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Shelley. Percy Byßhe Shelley. Von H. Druskowitz.

Berlin, Oppenheim 1884.
(Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes. 1884. Nr. 6. S. 85.)

Wenn die Verfasserin des vorliegenden Essay über Shelley in ihrem Vorworte behauptet, dieser sei unter den Deutschen der Gegenwart fast ein Fremdling, so ist er es wahrlich vor einem Menschenalter nicht gewesen. Davon legt das bekannte schöne Sonett Herweghs Zeugnis ab, und auch wir Jüngeren lasen Shelley noch mit vieler Andacht. Seither haben sich freilich nicht nur die äußeren Verhältnisse der Welt geklärt, sondern auch manche Ideenkreise, und man dürfte sich nicht wundern, wenn ein weltflüchtiger, visionärer, durch und durch subjektiver Poet nicht mehr unser täglicher Begleiter sein könnte. Doch ebensowenig wird Shelley unter uns der Vergessenheit anheimfallen, denn er ist ein großartiger Lyriker, und wenn ihn die Verfasserin den größten Englands nennt, wollen wir nicht widersprechen.

Shelley ist ein Idealist. Das Recht der Wirklichkeit verkennt er vollständig oder sie ist für ihn einfach nicht vorhanden, aber er bildet sich eine neue, seine eigne Welt aus den Eigenschaften seiner Seele.

Die Grundzüge seines Wesens sind: ein anerborner Edelmut, ein tiefer Haß und eine hartnäckige Auflehnung gegen jeden Zwang, gegen jede Überlieferung des Staates und selbst der Sitte, und da er sich früh aus dem Kampf mit der Welt zurückzog und die Einsamkeit suchte – er liebte das weite Meer und die öde Küste – eine Vertrautheit mit den Naturgeistern und ein kindlicher Optimismus. Daraus entwickelten sich drei Sätze, in ihrer Allgemeinheit einer unwahrer als der andere, welche unter dem verschwenderischen Blumenwerk seiner Dichtung stets wiederkehren und sich leicht erkennen lassen: der Glaube an die ursprüngliche Güte des Menschen, an die absolute Schlechtigkeit der Gesellschaft, und ich weiß nicht an welche nahe bevorstehende Erlösung und ein unfernes glückseliges Millennium. Wer an eine langsame Arbeit, an einen mühsamen Fortschritt des Menschengeschlechtes und an ferne, nur annähernd erreichbare Ziele glaubt, befindet sich bei Shelley nicht nur im Reiche der Phantasie, sondern in dem des Irrthums.

Dennoch behält auch für diesen Shelleys Poesie ihren Wert. Sie läßt uns außerhalb unseres Tagewerkes dunkle elementare Kräfte, Tugenden außerhalb der Sitte und eine Gerechtigkeit außerhalb des Staates ahnen. So ungefähr sagt auch H. Taine, wenn ich nicht irre.

Immer spielt Shelley mit diesen drei Karten. Sein Erstling, die »Königin Mab«, eher ein Manifest als eine Dichtung, enthält schon alle diese Züge. Es ist eine Lehrstunde, welche die Fee einem toten oder scheinbar toten Mädchen gibt, ein Unterricht über das Wesen der Weltseele, eine leidenschaftliche Verdammung der Priester, der Staatsmänner, der stehenden Heere, des Handels, der Ehe und eine Predigt des Vegetarianismus. In einer Reihe poetischer Erzählungen strebt der junge Dichter dann das dogmatische Element wo nicht auszustoßen, doch zu verklären, ohne daß es ihm jedoch gelänge, statt seiner Phantome wirkliche Wesen zu schaffen. Seine Wellen und seine Wolken sind wahrer als seine Menschen. Schon der Fünfundzwanzigjährige erreicht die Höhe seiner Dichtung mit dem »entfesselten Prometheus« und den »Cenci«. Die vier Akte, ich hätte fast gesagt, die vier Deckengemälde des »Prometheus« endigen in einen prächtigen Freudensturm der Elementargeister über den Sturz des »Usurpators«, aber Prometheus selbst, der Befreier der Erde, ist mit schwankenden Umrissen gezeichnet. In dem unvergleichlichen und unsterblichen Drama der »Cenci« sind die zwei Hauptfiguren, der lasterhafte Alte und die unselige Beatrice, ins Kolossale übertrieben und dadurch ästhetisch möglich gemacht. Der alte Cenci erscheint als der Inbegriff aller Gewaltthat und Grausamkeit, so daß sich Beatrice mit vollem Rechte gegen die erste aller Autoritäten, die väterliche, auflehnt. Die Nebenfiguren dagegen sind schwach und verzeichnet, zum giltigen Beweise, daß Shelley keinen Blick für das Charakteristische und an der Mannigfaltigkeit menschlichen Wesens keine künstlerische Freude hatte. Sein letztes, seltsames, wohl unvollendetes Werk, die »Der Triumph des Lebens« überschriebenen schönen Terzinen, hat eine pessimistische Färbung.

Das von uns mit ein paar Strichen aufs Geratewohl skizzierte Bild Shelleys führt der vorliegende Essay mit Liebe und Sorgfalt ins Einzelne aus. Wer ihn aufmerksam liest – und er liest sich leicht und angenehm – wird mit uns in das Lob des Buches einstimmen. Es ist eine grundehrliche und gewissenhafte Arbeit, man sieht, die Verfasserin hat einen hohen Begriff von der Umsicht und Wahrheitsliebe, mit welcher das Leben eines außerordentlichen Menschen erzählt sein will. Sie gibt die Thatsachen und läßt das Urtheil des Lesers frei. Die Werke des Dichters bespricht sie nach ihrer Entstehung und Vollendung jedes an seiner rechten Stelle. Sie analysiert dieselben sorgfältig, aber mit einer leichten Hand, welche das ästhetische und philosophische Werkzeug ganz schulgerecht handhabt. Die Analyse der »Cenci« z. B., welche wir zweimal gelesen haben, erklärt den Bau, betont die Größe und berührt die Mängel des Stückes bescheiden, aber durchaus befriedigend. Möge die Verfasserin, auf der betretenen Bahn beharrend, eine zweite glückliche Wahl treffen!

Kilchberg bei Zürich.
Konrad Ferdinand Meyer.

 


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