Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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43.

Zehn Jahre nach dem Untergang Pompejis schrieb Glaukus aus Athen an seinen Freund Sallust einen Brief.

»Du forderst mich auf, Dich in Rom zu besuchen – nein, Sallust, komm lieber zu mir nach Athen! Ich habe die kaiserliche Stadt, ihr geräuschvolles Treiben und ihre eiteln Freuden aufgegeben. Ich will jetzt für immer in meinem Vaterlande bleiben. Der Geist unserer verschwundenen Größe sagt mir mehr zu als Euer glänzendes, prächtiges Leben. – Es liegt für mich ein Zauber, den kein anderer Ort zu gewähren vermag, in den durch jene ehrwürdigen Schatten noch geheiligten Säulengängen. In den Olivenhainen des Ilissus höre ich noch die Stimme der Poesie – auf den Höhen von Phyle scheinen die Wolken des Zwielichts mir noch die Leichentücher der entschwundenen Freiheit zu sein. Du lächelst über meine Begeisterung, Sallust! Du sagst, es scheine Dir unmöglich, daß ich unter diesen melancholischen Ruinen früherer Majestät des Lebens mich erfreuen könne. Du beschreibst mir mit Entzücken den Glanz von Rom und den Luxus des kaiserlichen Hofes. Mein Sallust, ich bin nicht mehr, der ich einst war! Die Schicksale meines Lebens haben das heiße Blut meiner Jugend abgekühlt. Meine Gesundheit hat, seitdem ich die Qualen der Krankheit gefühlt und in der dumpfen Luft eines Kerkers geschmachtet habe, ihre frühere Spannkraft nie wiedergewonnen. Mein Gemüt kann der trüben Erinnerung an den letzten Tag von Pompeji sich noch nicht entschlagen – an jene fürchterlichen Verwüstungen – an unsere geliebte, treue Nydia! Ich habe ihrem Andenken ein Monument erbaut und sehe es täglich aus dem Fenster meines Studierzimmers. Jone sammelt die Blumen, aber ich selbst schmücke täglich ihr Grabmal mit denselben. Sie war eines Monuments in Athen würdig!

Du schreibst mir, daß die Sekte der Christen in Rom sehr viele Anhänger gewinne. Sallust, Dir darf ich wohl mein Geheimnis anvertrauen, ich habe viel über diesen Glauben nachgedacht und ihn schließlich angenommen. Nach dem Untergang von Pompeji traf ich nochmals mit Olinthus zusammen; der zwar damals gerettet wurde, aber später als ein Märtyrer seines unbezwinglichen Eifers gefallen ist. Er lehrte mich, an die Allmacht des unbekannten Gottes glauben. Auch meine geliebte Jone bekennt sich ebenfalls zu diesem Glauben, der uns die Gewißheit eines ewigen Lebens gibt. Besuche mich, o Sallust, bringe die Schriften des Epikur, des Pythagoras, des Diogenes mit, aber bereite dich auf deine Niederlage vor, und laß uns in den Hainen der Akademie unter der Leitung eines sichereren Führers, als jemals unseren Vätern gewährt wurde, über das wichtige Problem der wahren Zwecke des Lebens und über das Wesen unseres Geistes disputieren.

Jone sitzt neben mir, indem ich schreibe. Ich erhebe meine Augen und begegne ihrem Lächeln. Die milde Sonne bescheint den Hymettus, und in meinem Garten höre ich die Bienen summen. Du fragst, ob ich glücklich bin! Oh, was kann Rom mir Besseres geben, als ich jetzt in Athen besitze! Hier erregt alles die heiligsten Gefühle – die Haine, die Hügel, alles erinnert an das alte, herrliche Athen. Und Jone ist hier. Sallust, wenn irgend etwas mich kann vergessen lassen, daß ich ein Athener und nicht frei bin, so ist es die beglückende, innige Liebe der Jone – eine Liebe, die in unserem neuen Glauben an Kraft und Innigkeit noch gewonnen hat – eine Liebe, welche keiner unserer Dichter, so trefflich sie auch sein mögen, jemals in der Beschreibung erreicht hat. Und wenn diese unsere Liebe mich teilweise aufrecht erhielt in meinem Unwillen über die Entbehrung der Freiheit, so unterstützt mich die Religion noch mehr. Denn wenn ich das Schwert ergreifen und zu einem neuen Marathon eilen möchte, so fühle ich meine Verzweiflung bei dem demütigenden Gedanken an die Ohnmacht meines Vaterlandes wenigstens durch den Gedanken gemildert, daß der Ruhm einiger Jahre von wenig Bedeutung ist in der Ewigkeit, daß es keine vollkommene Freiheit gibt, bis der Geist von allen Banden und Ketten des Staubes erlöst ist. Und doch Sallust, kann mein Glaube noch nicht ganz dem leichten griechischen Sinn entsagen. Ich kann den Eifer derjenigen nicht teilen, welche Verbrechen und ewige Verdammnis in jedem anderen Glauben sehen. Ich wage es nicht, anders Glaubende zu verfluchen; ich bitte den Allmächtigen, daß er sie bekehren möge. Diese Duldsamkeit macht viele meiner christlichen Brüder mißtrauisch gegen mich, aber ich vergebe ihnen. Und da ich auf diese Weise die Vorurteile der Menge nicht öffentlich verletze, bin ich instand gesetzt, meine Glaubensgenossen vor der Strenge der Gesetze sowie vor den Folgen ihres eigenen Eifers zu schützen.

So ist mein Leben, Sallust – so sind jetzt meine Gesinnungen. Sie lehren mich, glücklich leben und ruhig dem Tode entgegensehen. Und Du, gutmütiger und freundlicher Schüler des Epikur, komm zu uns und überzeuge Dich, welches unsere Genüsse, welches unsere Hoffnungen sind, und weder der Glanz der kaiserlichen Feste, noch der wilde Jubel des Volkes im Zirkus, noch das geräuschvolle Forum, noch die herrlichen Gärten und Bäder Roms werden Dir fernerhin ein ungetrübteres Leben voll reiner und beseligender Genüsse darzubieten vermögen als das, welches Du ohne Grund bedauerst als das Leben Glaukus, des Atheners! Lebewohl!« Im Jahre 79 nach Christi Geburt ist Pompeji zerstört worden. Beinahe siebzehn Jahrhunderte waren verflossen, als im Jahre 1750 die Stadt in ihrem stillen Grabe wieder aufgedeckt wurde. Ihre Wände waren noch frisch bemalt, keine Farbe war verblichen auf dem reichen Mosaik der Fußböden. Auf dem Forum standen noch die halb vollendeten Säulen, vor den Bäumen in den Gärten der Opferdreifuß, in den Hallen die Schatzkiste, in den Bädern die Striegel. Man fand in den Theatern die Einlaßkarte, in den Sälen die Möbel und Lampen, in dem Triklinium die Überbleibsel des letzten Mahls, in dem Cubilicum die wohlriechenden Salben und die Schminke der untergegangenen Schönheit, und überall die Gebeine derer, die einst jene prächtige Szene des Luxus belebten.

In den gewölbten Kellern unter der Villa des Diomedes wurden nahe an einer Tür zwanzig Skelette gefunden (unter denen das eines Kindes), die durch einen feinen Aschenstaub bedeckt waren, der ohne Zweifel nach und nach durch die Öffnungen gedrungen war, bis er den ganzen Raum erfüllt hatte. Auch fand man Juwelen und Münzen, Kandelaber und Wein, welcher in der Amphora für ein unsterbliches Leben verhärtet zu sein schien. Der durch die Dämpfe getrocknete feuchte Staub hatte wie in einem Abguß die Gestalten der Leichen abgeformt, und der Wanderer kann noch jetzt den Abdruck eines weiblichen Nackens und Busens von jugendlichen und schönen Verhältnissen sehen – ein Andenken an die unglückliche Julia! Es scheint, als sei die Luft nach und nach mit schwefligen Dämpfen erfüllt worden, die Menschen, die sich in dem Keller befanden, waren nach der Tür geeilt, die jedoch durch Schlacken und Steine von außen gesperrt war, und während ihrer Bemühungen, sie zu öffnen, waren sie erstickt. In dem Garten fand man ein Skelett mit einem Schlüssel in der knöchernen Hand, und neben demselben einen Beutel mit Münzen. Man glaubt, daß dieses das Skelett des Besitzers des Hauses, des unglücklichen Diomedes, gewesen sei, der wahrscheinlich durch den Garten entfliehen wollte, und entweder durch die Dämpfe erstickt oder durch ein Felsenstück zu Boden geschlagen wurde.

Die Häuser des Sallust und des Pansa, der Tempel der Isis mit dem heimlichen Versteck für den Priester, welcher das Orakel der Göttin darstellte, stehen jetzt der Untersuchung der Neugierde offen. In einer Kammer des Tempels fand man ein Skelett mit einem Beil neben demselben, zwei Wände waren bereits durchhauen, der Unglückliche konnte nicht weiter. In der Mitte der Stadt fand man ein anderes Skelett, neben welchem ein Haufen Gold und einige mystische Zieraten aus dem Tempel der Isis lagen. Der Tod hatte den Geizigen überrascht, und Kalenus kam mit dem Burbo zugleich um! Als die Arbeiter den Schutt um eine gefallene Säule forträumten, fand man das Skelett eines Mannes, welches durch die Säule buchstäblich mittendurch gespalten war. Der Schädel war von auffallender Bildung. Noch nach Jahrhunderten kann der Wanderer jene weite Höhlung betrachten, in deren labyrinthischen Gängen einst der Geist des Arbaces, des Ägypters, dachte und träumte.


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