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Das vierzehnte Kapitel
Narrheit und Mädchenerziehung

ES ist dasselbe mit den Mädchen. Oft werde ich feierlich gefragt, was ich von den neuen Ideen über Mädchenerziehung halte. Aber es gibt keine neuen Ideen über Mädchenerziehung. Es gibt keine, und es hat niemals auch nur eine Spur einer neuen Idee gegeben. Alles, was die Erziehungsreformatoren getan haben, war, zu fragen, was man mit den Knaben getan hat, und dann hinzugehen und es mit den Mädchen genauso zu machen; ebenso, wie sie gefragt haben, was man die jungen Herren Junker gelehrt hat, um es dann die kleinen Rauchfangkehrerjungen zu lehren. Was sie neue Ideen nennen, sind sehr alte Ideen am unrichtigen Platze. Buben spielen Fußball – warum sollten Mädels nicht Fußball spielen; Buben tragen Schulfarben – warum sollten Mädels nicht Schulfarben tragen; Buben gehen zu hunderten in »Day-Schools« – warum sollten Mädels nicht zu hunderten in »Day-Schools« gehen; Buben gehen nach Oxford – warum sollten Mädels nicht nach Oxford gehen; kurz, den Buben wachsen Schnurrbärte – warum sollten den Mädels nicht auch Schnurrbärte wachsen: das ungefähr ist ihr Begriff von einer neuen Idee. Verstandesarbeit gibt's bei der Sache überhaupt keine; keine auf den Ursprung zurückgreifende Frage, was die verschiedenen Geschlechter sind, ob sich hierbei dies oder jenes ändert, und warum; ebensowenig wie es in der Volkserziehung irgend ein schöpferisches Erfassen von Humor und Herz des Volkes gibt. Da gibt es nichts als mühsam erarbeitete, elefantenhafte Nachahmung. Und genau so, wie im Falle des Elementarunterrichtes, sind diese Fälle von einer kalten verständnislosen Unangemessenheit. Sogar ein Wilder könnte einsehen, daß körperliche Dinge zumindest, die für einen Mann gut sind, für eine Frau wahrscheinlich schlecht seien. Es gibt jedoch kein Bubenspiel, mag es auch noch so brutal sein, das diese milden Irrsinnigen nicht bei den Mädchen eingeführt hätten. Um einen noch stärkeren Fall anzuführen, sie geben den Mädchen sehr schwere Hausarbeiten; niemals bedenken sie, daß alle Mädchen schon Hausarbeit zu Hause haben. All dies ist ein Teil derselben dummen Unterjochung; eine Frau muß einen steifen Stehkragen um den Hals haben, weil er schon um den Hals eines Mannes eine Plage ist, obwohl ein angelsächsischer Leibeigener, wenn er solch einen Kragen aus Karton trüge, nach seinem ehernen verlangen würde.

Man wird mir hierauf, nicht ohne ein spöttisches Lächeln, entgegnen: »Und was würden Sie vorziehen? Wollen Sie zurückkehren zu dem eleganten früh-viktorianischen Frauentypus, mit Locken und Riechfläschchen der Dame, die sich ein wenig in Wasserfarben versucht, ein wenig Italienisch stottert, ein wenig Harfe spielt, in die bekannten Stammbücher schreibt und sinnlose Ofenschirme bemalt? Ziehen Sie das vor?« Worauf ich antworten werde: »Zweifellos ja!« Ich ziehe dies der neuen Mädchenerziehung bei weitem vor, und zwar aus dem Grunde, weil ich darin einen intellektuellen Zweck erkennen kann, während jene keinen besitzt. Ich bin keineswegs überzeugt, ob nicht selbst in dem Punkte der praktischen Tatsachen elegante Frauen den meisten uneleganten überlegen gewesen wären. Ich bilde mir ein, daß Jane Austen stärker, schärfer und gescheiter war als Charlotte Brontë, ich bin ganz sicher, daß sie stärker, schärfer und gescheiter gewesen ist als George Eliot. Ein Ding konnte sie, was keine von den beiden anderen konnte: sie konnte kühl und vernünftig einen Mann beschreiben. Ich weiß nicht sicher, ob die alte große Dame, die nur Italienisch stammeln konnte, nicht kraftvoller war als die neue große Dame, die nur Amerikanisch stottern kann; auch bin ich nicht sicher, ob die früheren Herzoginnen, die wohl kaum erfolgreich waren, wenn sie die Melrose Abbey malten, soviel schwachsinniger waren als die modernen Herzoginnen, die nur ihr eigenes Gesicht malen, und das nicht einmal ordentlich können. Aber das ist nicht das Wesentliche. Welche Theorie, welche Idee war es, die ihren alten blassen Wasserfarben und ihrem gebrochenen Italienisch zugrunde lag? Die Idee war dieselbe, die bei einer ungebildeteren Klasse in den zu Hause gemachten Weinen und vererbten Rezepten ihren Ausdruck fand; und die man noch in tausend unerwarteten Formen den Frauen der Armen anhaften finden kann. Es war der Gedanke, den ich im zweiten Teil dieses Buches kennzeichnete, daß die Welt einen großen Amateur behalten müsse, auf daß wir nicht alle Künstler werden und zugrunde gehen. Jemand muß auf alle Spezialistensiege verzichten, um alle Sieger besiegen zu können. Um eine Königin des Lebens sein zu können, darf sie kein gemeiner Soldat darin sein. Ich glaube nicht, daß die elegante Dame mit dem schlechten Italienisch ein vollkommenes Produkt war, ebensowenig wie ich glaube, daß die Frau der Spelunke, die von Schnaps und Begräbnissen redet, ein vollkommenes Produkt sei; aber ach, es gibt wenig vollkommene Produkte. Nur entstehen sie aus einer begreiflichen Idee; und die neue Frau entstand aus nichts und nirgendwo. Es ist recht, ein Ideal zu haben, es ist recht, das richtige Ideal zu haben, und diese beiden haben das richtige Ideal. Die Spelunkenmutter mit ihren Begräbnissen ist die degenerierte Tochter der Antigone, die starrköpfige Priesterin der Hausgötter. Die Dame, die schlecht Italienisch spricht, war die dekadente zehnte Kusine der Porzia, der großen und goldenen italienischen Dame, der Renaissanceamateurin des Lebens, die ein Richter sein konnte, weil sie alles konnte. Versunken und vernachlässigt in dem Meere moderner Monotonie und Imitation, halten sich die Typen enge an ihre ursprünglichen Wahrheiten. Antigone, häßlich, schmutzig und oft betrunken, will dennoch ihren Vater begraben. Die elegante Dame, geistlos, hinschwindend ins Nichts, fühlt dennoch schwach den Grundunterschied zwischen sich und ihrem Gatten: daß er etwas in der City gelten müsse, damit sie alles im Lande gelte.

Es gab eine Zeit, wo ihr und ich und wir alle Gott sehr nahe standen; sodaß sogar jetzt die Farbe eines Kieselsteins (oder eines Bildes), der Geruch einer Blume (oder eines Feuerwerks) mit einer Art Autorität und Sicherheit zu unserem Herzen kommt; als ob sie Bruchstücke einer dunklen Botschaft wären oder Züge eines vergessenen Antlitzes. Diese feurige Einfachheit über alles Leben zu ergießen, ist das einzige wahre Ziel der Erziehung; und dem Kinde am nächsten steht die Frau – sie versteht. Zu sagen, was sie versteht, geht über meine Kräfte; mit Ausnahme dieses einen: daß es nichts Feierliches ist. Eher ist es eine erhabene Leichtigkeit, eine aufrührerische Amateurhaftigkeit des Universums, wie wir es manchmal fühlten, als wir klein waren, und ebenso gerne singen wollten, wie graben, ebenso gerne malen wie rennen. In allen Zungen der Menschen und Engel zu stammeln, in die fürchterlichen Wissenschaften hineinzupfuschen, mit Säulen und Pyramiden zu jonglieren und die Planeten wie Bälle in die Höhe zu werfen – das ist jene innere Kühnheit und Gleichgültigkeit, welche sich die menschliche Seele (gleich einem Zauberkünstler, der Orangen auffängt) ewig erhalten muß. Das ist das wahnsinnig frivole Ding, das wir gesunden Verstand nennen. Und die elegante Dame, die ihre Löckchen über ihre Wasserfarben niederhängen ließ, wußte es und handelte darnach. Sie jonglierte mit rasenden und flammenden Sonnen. Sie behauptete das kühne Gleichgewicht der Inferiorität, welches die allermysteriöseste Superiorität ist und vielleicht die allerunerreichbarste. Sie behauptete die erste Grundwahrheit der Frau, der universellen Mutter: daß ein Ding, das wert ist, getan zu werden, wert ist, schlecht getan zu werden.


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