch etwas zu einem roten Leibstückl, und sagte: »Der Schneiderkaschbar kimmt morgn auf d' Steer.«

Darnach ging er gleich und legte sich schlafen, so daß es mir recht unwirtlich vorkam in der Hütten und ich also auch, ohne ein Bißlein zu essen, in mein Heu kroch.

Kunnt auch den andern Tag nicht recht froh werden, obgleich der Schneiderkaschbar, ein gar loser Spaßmacher, bald ein witzigs Wort, bald eine närrische Gebärde fürbrachte, auch keinen Augenblick das Maul hielt und bei jedem Nadelstich ein anders Grimassengesicht machte; er wußte alle lustigen Schwänk, die man sich im ganzen Umkreis seit undenklichen Zeiten erzählte; er kannte alle Schelmenlieder, die man in den Tälern und auf den Almen sang, und berichtete alle Lächerlichkeiten der Leut, bei denen er gearbeitet hatte.

So wußte er, daß die Strieglerin ihren Ehemann einmal im Schubkarren aus dem Wirtshaus heimgefahren hätt, weil er schon so voll war, daß ihm das Stehen nicht mehr geriet. Er war auch dabeigewesen, wie der Bühlermartl seine Alte bis zum Hals in den Misthaufen eingrub, weil sie das Gicht so plagte. Hatte auch den Strohriegler, jenen Schelmen, noch gekannt, der beim Pfarrer einen raren Schunken aus dem Rauchfang stehlen wollt und dabei in den Backtrog herunterfiel, darin die Köchin den Brotteig auf die Wärm gestellt hatte zum Aufgehen. Durch das Gepolter war diese und auch der Pfarrer erwacht, und sie hatten den Dieb noch brav umgewuzelt in der Mulden und darnach aus dem Haus gejagt, um und um voll Teig.

Indes nun der Schneider solche Schwänk auftischte und Kurzweil trieb, saß der alt Thomas hinterm Ofen und rahmte seine Bilder, leimte und nagelte und hielt sich dazu ernst und schweigsam.

So gingen also die zwei Tag hin, während der mir der Schneider einen gar ordentlichen Habit zusammengezimmert hatte, darin ich aussah wie ein junger Bauer aus Zell, so daß auch der alt Vater wieder ein Lächeln fand und ein guts Wort, als ich mich dafür bei ihm bedankte.

»Ei, tausad, tausad!« rief er aus; »jetz bist es aber, der Kronabauer von der Sunnaseitn! – jetz wern dir aber d' Mentscher nachschauen, wähn i!«

Da fiel mir das Kathreinl ein, das nun schon ein Jahr des Lackenschusters Hausfrau war. Ob sie wohl noch manchesmal an mich dacht? – Ob es ihr wohl gut erging beim Anderl? – Und ich wurde still und nachdenklich und hörte kaum auf die Red des alten Thomas, der mich vor den Weiberkitteln warnte und vor zu vieler Kameradschaft.

Also kam der Tag vor Maria Reinigung oder Lichtmeß, und ich stand schon in aller Früh vor Taggrauen auf, schmierte meine Schnallenschuh, nahm das feine Haarkettlein der seligen Irscherin aus dem Säcklein, darin ich es verwahrt hielt, legte meine weißen Strümpf an und strählte mir das Haar wie ein Herrischer.

Konnte es auch kaum erwarten, bis das Tiroler Katherl angehumpelt kam, und schaute wohl hundertmal nach ihr aus, bis ich endlich ihren roten Kittel hinterm Schneefeld leuchten sah.

Der alte Vater betrachtete mit geheimer Freud meine Erregung; doch sagte er nichts und lächelte nur still in sich hinein, indes er ein Täflein ums ander in die Kirm packte.

Indem fielen mir meine Schnitzmesser ein, und ich steckte sie eilends in den neuen Hosensack, obgleich ich keinen Gedanken trug, länger als der Vater Thomas fortzubleiben.

Unterdessen war es Zeit geworden zum Gehen, und wir aßen noch jeds einen Weidling voll Milchsuppe, banden uns einen Ranken Speck und einen Scherz Brot ins Tüchl, nahmen den Gehstecken und sagten dem Katherl Pfüa Gott.

Trug also der alt Vater seine hochaufgerichtete Bildlkirm am Buckel, indes ich ein leichte Ränzel, darin mein bissel Hab verschlossen war, lustig auf dem Rücken tanzen ließ. Also verließ ich dies geruhige Häuslein, wie ehedem der verlorne Sohn getan und seine gute Heimstatt gegen die fremde Wildnis vertauscht hatte aus reinem Mutwill und Undank.


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