Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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32.

Die zweite Nacht des Verhörs war bereits angebrochen, und es war fast um die Zeit, in der Sofia sein Schicksal erfahren sollte, als in dieselbe Tür, welche der Sklave offengelassen hatte, nicht einer jener geheimnisvollen Geister der Luft, sondern der schwerfällige und ganz irdische Isispriester Kalenus eintrat. Er achtete kaum auf die Opfer, welche der fromme Sofia für den unsichtbaren Gast hingestellt hatte.

»Irgendein Opfer«, dachte er, »für den Gott der Gärten. Aber jetzt zu Arbaces! Die Sache ist zwar nicht ungefährlich, aber ich habe das Leben des Ägypters doch in der Gewalt. Wie hoch wird er es wohl anschlagen?«

Indem er so mit sich selbst sprach, ging er durch den offenen Hof in das Peristyl, wo hier und da noch eine Lampe brannte, und plötzlich trat ihm Arbaces aus einem der Zimmer, die auf den Säulengang gingen, entgegen.

»Ha, Kalenus, suchst du mich?« sagte der Ägypter, und es war einige Verlegenheit in seinem Benehmen zu bemerken. »Ja, weiser Arbaces, ich hoffe, mein Besuch kommt nicht ungelegen?«

»Nein, durchaus nicht. Aber ich habe infolge meiner Krankheit ein Bedürfnis nach frischer Luft, laß uns in den Garten gehen.«

»Sehr gern«, erwiderte der Priester, und die beiden Freunde spazierten langsam auf einer Terrasse umher, die, mit marmornen Blumenvasen besetzt, sich in dem Garten erhob. »Es ist eine herrliche Nacht,« sagte Arbaces, »so schön und heiter wie jene, in der ich vor zwanzig Jahren zum erstenmal die Gestade Italiens erblickte. Mein Kalenus, ich werde älter, aber ich will das Leben noch so gut genießen, als ich kann.«

»Du darfst dich dessen wohl rühmen«, sagte Kalenus, der nur eine Gelegenheit suchte, um das Geheimnis mitzuteilen. »Du hast unermeßliche Reichtümer, eine unerschütterliche Gesundheit! Und in diesem Augenblick bist du des Sieges über deinen gefährlichsten Feind sicher.«

»Du meinst den Athener? Ja, morgen wild er wohl zum Tode verurteilt werden. Der Senat läßt nicht nach. – Aber du irrst, wenn du ihn für meinen Feind hältst; sein Tod gewährt mir keinen anderen Vorteil, als daß er mich von einem Nebenbuhler befreit. Ich fühle weiter keinen Haß gegen jenen unglücklichen Mörder.«

»Mörder!« wiederholte Kalenus mit einem besonderen Nachdruck und heftete dabei seine Blicke fest auf Arbaces. »Es schadet nichts, daß man ihm dieses Verbrechen aufbürdet, aber du weißt von allen Menschen am besten, daß er unschuldig ist.«

»Erkläre dich deutlicher«, sagte Arbaces mit kalter Ruhe, denn er war bereits vorbereitet auf das, was er schon geahnt hatte.

»Arbaces«, erwiderte Kalenus mit leiser Stimme. »Ich war in dem heiligen Hain, versteckt in dem Gebüsch, welches die Kapelle umgibt. Ich hörte und sah alles, was vorfiel. Ich sah, wie du die Brust des Apäcides durchbohrtest. Ich tadle nicht die Tat, sie vernichtete einen Feind und einen Abtrünnigen.«

»Du sahst alles!« erwiderte Arbaces trocken. »Ich dachte es mir. Du warst allein?« »Allein«, erwiderte Kalenus, erstaunt über die Kaltblütigkeit des Ägypters.

»Und weshalb hattest du dich in jener Stunde dort versteckt?«

»Weil ich gehört hatte, daß Apäcides zum christlichen Glauben übergetreten sei. Weil ich wußte, daß er dort mit dem wilden Olinthus zusammentreffen würde, um Pläne zu verabreden, wie sie die heiligen Geheimnisse unserer Göttin dem Volke verraten wollten, und ich war dort, um ihre Absicht vereiteln zu können.«

»Hast du irgend jemand schon mitgeteilt, was du dort sahest?«

»Nein, mein Gebieter, das Geheimnis ruht noch verschlossen in der Brust deines Dieners.«

»Wie, selbst dein Verwandter Burbo weiß es nicht? Sei aufrichtig!« ,

»Bei den Göttern! Bei der Furcht vor deiner Rache! Er weiß es nicht!«

»Und aus welchem Grunde hast du bisher dieses Geheimnis vor mir verborgen? Weshalb hast du gewartet, bis das Todesurteil des Atheners bevorsteht, ehe du mir sagst, daß Arbaces ein Mörder ist? Und da du so lange gezögert, warum erzählst du mir es jetzt?«

»Weil – weil –« stammelte Kalenus verwirrt und erbleichend.

»Weil,« erwiderte Arbaces mit einem freundlichen Lächeln und indem er dem Priester vertraulich auf die Schulter klopfte, »weil du – mein Kalenus – mich erst gänzlich wolltest in die Untersuchung mit verwickeln lassen, so daß mir kein Ausweg mehr bliebe – damit dann nicht allein der Mord, sondern auch Meineid und Bosheit mir nachgewiesen werden könne. Und du teilst mir dein Geheimnis jetzt mit, bevor das Verhör geschlossen und der Unschuldige verurteilt ist, um mir zu beweisen, welch ein schändliches Gewebe du morgen mit einem Wort zerstören könntest. Und jetzt in der letzten Stunde willst du mit mir um den Preis deiner Verschwiegenheit feilschen! Ist es nicht so?«

»Arbaces,« entgegnete Kalenus, dem alle Kühnheit seines Charakters entwichen war, »du bist ein Zauberer, du liesest in den Herzen der Menschen.«

»Es ist mein Beruf!« antwortete der Ägypter freundlich lächelnd. »Nun, so schweige, und wenn alles vorüber ist, will ich dich reich machen.«

»Entschuldige«, sagte der Priester, dem der Geiz, seine Hauptleidenschaft, schnell zuflüsterte, er möge von dem Versprechen einer noch zu erwartenden Großmut sich nicht abhängig machen. »Entschuldige, du hast recht, wir beide kennen uns. Wenn du willst, daß ich schweigen soll, so mußt du mir etwas voraus bezahlen. Wenn die Rose, jenes süße Bild der Verschwiegenheit, fest wurzeln soll, so mußt du noch in dieser Nacht sie mit einem goldenen Strom bewässern.«

»Wie witzig und poetisch!« erwiderte Arbaces, noch immer in jenem süßen Tone, der seinen gierigen Genossen, statt daß er ihn beruhigte und ermutigte, hätte beängstigen und abschrecken sollen. »Willst du nicht bis morgen warten?«

»Wozu dieser Aufschub? Wenn ich mein Zeugnis nicht mehr geben kann, ohne den Vorwurf hören zu müssen, warum es nicht geschehen sei, ehe der unschuldige Mann verurteilt worden, so würdest du vielleicht meine Forderung zurückweisen.«

»Nun wohl, Kalenus, was soll ich dir bezahlen?«

»Dein Leben ist sehr kostbar, und dein Reichtum ist sehr groß«, erwiderte der Priester grinsend.

»Witzig und immer witziger. Sprich, nenne die Summe!«

»Arbaces, ich habe gehört, daß du in deiner geheimen Schatzkammer, unter jenen festen Gewölben, auf denen dieses stattliche Gebäude ruht, ganze Haufen Goldes und kostbare Vasen und Edelsteine hast, welche fast mit den glänzenden Schätzen des Nero es aufnehmen können. Du kannst genug davon entbehren, ohne daß es dir fühlbar würde, um Kalenus zu dem reichsten Priester Pompejis zu machen.«

»Komm, Kalenus«, sagte Arbaces mit verbindlichem, scheinbar aufrichtigem Wesen. »Du bist ein alter Freund und warst mir immer ein treuer Diener. Du kannst nicht beabsichtigen, mein Leben in Gefahr zu bringen, so wenig, als ich gesonnen sein kann, dir deine Belohnung zu verkürzen. Du sollst mit mir in jene Schatzkammer gehen, du sollst deine Augen weiden an dem Glanz ungezählter Goldstücke und unschätzbarer Edelsteine, und ich will dir als Belohnung gestatten, heute nacht so viel mitzunehmen, als du unter deinem Gewände verbergen kannst. Wenn du nur einmal gesehen hast, wie reich dein Freund ist, so wirst du dich überzeugen, wie töricht es wäre, einen Mann zu beleidigen, den Fortuna so begünstigt hat. Wenn Glaukus nicht mehr lebt, sollst du der Schatzkammer noch einen Besuch machen. Handle ich nicht aufrichtig und als Freund?«

»O größter, bester der Menschen«, sprach Kalenus, indem er vor Freude weinte. »Kannst du so meine beleidigenden Zweifel über deine Gerechtigkeit, deine Großmut vergelten?«

»Still – wir wollen gleich in die Gewölbe hinabsteigen.«


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