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J. Gaudenz von Salis-Seewis. Von Adolf Frey

(Deutsche Rundschau Oktober 1890.)

Ein Dichter, der sich eine bescheidene, doch gesicherte Stellung in der Literatur erwirbt, hat damit auch seinen gerechten Anspruch gewonnen auf eine rechtschaffene Biographie als nöthige Erläuterung seiner literarischen Gestalt. Unser Salis mußte lange warten, hat nun aber, was ihm gebührte, zur kaum verfrühten Säcularfeier seines ersten Auftretens (1793) in treuer und liebevoller und endgültiger Weise erhalten.

Das Ende des letzten Jahrhunderts sehnte sich aus seiner Verbildung und Gährung heraus nach »Natur«, wie es sie verstand – es verstand sie freilich anders als unser Jahrhundertende – und der dreißigjährige Salis befriedigte dieses Bedürfniß für sich und seinen Kreis mit einer Handvoll Lieder. Am meisten Verwandtschaft hat er wohl – um von seinem weniger echten Mitstrebenden und Freunde Matthison abzusehen – mit Hölty; nur daß das frühe erlöschende Mitglied des Hainbundes uns, trotz seiner Todesahnungen, ein lachendes Kindergesicht zeigt, während der Bündner männliche und fast schwermüthige Züge trägt. Herbststimmung, ländlicher Friede, Abendschatten, einsame Gänge, »Entzogenheit«, verhüllte Zukunft, verklärte Kindheit, bekämpfte verstohlene Thränen, ja Tod und Grab, Alles aber durchaus wahr empfunden und mit schlichtem Wohllaut ausgesprochen, das ist der stille Reiz und der noch heute verlockende Inhalt der Dichtung eines liebenswürdigen und reinen Menschen von melancholischer Anlage.

Brav und ehrlich übertreibt Frey nicht um eine Linie den poetischen Werth unseres Landsmannes und bemerkt treuherzig, Salis habe im Geiste seiner Zeit an der »ländlichen Einfalt in den Hütten« festgehalten, und doch, auf dem Lande lebend, wissen müssen, welche Bewandtniß es gemeiniglich damit hat. Ich möchte noch über etwas Anderes erstaunen, was aber gleichfalls der Zeitgeschmack verschuldete, daß nämlich der Bündner, Bach und Hain aufsuchend, für die herrliche Wildheit seiner eigenen Gebirge unempfänglich bleibt, die er doch kannte, da er mehrmals St. Moritz besucht hat. Aber jedes Jahrhundert hat seine Fictionen und geliebten Unwahrheiten, über welche künftige Zeiten lächeln werden.

Spätere Gedichte unseres Bündner's, mehr philosophischer Art und unter dem Einfluß Schiller's stehend, können natürlich neben dem frischen Jugendschusse nicht aufkommen, und so hätte sich, zur Darlegung des Grundes und Bodens, worin dieser wurzelt, der Biograph mit der Erzählung der Jugend – übrigens einer sehr schönen Jugend – begnügen können; aber mit Recht erzählt er uns, aus den besten häuslichen Quellen schöpfend, und mit einem sichtlichen Wohlgefallen an seinem Helden, nach dem Dichter auch noch den Bürger, der seinem Lande nicht minder hohe Ehre macht. Salis gehörte zu den Vielerfahrenen, deren Leben durch die Scheide des letzten und unseres Jahrhunderts in Hälften getheilt wurde, in deren erster sie sich mit rückhaltloser Begeisterung den Zeitideen hingaben, um sich dann in der zweiten, nach hergestellter Ordnung, in bürgerlicher Pflichttreue zu beruhigen. Von Salis ist zu sagen, daß seine weitgehende Sympathie mit der Revolution eher auf den edeln Impulsen eines angeborenen Gerechtigkeitssinnes als auf großer Vertrautheit mit den Zeitideen fußte, am wenigsten auf religiösem Boden, den er kaum je verließ; sonst hätte er sich nicht an Schiller's »Göttern Griechenlands« so sehr stoßen können, wie er that (1790). Zuerst erzählt uns Frey das merkwürdige alte Bünden – nach meinem Geschmack hätte er es noch ausgiebiger thun dürfen – die Eltern des Dichters, seine glückliche Jugendzeit, den frühen Beginn des Dienstes in der Garde zu Paris, die Kameraden, seine Garnisonen (in deren einer, in Arras, das Bündnerregiment Salis-Samaden von dem dortigen Stadtpoeten besungen wird, dem damaligen Anakreontiker Robespierre blutigen Andenkens). Wir erfahren, auf einem Urlaub, seine erste und einzige, sehr schöne Liebe zu der Bündnerin Pestalozza, nach einem früheren flüchtigen Liebeswetterleuchten in Lausanne, seine Bildungsreise durch Holland und Deutschland zu den damaligen literarischen Größen, die er durch seine edle Bescheidenheit für sich einnimmt. Dann kommt die Revolution, der Eintritt unseres Bündners in das national-französische Heer, die Heimkehr, der heimische Kriegsdienst, lange Jahre bürgerlicher Pflichten, das Alter, das Ende.

Dies Leben von beneidenswerther Makellosigkeit, in dem der Sprößling eines der ältesten heimischen Geschlechter in seinem offen vor uns liegenden Thun und Lassen, in That und Wort, ja in jedem Gedanken den Edelmann verwirklicht, ein so erbauliches Leben hat uns Frey erzählt, scheinbar mit einer gewissen liebenswürdigen Sorglosigkeit, aber im Grunde mit der genauesten Sachkenntniß, bequem, ausgiebig und doch kurz gefaßt und überall kurzweilig.

Eines noch! Die Verse, die Freiligrath unserem Salis widmet, hätten wir denn doch gerne im Buche selbst gelesen, statt sie nachschlagen zu müssen.

Der Verleger hat sein Buch con amore ausgestattet, mit dem Bildniß des Dichters von Quenedey (Paris 1790) und einem Bilde seines Stammsitzes »Bothmar«, unfern von Chur, nach einem Aquarell von Leonhard Steiner. Auf die Buchdecke hat er zu unserem Vergnügen das Wappen der Salis eingepreßt, die Weide (salice), die der Wanderer in Bünden noch heutzutage (sowie die Bärensohle der Planta), auf manchem stattlichen Schloß oder zerfallenden Burgstall betrachtet.

Conrad Ferdinand Meyer.

 


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