Paul Busson
Die Wiedergeburt des Melchior Dronte
Paul Busson

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In meinem großen Verlangen, Zephyrine vor einer mir unbekannten, ihr aber wohl bewußten Gefahr zu bewahren, fiel mir meine Jugendfreundin Lorle wieder ein, mit der ich am Tage meiner Ankunft in Wien auf so ungewöhnliche Art zusammengetroffen war. So stark mein Heimweh nach ihrem Körper gewesen war, so hatte die Bekanntschaft mit einem Wesen, das mich auf das tiefste an Aglaja erinnerte, genügt, um meine Wünsche in bezug auf die schöne Laurette Triquet, wie sie sich jetzt nannte, ihrer sinnlichen Glut zu berauben. Aber niemand konnte mir besser behilflich sein, meine bisher vergeblichen Nachforschungen nach dem geliebten Mädchen und seinem buckligen Wächter erfolgreich werden zu lassen, als jenes kluge und, nach seinem Aufstieg zu schließen, im Besitze wertvoller Beziehungen befindliche Geschöpf.

In der Schönlaterngasse wurde ich auf meine Nachfrage in ein altes Haus verwiesen, dem man, ähnlich jenem Spielhause, von außen durchaus nicht die Bequemlichkeit und Schönheit seiner Einrichtung ansah. Eine herrliche Marmorgruppe, den Raub der Proserpina darstellend, stand am Fuße der Steintreppe, die ich hinanstieg, und venezianische Mohrenknaben, mit Gold und Farben bemalt, standen in ihrer hölzernen Unbeweglichkeit auf den Absätzen, Galionslaternen emporhaltend.

Das niedliche Kammermädchen, das mit kokett gerafften Röcken vor mir die Treppe hinaufging, öffnete mir die Türe zu einem in blaßgelber Seide gehaltenen Gemach, verschwand dann mit einer Entschuldigung durch den von Amoretten gehaltenen schweren Vorhang, hinter dem eine kleine Türe sich befand. Beim Aufgehen dieser Türe hörte ich kurz ein kreischendes Gelächter, das mich mit Verwunderung erfüllte, da ich noch niemals eine Person mit so abscheulich durchdringender Stimme kennengelernt hatte. Ich sah mich in dem vornehmen Gemach, in dem man mich warten ließ, um und betrachtete genau das einzige Bild, einen Mann mit olivbraunen, scharfgeschnittenen Zügen, dunklen, traurigen Augen, von eher unschöner Gesichtsbildung, der eine kanariengelbe Uniform mit roten Aufschlägen und unter dem Rock, der offenstand, einen schwarzen Brustharnisch trug, als die Zofe wieder erschien, den Vorhang hob und mich mit einem Knicks einzutreten bat.

Ich betrat ein ganz in glänzendem Gold gehaltenes Boudoir mit kostbaren Möbeln und einem mit Brokat überzogenen Ruhebett, auf dem Laurette halb saß, halb lag. Sie streckte mir lächelnd die juwelengeschmückte Hand aus einer Wolke von Spitzen und dünner Seide entgegen, und ich war neuerlich betroffen von dem ungewöhnlichen Reiz, den ihr hübsches, rosiges Antlitz unter der kunstvollen Frisur ausstrahlte. Aber während ich sie, keineswegs zu ihrem Mißvergnügen, entzückt anstarrte, ertönte dicht neben uns jenes ekelhafte, schrille Lachen, und jetzt erst bemerkte ich einen zausigen, glatzköpfigen Papagei von grauer Farbe, aus dessen krummgebogenem Schnabel das Gelächter kam.

Wäre nicht mein ganzer Sinn von dem Bilde jenes süßen Kindergesichtes und des rotgoldenen Haares eingenommen gewesen, ich hätte mich schwerlich in Gegenwart dieser herrlich erblühten Frau, deren erste Liebesregungen ich empfunden hatte, lange beherrschen können, und dies um so weniger, als Laurette mit vollendeter Kunst mich bald einen Teil ihrer vollendet schönen Brust, bald die edle Form eines Beines oder die Rundung ihres klassischen Armes sehen ließ. Dennoch konnte ich dem Wunsche nicht widerstehen, die vornehme Dame an jene Tage zu erinnern, da sie noch Lorle geheißen und mich in der Geißblattlaube hinter ihres Vaters Haus geküßt hatte. Aber sie entglitt mir in spielerischer Beherrschung des Gespräches jedesmal unmerklich und zwang mich so, jene Grenzen, die sie einzuhalten wünschte, zu achten. Ja, als ich, von meinen holdseligen Erinnerungen angefeuert, mit meiner Hand ihren bloßen Arm zu berühren wagte, schlug sie mir mit dem Elfenbeinfächer empfindlich auf die Finger und zeigte mit eigentümlicher, ja ernster Bedeutsamkeit auf den Papagei, der sich damit unterhielt, seinen Schnabel an der silbernen Sitzstange zu wetzen.

»Nehmen Sie sich, mein allzu freundlicher Kavalier, vor diesem Vogel in acht«, sagte sie leise, als hätte sie Angst, daß das zerraufte Untier zuhören könne. »Apollonius liebt es nicht, wenn man mich in seiner Gegenwart mit Karessen bedrängt. Zudem sagt mir mein kleiner Finger, cher Baron, daß Sie nicht erschienen sind, um mir den Hof zu machen, sondern daß Sie meine Bereitwilligkeit, Ihnen zu dienen in anderer Weise in Anspruch nehmen wollen.«

»Ich kann es nicht leugnen«, erwiderte ich einigermaßen betroffen, »obschon es mir unergründlich erscheint, woher Ihnen angebetete Laurette, solche Wissenschaft kommt.«

»Ei!« lachte sie, »habe ich nicht meinen Wahrsager und zugleich auch Beschützer und Wächter neben mir?« und weniger laut fügte sie hinzu: »Ein wahres Glück ist es zu nennen, daß der gute Apollonius etwas harthörig wird und nicht alles mehr belauschen kann, was gesprochen wird.«

Der Umstand, daß sie ihre Stimme senkte, schien den Vogel in der Tat zu erbosen. Er rollte seine Kugelaugen, trat von einem Fuß auf den andern und hieb klingend mit dem Schnabel auf die Stange ein.

»Lauter!« schrie er.

»Sehen Sie?« sagte Laurette und blickte scheu zu ihm hin. »Er ist heute in schlechter Laune.«

»Er sieht aus wie ein alter Hebräer, Ihr Apollonius,« sagte ich laut. »Man glaubt, daß Tiere seiner Art über hundert Jahre alt werden.«

»Hihihi! Hehehe! Selbst ein Tier«, schrie der Vogel. »Hundert Jahre! Imbécile!«

»Wie, er spricht Französisch?« wandte ich mich an die Schöne.

»Er spricht alle Sprachen«, flüsterte Laurette. »Geben Sie acht! Er bewacht mich, erzählt alles dem spanischen Gesandten – dessen Maitresse ich bin«, setzte sie zögernd und mit leichter Wangenröte hinzu. »Aber Apollonius kündet auch Verborgenes und vermag es, in die Zukunft zu schauen.«

Nun wußte ich, wer der Souteneur war, dem sie ihr Wohlleben verdankte, und so natürlich bei dieser Entdeckung ein leises Empfinden eifersüchtiger Art gewesen wäre, ich fühlte nichts dergleichen. Dennoch befiel mich Trauer und Reue, daß dieses einst reine und gutartige Kind durch meine Schuld aus dem friedlichen und sicheren Schutz ihres Elternhauses der gleißenden und unsicheren Pracht eines nur auf Wollust gegründeten Lebens zugeführt worden war. Dabei erkannte ich jedoch deutlich, daß ihre mir gegenüber geübte Zurückhaltung nicht in der Dankbarkeit gegenüber dem jetzigen Freund und Geliebten ihren Grund hatte, sondern der Angst vor dem verräterischen Geschwätz des Federviehs entsprang, dem sie offenbar Verstand und menschenartige Bosheit zuerkannte.

Daß mir durch solche Gedanken das überaus häßliche, glatzköpfige Tier noch widerwärtiger und verhaßter wurde als schon beim ersten Anblick, ist begreiflich. Es reizte mich geradezu, mit dem schwätzenden Vogel anzubinden. Oder wenigstens auf alle Art zu prüfen, inwieweit die Täuschung, der sich Laurette in bezug auf seine Klugheit hingab, begründet sei. Wie konnte in diesem kleinen, runden Vogelkopf, hinter diesen starren, in ihren Kapseln hin- und herrollenden Augen etwas anders sein als bei anderen Tieren? Das Nachsprechen und zufällig einen Sinn ergebende Zusammenfügen erlernter Wörter mochte ja geeignet sein, seltsame, verblüffende Wirkungen hervorzurufen. Aber an ein dem menschlichen ähnliches Denkvermögen konnte und wollte ich nicht glauben. Das einzige, was ich begriff und billigte, war Laurettes Vorsicht, leise zu sprechen, damit der schwerhörige Vogel die Worte nicht aufzuschnappen und zur Unzeit nachplappern könne. War mir doch selbst eine Geschichte bekannt, bei der ein Star, also auch ein sprechendes Tier, seine Herrin dadurch verraten hatte, daß er vor ihrem Gemahl in den schmelzendsten Tönen den Vornamen eines jungen Herrn aussprach, der seit langem im Verdacht stand, der begünstigte Favorit der Hausfrau zu sein. Ohne auf eine warnende Gebärde Laurettes zu achten, wandte ich mich dem Papagei zu, sah ihn an und sagte:

»Nun, Apollonius, wenn du wirklich so klug bist, wie du dich anstellst, so sage mir doch, wer vorgestern im Pharao, an dem ich teilnahm, das meiste Geld gewonnen hat?«

Der Vogel sträubte das Gefieder, verdrehte die Augäpfel auf eine greuliche Art, gluckste ein paarmal und schnarrte dann:

»Defunctus« – der Tote. Ich sah ihn, keines Wortes mächtig, an.

»Ich bitte dich, Melchior, laß ihn«, sagte Laurette rasch und leise, und in ihrem Blick lag Entsetzen. Dann sagte sie laut: »Baron, reizen Sie mir Apollonius nicht, sonst erzählt er mir die garstigsten Sachen, die mir nachts den Schlaf rauben.

»Ich war es, der gewann, Höllenvieh!« rief ich, mich ermannend.

Der Graue lachte und sagte mit vorgeneigtem Kopf, mich boshaft beäugend:

»Donum grati defuncti!« – Ein Geschenk des dankbaren Toten.

»Warum dreht man solchem boshaften Geziefer nicht den Kragen um?« stieß ich wütend hervor. »Gib ihm ein paar Pfirsichkerne und schaffe dir Ruhe damit.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Er frißt kein Gift, schöner Herr! Mörderchen! Kleines Mörderchen!« kicherte Apollonius und schlug mit den Flügeln.

»Vielleicht hast du selbst gemordet, zausige, schändliche Bestie!« schrie ich und schüttelte meine Faust gegen ihn. »Vielleicht bist du eine von Gott verdammte Seele und mußt nun in Tiergestalt Buße tun!«

Da kam ein schwerer, fast menschlicher Seufzer von der Stange her, ein Stöhnen aus gequälter Brust. Der Papagei sah mich mit einem furchtbaren und entsetzlich trostlosen Blick an, und ließ den Kopf hängen. Langsam zog er die Nickhaut über die Augen, und mit innerem Beben sah ich – bei Gott im Himmel! –, ich sah, wie zwei Tränen aus den Augen des Tieres tropften. Aber dies dauerte nur einen Augenblick, denn gleich darauf stierte er mich mit so entsetzlicher Tücke an, daß mir heiß und kalt wurde und mein aufsteigendes Mitleid schnell verschwand. Als ich aber das beunruhigte Gesicht der schönen Laurette sah, dachte ich, wie unartig und störend für ihren Frieden mein Benehmen ihr scheinen mußte, und um meinen Fehler auszubessern, beschloß ich, die Sache ins Scherzhafte zu wenden. Ich verneigte mich daher mit ironischer Höflichkeit vor dem Tier und sagte in munterem Tone:

»Zürnet mir nicht, ehrwürdiger Apollonius, ich wollte Eure Weisheit nicht beleidigen. Ich bin jetzt bekehrt und zweifle nicht mehr an Eurer wunderbaren Gabe, Vergangenes und Zukünftiges zu schauen. Wäre es nicht möglich, mit Euch, König aller Papageien, Freundschaft zu schließen?«

Der Gefiederte schüttelte sich vor Lachen, klappte schallend mit dem Schnabel und pfiff. Dann bewegte er seinen Kopf ganz deutlich, nach Menschenart, heftig verneinend, hin und her.

»Also Freunde können wir nicht sein?« fuhr ich fort und blinzelte Laurette zu. »Ich hätte gerne eine Frage gestellt – nach einem Buckligen, den ich suche –.«

Meine Frage galt natürlich Laurette, und ich wollte mich näher erklären, als es schnarrend von der Stange her kam:

»Dottore Postremo.«

»Was wollen Sie bei dem?« sagte Laurette verwundert.

»Kennen Sie ihn?« fragte ich, unfähig, meine Spannung zu verhehlen. Eine tiefe Röte ging über ihr Gesicht.

»Zufällig –«, antwortete sie verlegen.

»Was ist's mit ihm?«

»Er ist italienischer Arzt – viele Frauen suchen ihn auf, die die unangenehmen Folgen angenehmer Stunden zu beseitigen wünschen. Er steht in übelstem Ruf, und die Gerichte haben sich des öfteren mit ihm befaßt. Aber niemals konnte ihm etwas nachgewiesen werden. – Aber Sie dürfen nicht etwa glauben, Baron, daß ich vielleicht –«

Ich lachte höflich »Wie könnte ich, schöne Laurette?«

»Er soll übrigens eine sehr schöne Ziehtochter oder Nichte bei sich halten«, fuhr sie fort und sah mich lauernd an. »Ein kaum erblühtes Mädchen. Er wohnt im Hause »Zum Fassel«. Sie senkte den Blick und sah mich unter den Lidern hervor an. »Seien Sie vorsichtig! Der Mann ist zu allem fähig!«

»Sie irren, Laurette«, log ich. »Es handelt sich nicht um Abenteuer.«

Der verfluchte Vogel fuhr mit einem wilden Gelächter dazwischen.

»Apollonius durchschaut Sie.« Laurette ließ einen kleinen vorwurfsvollen Seufzer vernehmen. »Sie waren ja stets ein Liebhaber von Jugend und Unschuld, Baron Dronte.«

»Diese Bemerkung berührt etwas, das mir unvergeßlich und wertvoll genug ist, um durch mein ganzes Leben wie ein heller Stern zu glänzen.«

»Oh – Sie sind galant!« Sie bot mir ihre Hand zum Kusse und stand auf, erregt und glühend, wie mir schien.

Ich erhob mich und beschloß, sie nun zu verlassen, von widerstreitenden und friedlosen Gefühlen beengt.

»Wie wird es mir ergehen?« redete ich noch einmal den Vogel an. »Da es mir nicht gelang, Euer Liebden Freundschaft zu gewinnen –?«

»Kopf ab! Kopf ab!« schrie das Vieh gellend und blickte mich mit teuflischer Freude an.

Ich achtete nicht mehr auf den Papagei und ging

Laurette begleitete mich bis in das gelbe Zimmer. Kaum war der Vorhang zurückgesunken, als ich ein jähes Erbleichen bei ihr wahrnahm, und gerade noch rechtzeitig konnte ich sie in meinen Armen vor dem Fallen bewahren. Ich legte sie rasch auf ein kleines Sofa und sah mich um. Auf einem Tische stand ein goldenes Flakon. Ich zog den Stöpsel und rieb mit der stark duftenden Essenz ihre Schläfen. Langsam schlug sie ihre Augen auf.

»Der Abscheuliche hat mich so erschreckt«, flüsterte sie und schlang ihre Arme um meinen Hals. Sanft machte ich mich los.

»Ich bin eine Gefangene«, klagte sie leise, »das satanische Tier bewacht mich besser, als es Menschen zu tun imstande wären. Hörst du, wie es wütend schreit und mit den Flügeln schlägt? Das ist das Zeichen für die bezahlte Zofe, einzutreten und nach mir zu sehen. Aber sie ist nicht da, ich hab sie mit einem Billett zu ihm geschickt – – wir sind allein –.« Wieder legten sich ihre weichen, vollen Arme um meinem Hals, und ehe ich mich dessen versah. saugten sich ihre heißen roten Lippen an meinem Munde fest.

Lorle – armes Lorle –, dachte ich, und dabei trieb mich die brennendste Sehnsucht zu Zephyrine, die ich im Hause des buckligen Arztes zu finden hoffte.

Zart löste ich ihre Arme und sah ihr in die Augen:

»Vergiß mich, Lorle«, mahnte ich leise. »Setze nicht dein Glück aufs Spiel um einer flüchtigen Minute willen –«

Eine Flamme schlug in ihre Augen.

»Ich danke dir für deine Sorge um mich«, sagte sie hart. »Nun weiß ich, daß du eine andere liebst und daß ich dir nichts mehr bin!«

»Lorle –!« stotterte ich.

»Geh! Geh!« sagte sie, und Tränen standen in ihren Augen. »Warum versuchst du, mich zu belügen?«

Da ging ich langsam durch das gelbe Zimmer und schloß die Türe zwischen mir und der Schluchzenden.

 


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