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Albrecht von Haller und seine Bedeutung für die deutsche Literatur. Von Adolf Frey

(Deutsche Rundschau Oktober 1880.)

Eine solide und substantielle Arbeit, welche den Reichthum ihres Inhaltes eher versteckt, als zur Schau legt! Sie erinnert uns an jene bequemen Gebäude, wie sie unsere Voreltern zu errichten pflegten, mit einer langen Flucht von Wohnräumen und Vorrathskammern, doch ohne Prunkzimmer. Viel reifes Wissen und gesundes Urtheil ist in diesem Buche aufgespeichert, aber gänzlich fehlen die flunkernden Theorien und blendenden Aperçüs.

In einer Reihe von durchschnittlich kurzen Capiteln wird uns die Stellung Haller's in der deutschen Literatur gründlich klar gemacht. Zeitatmosphäre, Bildungsgang, Beeinflussung (Stärkung und Beschränkung) eines großen, aber nur in jugendlichen Jahren und in Mußestunden geübten Talentes durch Gelehrsamkeit, republikanischen Patriotismus und eine strenge, ja starre Orthodoxie, Erfolg, Ansehen, Popularität, die zeitgenössische Kritik (Gottsched und die Schweizer), die Nachahmer und schließlich Haller's Verhältniß zu unseren Classikern, das Alles wird uns bequem und schrittweise nahe gelegt. In der Mitte des Buches steht das reichhaltige, sorgfältig gearbeitete, für den Fachmann ohne Zweifel interessanteste Capitel: Ueber Haller's Sprache.

Das kurzgefaßte Urtheil wird dem berühmten Berner, nach unserem Dafürhalten, völlig und endgültig gerecht. In die zur leeren Reimerei entartete deutsche Poesie, so lautet es ungefähr, brachte Haller wieder einen Gehalt, indem er würdige, seiner Zeit zusagende, obwol an sich unkünstlerische Stoffe behandelte. Mit den Zeitgenossen im Irrthum über das Wesen der Poesie, gab er dieselbe in den Dienst der Moral. So blieb er Didaktiker – einige warme Stellen seiner lyrischen Gedichte und seine Ode über die Ewigkeit ausgenommen – und cultivirte, dem Geschmacke seiner Zeit gemäß, das Lehrgedicht, die descriptive Poesie, die Satire, die Fabel, den historischen Tendenzroman. Wenn Haller dennoch einer echten Kunst Bahn brechen half, so that er es durch die Großheit und Bestimmtheit seiner Natur, die in einer wahren und starken Diction ihren Ausdruck fand.

Es ist viel interessantes Detail in diesem Buche. So figurirt z. B. unter den Nachahmern Haller's ein fast völlig unbekannter Poet, Grimm von Burgdorf, dessen Gedichte (1762) hin und wieder ganz auffallend auf das moderne Stimmungsbild hinweisen.

Zwei Punkte aber haben uns ganz besonders interessirt.

Zuerst Haller's ästhetische Theorien, wie er dieselben in seinem, zehn Jahre nach seinem Tode veröffentlichten, Tagebuche niedergelegt hat. Diese erscheinen uns ganz erstaunlich, obwol sie ohne Zweifel von der großen Mehrzahl seiner Zeitgenossen getheilt wurden. Da wird die Sittlichkeit des sophokle&iuml;schen Oedipus bezweifelt, mehr als ein aristotelischer Satz verneint und die dramatische Tauglichkeit ganz guter und ganz schlechter Charaktere behauptet, Molière's komische Kraft und Grausamkeit »widerwärtig« genannt, pius Aeneas mit dem Schemen Ossian's weit über die homerischen Gestalten gehoben, kurz, das ästhetische Moment überall unbarmherzig und principiell dem ethischen Moment oder dem, was dafür gelten muß, geopfert. Heutzutage freilich haben wir diese Vorurtheile gründlich überwunden und die Selbstherrlichkeit der Poesie muß nach einer ganz anderen Seite hin vertheidigt werden.

Dann das Verhältniß Haller's zu Schiller. Es ist geradezu überraschend, wie viele, oft wörtliche Reminiscenzen aus Haller sich bei unserem großen Schiller finden. Er muß die Gedichte des Berners fast auswendig gewußt haben. Dieses Nachklingen, zusammengehalten mit dem auffallend günstigen Urtheile, welches der große, sonst so scharfe Kritiker in seiner Abhandlung »Ueber naive und sentimentale Poesie« über den Berner fällt, deutet, wie Frey hübsch bemerkt, auf einen dem schweizerischen Didaktiker und dem deutschen Classiker gemeinsamen philosophisch pathetischen Zug, und wir können dem Autor nicht Unrecht geben, wenn er Schiller's philosophische Gedichte »den künstlerisch vollendeten und verklärten Ausfluß und zugleich den Schlußstein des eigentlichen Lehrgedichtes« und Schiller selbst – nach dieser Seite hin – den fortgeschrittenen Nachfolger Haller's zu nennen wagt.

 


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