Paul Busson
Die Wiedergeburt des Melchior Dronte
Paul Busson

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In der Wachstube brannte eine Ölfunzel. Die Wand war dicht gefleckt von zerquetschten Wanzen. Die Branntweinflaschen waren leer, der Tabakrauch zog in blauen Schwaden unter der rußigen Decke. Es war schon lange Retraite geblasen, aber keiner streckte sich auf die Pritsche.

»Wenn sie nur kommt, Kinner! »sagte der Gefreite Hahnfuß, »aber so Bestjen sind schläuer als schlau!«

Aber er hatte noch nicht ausgeredet, als die Türe aufging und der Wetzlaff mit dem Mädchen eintrat.

Der Unteroffizier nickte, sah das Ding mit einem halben Blick an und ging dann wie zufällig rasch aus der Wachstube. Hinter ihm wurde sogleich die Tür verriegelt und versperrt.

Die Soldaten-Katharine stand nun allein unter den vielen Männern mitten in der Stube und sah von einem zum andern. Ihr freches Lächeln wurde ängstlich und scheu. Ihre Haube war zerknittert, der gestreifte Zitzrock fleckig, die Absätze an den Schuhen waren arg vertreten. Sie kratzte sich an der Hüfte. Als aber alle weiterhin schwiegen, bekam sie Furcht und machte eine Bewegung, als wollte sie entlaufen. Dann warf sie einen irren Blick auf die verschlossene Türe und sagte mit einem Schlucken im Halse: »Nanu – ihr wollt mir nich mehr rauslassen, Jungens?«

»Det is so, Mächen«, sagte der Gefreite und legte den brennenden Schwamm auf seine Pfeife. »Daß du uns hast nämlich angelogen. Hast de nich?«

»I bewahre«, sagte sie. »Wat soll denn dat? Wat soll ick den jelogen ham?«

»Wir haben dir woll mal jefragt, wie daß det mit deine innerliche Jesundheit is, Mächen – nich wahr? Denn sonst – nich in die Hand! Un nu sieh dich mal Beveroven an! – Komm hier zu mich her, Beverov!«

Einer von der Wache trat vor. Der Gefreite öffnete ihm Rock, Weste und Hemd.

Die Brust des Mannes war mit garstigen roten Flecken besät.

»Weeste, wat det is, Kathrinchen?« fragte der Gefreite tückisch. »Det sin – echte Franzosen sin det!«

Im Gesicht des Mädchens wechselten Schreck, Furcht und Wut.

»Von mich? Von mich?« kreischte sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Ihr Lausepack, ihr Kaldaunenfresser – heite noch jeh ick beim Herrn Unteroffizier – woll'n wa mal sehn, ob –«

»Et is jenuch! »herrschte der Gefreite sie an und schlug sie im selben Augenblick mit dem Handrücken so derb auf den Mund, daß sie aufschrie.

Aber dann schwieg sie. Ein Blutstropfen stand auf ihrer Unterlippe.

»Runter mit de Kleedasche!«

Sie schrie, pfiff wie eine Ratte, stieß mit den Füßen und biß. Aber es half ihr nichts gegen die groben Fäuste, die sie von allen Seiten wütend anfielen. In wenigen Augenblicken stand sie in der armseligen Nacktheit ihres verbrauchten Körpers, sich windend unter den harten Händen, die ihre Handgelenke und Arme hielten.

»Lampe 'ran!«

Der Gefreite leuchtete mit der Ölfunzel an ihr herum. Ein heißer Tropfen fiel auf ihre Haut, so daß sie aufschrie.

»Nur keene Bange nich – jebraten sollst de nich werden!« beruhigte er sie. »Da seht mal, Kameraden –!«

Und er zeigte mit dem Finger auf viele weiße Flecken, die sich von der bräunlichen Haut des Halsansatzes und der Schultern deutlich abhoben.

»Willste nu noch leugnen, daß de französisch bist, verseucht und verjiftet, du Schlumpe, du?«

Sie antwortete nicht. Aber dann hob sie den Kopf und spie dem Gefreiten ihren rötlich gefärbten Speichel mitten ins Gesicht.

»Na warte, du Mensch!« sagte der ruhig und wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht. »Wat meent ihr, Kameraden? Ick bin nu mal für's Ferdchenspiel.«

»Man los!« schrien alle. »Ferdchenspiel!«

»Een Schimmel biste von Jeburt aus«, fuhr der Gefreite fort und blies ihr den beizenden Rauch seiner schmurgelnden Pfeife ins Gesicht. »Wat willste nu sein? Een Fuchs – wat?«

»Verdammte Schweinigel!« fauchte sie und krümmte sich, nach den haltenden Händen schnappend. »Raus will ick! Laßt mir raus! Laßt mir raus!«

»Rappe is meine Lieblingskulör!« rief der Gefreite in das Getümmel. »Her mit die Stiebelwichse –!«

Unter brüllendem Gelächter, in dem die überschnappende Stimme des verzweifelten Geschöpfes unterging, spuckten sie in die Wichsschachteln, tauchten die groben Bürsten ein und gingen auf sie los.

Ich hatte bisher wie in halber Betäubung auf einer Pritsche gesessen und dem mir unbegreiflichen Geschehnis zugesehen. Nun aber faßten mich Abscheu, Entsetzen und qualvolles Mitleid mit dem jämmerlichen, zernichteten Geschöpf. Ich sah, wie sie nach ihr griffen, hörte das irrsinnige Kreischen und Aufschreien der Gemarterten, die sie an den Haaren zu sich her rissen und die sie mit den plumpen Schuhen auf die nackten Füße traten. Sie wand sich wie ein Aal, schrie quiekend auf, als einer mit der Peitsche in der Hand sich näherte, winselte um Erbarmen und stieß in einem Atem die abscheulichsten Flüche aus.

»Was wollt ihr mit dem Frauenzimmer?!« schrie ich den Wetzlaff an und hielt ihn am Ärmel fest.

»Nu wird se mal erst blank jewichst«, grinste der an meinem Ohr. »Und denn muß se an de lange Leine loofen, bis se nich mehr kann. Det is unser Ferdchenspiel, Junge!«

Ein schriller Schrei fuhr auf. Der Gefreite hatte sie von hinten gepackt und hielt sie fest, wie sehr sie sich auch sträubte.

»Immer ran, Kameraden!« ermunterte er die andern.

Da sprang ich hin, riß seine Hände von ihrem zitternden Leib und stellte mich breit vor sie.

»Laßt sie!« rief ich laut. »Laßt ab von ihr!«

»Oho!« brüllte es mir entgegen. »Sieh mal Dronten!«

Mit geballten Fäusten und wütend verzerrtem Gesicht trat Wetzlaff auf mich zu.

Ich sah ihn fest und ruhig an.

Sein zorniges Auge irrte von meinem ab, seine geballten Fäuste öffneten sich.

Die andern verstummten, sahen mich wie erstaunt an.

»Kameraden«, sagte ich, »habt Erbarmen. Sie ist nicht schuldig. Und sie ist ebenso arm und verlassen wie wir alle!«

Keiner antwortete.

Ich ging zur Türe, ohne daß mich einer gehindert hätte, und öffnete sie. Dann bückte ich mich, hob die Lumpen der Dirne auf und gab sie ihr.

»Geh, Kath'rine!« Ich hörte mich sprechen, so still war es rundum.

Sie starrte mich mit großen Augen an, bückte sich, als wollte sie meine Hand küssen, lachte dann heiser auf und war mit einem Sprung draußen. Wir hörten sie auf nackten Sohlen den steingepflasterten Hof entlanglaufen.

Niemand sagte etwas.

Langsam stellten die Leute Schachteln und Bürsten auf die bestimmten Plätze. Einer gähnte laut.

Dann lachte der Wetzlaff seltsam auf, stellte sich vor mich hin, wiegte den Kopf her und hin und sah mich durchdringend an.

»Et is so«, knurrte er. »Der Dronte hat es im Blicke – Er hat die Jewalt im Blicke.« Keiner bemerkte etwas dazu.

Schweigend streckten sie sich auf die harten Pritschen, um noch etwas zu schlafen, bevor die Ronde kam.

 


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