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Graf Dürckheims Erinnerungen

(Deutsche Rundschau. Dezember 1887.)

Ein interessantes und liebenswürdiges Buch, interessant für die Zeitgeschichte und liebenswürdig durch die Lebendigkeit der Erzählung und eine aus jeder Zeile redende Lauterkeit des Wesens. Der Verfasser nimmt uns gastfreundlich an der Hand und führt uns in raschem Schritte durch ein reiches und langes Dasein, das Selbsterlebte in leichten Linien mit den öffentlichen Ereignissen verbindend. Juli-Regime und zweites Kaiserreich sind vollständig in seinem Buche enthalten.

Es ist Zusammenhang und Fortschritt in diesem Lebensgange: eine Entwicklung aus harmlosen Anfängen und bescheidenen Aufgaben zu immer höheren Stellungen und verantwortungsvolleren Entscheidungen, bis zu den höchsten und ernstesten: der Wahl zwischen Heimathen und Bürgerrechten. Dieser sittliche Gehalt ist aber verkleidet in die heitere Form einer offenherzigen, oft witzigen Plauderei und beflügelt durch den Schwung einer höchst lebendigen Einbildungskraft. Es ist ein Optimismus der besten Art, der uns hier in dem Beispiel eines »freudvoll und leidvoll« bewegten, aber stets beherrschten Lebens das Menschenleben überhaupt als ein werthvolles Gut erscheinen läßt. Von starkem Gefühl und doch nicht mehr als recht ist mit sich selbst beschäftigt, behält der Verfasser offene und helle Augen für seine Mitwelt, betheiligt sich regen Geistes an verschiedenen Diensten des öffentlichen Lebens, mit Staatstreue und Pflichtgefühl, aber doch mit den Vorbehalten eines unabhängigen Charakters, der nach einem tüchtigen Handeln und oft heftigem Wollen rasch bereit ist, zurückzutreten in die Freiheit und in die betrachtende Muße.

Ferdinand Graf Dürckheim wurde geboren im Sommer des Schicksalsjahres 1812 zu Thürnhofen in Bayern auf dem Gute seines Vaters, des weiland württembergischen Ministers in Holland, der dann mit ihm 1814 ins Elsaß zurückwanderte, wo dem Emigranten der unveräußert gebliebene Theil seiner Stammgüter zurückgestellt wurde. Aber schon nach wenigen Jahren kehrt der Knabe mit der Mutter und den Jüngern Geschwistern nach Thürnhofen zurück und wächst dort in ländlicher Freiheit auf, bis ihn der Vater nach Straßburg in das Lyceum bringt. In derselben Stadt durchläuft er dann die Akademie und später seine administrativen Lehrjahre als Secretär des Präfecten. Die vollblütigen Freuden und unschuldigen Irrthümer einer gesunden Jugend werden anmuthig erzählt, mit hübschen Ausblicken auf die elsässische Landschaft und Geschichte. Den Abschluß macht ein warmes Liebesidyll, auf das ein Schimmer aus »Wahrheit und Dichtung« fällt, denn die Braut des Grafen ist eine Enkelin Lili's.

Nach einer jungen Vermählung beginnt eine, nur von einigen Aufenthalten in Paris unterbrochene, lange Wanderung durch eine Reihe von Unterpräfekturen: Espalion im Rouergue, Nantua an der savoyischen Grenze, Weißenburg im Elsaß, Peronne und endlich Provins, wo den Grafen die zweite französische Republik überrascht. Unter der Präsidentschaft wird er Präfekt in Colmar, und da er in Folge eines Mißverständnisses mit Persigny seine Entlassung verlangt, ernennt ihn der ihm gewogene Kaiser Napoleon zum Generalinspector der Telegraphenverwaltung, eine bedeutende Stellung, die den Reiselustigen bis nach Corsica und Tunis führt. Ein großer Reiz des Buches liegt in den mannigfaltigen landschaftlichen Skizzen und reichen Kostümbildern, die uns der Graf aus den Gegenden mitbringt, die er verwaltete oder bereiste.

Von geschichtlichem Werthe sind besonders zwei Stellen: die wahrhaft classische Schilderung der Verderbniß, welche in die strengen administrativen Traditionen des ersten Napoleon unter Louis Philipp durch die sog. parlamentarischen Notwendigkeiten eindrang, d. h. durch die, bei rasch wechselnden Ministerien, dem Unterpräfecten obliegende Inscenirung der Kammerwahlen. So konnte es z. B. begegnen – auch dem Grafen ist dies widerfahren – daß ein Unterpräfect auf Befehl einem Candidaten der Opposition entgegenarbeitete, der dann, gewählt, in Paris mit der Regierung Frieden schloß unter der Bedingung, daß der gehorsame Unterpräfect, der sich ihm unangenehm gemacht hatte, zur Strafe versetzt werde. Dieser zerstörende Mißbrauch gipfelt in dem cynischen Worte Duchatel's: La province nous est indifférente; c'est la chambre des députés seule, qu'il nous importe de gouverner.«

Und noch eine spätere Situation: Die Lage des Präsidenten der Republik zwischen seiner Wahl und dem Staatsstreiche. Sie wird durch den Besuch illustrirt, welchen Louis Napoleon im Elsaß machte, wo ihn der Graf als Präfect von Colmar empfing und begleitete. Die Schilderung dieses Besuches mit seinen unheimlichen oder komischen Einzelheiten ist ein Meisterstück. Sagen wir noch, daß der Präfect von Colmar zwar dem Staatsstreich beitrat, daneben die beabsichtigte Deportation einiger unschädlicher Republikaner mit muthiger Entschlossenheit verhinderte.

Aus den vielen, mit ein paar geistreichen Strichen gezeichneten Gesichtern, mit welchen uns Graf Dürckheim bekannt macht, treten zwei ausgeführte Portraits hervor, beide sehr ähnlich, ohne Zweifel, wenn auch das eine mit Abneigung aufgefaßt, das andere in freundliche Beleuchtung gestellt. Louis Philipp macht einen herzlich unangenehmen Eindruck: vulgär, absprechend, »cassant«, wie die Franzosen sagen, kurz, so unköniglich als möglich, während Louis Napoleon uns aus seinen schläfrigen Augen mit gewinnenden Zügen anschaut. Als zeitweiliger Unterpräfect von Peronne hatte der Graf den Prinzen in seinem Gefängnisse zu Ham besucht, und sie hatten sich nicht mißfallen. Das gute und dankbare Gedächtniß des Kaisers ist bekannt. Er bewahrte dem Grafen seine Gunst bis ans Ende, und dieser vergilt sie hier mit einem sorgfältigen und gerechten Urtheil.

Ergreifend schließt das Buch mit dem französisch-deutschen Kriege, der dem Verfasser schwere Zeiten und den Verlust eines Sohnes brachte. Hier sind besonders zwei Momente auszuzeichnen: die wahrhaft heroische Haltung der Gräfin – der zweiten Frau des Grafen, einer Schwester der ersten – nach der Schlacht bei Wörth auf Schloß Froschweiler, wo sie allein zurückgeblieben war, während Dürckheim die französische Feldtelegraphie befehligte – und dann die Erwägungen des Grafen nach dem Friedensschlusse. Er hat Recht: Die aus Montesquieu angeführte Stelle über die Heiligkeit der Verträge ist die richtige Lösung solcher Conflicte. Freilich wurde dem Grafen sein rascher und entschiedener Schritt auf die deutsche Seite erleichtert durch seine Traditionen – die Dürckheime sind von Alters her mit dem Reiche verwachsen – und durch seine stete und starke Fühlung mit dem geistigen Leben der Nation.

Was er uns auf den letzten Seiten seines Buches von der Gestaltung der Dinge in dem wieder deutsch gewordenen Elsaß in höchst würdigem Tone sagt, das zu beurtheilen, überlassen

wir der Geschichte.
C. F. M.

 


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