Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das zehnte Kapitel
Was für die Public-Schools spricht

Das Wort Erfolg hat natürlich zweierlei Bedeutung. Es kann in bezug auf eine Sache gebraucht werden, die ihren augenblicklichen und besonderen Zweck erfüllt – wie ein Rad, das sich dreht – oder in bezug auf eine Sache, die das Allgemeinwohl fördert – wie ein Rad im Sinne einer nützlichen Erfindung. Es ist eine ganz andere Sache, wenn jemand sagt, daß die Konstruktion von Schmidts Flugmaschine verfehlt sei, oder, daß Schmidt es verfehlt hätte, eine Flugmaschine zu konstruieren. Dies nun ist, ganz allgemein nur, der Unterschied zwischen den alten englischen Public-Schools und den neuen demokratischen Schulen. Vielleicht schwächen die alten Public Schools (wie ich persönlich glaube) in letzter Hinsicht das Land mehr, als sie es stärken und sind daher in dieser letzten Hinsicht unzweckmäßig. Ein Flugschiff kann so gebaut sein, daß es fliegt, auch wenn es zugleich so gebaut ist, daß es einen tötet. Das Public-School-System mag nun unbefriedigend arbeiten, aber es arbeitet; die Public Schools mögen vielleicht nicht das erreichen, was wir wollen, aber sie erreichen das, was sie wollen.

Die allgemeinen Elementarschulen erreichen in diesem Sinne überhaupt nichts. Es wäre sehr schwer, auf irgend einen Gassenbuben auf der Straße hinzuweisen und zu sagen, daß er das Ideal verkörpere, das die Volkserziehung anstrebt, in dem Sinne, in dem die rotbackigen tollen Buben in »Etons« das Ideal verkörpern, das die Direktoren in Harrow und Winchester angestrebt haben. Die aristokratischen Erzieher haben den positiven Vorsatz, Gentlemen herauszubringen; und sie bringen Gentlemen heraus, selbst wenn sie sie hinauswerfen. Die Volkserzieher würden sagen, sie hätten die weitaus edlere Idee, Bürger herauszubringen. Ich gebe zu, daß dies die weitaus edlere Idee sei, aber wo sind die Bürger? Ich weiß, daß der Knabe in »Etons« vollgestopft ist von einem albernen und sentimentalen Stoizismus, den mancher»ein Weltmann sein« nennt. Ich glaube nicht, daß der Laufbursche ganz erfüllt ist von jenem republikanischen Stoizismus, den man »ein Bürger sein« nennt. Der Schulbub wird wirklich mit frischer und unschuldiger »hauteur« sagen: »ich bin ein englischer Gentleman.« Den Laufburschen kann ich mir nicht so leicht vorstellen, wie er sein Antlitz den Sternen zuwendet und antwortet: »Romanus civis sum.« Nehmen wir selbst an, daß unsere Volksschullehrer den allerweitesten Codex der Moral lehren, während unsere Direktoren nur den engsten Codex guter Manieren lehren. Nehmen wir selbst an, daß diese beiden Dinge gelehrt werden. So wird doch nur eines der beiden gelernt.

Man sagt immer, daß große Reformatoren und die großen Männer der Tat es zustande bringen, irgendwelche speziellen praktischen Reformen durchzuführen, aber daß sie niemals ihre Vision verwirklichen oder ihre Seele befriedigen. Ich glaube, es gibt einen wahren Sinn, in dem diese offenkundige Platitüde völlig unwahr ist. Durch eine merkwürdige Inversion erreicht der politische Idealist oft nicht das, was er verlangt, aber das, was er will. Der stille Druck seines Ideals dauert weit länger und gestaltet die Welt weit mehr um, als die Aktualiät durch die er versuchte, darauf hinzuwirken. Was untergeht, ist der Buchstabe, den er für so wirksam hielt. Was fortbesteht, ist der Geist, von dem er fühlte, daß er unerreichbar und sogar unaussprechlich sei. Gerade sein Plan ist es, der nicht erfüllt wird; gerade seine Vision ist es, die erfüllt wird. So scheint es uns, als ob die zehn oder zwölf papiernen Grundgesetze der französischen Revolution, die ihren Urhebern so praktisch dünkten, in alle Winde zerstoben wären, wie die wildesten Phantasien. Was nicht zerstoben ist, was eine bleibende Tatsache in Europa wurde, ist das Ideal, die Vision. Die Republik, die Idee eines Landes voll bloßer Bürger, alle mit einem gewissen Minimum an Manieren und einem Minimum an Reichtum, die Vision des achtzehnten Jahrhunderts, die Realität des zwanzigsten. So wird es, glaube ich, dem Schöpfer sozialer Dinge – wünschenswerter oder nicht wünschenswerter – meist ergehen. Alle seine Pläne werden fehlschlagen, alle seine Werkzeuge in seinen Händen zerbrechen. Seine Kompromisse werden zusammenbrechen, seine Konzessionen nutzlos sein. Er muß sich stärken, um sein Geschick zu ertragen; er wird nichts haben als seinen Herzenswunsch.

Man kann nun, wenn man sehr kleine Dinge mit sehr großen vergleichen darf, sagen, daß die englischen Aristokratenschulen etwas ähnliches an Erfolg und wahrem Glanze beanspruchen können, wie die französische demokratische Politik. Zumindest können sie eine ähnliche Überlegenheit über die unzusammenhängenden und stümperhaften Versuche des modernen Englands, eine demokratische Erziehung zu erlangen, beanspruchen. Solcher Erfolg, der den Schüler der Public School durch das ganze Reich begleitet, ein Erfolg, der ja gewiß von ihm selbst noch übertrieben wird, der aber doch positiv und eine Tatsache von gewisser unleugbarer Art und Größe ist, ist dem innersten und wichtigsten Umstande zu verdanken, daß die Leiter der Public-Schools wußten, was sie für Knaben haben wollten. Sie wollten etwas und sie erreichten etwas; anstatt nach einer allumfassenden Gesinnung zu Werke zu gehen und alles haben zu wollen und nichts zu erreichen.

Die einzige Frage, die in Betracht kommt, ist: welcher Art ist das, was sie erreicht haben? Es ist zum rasend werden, daß moderne Leute, wenn sie eine Institution angreifen, die auch wirklich reformbedürftig ist, sie immer aus falschen Gründen angreifen. So haben sich viele Gegner unserer Public die sich einbildeten, demokratisch zu sein, in einem nichtssagenden Angriff des Studiums der griechischen Sprache erschöpft. Ich kann verstehen, daß Griechisch als unnütz angesehen wird, insbesondere von jenen, die darnach dürsten, sich in diesen mörderischen Kommerz zu stürzen, der die Negierung des Bürgerrechtes ist; aber ich kann nicht verstehen, wie man es für undemokratisch halten kann. Ich verstehe vollkommen, warum Mr. Carnegie Haß gegen das Griechische empfindet. Es ist ein dunkles Gefühl der sicheren und gesunden Vorstellung, daß er in jeder autonomen griechischen Stadt getötet worden wäre. Aber ich kann nicht verstehen, warum irgendein beliebiger Demokrat, sagen wir Mr. Quelch oder Mr. Will Crooks oder Mr. John M. Robertson, etwas dagegen einzuwenden hätte, daß die Leute das griechische Alphabet lernen sollten, das doch das Alphabet der Freiheit war. Warum sollten die Radikalen das Griechische nicht lieben? In dieser Sprache ist die allererste und, weiß Gott, die allerheroischste Geschichte der radikalen Partei geschrieben worden. Warum sollte das Griechische einen Demokraten anwidern, da doch so gar das Wort »Demokrat« griechisch ist?

Ein ähnlicher, obwohl nicht so ernster Fehler ist es, die athletischen Übungen der Public-Schools mit der Begründung anzugreifen, daß sie tierische Instinkte und Brutalität weckten. Brutalität, im rein unmoralischen Sinne, ist nun kein Laster der englischen Public-Schools. Dank dem allgemeinen Mangel an moralischem Mut gibt es viel moralische Großsprecherei in der Public-Schoolatmosphäre. Im Ganzen ermutigen diese Schulen physischen Mut; aber moralischen Mut entmutigen sie nicht nur, sie verbieten ihn. Die letzte Folge davon kann man in dem vortrefflichen englischen Offizier sehen, der es nicht einmal ertragen kann, eine glänzende Uniform zu tragen, außer, wenn sie vom Rauche der Schlacht befleckt und verdeckt ist. Dies ist, wie alle Affektiertheit unserer gegenwärtigen Plutokratie, eine vollkommen moderne Erscheinung. Den alten Aristokraten war dies fremd. Der »schwarze Prinz« hätte sicherlich verlangt, daß jeder Ritter, der den Mut hatte, sein Visier vor Feinden zu heben, auch den Mut haben müsse, es vor Freunden zu heben. Was also moralischen Mut anbelangt, ist es nicht so sehr, daß die Public-Schools ihn schwach unterstützen, als daß sie ihn stark unterdrücken. Aber physischen Mut unterstützen sie im großen und ganzen; und physischer Mut ist ein herrliches Fundament. Der einzige große, weise Engländer des achtzehnten Jahrhunderts sagte ganz richtig, daß ein Mann, der diese Tugend verloren hätte, niemals sicher sein könnte, irgend eine andere zu behalten. Nun ist es eine der niedrigen und kränklichen modernen Lügen, daß physischer Mut mit Grausamkeit verknüpft sei. Die Tolstoianer und Kiplingiten sind niemals so sehr einig wie in dieser Behauptung. Sie haben, glaube ich, irgendeinen kleinen Sektenstreit miteinander, wobei der eine sagt, daß man den Mut aufgeben müsse, weil er mit Grausamkeit verknüpft ist, und der andere behauptet, daß Grausamkeit reizend sei, weil sie ein Teil des Mutes ist. Aber, Gott sei Dank, ist alles Lüge. Körperliche Energie und Kühnheit können einen Mann dumm oder rücksichtslos oder stumpf oder betrunken oder hungrig machen, aber nicht boshaft. Und wir können aufrichtig zugeben (ohne in jene unaufhörlichen Lobreden einzustimmen, die Public-Schoolleute ständig über sich ergießen), daß dies bei der Abschaffung bloßer böser Grausamkeit in den Public-Schools mitwirke. Das Leben in englischen öffentlichen Public Schools ist dem englischen öffentlichen Leben, für das es die Vorbereitungsschule ist, außerordentlich ähnlich. Es ist ihm insbesondere darin gleich, daß die Dinge entweder ganz offen, allgemein und konventionell, oder aber wirklich ganz geheim sind. Nun gibt es Grausamkeit in den Public wie es Kleptomanie und heimliche Trunksucht und Laster ohne Namen gibt. Aber diese Dinge entfalten sich nicht im hellen Tageslicht unter dem allgemeinen Bewußtsein der Schule; und genau so ist es mit der Grausamkeit. Ein unscheinbares Trio tückisch aussehender Schulbuben steckt immer in einem Winkel beisammen und sie scheinen immer irgend etwas Häßliches vorzuhaben; vielleicht sind es unschickliche Bücher, vielleicht der Anfang von Trunksucht oder gelegentlich Grausamkeit gegen kleine Buben. Aber in diesem Stadium ist der Eisenfresser kein Prahlhans. Das Sprichwort sagt zwar, daß Eisenfresser immer feig seien, aber diese Eisenfresser sind mehr als feig, sie sind scheu.

Als drittes Beispiel einer falschen Form von Auflehnung gegen die Public-Schools kann ich die Gewohnheit erwähnen, das Wort Aristokratie in doppelter Bedeutung zu gebrauchen. Um die einfache Wahrheit so kurz wie möglich zu fassen:

Versteht man unter Aristokratie das Regieren eines Ringes reicher Leute, dann hat England eine Aristokratie und die englischen Public-Schools stützen sie. Versteht man aber darunter das Regieren alter Familien und makellosen Blutes, dann besitzt England keine Aristokratie, und die Public Schools zerstören sie systematisch. In diesen Kreisen gehört weder wahre Aristokratie, noch wahre Demokratie zum guten Ton. Ein moderner fashionabler Gastgeber darf seine Ahnen nicht preisen; es wäre allzu häufig eine Beleidigung für die Hälfte der anderen Oligarchen bei Tisch, die keine Ahnen haben. Wir sagten, daß er den moralischen Mut nicht besitze, seine Uniform zu tragen; er besitzt noch weniger den Mut, sein Wappenschild zu tragen. Die ganze Sache ist jetzt nur ein vager Mischmasch von echten und unechten Gentleman. Der echte Gentleman bezieht sich niemals auf irgend jemandes Vater; der unechte Gentleman bezieht sich niemals auf seinen eigenen Vater. Dies ist der einzige Unterschied; der Rest ist Public Schoolmanier. Aber Eton und Harrow müssen aristokratisch sein, weil sie so sehr aus lauter Parvenus bestehen. Die Public-School ist nicht eine Art Zufluchtstätte für Aristokraten, wie ein Asyl, wo sie hineingehen und niemals wieder heraus kommen. Sie, ist eine Fabrik für Aristokraten, sie kommen heraus, ohne daß man sie je hineingehen sah. Die armen kleinen Privatschulen pflegten in ihrer altmodischen, sentimentalen, feudalen Art in ihre Anzeigen zu schreiben: »Nur für die Söhne von Gentleman«. Wenn die Public-Schools Anzeigen herausgeben würden, müßten sie schreiben: »Nur für die Väter von Gentleman«. In zwei Generationen können sie den Trick anwenden.


 << zurück weiter >>