Paul Busson
Die Wiedergeburt des Melchior Dronte
Paul Busson

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Mit dem Phöbus und dem Thilo Sassen trieb ich mich viel herum, und wir jagten allenthalben nach Frauenzimmern und Abenteuern. Seit sie mich wegen des braunen Mönches, wie sie den Mann aus dem Morgenlande nannten, als ich ihnen von der Erscheinung sprach, weidlich ausgelacht und tagelang geneckt hatten, war ich wieder in mein altes Leben zurückgefallen und schämte mich jedesmal, wenn sie mit ihren Späßen und Schnurren über mich kamen.

An diesem Tage war die schwarze Diana bellend und voll Freude mit mir von zu Hause weggelaufen, und was ich auch tat, es gelang mir nicht, sie zu scheuchen. Denn der Hund hatte mich über alles lieb, sowenig gut ich auch gegen ihn war.

Oberhalb der Weinberge wußten wir ein Haus, in dem ein alter, wegen seiner Grobheit gefürchteter Hauer wohnte. Der hatte zwei junge und schöne Töchter, und es hieß, daß sie das Geld für ihre hübschen Kleider und Schuhe durch Liebenswürdigkeit gegen Kavaliere zu erwerben verstanden. Die Burschen hatten ihnen des öftern den Strohmann aufs Dach gesetzt, und die Mädchen in der Stadt zogen die Röcke an sich, wenn sie an ihnen vorübergingen, um nicht etwa anzustreifen.

Doch ging auch die Rede, daß der Alte an Tagen, an denen er Zeit fände, die Dirnen zu hüten, den Galans seiner Töchter mit einem groben Bengel die Wege weise. So wurde erzählt, daß er den Fritze des Bürgermeisters, einen rechten Stutzer und Schürzenschnüffler, einmal mit den beiden in der Gerätekammer ertappt und dermaßen verdroschen hätte, daß der junge Herr vier Tage ächzend und mit linden Salben beschmiert im Bette habe liegen müssen. Andere wieder meinten, es seien nicht so sehr die Prügel des Alten gewesen, die eine Salbenkur notwendig gemacht hätten, sondern eine vornehme Krankheit, die sich der Fritze zugezogen, als er mit einer Aktrice in der Postkutsche gereist sei.

Sicherlich hatten wir nicht den geringsten Wunsch, mit dem unflätigen Hauer zusammenzustoßen, und dies um so weniger, als das Haus außerhalb unserer Gerichtsbarkeit lag und der gestrenge Erzbischof, zu dessen Besitz die Weingüter gehörten, große Stücke auf den Hauermeister hielt und sich nur freute, wenn er von seinen Stücklein vernahm.

So wollten wir uns unbemerkt dem Hause nach Art einer schleichenden Patrouille nähern, um vorerst zu wissen, wie es dorten stünde. Dabei war uns der Hund, der auf keine Weise wegzuschaffen war, hinderlich und störend. Denn in der Freude, mit mir sein zu können, sprang die Diana in großen Sätzen um uns herum, und wenn ich mich nicht allzeit um sie bekümmerte, machte sie durch lautes Bellen gegen mich auf sich aufmerksam, was den Thilo und nicht minder den Phöbus über alle Maßen ärgerte.

So kam es denn auch, daß unser Anmarsch gänzlich mißlang. Als wir dem Hause schon nahe waren und unsere Blicke auf die Fenster richteten, gab die Hündin Laut und lockte nicht nur die Mädchen, sondern auch den Alten, der alsbald erkannte, was für Marder seine Hennen beschlichen. Er nannte uns Hurenbuben und Taugenichtse, Tagdiebe, Landstürzer und Strauchritter und versprach, uns dermaßen mit ungebrannter Asche zu bedienen, daß unsere Lakaien und Nachttopfträger eine volle Woche mit uns zu schaffen haben würden.

So schlichen wir voll von Ärger und Wut den Berg hinunter. »Das nächste Mal probieren wir es ohne dich und das Hundsvieh, daß du es weißt, Melchior!« sagte der Thilo.

»Einer, der nicht einmal so eine lausige vierbeinige Bestie zu meistern weiß, gehört in die Kinderstube«, setzte der Phöbus hinzu.

Ich antwortete nicht, aber in mir fraß die Wut.

Da sprang die Diana nach meiner Hand und faßte sie spielend mit den Zähnen, als wollte sie mich gutmachen. So tat sie immer, wenn ich mit ihr schalt oder auch sonst schlechter Laune war.

Da faßte mich der jähe Zorn, und ich bückte mich nach einem großen Stein. Der Hund mochte glauben, nun gehe es an das geliebte Spiel des Apportsuchens, und duckte sich, vor Freude wedelnd, zum Sprung.

Mit aller Kraft warf ich den schweren, kantigen Stein nach ihm und traf ihn mit dumpfem Laut in die Rippen.

Die Hündin stürzte, stieß einen heulenden, hohen Schrei aus und klagte dann in gellenden Tönen, unfähig, sich zu erheben, den jämmerlichen, entsetzten Blick auf mich geheftet.

»Krepier doch, du Aas!« schrie ich und ließ die Hand sinken. Phöbus und Thilo, die schuld daran waren, wichen sogleich von mir zurück.

»Deines Vaters bester und parforce dressierter Hühnerhund –«, sagte Sassen, und der andere fügte bei, daß Roheit gegen ein nobles Tier eines Edelmannes unwürdig sei.

Die Hündin versuchte aufzustehen, brach nieder und kam wieder hoch. Gekrümmt und winselnd kroch sie auf mich zu, versuchte mit der roten Zunge meine Hand zu erreichen, um sie zu lecken.

»Komm!« sagte Phöbus zu Thilo und ging mit ihm den Weg weiter, mit offenkundiger Verachtung von mir weggehend.

Da setzte ich mich zwischen den Rebstöcken nieder und nahm den Kopf der Hündin in meinen Schoß. Aus ihrer feinen Nase floß Blut auf mein helles Gewand. Ihre Augen waren auf mich gerichtet, klagend, um Hilfe flehend. Ihr Leib zitterte, die Läuflein zuckten wie im Krampf.

Auf dem schwarzen Seidenhaar des schönen Kopfes hatte so oft Aglajas weiße Hand geruht.

»Diana!« rief ich, »Diana!«

Sie zog die Lefzen von den weißen Zähnen. Sie lachte auf diese Weise. Noch einmal versuchte sie meine Hand zu lecken. Dann trat in ihre Augen ein grüner, glasiger Schein, der Leib streckte sich.

Ich streichelte sie in Todesangst, rief, lockte – – sie bewegte sich nicht mehr. Eine Blutblase stand regungslos vor der Nase. Kein Atem kam mehr – –

»Dieses Tier wird am Jüngsten Tage seine Klage vor Gott vorbringen, und Gott wird auch ihm sein Recht zukommen lassen, wie jeglicher Kreatur«, sprach eine tiefe Stimme. Ich sah mich um, mit verschleierten Augen.

Der alte Hauer stand neben mir, und die Sonne wob einen furchtbaren, goldenen Schein um sein schneeweißes Haupt.

 


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