Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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39.

Dreimal schon war Sallust aus seinem Morgenschlaf erwacht, und dreimal hatte er, da er sich erinnerte, daß heute sein Freund umkommen solle, mit einem tiefen Seufzer wieder einzuschlafen versucht. Sein einziger Lebenszweck war, unangenehme Empfindungen zu vermeiden, und wo er dieses nicht konnte, sie wenigstens zu vergessen.

Da es ihm endlich nicht länger gelang, sich in Vergessenheit zu vergraben, so erhob er sich und sah seinen Freigelassenen, wie gewöhnlich des Morgens, neben seinem Bette sitzen. Denn Sallust, der Geschmack für die schönen Wissenschaften hatte, war gewohnt, bevor er aufstand, sich etwas vorlesen zu lassen.

»Keine Bücher heute! Hat es schon angefangen – das Amphitheater?«

»Schon lange. Hörtest du nicht, o Sallust, die Trompeten und den Lärm?«

»Ja, ja, aber den Göttern sei Dank, ich war noch schlaftrunken und brauchte mich nur auf die andere Seite zu wenden, um gleich wieder einzuschlafen.« »Die Gladiatoren müssen schon lange den Kampf begonnen haben.«

»Die Unglücklichen! Es ist doch niemand von meinen Leuten zum Schauspiel gegangen?«

»Gewiß nicht, deine Befehle waren zu bestimmt.«

»Gut – ich wollte, der Tag wäre vorbei! – Was liegt da für ein Brief auf dem Tische?«

»Oh, den Brief brachte gestern abend jemand. Soll ich ihn öffnen, Sallust?«

»Gut – vielleicht zerstreut er mich. Armer Glaukus!« ^

Der Freigelassene öffnete den Brief. »Was,« sagte er, »griechisch? Vielleicht von einer gelehrten Dame?« – Er las schnell das Schreiben, und seine Züge verrieten Verwunderung und Schrecken. »O ihr Götter! Edler Sallust, was haben wir versäumt? Höre den Inhalt des Briefes:

»Nydia, die Sklavin des Glaukus an Sallust, seinen Freund! Ich bin eine Gefangene in dem Hause des Arbaces. Eile zum Prätor, bewirke meine Befreiung, und wir können Glaukus noch von dem Löwen erlösen! In diesen Mauern befindet sich noch ein anderer Gefangener, dessen Zeugnis die Unschuld des Atheners beweisen kann, denn er sah den Mord vollbringen. Er kann den Verbrecher in einem bisher noch unverdächtigen Bösewicht nachweisen. Säume nicht! Eile! Schnell, schnell! Bringe Bewaffnete mit, für den Fall, daß Widerstand geleistet werden sollte, und einen geschickten Schmied, denn der Kerker meines Mitgefangenen ist fest verschlossen. Oh, bei deiner rechten Hand und bei der Asche deines Vaters, verliere keinen Augenblick!« ,

»O ihr Götter!« rief Sallust verzweifelt. »Und gerade jetzt in dieser Stunde stirbt er vielleicht schon. Ach, was soll ich tun? Ich will sogleich zum Prätor.«

»Nein, das ist nicht ratsam. Der Prätor muß Rücksicht auf die rasende Volksmenge nehmen, die natürlich nichts davon wissen will, daß man ihr das Opfer entreißt. Der schlaue Ägypter würde auch gewarnt werden. Es ist offenbar, daß er absichtlich das blinde Mädchen und den anderen Gefangenen eingesperrt hat. Nein, deine Sklaven sind glücklicherweise zu Hause.«

»Ich verstehe«, unterbrach ihn Sallust. »Bewaffne sogleich die Sklaven. Die Straßen sind menschenleer. Wir wollen selbst nach dem Hause des Arbaces und die Gefangenen befreien. Schnell, schnell! Holla, Davus! Mein Kleid und die Sandalen, den Papyrus und ein Rohr. Ich will an den Prätor schreiben und ihn ersuchen, er möge das Todesurteil des Glaukus noch nicht vollziehen lassen, denn in einer Stunde würde ich seine Unschuld beweisen können. So, das ist gut. Eile mit diesem Brief, Davus, zum Prätor ins Amphitheater. Sorge dafür, daß er ihm gleich übergeben wird. Jetzt, o ihr Götter, deren Dasein Epikur leugnet, seid mir günstig, und ich will den Epikur einen Lügner nennen!«

Während sich so Sallust in verzweifelter Eile daran machte, seinen Freund Glaukus zu befreien, hatte man diesen sowie den Olinthus in jene finstere, enge Zelle gebracht, in welcher die Verbrecher der Arena ihrem letzten, furchtbaren Kampfe entgegensahen. Ihre Augen, die seit kurzem an die Dunkelheit gewöhnt waren, vermieden in dieser schrecklichen Stunde, sich zu begegnen, und die bleiche Farbe, welche ihre Wangen überzog, erschien bei dem dämmernden Licht noch leichenhafter. Aber sie zitterten nicht, ihre Züge trugen den Ausdruck des Mutes und der Entschlossenheit, die Lippen waren fest zusammengekniffen. Die religiösen Überzeugungen des einen, der Stolz des anderen, das Bewußtsein der Unschuld in beiden, und vielleicht auch jener Trost, den Gesellschaft und gemeinschaftliches Unglück ihnen gewährte, erhoben die Opfer zu Helden!

»Horch! – Hörst du den Jubel? – Sie frohlocken über das Wehe ihrer Mitmenschen«, sagte Olinthus.

»Ich höre, mein Herz empört sich, aber die Götter unterstützen mich!«

»Die Götter! In dieser Stunde, o junger Mann, erkenne bloß den einen Gott. Habe ich in dem Kerker dich nicht belehrt, nicht um dich geweint, nicht für dich gebetet? Habe ich in meinem Eifer nicht mehr an deine Rettung gedacht als an meine eigene?«

»Mein treuer Freund,« erwiderte Glaukus feierlich, »ich habe dich aufmerksam und mit einer geheimen Neigung, zu deinen Glaubenssätzen mich zu bekehren, angehört. Wären wir am Leben geblieben, so hätte ich vielleicht dem deinigen mich angeschlossen, aber in dieser letzten Stunde wäre es verzagt und meiner unwürdig, wenn ich den Göttern meiner Väter entsagte, nur durch die Versprechungen deines Himmels oder durch die drohenden Qualen deiner Hölle dazu veranlaßt. Nein, Olinthus, wir wollen uns mit gegenseitiger Duldung behandeln. Sprechen wir nicht mehr von dem, was uns trennt. – Still! Hörst du, wie sie jenen schweren Körper durch den Gang schleifen? – So wie jener werden wir auch bald Staub sein.«

»O Himmel! O Christus, schon schaue ich dich!« rief Olinthus, indem er die Hände erhob. – »Ich zittere nicht; ich freue mich, daß ich bald erlöst werde aus dem irdischen Gefängnis.«

Jetzt drehte sich die schwere Tür in den Angeln, und man sah draußen Bewaffnete.

»Glaukus, deine Zeit ist gekommen«, sagte eine klare und helle Stimme. »Der Löwe erwartet dich!«

»Ich bin bereit«, sagte der Athener. »Bruder und Unglücksgefährte, laß dich zum letztenmal umarmen. Segne mich, und lebewohl!«

Der Christ öffnete seine Arme, er schloß den jungen Heiden an seine Brust. Seine heißen Tränen flossen über das Antlitz seines Freundes.

»Oh, wäre es mir gelungen, dich zu bekehren. Dann würde ich jetzt nicht weinen, dann hätte ich zu dir sagen können: wir werden uns heute abend wiederfinden im Paradiese!«

»Vielleicht geschieht es«, erwiderte der Grieche mit zitternder Stimme. »Die, welche der Tod trennt, begegnen sich vielleicht jenseits desselben wieder. Für die Erde, für die schöne, geliebte Erde – lebewohl für immer!«

Glaukus riß sich los, und als er an die Luft kam, ergriff ihn, obgleich sie heiß und dunstig war, ein kalter Schauder. Doch faßte er sich, nahm den Stilus, den man ihm reichte, und trat in die Arena. Als er hier plötzlich die Augen von vielen Tausenden auf sich gerichtet sah, fühlte er nicht länger diese Furchtempfindung. Eine fliegende Röte überzog sein bleiches Antlitz, seine jugendliche Gestalt hob sich kräftig empor.

Die Ausbrüche des Hasses und des Abscheus über sein Verbrechen, welche bei seinem Eintritt zu vernehmen waren, erstarben bald in dem Stillschweigen unwillkürlicher Bewunderung und halb bedauernder Achtung, und mit einer gewissen Angst wendeten sich die Blicke der Zuschauer von dem Athener auf einen dunklen, unförmlichen Gegenstand in der Mitte der Arena. Es war der Käfig des Löwen!

Man hatte dem Löwen seit vierundzwanzig Stunden keine Nahrung gereicht, und das Tier hatte schon während des ganzen Morgens ein sonderbares und unruhiges Mißbehagen zu erkennen gegeben, welches der Wärter den Qualen des Hungers zuschrieb. Jetzt gab der Editor ein Zeichen. Langsam wurde das Gitter vor dem Käfig fortgezogen, und der Löwe sprang mit wildem Gebrüll heraus.

Glaukus hatte eine feste Stellung gegen den bevorstehenden Angriff des Löwen angenommen und hielt seine kleine glänzende Waffe hoch in der rechten Hand, in der Hoffnung, vielleicht doch mit einem gutgezielten Stoß durch das Auge das Gehirn seines grimmigen Feindes zu treffen.

Zum unaussprechlichen Erstaunen aller aber schien der Löwe die Gegenwart des Verbrechers nicht zu beachten. Er blieb, als er aus dem Käfig gesprungen war, plötzlich stehen, hob sein Haupt empor und zog ungeduldig die obere Luft ein, darauf sprang er wieder schnell vor, aber nicht gegen den Athener. Langsam schritt er in dem Raum umher, den großen Kopf mit ängstlichem und verwirrtem Blick nach allen Seiten wendend, als suche er einen Ausweg zur Flucht. Einigemal versuchte er, über die Brustwehr zu springen, die ihn von der Versammlung trennte, und als es ihm mißlang, stieß er ein klagendes Geheul aus. Man konnte kein Zeichen von Wut oder Hunger an ihm bemerken, er schleppte den Schweif im Sande nach, und sein Blick, wenn er sich auch bisweilen gegen Glaukus wendete, kehrte sich immer bald wieder ängstlich ab. Zuletzt kroch er winselnd, als sei er erschöpft von den vergeblichen Versuchen zur Flucht, in seinen Käfig zurück und legte sich still nieder. Das erste Erstaunen der Versammlung über die Apathie des Löwen verwandelte sich bald in Zorn über seine Feigheit, und das Volk vereinigte bereits das Mitleiden mit dem Schicksal des Glaukus mit dem Bedauern über seine eigenen getäuschten Erwartungen.

Der Editor sagte zum Wärter: »Was ist das? Nimm einen Spieß, stoße den Löwen heraus, und dann mache den Käfig zu.« Als der Wärter mit einiger Furcht Anstalten machte, zu gehorchen, hörte man an einem der Eingänge in die Arena lautes Geschrei, es schien dort Verwirrung und Getümmel zu sein. Alle Augen blickten, befremdet über diese Unterbrechung, nach dem Punkt, von wo der Lärm kam. Das Volk machte Platz, und plötzlich erschien Sallust auf der Bank der Senatoren, mit verwirrtem Haar, atemlos, erhitzt, halb erschöpft. Er warf seine Blicke schnell im Kreise umher.

»Bringt den Athener fort!« rief er. »Schnell! Er ist unschuldig! Aber ergreift Arbaces, den Ägypter. Er ist der Mörder des Apäcides!«

»Bist du von Sinnen, Sallust?« sagte der Prätor, indem er von seinem Sitze aufstand.

»Bringt den Athener fort! Schnell! Oder sein Blut kommt auf euer Haupt! Prätor, dein eigenes Leben bürgt für das seine vor dem Kaiser! Ich habe einen Mann bei mir, welcher Zeuge der Ermordung des Priesters Apäcides war. Platz hier für den Priester Kalenus!«

Kalenus, der bleich und abgezehrt aussah, wurde in dieselbe Reihe geführt, in der Arbaces saß. Seine Befreier hatten ihm etwas Nahrung gereicht, aber was noch mehr seine schwachen Glieder aufrechterhielt, das war die Rache.

»Der Priester Kalenus! – Kalenus!« schrie der Pöbel. – »Ist er es? Nein, es ist eine Leiche!«

»Es ist der Priester Kalenus«, sagte der Prätor. »Was hast du zu sagen?«

»Arbaces aus Ägypten ist der Mörder des Apäcides, des Priesters der Isis. Diese Augen sahen durch ihn die Tat vollbringen. Die Götter haben mich aus dem Kerker, in den er mich warf, vor dem Hungertode, dem er mich übergab, befreit, um sein Verbrechen zu verkünden! Bringt den Athener fort, er ist unschuldig!«

»Also deshalb«, sagte Pansa, »hat der Löwe ihn verschont! Ein Wunder! Ein Wunder!«

»Ein Wunder! Ein Wunder!« wiederholte das Volk. »Befreit den Athener – werft Arbaces dem Löwen vor!«

»Bringt Glaukus fort,« sagte der Prätor, »aber bewacht ihn noch. Die Götter tun heute Wunder.«

Der Prätor wandte sich jetzt an Kalenus. »Priester der Isis«, sagte er. »Du beschuldigst den Arbaces der Ermordung des Apäcides? Sahst du selbst die Tat?«

»Prätor – mit diesen Augen –«

»Genug für jetzt – das übrige muß an einem anderen Ort und zu anderer Zeit untersucht werden. Arbaces von Ägypten, du hörst die Anklage gegen dich – du hast noch nicht gesprochen. Was hast du zu erwidern?«

Die Augen des ganzen Volkes hafteten jetzt auf Arbaces, der sich überraschend schnell gefaßt hatte. Seine braune Wange war allerdings etwas bleicher geworden, aber er richtete sich jetzt voller Stolz auf und erwiderte in jenem ruhigen und gebieterischen Tone, der ihm so sehr eigen war: »Diese Anklage, Prätor, ist so unsinnig, daß sie kaum einer Antwort würdig wäre. Mein erster Ankläger ist der edle Sallust, der intimste Freund des Glaukus! Mein zweiter ist ein Priester – ich ehre seinen Beruf und sein Gewand – aber, Volk von Pompeji! – der Charakter des Kalenus ist nicht unbekannt. Er ist geizig und goldgierig, das Zeugnis eines solchen Mannes ist zu erkaufen. Prätor, ich bin unschuldig!«

»Sallust«, sagte der Prätor. »Wo fandest du Kalenus?«

»In den Kerkern des Arbaces.«

»Ägypter«, sagte der Prätor, die Stirn runzelnd. »Du wagtest es, einen Priester einzusperren? Und weshalb?«

»Höre mich«, sagte Arbaces, indem er ruhig aufstand, wenn auch in seinen Zügen einige Verlegenheit sichtbar wurde. »Dieser Mann kam zu mir und drohte, jene Anklage gegen mich zu erheben, welche jetzt erfolgt ist, wenn ich sein Stillschweigen nicht mit meinem halben Vermögen erkaufen wolle. Ich machte ihm Vorstellungen – vergebens. Edler Prätor und Volk von Pompeji – ich bin ein Fremdling in diesem Lande – ich war mir keines Verbrechens bewußt, aber die Anklage und das Zeugnis eines Priesters konnten mich verderben. In meiner Verwirrung führte ich ihn nach der Kammer, aus der er befreit worden ist, unter dem Vorwande, meine Schätze seien dort verborgen. Ich beschloß, ihn dort eingesperrt zu halten, bis das Schicksal des wirklichen Verbrechers entschieden sei und ich die Drohungen des Priesters nicht mehr zu fürchten hätte. Weiter hatte ich keine Absicht. Übrigens, warum schwieg der Priester während der Untersuchung? Damals war er doch nicht eingesperrt. Dies erfordert eine Antwort vor Gericht. Denn ich stelle mich unter den Schutz der Gesetze. Hier ist nicht der Ort, darüber zu urteilen.«

»Er hat recht«, sagte der Prätor. »He, Wachen, bringt Arbaces fort, bewacht Kalenus! Sallust, wir machen dich verantwortlich für deine Anklage. Laßt die Spiele wieder beginnen!«

»Was!« rief Kalenus, indem er sich zum Volke wendete. »Soll unsere Göttin Isis so verachtet werden? Soll das Blut des Apäcides noch ferner schreien um Rache? Soll die Gerechtigkeit jetzt verschoben werden, damit man sie später umgehe? Zum Löwen – zum Löwen mit Arbaces!«

Die wilde Bosheit des Priesters wurde nicht länger durch seine erschöpften Kräfte unterstützt. Er sank unter heftigen Krämpfen zu Boden, der Schaum trat ihm vor den Mund, er stellte ganz den Zustand eines Mannes dar, den eine übernatürliche Macht erfaßt hatte. Das Volk sah es und schauderte.

»Ein Gott begeistert den heiligen Mann – zum Löwen mit dem Ägypter!«

Mit diesem Geschrei sprangen Tausende und aber Tausende auf! Sie drängten sich hinunter, alle nach dem Ägypter zu. Vergebens suchte der Ädil der Unordnung zu wehren, vergebens erhob der Prätor seine Stimme. Das Volk war durch das Blutvergießen bereits wild geworden – es dürstete nach mehr Blut, und sein Aberglaube vereinigte sich mit seiner Grausamkeit. Erhitzt und aufgeregt durch den Anblick seiner Opfer, gehorchte es nicht mehr den Befehlen seiner Vorgesetzten. Die Wachen hatten sich jedoch bereits längs der tiefer liegenden Stufenreihen aufgestellt, wo die höheren Klassen von den niederen getrennt saßen. Sie bildeten nur eine schwache Schranke, die wogende Menschenmasse wurde aber doch für einen Augenblick aufgehalten, so daß Arbaces gerade so viel Zeit hatte, sein Verhängnis über sich schweben zu sehen. Verzweifelt und von einer Angst erfaßt, die selbst seinen Stolz daniederbeugte, überblickte er die wütend auf ihn zustürzende Volksmenge – als er gerade über ihr in einer Öffnung, welche in der Zeltdecke gelassen war, eine seltsame und schreckliche Erscheinung sah, und kaum gewahrte er dieselbe, so fühlte er seinen Mut wieder gestärkt!

Er streckte seine Hand hoch empor, ein gebieterischer und feierlicher Ausdruck beseelte sein königliches Antlitz.

»Seht!« rief er mit donnernder Stimme, die das Toben des Volkes übertönte. »Seht da, wie die Götter den Unschuldigen beschützen! Das Feuer des rächenden Orkus flammt empor gegen das falsche Zeugnis meiner Ankläger!«

Das Volk schaute nach der Richtung, die der Ägypter andeutete, und sah mit Entsetzen aus dem Gipfel des Vesuvs eine feurige Erscheinung in der Gestalt eines riesenhaften Tannenbaumes emporschießen. Der Stamm war finsterer Rauch, die Zweige Feuer –- ein Feuer, das jeden Augenblick sein Farbenspiel änderte, jetzt lebhaft und glänzend war, dann ein trübes Rot, um bald wieder in blendendem Glanz emporzublitzen.

Es lag ein tiefes, ängstliches Stillschweigen über der Versammlung, das plötzlich durch das Brüllen des Löwen unterbrochen und innerhalb des Gebäudes durch die schärferen und wilderen Töne des Tigers erwidert wurde. Die Tiere waren Unglückspropheten der in der Natur bevorstehenden Schrecknisse gewesen.

Von den oberen Reihen gellte jetzt das klagende Geschrei der Weiber, die Männer starrten sich einander an, blieben aber stumm. In diesem Augenblick fühlte man auch die Erde beben, die Mauern des Theaters zitterten, und in der Entfernung hörte man das Gekrach einstürzender Dächer. Jetzt schien die feurige Wolke, brausend und schnell, wie ein gewaltiger Strom, gegen die Stadt zu schweben, und gleich darauf warf sie einen mit großen, feurigen Steinen gemischten Aschenregen aus! Dieser fürchterliche Regen ergoß sich über die Weinberge, über die öden Straßen, über das Amphitheater selbst und über das Meer, in das manches gewaltige Felsenstück hinabstürzte.

Das Volk dachte nicht mehr an die Gerechtigkeit und an Arbaces, die Selbsterhaltung war jetzt jedem das erste. Einer drängte und stieß den anderen. Rücksichtslos trat man auf die Gefallenen, und unter Geschrei, Wehklagen und Fluchen stürzte die ungeheure Menschenmenge durch die zahlreichen Ausgänge. Wohin sollte man aber fliehen? Einige, die glaubten, es stehe ein zweites Erdbeben bevor, eilten in ihre Wohnungen, um ihre Kostbarkeiten fortzuschaffen, solange es noch Zeit sei. Andere, welche den Aschenregen fürchteten, der jetzt wie ein Platzregen fiel, flüchteten sich in die nächsten Häuser und Tempel oder unter irgendein Obdach, um geschützt zu sein. Aber immer finsterer dehnte sich die Wolke über die Stadt aus. Noch nie war wohl eine Nacht so unheimlich und schrecklich als dieser Vormittag!


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