Paul Busson
Die Wiedergeburt des Melchior Dronte
Paul Busson

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Die Zigeuner, mit denen ich lange gezogen war, die braunen Romi, wie sie sich nannten, waren über die Grenze zurückgewandert, und ich mußte mich von ihnen trennen, wollte ich nicht vom Profosen mit des Seilers Tochter verheiratet werden.

Mein Elend war grenzenlos. Da und dort fand ich in den Bauernhöfen etwas Arbeit und Essen, bekam auch wohl ein schadhaftes Gewandstück, das noch besser war als meine Lumpen, aber meist hungerte und fror ich gottsjämmerlich.

An einem Tage hatte ich Glück und fand auf einem Feldwege einen halben Laib Brot, den gewiß einer vom Karren herunter verloren hatte. Und als ich auf einem mächtigen, bewaldeten Hügel die Ruinen eines Schlosses sah, beschloß ich, mir an einem verborgenen Platz im Gemäuer ein Feuer zu entzünden, um die eisige Winternacht nicht ohne den Trost naher Wärme verbringen zu müssen.

Nach einigem Umherklettern im Gestein fand ich alsbald ein noch ziemlich erhaltenes Gewölbe, an dessen getünchter Wand noch Reste von al fresco gemalten Bildern zu sehen waren. Unter anderen Gemälden war auch die Hochzeit von Kana abgebildet (wie ich an den Resten von Gewändern und Köpfen sowie an den großen altertümlichen Weinkrügen erkannte), und als ich das arg zerfallene Wandbild näher betrachtete, fiel mir auf, daß einer der Weinkrüge die kaum mehr lesbare Aufschrift trug: »Hic jacet«, oder zu deutsch »Hier liegt es«. Vielleicht war es ein Spaß, den der Maler sich machte, indem er so den nachdenklichen Zuschauern sagte, daß in diesen Krügen und in dem Wein, der sie erfüllt, in der Tat etwas liege und ruhe, nämlich der Geist, der mit dem Trunk in des Menschen Leib einzieht und nach und nach alle Leidenschaften entfesselt, die den durch den Rauschtrunk überwältigten Verstand gänzlich übermögen und vergewaltigen; vielleicht aber hieß es auch, daß alle Fröhlichkeit in dem runden Tonbauch des Kruges schlummre und nach Genuß des Trankes in Lachen, Frohsinn und Liedern aufschäumen wolle. Darüber und über ähnliches sinnierte ich nun so lange, bis sich mir der Mangel des wärmenden Feuers heftig bemerkbar machte und mich zwang, in dem geräumigen Gewölbe ein wenig auf und nieder zu trappen, um mich notdürftig zu erwärmen und die steifen Hände zum Feuerschlagen geschmeidig werden zu lassen.

Beim Vorüberkommen an dem leider nur gemalten braunen Krug konnte ich es mir nicht versagen, mit gebogenem Zeigefinger an den dicken Bauch des Gefäßes zu pochen, wenngleich sein rundes Aussehen nur der Geschicklichkeit des Malers entstammte, der durch Verteilung von Licht und Farben ein hohes Maß von Plastik erzielt hatte. Aber als ich spielend auf die scheinbar runde Wölbung des Trinkgefäßes klopfte, war es mir, als hätte es einen dumpfen, nach Holz und hohlem Raum klingenden Hall gegeben. Ich klopfte abermals, und noch zwei- oder dreimal. Der Klang wich an der Stelle, an der die lateinischen Worte standen, von dem der festgemauerten Umgebung ab.

Einem plötzlichen Trieb folgend, blätterte ich mit meinem stumpfen Messer Farbe und Kalkbewurf ab, grub ein weniges und kam sogleich auf einen breiten, morschen Laden. Ich erhöhte meine Anstrengungen, und bald bröckelte das alte Holz in braunem Mehl und feuchten Splittern ab und legte eine kleine Nische frei, in der eine runde, von grünlichweißem Schimmel bewachsene Kugel lag

Nach einigem Zögern, das mich in diesem Ding einen verwesten Menschenkopf erblicken ließ, faßte ich Mut, griff hinein und zog einen ganz zerfressenen, von Moderblüte umhüllten Ledersack heraus, in dem es ein feines Klingen tat, als ich ihn heraushob. Er war schwer vom metallischen Inhalt.

Nun machte ich doch Feuer, wohl auch deshalb, um durch die Vornahme einer gleichgültigen Arbeit mein hämmerndes Herz ruhig werden zu lassen. Als das Feuerlein aber lustig brannte und flackerte, ging ich daran, den ledernen Behälter zu mustern, den die Inschrift auf der Weinurne verraten hatte. Die, denen dies Zeichen einmal über die Gefahr der Vergeßlichkeit hatte hinweghelfen sollen, waren seit vielen Jahren tot und dahin, vielleicht unter den Schutthaufen des Schlosses begraben.

Der Beutel leistete wenig Widerstand. Er fiel jäh auseinander, als ich ihn zu meinem Feuer trug, und sein Inhalt rollte klingend auf den schadhaften Steinboden.

Der Atem stockte mir vor übergroßer Freude.

Dublonen, Sonnenkronen, Gulden rollten aus der speckigen, nassen Hülle und blitzten im Scheine der tanzenden Flammen.

Ich lachte, schrie und hüpfte um das Feuer. Ich ließ den Segen durch meine ungewaschenen Finger rinnen, schüttelte die Münzen in meinen Hut, streichelte sie, drehte einzelne Stücke zwischen Daumen und Zeigefinger, daß sie die Glut widerspiegelten, pflasterte den Boden damit und warf Dukaten in die Luft, um sie wieder aufzufangen oder die entrollten zwischen dem Schutt zu suchen.

Dann aber gewann die Vernunft die Oberhand. Wie leicht konnte der Feuerschein, mein närrisches Schreien und Stampfen Vorübergehende anlocken und mich und meinen Hort verraten!

In großer Hast und doch behutsam zerriß ich mein schweißverklebtes Hemd und fertigte durch Knüpfen und Falten eine Art Geldkatze an, in der ich die nicht unbeträchtliche Zahl der Goldstücke barg und an meinem bloßen Leib versteckte. Als ich mit allem fertig war, warf ich das glosende Holz auseinander und stieg bedächtig den Ruinenhügel hinunter, um die nächste Stadt noch am hellen Tage zu erreichen. Dies gelang mir, und nach kurzem Schleichen, Suchen und vorsichtigem Fragen fand ich den Laden eines Trödlerjüden.

Ich sagte ihm, daß ich ein entlaufener Soldat sei und vor allem einiger Kleider, Wäsche und Schuhe sowie eines warmen Mantels benötige. Das Glück wollte, daß ich an einen leidlich ehrlichen Mann geraten war, der mich, zwar nicht wohlfeil, aber auch nicht mit unmäßigem Gewinn ausstaffierte, ja mir gegen gutes Geld ein Bad rüsten ließ und eine Salbe besorgte, die mich von der Qual des Ungeziefers befreite. Lästig war mir nur die Eile, mit der alles dies vor sich gehen mußte, und die sichtlich wachsende Unruhe des Menschen, als das Tageslicht mählich zu schwinden begann.

Endlich aber ward mir sein Drängen lästig, und ich fragte ihn barsch, ob das auserwählte Volk auf solche Art Gastfreundschaft übe und wie er es gering zu schätzen scheinen daß ich ihn gutwillig ein schönes Stück Geld habe verdienen lassen. Denn mir sei wohlbekannt, zu welchem Preis getragene Wäsche und Kleidung gehandelt würden. Trotzdem hätte ich das Erhaltene ohne Murren bezahlt, als sei es eben erst aus der Werkstatt des Schneiders und Pfaidlers hervorgegangen. Da lachte der Jüd und sagte:

»Dem Herrn ist wohl auch ein Dienst geleistet worden, daß er sich in aller Stille und Heimlichkeit hat mögen reinigen und ausstatten, so daß der Bettelvogt nicht einmal nach ihm schaut, wenn er über die Straße geht. Wäre der Herr ein Ben Jisroel, einer von meine Leut', so wäre es mir eine Freude, ihn zu herbergen. Weil der Herr aber ist von den andern, so darf es nicht sein. Denn es geht gen Freitag abends den wir Juden nennen Eref Schabbiss und ist es gegen unsern Brauch, Fremde in unserem festlichen Hause zu leiden. Der Herr möge verzeihen; ich weiß wohl, daß er ist ein Purez, ein vornehmer Mann, dem etwas widerfahren ist bei den Balmachomim, und er möge in Frieden seines Weges ziehen und entschuldigen, daß es nun einmal nicht kann anders sein!«

Dabei riß er mit einem tiefen Bückling die eisenbeschlagene Tür seines Ladens auf und winkte mir höflich, zu gehen.

Erst als ich draußen auf der Straße stand, kam es mir in den Sinn, daß er in seiner Art ehrlich gegen mich gehandelt hatte. Denn es wäre ihm ein leichtes gewesen, mich in seinem Hause zu halten und den unweit in ihren Winterquartieren liegenden Truppen des Königs zu verraten. Trotz des Waffenstillstandes hätten sie mich ausheben und verschleppen können, und dem Juden wäre bei einigem Geschick nicht nur eine Belohnung, sondern auch das bei mir verborgene Geld, das seinen geschwinden Augen nicht unbemerkt geblieben war, sicher gewesen. So war ich nicht durch meine Klugheit, sondern durch mein gutes Glück größter Leibes- und Lebensgefahr entronnen.

 


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