Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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2.

Der Himmel hatte dem Glaukus jedes Glück gewährt, eines ausgenommen; er war schön, kräftig, wohlhabend, geistreich, von berühmter Herkunft, feurigen Temperaments, poetischen Gemütes; aber es fehlte ihm die Erbschaft der Freiheit.

Er war als römischer Untertan in Athen geboren. Schon frühzeitig zu einer bedeutenden Erbschaft gelangt, hatte er der Neigung für das Reisen, die in der Jugend so natürlich ist, sich hingegeben, und sich in den glänzenden Vergnügungen des kaiserlichen Hofes berauscht.

Er war ein Alcibiades ohne Ehrgeiz. Er war, was ein junger, reicher, talentvoller Mann bald wird, wenn die Begeisterung des Ruhms ihm fremd bleibt. Sein Haus in Rom war Gegenstand der Unterhaltungen aller Genußsüchtigen, aber auch aller Kunstfreunde, seine Wohnung in Pompeji entzückte mit ihren Gemälden und Mosaikarbeiten jeden Kenner. Glaukus war ein leidenschaftlicher Verehrer der Poesie und besonders der dramatischen, welche den Geist und Heldenmut seines Geschlechts vergegenwärtigt, und sein schönes Haus war mit Darstellungen aus dem Äschylus und Homer geziert. Es gehörte übrigens nicht zu den größten, wohl aber zu den vollendetsten und prachtvollsten Privatwohnungen in Pompeji, und sein Besitzer wurde um seinetwillen viel beneidet.

Man trat durch einen langen, engen Gang in die Halle, auf deren Fußboden ein Hund in Mosaik abgebildet war, mit dem wohlbekannten »Cave canem« oder: »Nimm dich vor dem Hunde in acht«. Zu jeder Seite befand sich eine ziemlich geräumige Kammer, denn da der innere Teil des Hauses nicht groß genug war, um die beiden Abteilungen der Zimmer zum Privat- und zum öffentlichen Gebrauch zu enthalten, so wurden diese beiden Kammern besonders für den Empfang derjenigen Besuchenden bestimmt, die durch ihren Rang oder durch genauere Bekanntschaft nicht geeignet waren, in das Innere eingelassen zu werden.

Von der Halle kam man in das mit wundervollen Gemälden geschmückte Atrium. Die Bilder stellten den Abschied des Achilles von der Briseis dar.

An der einen Seite des Atriums führte eine schmale Treppe zu den Kammern für die Sklaven im oberen Stock. Auch befanden sich dort zwei oder drei kleine Schlafzimmer, auf deren Wänden die Entführung der Europa, die Schlacht der Amazonen usw. dargestellt waren.

Darauf trat man in das Tablinium, an dessen beiden Enden reiche Teppiche, mit tyrischem Purpur gefärbt, hingen, die halb zurückgezogen waren. An der Wand war ein Dichter dargestellt, wie er einem Freunde Verse vorlas, und in den Fußboden eine kleine, aber herrliche Mosaik eingefügt, welche Beziehung auf den Unterricht hatte, den ein Schauspieldirektor seinem Personal gab. Durch diesen Saal gelangte man in das Peristil, das den Abschluß des Hauses bildete. Von jeder der sieben Säulen, die diesen Hof zierten, hingen Blumengewinde herab. Das Innere, welches die Stelle eines Gartens vertrat, war mit den seltensten blühenden Blumen in weißmarmornen Vasen besetzt, die auf Piedestalen standen. An der linken Seite dieses kleinen Gärtchens befand sich eine kleine Nische. Sie war den Penaten geheiligt; vor ihr stand ein bronzener Dreifuß. An der linken Seite des Säulenganges waren noch zwei kleine Schlafzimmer; an der rechten das Triklinium, in welchem die Gäste jetzt versammelt waren.

Um den Tisch von Zitronenholz, der glatt poliert und mit Arabesken in Silber ausgelegt war, standen die drei Ruhebetten, die damals in Pompeji noch gebräuchlicher waren als der halbrunde Sitz, der seit kurzem in Rom Mode geworden; und auf diesen Ruhebetten von Bronze, die noch mit Arbeiten von kostbaren Metallen geziert waren, lagen dicke Matratzen mit feiner Stickerei, die elastisch dem Druck nachgaben.

»Ich muß wirklich gestehen,« sagte der Ädil Pansa, »daß dein Haus, wenn es auch klein ist, doch in seiner Art einem kostbaren Edelstein gleicht. Wie schön ist der Abschied des Achilles von der Briseis dargestellt! – Welcher Stil – welche Köpfe – welche, hm!«

»Ein Lob des Pansa über solche Gegenstände ist wirklich schätzbar«, sagte mit ernsthafter Miene Klodius. »Auch sind die Gemälde an seinen Wänden – wahrlich, sie sind der Hand eines Zeuxis nicht unwürdig!«

»Du schmeichelst mir, mein Klodius; du schmeichelst in der Tat«, erwiderte der Ädil, der in ganz Pompeji bekannt dafür war, daß er die schlechtesten Gemälde hatte, denn er war ein Patriot und beschäftigte nur die pompejanischen Künstler. »Du schmeichelst mir; aber die Gemälde sind recht hübsch in den Farben wie in der Zeichnung – und die in der Küche sind ganz von meiner Erfindung.«

»Was stellen sie dar?« fragte Glaukus. »Ich habe deine Küche noch nicht gesehen, wenn ich auch oft Gelegenheit hatte, die Vortrefflichkeit der Speisen zu bewundern.« »Es ist ein Koch, mein Athener, welcher die Beweise seiner Geschicklichkeit auf dem Altar der Vesta darbringt, nämlich eine schöne Muräne (nach dem Leben gemalt), es ist doch wohl genug Erfindung darin!«

In diesem Augenblick traten die Sklaven ein und brachten die ersten Einleitungspfeifen zum Mahl. Zwischen köstlichen Feigen, frischen, mit Schnee bestreuten Kräutern und Eiern wurden kleine Becher eines herrlichen, mit etwas Honig vermischten Weines aufgestellt. Darauf überreichten junge Sklaven jedem der fünf Gäste (denn größer war ihre Anzahl nicht) ein silbernes Becken mit wohlriechendem Wasser und Handtücher mit einer purpurnen Einfassung. Doch der Ädil zog sein eigenes Tuch hervor, welches zwar nicht von so feiner Leinwand, aber dessen Rand sehr breit war, und trocknete seine Hände auf eine Weise, welche die Bewunderung in Anspruch zu nehmen berechnet war.

»Du hast da ein schönes Tuch,« sagte Klodius, »die Borte ist so breit wie ein Gürtel.«

»Oh, es ist nichts Besonderes, mein Klodius! Man sagt mir, daß dieses die neueste Mode zu Rom ist, doch Glaukus versteht mehr von diesen Sachen als ich.«

»Sei uns günstig, o Bacchus!« sagte Glaukus, indem er sich ehrerbietig gegen ein schönes Bild des Gottes neigte, das mitten auf dem Tische stand, an dessen Enden die Laren und die Salzfässer aufgestellt waren. Die Gäste stimmten in diese Anrufung mit ein, und indem sie Wein auf den Tisch sprengten, vollbrachten sie die gewöhnliche Libation.

Nachdem dies geschehen war, nahmen die Gäste ihre Plätze auf den Ruhebetten ein, und das Mahl begann.

»Möge dieser Becher mein letzter sein,« sagte der junge Sallust, als die zu Erregung des Appetits zuerst aufgetragenen Speisen abgenommen waren, die eigentlichen Gerichte folgten und ein Sklave ihm ein bis an den Rand gefülltes Trinkgefäß überreichte, »möge dieser Becher mein letzter sein, wenn dieses nicht der beste Wein ist, den ich je zu Pompeji getrunken habe!«

»Bringe die Amphora her«, sagte Glaukus, »und lies den Jahrgang des Weines.«

Der Sklave beeilte sich, der Gesellschaft mitzuteilen, daß das Alter von vierzig Jahren und der Geburtsort Chios angegeben sei.

»Wie köstlich der Schnee ihn gekühlt hat«, sagte Pansa.

»Er ist wie die Erfahrung eines Mannes,« bemerkte Sallust, »der seine Leidenschaften hinlänglich abgekühlt hat, um ihnen desto mehr Genuß gewähren zu können.«

»Er ist wie das Nein! eines Weibes,« fügte Glaukus hinzu, »es kühlt ab, um nur noch mehr das Feuer anzufachen.«

»Wann findet wieder ein Kampf wilder Tiere statt?« fragte Klodius den Pansa.

»Er wurde für den 9. Idus des August festgesetzt«, erwiderte Pansa. »Wir haben einen herrlichen jungen Löwen für dieses Fest.«

»Wer soll ihm vorgeworfen werden?« fragte Klodius. »Ach, es ist ein großer Mangel an Verbrechern. Du mußt auf jeden Fall irgendeinen Unschuldigen oder sonst jemand für den Löwen verurteilen, Pansa!«

»Allerdings habe ich seit kurzem ernstlich darüber nachgedacht«, erwiderte der Ädil gravitätisch. »Es ist ein schändliches Gesetz, welches uns untersagt, unsere eigenen Sklaven den wilden Tieren vorzuwerfen. Ich kann es nicht anders nennen als eine Verletzung des Besitzes selbst, wenn wir über unser Eigentum nicht mehr nach freiem Willen schalten dürfen.«

»In den guten, alten Zeiten der Republik war es anders«, seufzte Sallust.

»Überdem entbehrt durch diese vermeintliche Milde gegen die Sklaven das arme Volk so viel. Wie gern sieht es einen tüchtigen Kampf zwischen einem Menschen und einem Löwen. Und dieses unschuldigen Vergnügens darf es nicht mehr genießen, solange dieses verwünschte Gesetz besteht, wenn die Götter uns nicht einen tüchtigen Verbrecher schicken.«

»Welche Staatskunst kann schlechter sein«, sagte Klodius, »als jene, die die mannhaften Vergnügungen des Volks untersagt?« Hier wurde die Unterhaltung für einen Augenblick durch einen Tusch von musikalischen Instrumenten unterbrochen, und zwei Sklaven traten mit einem einzelnen Gericht ein.

»Ach, welchen Leckerbissen hast du noch für uns aufgehoben?« fragte der junge Sallust mit funkelnden Augen.

Sallust war nur vierundzwanzig Jahre alt, doch kein Lebensgenuß ging ihm über das Essen – vielleicht hatte er alle anderen erschöpft; doch war er nicht ohne Talente und hatte ein vortreffliches Herz, soweit es ihm treu blieb.

»Ich kenne, beim Pollux, dieses Gericht!« rief Pansa. »Es ist Lammfleisch von Ambracia. Ha! Wir müssen für den neuen Ankömmling noch eine Libation darbringen.«

»Ich hatte gehofft,« sagte Glaukus mit einem leisen Bedauern in seiner Stimme, »auch einige Austern aus Britannien vorsetzen zu können, aber die ungünstige Witterung hat die rechtzeitige Ankunft des Schiffes verhindert.«

»Sind sie wirklich so köstlich?« fragte Lepidus, indem er den Gürtel seiner Tunika noch weiter löste.

»Ich vermute, dass bloß die Entfernung ihren großen Wert bestimmt; sie haben nicht den würzigen Geschmack der brundisischen Auster. Zu Rom jedoch hält man ohne sie kein Abendmahl für vollständig.«

»Die armen Briten!« sagte Sallust. »Sie haben doch wenigstens etwas Gutes; sie liefern uns Austern!«

»Ich wollte, sie lieferten uns einen Gladiator«, sagte der Ädil, der immer noch mit den Bedürfnissen des Amphitheaters beschäftigt war.

»Bei der Pallas!« rief Glaukus, als sein Lieblingssklave einen neuen Kranz um sein Haupt wand. »Mir gefallen diese wilden Schauspiele wohl, solange die Bestie mit der Bestie kämpft, aber wenn ein Mensch, ein Mann mit Fleisch und Blut wie wir, gleichgültig in die Arena getrieben und ihm Glied für Glied abgerissen wird, so ist dieser Anblick mir zu schrecklich; mir fängt an zu schwindeln, der Atem stockt mir und es treibt mich, hinabzueilen und ihn zu verteidigen. Das Freudengeschrei des Volkes erscheint mir fürchterlicher als die Stimmen der Orestes verfolgenden Furien. Ich freue mich, dass in dem nächsten Kampfspiel so wenig Aussicht für jene blutige Darstellung vorhanden ist!«

Der Ädil zuckte verständnislos die Schulter, und alle Anwesenden starrten Glaukus verwundert oder befremdet an. Dieser ließ sich aber nicht beirren.

»Ihr Italiener seid allerdings an diese Schauspiele gewöhnt, wir Griechen sind milder. Oh, Schatten des Pindar! – Das Entzückende eines wahrhaft griechischen Spiels – das Aufbieten aller Kräfte des Mannes gegen den Mann – der edelmütige Kampf – der halb traurige Triumph – der Stolz, einem würdigen Feinde zu begegnen, der Mißmut, ihn überwunden zu haben! Doch ihr versteht mich nicht!«

»Das Lammfleisch ist vortrefflich«, sagte Sallust.

Der Sklave, der das Vorschneideramt hatte und sich nicht wenig auf seine Geschicklichkeit zugute tat, hatte bei dem Klange der Musik eben dieses Geschäft beendigt, indem sein Messer den Takt hielt, langsam und bedächtig beginnend und im lebhaften Eifer nach den Tönen eines herrlichen Diapasons sein schwieriges Kunstwerk vollendend.

»Dein Koch ist gewiß aus Sizilien?« sagte Pansa.

»Ja, von Syrakus.«

»Ich will auf ihn wetten,« sagte Klodius, »wir wollen einmal einen Wettkampf mit Gerichten veranstalten.«

Ein solches Spiel wäre allerdings einem Tiergefecht vorzuziehen, aber ich kann die Wette auf meinen Sizilianer nicht eingehen – du hast nicht so Kostbares dagegen zu setzen!«

»Meine Phillida, meine schöne Tänzerin!«

»Ich kaufe niemals Frauen«, sagte der Grieche, indem er sich seinen Kranz zurechtschob.

Die Musikanten, welche draußen in dem Säulengang aufgestellt waren, hatten ihr Konzert mit dem Lammfleisch begonnen. Sie gingen jetzt in eine sanftere, fröhlichere, man konnte fast sagen geistreichere Melodie über und sangen ein Lied von Horaz.

»Ach, der alte, gute Horaz,« sagte Sallust teilnehmend, »er wußte wohl Feste und Mädchen zu besingen, aber nicht so gut als unsere neueren Dichter.«

»Als der unsterbliche Fulvius zum Beispiel«, bemerkte Klodius.

»Und Spuräna, und Cajus Mutius, der in einem Jahre drei epische Gedichte schrieb – konnte das Horaz oder Virgil?« sagte Lepidus. »Diese alten Dichter begingen alle den Fehler, die Bildhauerei nachzuahmen, statt die Malerei. Einfachheit und Ruhe – das machten sie sich zur Aufgabe; doch wir Neuern haben Feuer und Kraft und Leidenschaft – wir schlafen niemals ein, wir ahmen die Farben der Malerei nach, ihr Leben und ihre Handlung. Unsterblicher Fulvius!«

»Habt ihr,« fragte Sallust, »die neue Ode des Spuräna zu Ehren der ägyptischen Isis schon gehört? – Sie ist herrlich – es herrscht in ihr eine wahrhaft religiöse Begeisterung.«

»Isis scheint eine Lieblingsgottheit in Pompeji zu sein«, sagte Glaukus.

»Ja,« erwiderte Pansa, »sie steht besonders jetzt sehr in Gunst; ihre Statue hat die merkwürdigsten Orakel ausgesprochen. Ich bin nicht abergläubisch, doch muß ich bekennen, daß sie schon mehr als einmal in meinem städtischen Amte mir nützlich gewesen ist. Auch sind ihre Priester so fromm! Keine jener lustigen Diener des Jupiter oder der Fortuna; sie gehen barfuß, essen kein Fleisch und sind den größten Teil der Nacht mit Andachtsübungen beschäftigt!«

»Das ist in der Tat ein Beispiel für unsere anderen Priester! Jupiters Tempel ist der Reform sehr bedürftig«, sagte Lepidus, der gern alles reformiert hätte, außer sich selbst.

»Man sagt, Arbaces, der Ägypter, habe den Priestern der Isis einige feierliche Mysterien mitgeteilt«, bemerkte Sallust. »Er rühmt sich der Abstammung von dem Geschlecht des Ramses und behauptet, in seiner Familie seien die Geheimnisse des fernsten Altertums aufbewahrt.«

»Auf jeden Fall besitzt er die Gabe des bösen Auges,« sagte Klodius; »jedesmal, wenn mir diese Medusenstirn ohne das entzaubernde Zeichen begegnet, kann ich sicher sein, ein Lieblingspferd zu verlieren, oder neunmal hintereinander den niedrigsten Wurf im Würfelspiel zu werfen.«

»Das letztere würde allerdings ein Wunder sein!« sagte Sallust.

»Wie meinst du das?« erwiderte der Spieler mit trotzigem Blick.

»Ich meine nichts, denn das ist das, was du mir übrig ließest, wenn ich oft mit dir spielte.«

Klodius antwortete nur durch ein verächtliches Lächeln.

»Wäre Arbaces nicht so reich,« sagte Pansa, indem er sich ein wichtiges Ansehen gab, »so würde ich ihn meine Würde etwas fühlen lassen und die Wahrheit des Gerüchts untersuchen, welches ihn einen Sterndeuter und Zauberer nennt. Als Agrippa Ädil zu Rom war, verbannte er alle diese gefährlichen Bürger. Aber ein reicher Mann – es ist die Pflicht eines Ädils, die Reichen zu beschützen!«

»Was denkt ihr von jener neuen Sekte, welche, wie man mir erzählt, selbst in Pompeji einige Anhänger zählt, von jenen Jüngern des hebräischen Gottes – Christus?«

»Oh, das sind nur eitle Träumer«, sagte Klodius. »Es ist kein einziger vornehmer Mann unter ihnen. Ihre Proselyten sind arme, unbedeutende, unwissende Menschen!«

»Die jedoch für ihre Gotteslästerungen gekreuzigt zu werden verdienten«, sagte Pansa mit heftigem Ton. »Sie verleugnen die Venus und den Jupiter! Ein Nazarener ist gleichbedeutend mit einem Gottesleugner. Wenn ich sie nur fange!«

Der zweite Gang war vorbei, die Gäste dehnten sich auf ihren Ruhebetten. Es entstand eine Pause, während welcher sie auf die sanften Töne des Südens und der arkadischen Flöte hörten. Glaukus schien am wenigsten geneigt, das Stillschweigen zu brechen, doch Klodius glaubte, daß man die Zeit besser benutzen könne.

»Deine Gesundheit, mein Glaukus«, sagte er, indem er jedem Buchstaben in dem Namen des Griechen einen vollen Becher mit der Gemütlichkeit eines alten Trinkers weihte. »Willst du dein gestriges Unglück nicht wieder gutmachen? Sieh, die Würfel lächeln uns an!«

»Wie du willst«, erwiderte Glaukus.

»Würfeln im August und in Gegenwart des Ädils!« sagte Pansa, indem er sich in die Brust warf, »das ist gegen alle Gesetze.«

»Nicht in deiner Gegenwart, ehrwürdiger Pansa«, erwiderte Klodius, indem er die Würfel in einer langen Büchse schüttelte. »Deine Gegenwart untersagt jede Übertretung des Gesetzes. Doch nicht die Sache selbst verletzt, sondern nur deren Übertreibung.«

»Wie weise!« flüsterte einer der Gäste.

»Nun, so will ich denn nach einer anderen Seite sehen«, sagte der Ädil.

»Jetzt noch nicht, teurer Pansa. Laßt uns bis nach dem Essen warten«, erwiderte Glaukus.

Klodius gab halb unwillig nach, indem er sein Mißvergnügen unter einem Gähnen verbarg.

»Er kann es nicht erwarten, bis er das Geld verschlingt«, flüsterte Lepidus dem Sallust, auf eine Stelle in der Aulularia des Plautus anspielend, zu.

»Oh, wie gut kenne ich diese Polypen, die nicht loslassen, was sie einmal berührten«, antwortete Sallust, nochmals eine Stelle aus demselben Lustspiel zitierend.

Der zweite Gang, aus Früchten, Pistaziennüssen, Torten und Konfekt, die zu tausend phantastischen Formen verarbeitet waren, bestehend, wurde nun aufgetragen, und die Aufwärter stellten auch den Wein (der bisher den Gästen einzeln in Bechern gereicht worden war) in großen, gläsernen Gefäßen auf den Tisch, deren jedes auf einem Zettel anzeigte, wie alt und woher der Wein sei.

»Koste einmal diesen Lesbier, mein Pansa,« sagte Sallust, »er ist vortrefflich.«

»Er ist nicht sehr alt,« sagte Glaukus, »aber er wurde, wie wir selbst, durch das Feuer früh gezeitigt – der Wein durch die Flammen des Vulkans – wir durch die seines Weibes – der ich diesen vollen Becher darbringe.«

»Er ist köstlich,« sagte Pansa, »doch ist vielleicht ein klein wenig Rosinenduft in seiner Blüte.«

»Welch schöner Becher!« bemerkte Klodius, indem er ein Trinkgefäß von durchsichtigem Kristall emporhob, dessen Handgriff mit Edelsteinen besetzt und in der Form sich durchschlingender Schlangen, einer Lieblingsdarstellung in Pompeji, gearbeitet war.

»Dieser Ring«, sagte Glaukus, indem er einen kostbaren Juwel vom Finger zog und an den Griff hing, »gibt ihm ein noch reicheres Aussehen und macht ihn, mein Klodius, dem die Götter Gesundheit und das Glück gewähren mögen, ihn oft bis an den Rand zu füllen und zu leeren, eines Geschenks für dich weniger unwürdig.«

»Du bist zu gütig, Glaukus,« sagte der Spieler, indem er den Becher seinem Sklaven übergab, »doch dein Lob macht mir ihn doppelt wert.«

»Diesen Becher den Grazien«, sagte Pansa, und er leerte ihn dreimal. Die Gäste folgten seinem Beispiel.

Die Musik ging jetzt in eine wilde jonische Tonart über, während von jungen, lieblichen Stimmen in griechischer Sprache und in griechischem Rhythmus ein Lied gesungen wurde.

Die Gäste klatschten laut Beifall. »Freunde,« sagte Klodius, »diese jonische Melodie erinnert mich an einen Trinkspruch. Freunde, es lebe die schöne Ione!«

»Ione – der Name ist ein griechischer,« sagte Glaukus mit sanfter Stimme, »ich trinke mit Vergnügen diese Gesundheit. Aber wer ist Ione?«

»Ach, du bist erst vor kurzem wieder in Pompeji angekommen, sonst verdientest du für deine Unwissenheit verbannt zu werden«, sagte Lepidus scherzend. »Ione nicht zu kennen, heißt mit der ersten Schönheit der Stadt unbekannt sein.«

»Es ist eine seltene Schönheit,« bemerkte Pansa, »und welche Stimme sie hat!«

»Sie muß sich von Nachtigallenzungen ernähren«, sagte Sallust.

»Wisse denn, mein Glaukus,« sagte Klodius, »daß Ione eine Fremde ist, die erst seit kurzem nach Pompeji kam. Sie singt wie Sappho, und dichtet ihre Lieder selbst, und ich weiß nicht, ob sie die Musen mehr in der Tibia oder Zither oder der Leier übertrifft. Ihre Schönheit ist blendend. Ihr Haus ist vollkommen eingerichtet; so viel Geschmack – so viel Edelsteine – so herrliche Arbeiten in Bronze! Sie ist reich, und ebenso freigebig als reich.«

»Wahrscheinlich werden ihre Liebhaber«, sagte Glaukus, »dafür sorgen, daß sie nicht verhungert; und leicht gewonnenes Geld wird ebenso leicht wieder ausgegeben.«

»Ihre Liebhaber! – Das ist eben das Rätsel! Ione hat nur einen Fehler – sie ist keusch. Ganz Pompeji liegt zu ihren Füßen, und sie hat keinen Geliebten. Sie will sogar nicht heiraten.«

»Keinen Geliebten!« wiederholte Glaukus.

»Nein, sie hat zwar den Gürtel der Venus, aber auch den jungfräulichen Sinn der Vesta.«

»Das ist ja ein Wunder!« rief Glaukus. »Kann man sie nicht sehen?«

»Ich will dich diesen Abend dort einführen«, erwiderte Klodius. »Bis dahin«, fügte er hinzu, »dürften die Würfel–« »Ich bin dabei!« sagte der gefällige Glaukus. »Pansa, sieh nach einer anderen Seite!«

Lepidus und Sallust spielten gerade und ungerade, während Glaukus und Klodius die Wechselfälle der Würfel versuchten. »Beim Jupiter,« sprach Glaukus; »schon zum zweitenmal werfe ich den niedrigsten Wurf.«

»Jetzt sei mir Venus günstig«, sagte Klodius, indem er die Büchse lange schüttelte. »Oh, alma Venus – es ist Venus selbst!« – indem ihm der höchste Wurf, nach dem Namen jener Göttin benannt, gelang, »die allerdings meist denen günstig ist, die Geld gewinnen«.

»Venus ist undankbar gegen mich,« sprach Glaukus scherzend, »ich habe immer auf ihrem Altar geopfert.«

»Wer mit dem Klodius spielt,« flüsterte Lepidus, »muß bald, wie der Curculio des Plautus, sein Pallium einsetzen.«

»Der arme Glaukus!« erwiderte Sallust leise. »Er ist so blind als Fortuna selbst.«

»Ich spiele nicht mehr,« sagte Glaukus, »ich habe dreißig Sesterzien verloren.«

»Es tut mir leid«, begann Klodius.

»Kümmere dich nicht,« sprach Glaukus, »der Schmerz meines Verlustes wird durch das Vergnügen überwogen, dich gewinnen zu sehen.«

Die Unterhaltung wurde hierauf allgemeiner und lebhafter. Der Wein floß reichlicher, und Ione wurde nochmals von den Gästen des Glaukus bis in den Himmel erhoben.

»Statt mit den Sternen um die Wette zu wachen,« sagte Lepidus, »wollen wir lieber Ione besuchen, bei deren Anblick die Sterne selbst erbleichen müssen.«

Klodius, der einsah, daß, man seinen Gastgeber an diesem Abend wohl nicht wieder zum Würfelspiel bewegen würde, trat dem Vorschlag bei. Auch Glaukus konnte nicht verbergen, obgleich er seine Gäste höflich nötigte, länger bei ihm zu bleiben, daß seine Neugierde durch das Lob der Ione erregt worden sei. So beschlossen endlich alle außer Pansa, nach dem Hause der schönen Griechin zu wandern. Es wurde noch auf die Gesundheit des Glaukus und des Titus getrunken – sie brachten ihre letzte Libation dar – stiegen die Treppe hinunter, gingen durch das erleuchtete Atrium – und indem sie ungebissen über den wilden Hund schritten, der an der Schwelle auf dem Boden dargestellt war, befanden sie sich in den noch lebhaften Straßen Pompejis, als der Mond eben aufgegangen war.

Sie kamen durch den Teil der Stadt, wo die Juwelierläden sich befanden und in denen die Edelsteine den Glanz der vielen Lichter zurückwarfen, und gelangten endlich zu dem Hause der Ione. Die Halle war glänzend erleuchtet, an jeder Seite des Tabliniums hingen gestickte purpurne Vorhänge, die Wände, sowie der Fußboden von Mosaik, glühten von den lebhaftesten Farben der Künstler; und unter dem Säulengang, der das duftige Viridarium umgab, fanden sie Ione, welche bereits von vielen Anbetern und Verehrern umgeben war.

»Sagtest du nicht, sie sei eine Athenerin?« flüsterte Glaukus, bevor er in das Peristil trat.

»Nein, sie ist aus Neapel.«

»Neapel!« wiederholte Glaukus, und in diesem Augenblick sah er, als jene die Ione umgebende Gruppe auseinandertrat, die schöne Gestalt und die reizenden Züge wieder, welche vor einigen Monaten einen so großen Eindruck auf ihn gemacht hatten.


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